Obwohl ich die Karriere der US-amerikanischen Bassistin Esperanza Spalding seit dem Album "Esperanza" aus dem Jahr 2008 verfolge und mich ihr scheinbar grenzenloses Talent in bisweilen strenges bis sehr ungläubiges Staunen versetzte - wer es schon nicht mit einer ihrer Studioaufnahmen versuchen will, soll sich bitt'schön recht dringend einer Livebehandlung unterziehen - hat mich bislang noch keines ihrer Alben auf die volle Distanz überzeugen können. Die gerade mal 32-jährige Musikerin war und ist der Shooting Star der Jazzszene, wurde mit Grammys überhäuft und spielte bereits mehrfach für den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama im Rahmen verschiedener Festivitäten des Weißen Hauses - dass Spalding damit knietief im Jazz-Establishment steht, kann dem weniger Wohlgesonnenen einen gewissen Sicherheitsabstand einnehmen lassen. Tatsächlich waren die bisherigen Alben, darunter die beiden kommerziell erfolgreichsten Werke "Chamber Music Society" und "Radio Music Society" wie gemacht für den Mainstreamigen US-Jazz: etwas bieder, glatt und gleichförmig. Freilich herausragend gespielt und gesungen, ebenso fraglos mit einigen umwerfenden Songs ausgestattet (Tipp: "Black Gold"), aber mir fehlte immer das gewisse Etwas über die gesamte Spieldauer.
"Emily's D + Evolution" ist nun eine deutliche Zäsur ihres Schaffens und es ist in dieser Hinsicht kaum verwunderlich, dass meine Jahresbestenliste bis zu Spaldings fünftem Staudioalbum warten musste, um im Sturm genommen zu werden. Spalding hat sich bewusst neu erfunden und möglicherweise im Rahmen dieses Prozesses den Abnabelungsprozess vom Mainstream eingeleitet - es wäre ihr angesichts der Frische und Klasse dieses Werks wirklich zu wünschen. Esperanza suchte nach neuen Wegen, nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, nach neuen Konzepten, zog in ihre Heimatstadt Portland um und sich für volle zwei Jahre aus dem Hamsterrad Musikbusiness zurück, um die kreativen Batterien nicht nur aufzuladen, sondern gleich das ganze Akkupack auszutauschen. Spalding agiert auf "Emily's D + Evolution" als die Stimme ihres Alter Egos Emily, die den Hörer dazu bringen soll, die Regeln des Systems in Frage zu stellen und für Frieden und Stille zu kämpfen, um die Verbindung zum eigenen spirituellen Zentrum wieder herstellen zu können.
"Emily "is a spirit, or a being, or an aspect who I met, or became aware of. I recognize that my job … is to be her arms and ears and voice and body."
Auch wenn der Stilwechsel bedeuten konnte, sich aus der eingerichteten Komfortzone mit all den schönen Grammynominierungen zu verabschieden, ging Spalding den Weg erstaunlich konsequent. Unterstützt wurde die Produktion vom langjährigen David Bowie-Intimus und -Produzenten Tony Visconti, dessen Einfluss man hören kann: "Emily's D + Evolution" ist künstlerisch, schräg, intellektuell, offen und damit ziemlich viele Universen von dem entfernt, was sich im Mainstream derzeit tummelt: nicht nur hat Spalding offenbar eine Büchse mit ein paar psychedelischen Muntermachern geöffnet, sondern auch den ihr so oder so lieb gewonnenen Fusion-Sound mit einigen verspulten, bisweilen überraschend harten Gitarrenriffs sehr promiment in den Sound eingebaut. Als hätten Jimmy Hendrix, Frank Zappa, Prince und Joni Mitchell zu einer großen Jamsession im Jenseits eingeladen. Ich persönlich nehme bisweilen noch einen dezenten Einfluss der Rockmusik von Beginn der neunziger Jahre wahr, und sei es nur in der visionären Ausrichtung, der Kühnheit wirklich etwas Neues zu wagen. Ich kann es vermutlich nicht über den eben genannten Rahmen hinaus erklären, aber mir kommen immer wieder die frühen Janes Addiction in den Sinn, wenn es darum geht, die Stimmung dieser Produktion zu beschreiben. Dass mir aber jetzt bloß keiner auf die Idee kommt, "Ritual De Lo Habitual" musikalisch mit Esperanza Spalding zu vergleichen. Wir sind ja nicht bescheuert.
Und weil also kreativer Mut in diesen Zeiten, in denen er zwar nicht ausgestorben, sich dafür aber so rar gemacht hat, dass die Menschen nichts mehr mit ihm anzufangen wissen, und der in der Folge auch gerne mal sanktioniert wird, beispielsweise mit schlechten Verkaufszahlen, hat sich "Emily's D + Evolution" nach dem Erfolg des Vorgängers und dessen zehnten Platz in den US-amerikanischen Alben-Charts, beziehungsweise gar dem ersten Platz in den US-Jazz-Charts, nach einem enttäuschenden 88.Platz sehr schnell wieder von der Billboard-Bühne verabschiedet. Um das auch nur lose einzuordnen: das entspricht etwa 2500 verkaufter Platten in der ersten Woche nach Veröffentlichung. Es werden seitdem nicht gerade Millionen hinzugekommen sein. Oder auch nur Tausende.
Die Kritik und die Sossenheimer Blogbanane indes: jubeln.
Erschienen auf Concord Records, 2016.
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