BLACK FIRE! NEW SPIRITS!
Deep and Radical Jazz in the USA 1957-82
Im März des vergangenen Jahres schrieb ich gleichfalls in der beliebten Kanaworms-Kolumne über die von DJ und Technolegende Theo Parrish zusammengestellte und 2014 veröffentlichte Werkschau des Black Jazz Labels: "Theo Parrish's Back Jazz Signatures", und ich möchte für das nun schon etwas länger abgelaufene Jahr 2015 eine weitere, Ende 2014 erschienene Jazz-Kompilation aufs Radar feuern.
Über "BLACK FIRE! NEW SPIRITS! Deep and Radical Jazz in the USA 1957-82" hatte ich bereits im letzten Juni alles gesagt, was gesagt werden muss:
"Black Fire! New Spirits!" verteilt auf zwei CDs oder drei LPs insgesamt vierzehn Tracks aus den turbulenten Jahren der amerikanischen Jazzmusik und hält dabei eine gute Balance zwischen bekannteren Musikern wie Archie Shepp (hier zusammen mit Jeanne Lee), Yusef Lateef, Don Cherry, Joe Henderson und Grachan Moncur III und den obskuren und vergessenen Künstlern wie Tyron Washington, David Lee Jr. oder Pheeroan Aklaff. Die wie von Souljazz gewohnt ausführlichen Liner Notes zu jedem einzelnen Musiker setzen Stein für Stein das Mosaik der damaligen Zeit (und auch dieser Compilation) zusammen.
Es mag in diesem Zusammenhang überraschen, dass viele vertretene Musiker aus Detroit stammen. Baker schreibt dazu, dass die Motor City eine wichtige Rolle in der Radikalisierung des Jazz spielte. Angetrieben durch den experimentell ausgerichteten Detroit Artists Workshop in den 1960er Jahren wurden nicht nur Musikerkollektive und Plattenlabels wie Strata oder Tribe gefördert, der vom Jazzkritiker, White Panther-Aktivisten und späteren Manager der skandalträchtigen Rockband MC5 John Sinclair organisierte Free Jazz/Hard Rock Workshop brachte außerdem einige merkwürdige, aber interessante Zusammenstellungen ans Tageslicht: So war beispielsweise der Jazztrompeter Charles Moore für einige Zeit Bandmitglied bei den MC5.
Das intensivste Stück von "Black Fire! New Spirits!" ist sicherlich "Universal Spiritual Revolt" von Tyrone Washington. Ein zunächst ausgelassen beginnender funky Jazztune, der urplötzlich in einen wilden Orkan mit Glocken, irrem Gebläse und "Freedom!, Freedom!" Geschrei umschlägt und am Ende wieder beschwingt in das Eingangsthema wechselt, als wäre nichts geschehen. "Universal Spiritual Revolt" hat eine unbändige Kraft, laut abgespielt kann man während dieser neun Minuten kaum stillsitzen. Washington nahm Ende 1967 sogar eine Platte für das Blue Note Label auf ("Natural Essence"), spielte Sessions mit Jackie McLean, Woody Shaw und Herbie Hancock - wenngleich die "Train Wreck Sessions" genannten Aufnahmen mit letztgenanntem nie offiziell veröffentlicht wurden - und verließ nach seiner letzten, 1974 erschienenen Platte "Do Right" und der Konvertierung zum Islam die Musikwelt.
Das erwähnte Blue Note-Album Washingtons "Natural Essence" habe ich mir mittlerweile auf Vinyl gegönnt: eine hochinteressante, weil vordergründig klassische Blue Note-Post Bop Jazzplatte der späten 1960er Jahr, die aber in der detaillierteren Auseinandersetzung mit einem ungewöhnlichen Twist in den Kompositionen überrascht. Von den beiden Nachfolgern "Roots" und "Do Right" ist bislang leider nur erstgenannte als wahrscheinlich unautorisierter Repress auf Vinyl wiederveröffentlicht worden, für den Schlusspunkt "Do Right" muss selbst für die 2006 erstmals erschienene CD schon etwas tiefer in die Tasche gegriffen werden. Für die Original-LP sollte man inklusive der Versandkosten nach Deutschland einen dreistelligen Betrag einplanen. Aber vielleicht kommt auch hier bald das Counterfeit.
"BLACK FIRE! NEW SPIRITS!" ist eine essentielle Zusammenstellung über die Entwicklung des freien und spirituellen Jazz und seiner unbekannteren, dafür aber mit viel Mystik aufgeladenen Protagonisten. Es gibt noch viel zu entdecken.
Erschienen auf Souljazz Records, 2014.
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