Wenn es in der für mich so wichtigen und wegweisenden Phase meiner Adoleszenz ein Magazin gab, das ich vermutlich sogar manches Mal über Gebühr verschlungen und ernstgenommen habe, das mir unzählige neue Bands ans pubertäre Herz legte, das die frühen Entwicklungen im Death Metal ganz selbstverständlich mit der aufkeimenden Alternative- und Grunge-Szene verknüpfte und in einem Heft abbildete, und also auch in dieser Hinsicht dafür sorgte, dass ich innerhalb der harten Rockmusik keine Scheuklappen kannte und eben alles hörte, was mir Stratmann, Kühnemund, Schäfer, Albrecht und Trojan auf dem Silbertablett anboten; mit genau dessen Schreibern ich mich identifizierte und von denen ich annahm, sie seien zwar irgendwie "Kritiker", aber eben in erster Linie Fans, die vor allem hinsichtlich der bedenklichen politischen Auswüchse in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre eine klare und unbeugsame Haltung hatten, und die sich darüber hinaus über die Vorbildfunktion und ihren "Auftrag" als Sprachrohr der deutschen Metalszene im Klaren waren, dass sich die braune Brut nämlich gefälligst aus genau dieser Szene verpissen soll, auch weil sie keine Andockstelle finden wird, um ihre Ideologie unter den Metalkids zu streuen, denn dafür würden sie, das Magazin und seine Schreiber, schon sorgen - dann war es das in Dortmund ansässige Rock Hard.
Und ich las jedes erschienene Heft im Zeitraum zwischen 1988 und 2001 bis zur letzten Zeile leer.
Für ein erstes Stirnrunzeln unter jener Leserschaft, die das Rock Hard vor allem für seine Undergroundtipps im Bereich der abseitigen, noch in den Kinderschuhen steckenden Subgenres liebten, sorgte die schon sehr früh platzierte Hofberichterstattung für die Knallköppe der Böhsen Onkelz, die in erster Linie vom damaligen Chefredakteur Götz Kühnemund ins Blatt gedrückt wurde, gerne auch unter dem Schleier des ernsthaften und kritischen Journalismus: "Wir tun das, was sich keiner traut und setzen uns mit der Band auseinander. Wir glauben nicht die Verleumdungen der Massenmedien. Wir stellen kritische Fragen. Wir bilden uns selbst ein Urteil." Dass die Redaktion damit an dem Masterplan von Oberonkel Weidner begeistert mitstrickte und insofern selbst instrumentalisiert wurde - bon, das konnte man als schreibender Fan dann wohl nicht mehr erkennen. Dafür konnte man sich nach dem endgültigen Durchbruch der Band schön ans Revers heften, schon ganz früh mit dabei gewesen zu sein. Auch Fans haben dann und wann ein Ego, das befriedigt werden will.
Als die Frankfurter zum ersten Mal auf dem Titel des Rock Hard zu finden waren, konnte ich es kaum glauben. Was war passiert? Die haben doch jahrelang dafür geschrieben und gekämpft, dass Dumpfbacken wie David Vincent aus dem Heft verschwanden, haben Interviews mit damaligen Vollidioten wie Glen Benton und Dark Throne wegen immanent zur schau gestellter Vollverblödung vorzeitig beendet - und jetzt kommen die Onkelz auf den Titel? Wir sprachen doch eben noch von Dream Theater, Voivod, Watchtower, Atheist, von Heir Apparent, Hades, der emotionalen Kraft von Pearl Jam und Alice In Chains, der Innovation und Progressivität von Janes Addiction und Ministry, von Kunst und Hochkultur - jetzt kommt also die Eisenzeit ins Heft? Niemand, der damals ohne zu Stolpern bis 4 zählen konnte, konnte das verstehen. Die Onkelz waren in meiner "alten" Szene niemals akzeptiert. Auch dieser redaktionelle Offenbarungseid konnte daran nichts ändern.
Die Jahre nach 2001 sind schnell erzählt: ich las das Heft nicht mehr. Zum einen war die Hysterie um die Onkelz auf dem Höhepunkt angekommen, zum anderen war ich vom Metal und vom Heft furchtbar gelangweilt. Meine Hörgewohnheiten änderten sich, die Zeit des Rock Hard war vorbei.
Und sie ist es bis heute, wenngleich ich immer noch, und sei es nur emotional und trotz mittlerweile ausgetauschter Führungsmannschaft und Redaktion, noch mit dem Heft verbunden bin. Jedes Mal, wenn ich "Facelift" von Alice In Chains auf den Plattenteller lege, muss ich an Kühnemunds Schlusssatz der Rezension denken - "Echter Rock'n'Roll kommt immer noch von der Straße, mitten aus dem Dreck - und ALICE IN CHAINS stinken wie die Schweine! " - und daran, dass er in Ermangelung einer passenden Schublade die Band in den Bereich des "Street-Metal" einsortierte (was auch die Frage provoziert, was zum Fick denn jemals Street Metal gewesen sein soll). Bei jedem Hören von "Killing In The Name" von Rage Against The Machine flüstert mir Herausgeber Stratmann ins Ohr, dass die Platte demnächst in jeder guten "Alternative-Zappelbude" laufen wird. Und er hatte recht. Stratmann hatte zu jener Zeit Anfang der neunziger Jahre immer ein gutes Näschen für die neuen Hits. Stratmann hatte wenigstens eine Idee von Geschmack. Stratmann wusste was geht - und was nicht geht.
Gebröckelt hat diese Fähigkeit zur unfallfreien Navigation durch die Untiefen einer im schlechtesten Sinne mehr und mehr indifferent gewordenen Szene in den letzten Jahren, in denen ich die Inhalte und Entwicklungen im Heft noch am Rande mitverfolgte, mehr als ein Mal, und so holte man sich so einige Musiker und Bands ins Heft, die in dem ein oder anderen Genre eine monatelange Diskussion zur Grauzone ins Rollen gebracht hätten - in der Metalszene der Nuller Jahre herrscht dagegen weitgehend stoische Lethargie. Watain, Drudkh ("zwielichtig (...), aber besonders gelungen" - Dorian Gorr), Burzum - letztgenannte wurden als Erschaffer einiger echter Meilensteine des Black Metal gefeiert; textlich vielleicht nicht ganz einwandfrei, ideologischer Fixpunkt des National Socialist Black Metal (NSBM) aber hey: die Platten sind legendäre Szeneklassiker.
Und sie sind natürlich ein rechter, faschistischer, menschenverachtender Quadratscheiß, dafür aber einer, der mittlerweile in der Mitte der Szene angekommen ist. Es ist absurd (no pun intended!), dass wir einerseits davon sprechen, wie sehr Metal als Kunstform mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert ist, während andererseits die politische Debatte über den Standpunkt der Szene vollkommen zum Erliegen gekommen ist.
"Metal war schon immer unpolitisch." - Ja, und Du warst offenbar intellektuell schon immer ziemlich übersichtlich veranlagt, denn es geht sich halt einfach partout nicht aus: mein Metal war nie unpolitisch. Er war albern, pubertär, manchmal geschmacklos - aber er war eben nie unpolitisch.
Stratmann hat mittlerweile sein Mojo wohl endgültig verloren.
Ich habe gestern gesehen, dass nach einem Interview in Ausgabe 304 aus dem Jahr 2012 im aktuellen Heft tatsächlich schon wieder ein Interview mit den Schwachstromelektronikern von Freiwild zu finden ist. Geführt von Jan Jaedike, der seit 1993 für das Heft schreibt und traditionell aus dem Punk- und Hardcorebereich kommt - Discharge, 7 Seconds, Napalm Death, Leatherface, The Exploited - jetzt also Freiwild:
"Die Mischung aus Rock, Punk, Pathos und einer nach wie vor unüberhörbaren Schlager-Affinität funktioniert auf dem Doppelalbum (!) besser denn je. Die erste Single ´Wir brechen eure Seelen´ entpuppte sich bereits als Ohrwurm mit anständigem Punch, und auch sonst servieren der kreative Alleinherrscher Phillip Burger (g./v.) und seine Mitstreiter einen Reigen, der zwar immer wieder in latenter Schunkelei wildert, aber - jetzt mal ehrlich - das gesamte Gedöns ähnlich gestrickter Top-Ten-Konkurrenten locker in die Tasche steckt." (Jan Jaedike)
Spätestens jetzt darf man überlegen, dem Dortmunder Magazin beide emporgereckte Mittelfinger zu zeigen.
Jungs, Ihr habt echt den Schuss nicht mehr gehört.