12.04.2015

"Wir haben kein Informationsdefizit, wir haben ein Aktionsdefizit." - Gedanken zum Record Store Day 2015 - Teil 1





Jegliche Argumente, die aus guten Gründen gegen die Institution des Record Store Days gerichtet werden können, wo nicht müssen, werden von mir höchstpersönlich und in schöner Regelmäßigkeit torpediert, und das macht das alles nicht einfacher. 2014 war ich mit drei Platten auf dem Einkaufszettelchen noch als Katastrophentourist unterwegs, und keine dieser drei Auserwählten ließ sich in den Frankfurter Plattenläden finden. Eine davon, Gil Scott Herons "Nothing New", eine Solo-Neuaufnahme seiner eher unbekannteren Songs, gab es der Legende nach nur in England und den USA, offenbar mit einer ungleichen Verteilung mit deutlicher Tendenz in Richtung Übersee. Die Scheibe hätte ich schon gerne gehabt, weil ich Gil für einen der allergrößten Persönlichkeiten und Musiker und Texter halte - aber muss man sich dafür wirklich so verarschen lassen? Die Preise für ein Exemplar waren schon am Record Store Day selbst jenseits von gut und böse, und was man später auf Ebay und Discogs fand, löschte dann endgültig jeden Funken Mentalhygiene und Menschenverstand aus meinem Kopf. Dazu dieses unwürdige Herumrennen und Fragen und sich zum Affen machen. Es ist nur eine Schallplatte, for fuck's sake!

Ich hielt "Nothing New" einige Zeit auf allen möglichen Wunschzetteln, aber weder gingen die Preise signifikant nach unten, noch mochte ich die drölf Trilliarden Euro Versandkosten nebst den Zollgebühren aus den USA berappen. Ende des letzten Jahres zog ich die Konsequenz und löschte alle Einträge. Ich sollte die Platte wohl einfach nicht bekommen, damit muss und kann ich leben. Außerdem ist es lohnenswert, sich in den Situationen den Satz von Freund Simon immer wieder aufzusagen:"Man braucht einfach nur ein bisschen Geduld."

Um den weiteren Verlauf abzukürzen:



Tatort: Second Hand Records in Stuttgart. Tatzeit: Anfang März 2015. Preis: obszön, aber der persönlichen Wichtigkeit angemessen. Vielleicht. So setzte ich mich für 15 Minuten in den Ladensessel und betrachtete die Platte. Darf ich das? Soll ich das? Werde ich zur Züchtigung am Abend die Sitzbänke im Dampfbad des Hotels ablecken, sollte ich hier jetzt nicht zugreifen?

Wir kennen mittlerweile die Antwort. Und wieder eine persönliche Niederlage. Eingeknickt. Dafür allerdings ohne Geschlechtskrankheit im Gesicht. Das muss anders werden. Also nicht das mit ausbleibenden Geschlechtskrankheit, aber...ihr wisst schon. Time for a change. Man muss doch auch mal in die Aktion kommen.

Bis es soweit ist: "Nothing New" präsentiert sehr intime und spartanische  Versionen seiner alten Songs. Nur Gil und sein Piano. Es ist darüber hinaus eine Songauswahl, die auch seine eher unbekannten Alben wie "1980" oder "Moving Target" berücksichtigt. Aufgenommen von Richard Russell, der sich auch für die Produktion des Combebacks "I'm New Here" aus dem Jahr 2010 verantwortlich zeichnet.

Es hat etwas gedauert, bis ich mich traute, die Plastikfolie zu entfernen und die Platte wirklich aufzulegen. Als ich es tat, lief sie für 9 Stunden auf Endlosschleife. Da fällt der Blick auf das moralische Dilemma schon ziemlich schwer.

"Was haben wir uns nicht gut arrangiert."(Blank When Zero)

Im zweiten Teil: warum der Record Store Day sterben muss, damit die Schallplatte leben kann und warum Verweigerung die einzige Option ist.


...to be continued...

Keine Kommentare: