TOUR DE VINYL - KÖLN
8.4.2015
Die aktuelle Ausgabe der von Freund Simon initiierten Tour De Vinyl-Reihe führte uns an einem wunderbar sonnigen Frühlingstag in die Plattenläden der aus fußballerischer Sicht verbotenen Stadt - nach Köln. Da mein Intelligenzquotient aber zu Jahresbeginn den auch "psychologisch wichtigen" (Beckenbauer) zweistelligen Meilenstein nicht nur erreichen, sondern auch überspringen konnte, und die Domstadt darüber hinaus mit einer überraschend großen Anzahl entsprechender Oasen für Vinylaficionados punkten kann, springe ich gerne über meinen Schatten, den im Kopf installierten sowieso. Zumal Köln auch unsere kleine Punkband Blank When Zero bei unseren drei Gigs immer mit offenen Hosen und Armen empfing und ich im Grunde nur gute, liebevolle Menschen von dort kenne.
Wir starten um kurz vor 11 im Black Diamond in der Ritterstraße. Als wir den Laden betreten, scheint bereits Sodom & Gomorrha ausgebrochen zu sein, denn vier mittelalte Herren wühlen sich tief in der Hocke sitzend durch sechs frisch geöffnete Kisten mit Nachschub aus dem Jazz-, Soul- und Funksektor, außerdem besprechen zwei Mädels den nächsten Deal mit dem Inhaber - Treffpunkt, Uhrzeit, Klaviermusik, Neuware, nächste Woche, alles frisch aus den USA. Laufkundschaft gibt es auch. "Haben sie die neue Platte von Olli Schulz?", "Ich suche Rock'n'Roll der 50er und 60er Jahre auf CD - können sie etwas empfehlen?" Das Black Diamond ist nicht besonders groß, tatsächlich ist es sogar ziemlich klein und wenn sich, wie an diesem Morgen, bis zu acht Menschen in ihm aufhalten, dann wird das eine sehr kuschlige Angelegenheit. Was ist hier los? Des Rätsels Lösung: jeden Mittwoch werden neue Kisten mit neuen zukünftigen Mitbewohnern angeliefert und die Stammkundschaft weiß, was zu tun ist: sie stürmt den Laden. Mir wird berichtet, dass die aktuellen Schätzchen gerade den langen Weg aus den USA hinter sich haben. Aus 20000 Platten suchte der Inhaber 1000 Stück handverlesen aus und nahm sie mit nach Köln. Wunderbare Stücke, zum großen Teil in bestem Zustand, preislich durchaus angemessen. Ich greife beim Klassiker "One Nation Under A Groove" von Funkadelic zu, ein Cut-Out und ohne die original beiligende 7-Inch Single, dafür aber mit gerade mal 12 Euro sogar zwei Euro günstiger als ausgezeichnet. Ich mag George Clintons wilde Rasselbande sehr gerne und freue mich über ein weiteres Juwel des 70er Jahre Funk. Den angebotenen Kaffee schlage ich indes aus - das ist mir hier zu voll und Kaffee treibt - wer weiß, wann ich wieder eine Toilette zu Gesicht bekomme. Trotzdem ein prima Start.
Simon schaut sich derweil beim Comicladen Pinup um, der nur ein paar Meter weiter ebenfalls ein umfangreiches Angebot von 2nd Hand Schallplatten führt. Berichte aus dem Internet sagen, dass es sich hierbei primär um Flohmarktware handelt, dass man aber immer wieder auf ein rares Schätzchen stoßen kann. Simons Eindrücke decken sich damit, wobei der Zustand wohl tatsächlich nur selten über einen knittrigen Flohmarktbestand hinaus kommt.
Wir fallen der Länge nach hin und liegen im Underdog (auch Ritterstraße). Die Kölner Institution in Sachen Vinyl ist mit dem Green Hell Mailorder aus Münster verbandelt und so wundert es nicht, dass das Repertoire seinesgleichen sucht. Ich bin einigermaßen perplex, denn sowas habe ich seit den goldenen Zeiten des Schallplattenhandels nicht mehr gesehen: die außerordentliche Auswahl wirkt gerade für mich, der seine vier virtuellen Wunschzettel nicht nur im Kopf mit sich herumträgt, sondern große Teile davon hier tatsächlich findet, etwas erschlagend. Im Underdog finden sich zwar leider fast keine 2nd Hand Ware, dafür ist der Laden mit Neuveröffentlichungen und Reissues auch abseits des Indie-Mainstreams vollgepackt. Doom, Post Metal und Sludge werden zusammengefasst als ein eigenes Genre präsentiert, dazu gibt es tatsächlich eine eigene Abteilung für Freunde des Thrash-, Speed, und Death Metal. Hip Hop, Elektronisches, Soundtracks, Punk, Hardcore, Oi, Metalcore, Mosh, Indie - hier könnte ich gleich ein paar Kreditkarten bis ans Limit ausreizen. Preislich liegt der Underdog im oberen Mittelfeld, denn auch hier verschließt man sich der aktuellen Preisentwicklung unter dem Motto "The Sky Is The Limit" nicht. Der Anteil von berüchtigten 25 Euro + X Platten ist zwar überschaubar, aber warum man neuerdings für das neue Album des kanadischen Postrock-Kollektivs Godspeed You! Black Emperor satte 27 Euro für eine einzelne LP auf den Tisch legen muss, erschließt sich mir vor allem aufgrund des DIY-Images des Labels Constellation ganz und gar nicht. Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass der Underdog damit nicht alleine ist, aber das macht es ja nur bedingt besser. Interessant ist die Cheapo-Abteilung im Eingangsbereich, denn hier lassen sich Scheiben finden, die in deutlich günstigeren Preisklassen zu Hause sind. Hier werde ich dann auch für den Gang zur Kasse vorbereitet: die Shoegazer-Kapelle Medicine sind mit ihrer - Record Store Day 2014, ick hör' dir trapsen - letztjährigen und dreifarbigen (!) LP "In Session" für 16 Euro vertreten. Her damit!
Wir steigen ins Auto und fahren ins wenige Kilometer entfernte belgische Viertel. Hier sollen sich gleich drei Plattenläden in drei aneinanderliegenden Straßen tummeln. Eine Eckkneipe im Viertel heißt "Zum goldenen Schuss". Ist das der Kölner Humor?
Wir starten mit Nunk Music in der Antwerpener Straße 16. Das im Hinterhof liegende Geschäft lässt uns gleich zu Beginn große Augen machen und fast simultan "Ha! Wie im Big Black!" ausrufen. Der Big Black Records ist ein furchtbar sympathischer und gleichzeitig chaotischer Plattenladen im Frankfurter Nordend und außerdem ein echter Geheimtipp. Wie im Big Black stehen auch bei Nunk alte Röhrenradios, Verstärker, Plattenspieler, Tapedecks nebst allerhand Gekruschel in den Gängen und den Regalen, und ebenso wie im Big Black sehen wir unzählige Kisten mit 7-Inch Singles in der gefürchteten "Rock/Pop A-Z"-Sortierung. Im schmalen Mittelgang empfangen uns der Inhaber und drei Angehörige der bundesdeutschen Streitkräfte der Kölner Bullerei in voller Kostümierung Vollausstattung. Gab's eine Mumie im Krautrock-Fach? Kettensägenmassaker in der Metal-Abteilung? Die Wahrheit ist wohl banaler: die Herren trinken Kaffee und klönen. Gibt wohl nicht so viel zu tun, da oben in Köln.
Im hinteren Teil öffnet sich dann Nunks Heiligtum und Tausende LPs kommen zum Vorschein. Wir wundern uns über gleich drei vermeintliche Originalversionen von Leatherface "Mush" (ohne Preisangabe), Simon ist erstaunt über das interessante Repertoire im Punk/Hardcore-Fach, Herr Dreikommaviernull sieht sich in der Metalabteilung der Tautologie von grauenhaften Coverartworks und 80er Hardrock ausgesetzt. Einen Treffer lande ich für 10 Euro mit dem Debut der UK-Rocker von Thunder. "Backstreet Symphony" ist klassischer Ami-Schmonzrock, der allerdings deutlich hörbar die Schulterpolster aus Britannien dauerwellt. Mit großartigem Sänger und einem bemerkenswerten Groove. Der Nachfolger "Laughing On Judgment Day" ist sogar noch einen Tacken besser.
Das Soul/Funk-Fach ist, etwas enttäuschend, weitgehend mit Samplern, Flohmarktware und Maxis bestückt, wohingegen vor allem der Bereich des 70er Jahre Rocks außerordentlich umfangreich vertreten ist. Auch im Jazzbereich lassen sich einige schöne Stücke finden, weshalb ich mir für relativ schmales Geld noch "Alone In San Francisco" von Thelonious Monk einpacke. Der Zustand der geprüften Platten schwankt stark - "Welcome To The Ball" der US-Metaller von Vicious Rumors, die ich für Freund Jens ins Auge fasste, war beispielsweise leider komplett verdreckt, während Monk sowohl was Cover als auch das Vinyl betrifft, durchaus sauber durch San Francisco tänzelt. Nunk Records ist ein interessanter Laden, in dem sich problemlos einige Zeit verbringen lässt, geführt von einem sympathischen Original, der erstens sehr spaßig mit sich handeln ließ und zweitens auf seiner Facebookseite zu Karneval "Kein Fußbreit den Karnevalisten!" postete. Kann man im Prinzip nur gut finden.
Nach einem knapp zehnminütigen Fußmarsch stehen wir im Parallel (Brabanter Straße 2-4) wie der Holzlöffel in der Buttermilch. Wir lasen im Vorfeld einige Misstöne aus Internetzhausen und waren entsprechend vorbereitet: das Personal sei unerträglich unfreundlich und arrogant und die Preise seien bar jeder Vernunft. Gedanken an den legendären Franz und Josef in Berlin werden wach. Werden wir auch rausgeschmissen?
Das lest ihr im zweiten Teil des Tour de Vinyl Berichts.