PLATZ 30 ° ANOUAR BRAHEM - BLUE MAQAMS
Ob der Titel des elften Albums des Oud-Visionärs Brahem sich auf den Modus eines Musikstücks in der arabischen und türkischen Musik oder auf die islamische Mystik bezieht, nach der Maqams „Wegstationen“ sind, die ein Gottessuchender auf seinem langen und mühevollen Weg auf der Suche nach Gott zurücklegen muss, bleibt vermutlich nicht ohne Grund unbeantwortet - und es ist bisweilen lohnenswert, "Blue Maqams" unter der Prämisse dieser zwei Interpretationsoptionen zu erkunden. Vor allem dann, wenn man wie ich weder vom einen noch vom anderen auch nur den blassesten Dunst hat. Liest sich gut, ist aber total sinnlos. Musikjournalismus im Jahr 2017, deal with it. "Blue Maqams" ist kein einfaches, weil sehr subtiles und überwiegend leises Album; offenbaren sich die seitens der vier Granden De Johnette, Holland, Bates und Brahem gesponnenen Ebenen doch in erster Linie beim tiefen Eintauchen via Kopfhörer und beim genauen Studium ihrer sowohl tonalen als auch rhytmischen Bewegungen. Es ist eine echte Freude, diesen vier Ausnahmemusikern dabei zuhören zu dürfen.
PLATZ 29 ° THIEVERY CORPORATION - THE TEMPLE OF I & I
Nach dem auf ewig grandiosen Melancholiemonster und Überraschungscoup "Saudade" aus dem Jahr 2014 ist "The Temple Of I & I" eine Rückkehr zum bekannten Thievery Corporation Sound, dieses Mal jedoch ein Spürchen reggaebetonter als gewohnt. Qualitativ bewegen wir uns glücklicherweise wieder oberhalb des "Culture Of Fear"-Niveaus und einer trotz wie üblich großen Schar von Gastsängern/-sängerinnen insgesamt gestiegenen Treue zum roten Faden, der das Album zusammenhält. Es verlangt Anerkennung, dass sie ihren Sound auch 20 Jahre nach den großen Erfolgen eines mittlerweile ziemlich vor sich hin müffelnden, fast möcht' man sagen: gar nicht mehr existierenden Genres immer noch frisch halten können, selbst wenn der Überraschungseffekt mittlerweile (und im Vergleich zum Vorgänger) auf "The Temple Of I & I wieder ausbleibt - und dass sich trotzdessen immer wieder die große Euphoriekammer im Herzen öffnet, wenn ein neues Thievery-Album ansteht. Herausragend: die lasziv-zornige Racquel Jones in "Letter To The Editor" und die beiden Sentimentalsmoothies "Time + Space" und "Love Has No Heart".
PLATZ 28 ° BEACH FOSSILS - SOMERSAULT
Gebt mir noch ein halbes Jahr und "Somersault" steht felsenfest in der Top Ten. Dabei war's ein Beinahe-Blindkauf, weil mich der auf den ersten 20 Sekunden des Openers ausgemachte Gegensatz zwischen dem Verve einer Packeisscholle kurz vor Oldenburg einerseits und dem warmen und watteweichen Sixties- und Seventies-Sound so provokativ und sexy ansprang. Ich fand folgerichtig erst nach ein paar Durchgängen den Zugang zum dritten Album der New Yorker, dann war ich allerdings tatsächlich kurz davor, mir selbst im November-Nieselregen den Mankini anzuschnallen und vor Freude in einen Stadtbus zu urinieren: "Somersault" klingt, als hätten Paul McCartney, Robert Smith, Sam Prekop und Johnny Marr am Strand von Kalifornien gehascht und alle hätten sie vor Ergriffenheit wegen des gemeinsam bestaunten Sonnenuntergangs das Heulen angefangen. Wunderbärchen.
2 Kommentare:
Beach Fossils gefällt mir. Nie gehört von denen. Klingt aber echt genau so, wie Du es beschreibst. Merci für den Tip
Ploppi
Prima, freut mich! Eine kleine, aber ganz feine Platte. :)
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