ORNETTE COLEMAN - NEW YORK IS NOW
Ich frage mich gar nicht mal so selten, ob es überhaupt Menschen gibt, die "New York Is Now" schätzen. Ich kenne niemanden, der Ornette Colemans Album von 1968 wirklich in sein Herz geschlossen hat - dafür ist es allerdings in der genaueren Betrachtung emotional viel zu distanziert, ich wäre um ein Haar gar versucht zu sagen, es ist gefühlskalt. Nun verbindet mich mit Colemans Stil seit jeher eine Art Hassliebe, und wo ich seine Experimentierfreudigkeit und seinen Humor mag, so empfinde ich seinen Stil immer als bewusst hakelig und seinen Ton als krude und unförmig. "New York Is Now" ist hierfür keine Ausnahme. Schon der Opener "The Garden Of Souls" ist in der kompletten Anlage schleppend und in sich verschoben, zerfasert. Dabei ist das Line-Up der von Francis Wolff für das Blue Note Label aufgenommene Session ein Hingucker, wenn nicht -hörer: die Rythmusabteilung mit Elvin Jones an den Drums und Jimmy Garrison hat sich Coleman vollständig von John Coltranes legendärsten Bandgefüge gemopst, dazu kommt mit Dewey Redman ein versierter und wieselflinker Tenorsaxofonist, der mit Coleman als Leader bis ins Jahr 1972 noch bei sechs weiteren Arbeiten an dessen Seite sein sollte. Das Lineup mit Garrison und Jones hielt immerhin noch für ein weiteres Album "Love Call", das aus den selben Session wie "New York Is Now" entstand.
Ich habe über die letzten Jahre einen Narren an dieser Aufnahme gefressen, obwohl es nicht immer ein reiner Genuss ist, "New York Is Now" zu hören. Zum einen, und das mag seltsam klingen, aber wer ohne Knick im Hirn ist, der werfe den ersten Operationsbericht, mag ich schlicht den Albumtitel. "New York Is Now" ist unmittelbar und urban, klingt nach Aufbruch und Revolution. Zum anderen ist mir das Coverartwork mit der Großaufnahme Colemans und Garrison mit Zigarette im Hintergrund ans Herz gewachsen - in der aktuellen Wiederveröffentlichung als Vinylversion erscheint das Cover noch größer und einnehmender. Und das Backcover mit Blick auf die Skyline New York und mit den erloschenen Leuchtbuchstaben des Hotel Manhattan trägt viel zur Stimmung dieses Albums bei.
Es liegt selbstverständlich auch eine große Faszination in der Musik, die mich das Album sehr regelmäßig aus dem Regal ziehen lässt, aber hier wird die Erläuterung schwieriger. Vielleicht ist es die dunkle Aura der Aufnahme, die so anziehend ist. Vielleicht ist es das diffuse Gefühl, als wären alle Beteiligten in einer Art Traumwelt gefangen gewesen, als die Bänder mitliefen. Vielleicht kamen Garrison und Jones wirklich nicht mit dem Stil Colemans zurecht, waren herausgefordert und musste so reagieren, wie sie es nicht gewohnt waren. Thom Yurek schrieb dazu, dass insbesondere Elvin Jones den Eindruck mache, als wüsste er wegen des reduzierten Tempos nichts mit sich anzufangen. "New York Is Now" ist eine aufgerauhte, alles andere als zugängliche Session postmodalen Jazz, der rythmisch wie so oft bei Coleman im Blues verharrt, gleichzeitig im Aufbrechen von Harmonien und im Experimentieren mit melodischen Elementen immer an der Stelle zum Free Jazz entlangschlingert.
Erschienen auf Blue Note Records, 1968.
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