06.06.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Marillion - FEAR



MARILLION - FEAR

Ich spreche zwar oft davon, aber ich konnte mich bislang noch nicht dazu durchringen, die besten Platten der 90er Jahre auf die virtuelle Schiefertafel zu hämmern (wegen Phlegma, Apathie, Sauerteigbrot, Ficken - Zutreffendes bitte durchstreichen). Wenn ich es allerdings täterätääääte, dann wäre "Afraid Of Sunlight", das 1995er Album dieser britischen Progressive Rock-Institution, ohne auch nur den Hauch eines Zweifels in der Auswahl enthalten - womit sich der dreikommaviernull Dekaden umspannende Blogkreis schließen würde: Marillion wären damit die einzige Band meines musikalischen Universums, die in jedem Jahrzehnt ihrer Platten veröffentlichenden Existenz ein Dauerparker auf dem Treppchen ist. Für die 1980er Jahre bleibt das Debut "Script For A Jester's Tear" ungeschlagener Weltmeister in der Disziplin "Genesis 2.0", für die nuller Jahre ist "Marbles" aus dem Jahr 2004 Klassenbester und im just beendeten Jahrzehnt ist es, logo: "FEAR (Fuck Everyone And Run)" - ein Album, das sicher aufgrund seiner Message als auch wegen seiner bewegenden 75 Minuten Musik zu einem - und man muss das so sagen - Überraschungserfolg wurde. Wer sich die beinahe verschwundene öffentliche Anerkennung und Wahrnehmung dieser Band über die letzten dreißig Jahre hinweg vor Augen und Ohren hält, mit all der Ablehnung, der Ignoranz und Frustration, der darf sich angesichts von einer plötzlich erzielten Top 5-Chartplatzierungen für "FEAR" und einer in diesem Zuge ausverkauften Royal Albert Hall durchaus verwundert Augen und Kleinhirn reiben. Vielleicht muss man für eine Erklärung dieses Phänomens ganz tief in die Klischeeschublade abtauchen und das alte Palaver von "zur richtigen Zeit am richtigen Ort" abspulen. An sich glauben. Durchhalten. Das eigene Ding machen. 

Und sich ab und an mal so ganz dolle am Riemen reißen, über sich hinauswachsen, ein extradickes Inspirationsbrett bohren und Texte schreiben, die einen zum hemmungslosen Heulen bringen.           

So gehört es sich eben auch für die beste Band der Welt. 

"Je öfter ich das sage, desto richtiger wird's." (Harald Schmidt). 


Wer noch mehr Lobhudelei benötigt und außerdem einen der längsten Texte seit Bestehen dieses Blogs lesen möchte, der schaut HIER vorbei. 

Da es aufgrund der (digitalen) Aufteilung von "FEAR" schwierig ist, einen der drei Longtracks ohne Unterbrechungen auf Youtube zu finden, habe ich mich für den zwanzigminütigen Abriss von "The Leavers" vom Livealbum "All One Tonight" entschieden - wer dazu nochmal etwas nachlesen mag, geht HIER entlang.




Erschienen auf EarMusic, 2016.

26.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Fates Warning - Theories Of Flight




FATES WARNING - THEORIES OF FLIGHT


Jim Matheos und Ray Alder bliesen mir vor vier Jahren den eigentlich längt eingemottet geglaubten Heavy Metal-Marsch zurück ins Haus, und wo das gesagt ist: nicht nur mir! Die Herzallerliebste, schwerem Metall ansonsten nicht über alle Maßen zugeneigt, zeigte sich ebenfalls beeindruckt und hörte vor allem den zentralen Über-Song dieses Albums "The Light And Shade Of Things" über einen kompletten Sommer hinweg täglich auf heavy rotation - in voller Anerkennung des Kults um die Frühwerke der Band seitens der sowieso sehr loyalen Fanbase, ist dieser zehnminütige Wahnsinnstrack vielleicht das Beste, was jemals aus Herz und Hirn der beiden eingangs erwähnten Männer herausfiel. 

Folgerichtig sind die zwei auch die Stars dieser Platte. Alder mit seiner unnachahmlich dunkel-aufgerauten, gereiften und nie besser klingenden Stimme und Gitarrist/Songwriter/Kompass Jim Matheos, letzterer aus drei Gründen. Erstens: niemand spielt so wie er. Zweitens: niemand schreibt so wie er. Drittens: Niemand produziert so wie er. Wer hat denn bitte jemals eine besser klingende Metalgitarre gehört als in der Single "Seven Stars" und ihrem in voller Breitseite durchgepeitschten offenen D-Akkord? Eben - niemand! 

"Theories Of Flight" ist das beste Fates Warning-Album aller Zeiten.




Erschienen auf Inside Out, 2016.

21.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Young Magic - Still Life




YOUNG MAGIC - STILL LIFE


Ich orakelte schon im 2016er Jahresrückblick über die zu erwartende Ausnahmestellung von "Still Life", und siehe da: ich kenne mich manchmal doch besser als gedacht. 

"Es gab in 2016 so einige Platten, die mein Leben vermutlich auch über das immer noch andauernde Superscheißjahr 2016 hinaus prägen werden; in erster Linie, weil ich mit Ihnen eine bestimmte Zeit, auch ganz besonders ein Lebensgefühl verbinden werde. Und einige davon werden vielleicht wichtig für das restliche Leben werden, sei es, weil sie besondere Saiten in mir angeschlagen haben, sei es, weil ich mit ihnen überhaupt nicht rechnete und die Überraschung und Begeisterung nicht zuletzt genau davon getragen wird und wurde. "Still Life" könnte so eine Platte werden."

Das musikalische Tagesbuch von Sängerin Melati Malay und ihrem Partner Isaac Emmanuel, erdacht und ausgetüftelt auf Malays Reisen, unter anderem auch in ihr Heimatland Indonesien auf der Suche nach den Lebensspuren ihres damals just verstorbenen Vaters, oszilliert durch ätherische Zwischenwelten, sediert die Sinne, durchdringt die Trauer und feiert das Leben. 

Und dennoch fehlen mir immer noch die Worte für die Gefühle, die "Still Life" in mir auslöst. Ich konnte es schon vor vier Jahren nicht genau beschreiben und es macht mich auch im Supersupersuperfuckingsuperscheißjahr 2020 ratlos. Irgendetwas in dieser Musik scheint mir so verflucht nahe zu kommen, dass ich mich beinahe davor fürchte, genauer hinzuschauen. 

Vielleicht das persönlichste und möglicherweise deshalb auch rätselhafteste Album des Jahrzehnts. 




Erschienen auf Carpark Records, 2016.

16.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Kamasi Washington - The Epic




KAMASI WASHINGTON - THE EPIC


Eine Bestenliste des letzten Jahrzehnts ohne diesen Meilenstein ist kaum vorstellbar. Auch auf die Gefahr hin, ein bisschen zu dick aufzutragen: "The Epic" hat die Welt verändert, praktisch aus dem Nichts. Und jeder, der es hörte, ahnte schon früh, dass die Ohren bitteschön zu spitzen seien. 

Denn etwas Großes war im Gange, man möchte fast zum despektierlichen "Größenwahn" greifen: 180 Minuten Musik verteilt auf drei LPs beziehungsweise CDs, ein Orchester, ein Chor, überlange Songs, für deren Arrangements die Beschreibung "opulent" nichts weiter als ein abgeschmackter Euphemismus ist, ein ikonisches Coverartwork und eine inszenierte Sogwirkung, die in ihrer Begeisterung alles mitriss, was sich nicht in die hinterste Ecke des Jazzclubs zu den anderen Betonköpfen retten konnte, die seit 50 Jahren auf "Bitches Brew" herumquallen und dabei langsam zu Staub zerfallen. 

"The Epic" wurde zum großen Vermittler und zur spirituellen Einigungsstelle und ja, "The Epic" hat die Welt zu einem besseren Ort gemacht. Das mag angesichts eines Irren, der nur 18 Monate später als herumstammelnde Hämorrhoide das Weiße Haus besetzen sollte, etwas schwer zu begreifen sein - aber wer diese Platte gehört hat, wird schon verstehen. 

(Mehr Hintergrundinformationen gibt es in meinen alten Posts HIER und HIER)



Erschienen auf Brainfeeder, 2015.

09.05.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: George Fitzgerald - Fading Love




GEORGE FITZGERALD - FADING LOVE


Der Sommer 2015 mit dieser Platte im Reisegepäck wird unvergessen bleiben. Wir verbrachten einige Tage bei der Familie in Lübeck und fuhren jeden Tag mit dem Auto an einen Hundestrand an der Ostsee (Fabbi liebt den Strand!), und was schon auf der sechsstündigen Anreise offensichtlich war, dass wir also unsere Sommerplatte des Jahres gefunden hatten, wurde auf den täglichen Fahrten nur noch bestätigt: es verging keine Sekunde ohne "Fading Love". 

Bittersüße Melodien, Melancholie im Nicki-Strampler mit einem trockenen Martini in der Hand, Sonnenuntergänge im Sepiafilter. Herausragender Moment ist sicher die Single "Full Circle", die mühelos das gesamte Album tragen kann und bis heute Emotionen und Bilder hervorruft, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Im Grunde will man die Welt umarmen und dabei Rotz und Wasser heulen. Und weil das gleichzeitig eine sehr akkurate Beschreibung des eigenen Gemütszustandes am Rande des Wahnsinns ist, finde ich, das trifft's auch im Frühjahr 2020 noch ganz anständig. 





Erschienen auf Double Six, 2015.

01.05.2020

2010 - 2019 - Das Beste Des Jahrzehnts: Melanie De Biasio - No Deal




MELANIE DE BIASIO - NO DEAL


Eine DER Entdeckungen des vergangenen Jahrzehnts, und es ist vor allem dieses umwerfende Debut der belgischen Sängerin, das mir über Gebühr den Kopf verdrehte. 

"No Deal" ist nokturne Erotik zwischen Chansons und Jazz, selbstbewusst und lasziv, zu gleichen Teilen stark und zerbrechlich. Ein heruntergedimmtes, tiefrot pulsierendes Glühen in einer vernebelten Nacht, in der die Adern der Großstadt zu schlafen scheinen - und doch: im Untergrund brodelt es, der Puls ist erhöht, die durch die Dunkelheit treibenden Gestalten so anziehend wie abstoßend. Das Spiel mit dem Verbotenen, dem Gefährlichen, das Zögern und das Dehnen, die bittersüße Versuchung ziehen sich durch jede Sekunde von "No Deal", bis sich die daraus geformte ambivalente Spannung im Abschlusstrack "With All My Love" langsam entlädt - ein Stück, das auch sechs Jahre später nichts von der betörenden Intensität verloren hat. 

Die minutenlang schwingende Erlösung zum Schluss war zweifellos einer der eindrücklichsten Momente des letzten Jahrzehnts.





Erschienen auf Play It Again Sam, 2014.

26.04.2020

2010 - 2019 - Das Beste Des Jahrzehnts: Electric Wire Hustle - Love Can Prevail




ELECTRIC WIRE HUSTLE - LOVE CAN PREVAIL


Möglicherweise ist der Sound dieses Produzenten-Duos aus Neuseeland zu speziell und zu anspruchsvoll für den Mainstream - ich habe ansonsten keine Erklärung dafür, warum ganz besonders dieses Album so dermaßen unter jedem Radar blieb. 

Seit ihrem im Untergrund gefeierten Debut aus dem Jahr 2010 mit prominenten Fürsprechern wie beispielsweise Gilles Peterson, warte ich eigentlich auf den ganz großen Durchbruch für Electric Wire Hustle - stattdessen ist es nach ihrem letzten Album "The 13th Sky" beunruhigend leise geworden. "Love Can Prevail" ist ein Geniestreich: die Mischung aus Soul, Broken Beats, Jazz und Electronica ist völlig einzigartig, Songs wie "Loveless", "Light Goes A Long Way" oder mein Favorit auf Lebenszeit "Blackwater" oszillieren zwischen visionärem Sounddesign und Pop-Appeal, und das Video zur Single "By & Bye" ist in der künstlerischen Eleganz in Verbindung mit einem rastlosem, nie so recht ankommen wollenden Arrangement das Beste, was in den letzten zehn Jahren zu Klang gedreht wurde. 

Thinking Man's Urban Soul Party.





Erschienen auf Somethink Sounds, Okayplayer Records, 2014.


19.04.2020

2010 - 2019 - Das Beste Des Jahrzehnts: Zara McFarlane - If You Knew Her




ZARA McFARLANE - IF YOU KNEW HER


Urlaube waren dank unseres Haustierzoos rar in der letzten Dekade. Als es uns 2017 doch mal in die Ferne trieb, genauer gesagt zu einem Herbsturlaub an die stürmische Nordsee, machten wir zu später Stunde Gebrauch vom im Strandhaus befindlichen Kamin, öffneten eine Flasche Rotwein und versuchten, die sehr volatil arbeitende Heizung mit Decken und aneinandergekuschelten Körpern zu ignorieren. Es liest sich wie billigstes Klischee, aber der Chronist in mir verlangt nach Akkuratesse. 

Jedenfalls: wir hörten Zara McFarlanes "If You Knew Her" bis in die frühen Morgenstunden und es wurde einer jener Momente, in denen aus einer sehr, sehr guten Platte eine wird, die man künftig nur selten auflegen mag, aus Angst, diesem magischen Moment etwas von seiner überwältigenden Romantik zu nehmen. 

Der unten verlinkte Hit "Open Heart" darf als Blaupause für eine Platte gelten, die randvoll mit so subtil wie selbstbewusst inszeniertem Souljazz gepackt ist - urban und nokturn, zerbrechlich und mit einer nur selten gehörten Dringlichkeit. 

Last Exit Olympus.




Erschienen auf Brownswood Recordings, 2013/2014.

17.04.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: INC - No World




INC - NO WORLD


Wenn der ganze Misthaufen um uns herum in nasagenwirmal: 20 Jahren wirklich noch steht, im Sinne von fröhlich vor sich hindampft wie Jockel Fischer in der Sauna oder in der Kantine von Siemens, 's eh schon alles scheißegal, dann wird es Menschen geben, die "No World" als vergessene Perle, als unterschätztes und unbekanntes Meisterwerk bezeichnen - darauf verwette ich ein Maxi-Eiweißshake "Straciatella" mit aufgeschäumten Büffelsperma. 

Denn auch wenn das Bruder-Duo aus Kalifornien es irgendwie geschafft hat, sich in den Soundtrack des Videospiels Grand Theft Auto reinzuschummeln und die Gamer den Song "The Place" auf fast eine Million Views auf Youtube geschoben haben, ist ihr sedierter Slomo-R&B unter wirklich jedem Mainstream-Radar geblieben. Bon, die beiden sehr schüchtern wirkenden und sich fast schon schmerzhaft natürlich gebenden Jungs sind vielleicht auch nicht gerade der feuchte Traum eines Marketingprofis. Immerhin war "No World" für einen der etwas skurrileren Beiträge auf diesem Blog verantwortlich. Ich weiß nicht genau, was mich damals geritten hat und ich sage auch nicht, dass selbst ich alles davon verstanden habe, aber unterhaltsam ist's schon. Unterhaltsam oder verstörend - manchmal sind die Grenzen ja fließend.  

Ihre Musik ist auch sieben Jahre nach der Veröffentlichung von "No World" immer noch einzigartig, stimmungsvoll und unwiderstehlich sexy. Eine Platte wie Kuschelsex auf einer Familienpackung Pilzen. 





Erschienen auf 4AD, 2013.

14.04.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Lav & Purl - A State Of Becoming


























LAV & PURL - A STATE OF BECOMING


The Gesamtkunstwerk of the Jahrzehnt. Idee, Ansatz, Musik, Ästhetik, Klang, Design aus einem Guss.

Das ist die Trumpfkarte von "A State Of Becoming". Wehrt Angriffe ab, macht unverletzbar, nimmt sich in jedem Bonuslevel die Kiste Gold am Ende des Regenbogens und verliert sich mit dem ehemals darüber wachenden Kobold Arm in Arm in den reflektierenden Traumwelten aus Wasser und Licht. Um sie herum: singende Vögel, raschelndes Laub, brausendes Meer, mächtige Mammutbäume, wie von Frau Jesus persönlich kunstvoll hingetupfte Nebelbänke, Regentropfen auf nasser Haut, Sonnenstrahlen, warmer Sand, kühles blau und umarmendes sepia.

Denn dass sowohl Christopher Landin (Lav), als auch Ludvig Cimbrelius (Purl) und Ryan Griffin (A Strangely Isolated Place) in den vergangenen zehn Jahren mehr als nur ein Mal ein beeindruckendes Zeugnis ihrer Kreativität und Kunstfertigkeit abgelegt haben, steht außer Frage. Gerade Purl war auf diesem virtuellen Audio-Tagebuch schon mehrfach zu Gast, nicht selten im Rahmen meiner Jahreslisten - und ebenfalls nicht selten unter den ersten drei Plätzen. Nicht zu vergessen, das inspirierende Abum "Awareness" von Lav. Und das in Kalifornien ansässige Label hat es mir ebenfalls nicht erst seit gestern angetan - falls es einen Beweis dafür braucht, here we go:





Und so war es dann auch auf den ersten Blick keine leichte Entscheidung, "A State Of Becoming" auszuwählen. Was ist mit Purls "Stillpoint"? Was ist mit all den tollen Alben, die via ASIP erschienen? Markus Guentners "Theia" oder dem visionären "Never Forget Us" von Earth House Hold? Und dann legten die drei Herren Landin, Cimbrelius und Griffin ihren Trumpf auf den Tisch: Dieses Artwork (von Noah MacDonald)! Das Innere des Gatefolds, an dem man sich gar nicht satt sehen kann! Die in altrosa gehaltenen Vinylscheiben. Die haargenau darauf abgestimmte und so subtil und feingliedrig inszenierte Musik, ihre Bilder, ihre Geschichten.





























Für mich war und ist "A State Of Becoming" aus zwei Gründen lebensverändernd. Erstens erkannte ich so klar wie wohl nie zuvor, was möglich ist, wenn jeder Bestandteil einer Produktion durchdacht und aufeinander abgestimmt ist und bis in tiefste Sphären den Kern eines Werks aufspürt und ihn an der Oberfläche in allen Facetten spiegeln kann. Formvollendet! Zweitens verändert sich die Wahrnehmung meiner Realität, wann immer die Musik auf mein Herz trifft. Der Tag verändert sich. Das Licht verändert sich, es wird weicher, milchiger. Und es scheint, als entfalten sich die Wahrheiten dieser Welt langsam im Sonnenaufgang.

Schicht für Schicht mehr Erkenntnis, mehr Hoffnung, mehr Verständnis, mehr Liebe.





Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2017. 

10.04.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Qluster - Antworten




QLUSTER - ANTWORTEN


Ein Album für gewisse Stunden. Für Zeit und Raum. Für Dunkelheit. Für Stille. Für Liebe. Für Einkehr. Für Inspiration. Für Kraft. Für Trauer. Für Trost. Für Selbstgestricktes. Für Gebäck. 

Was in dieser Nacht auf der Bühne der Berliner Philharmonie zwischen Hans-Joachim Roedelius und Onnen Bock geschah, das spirituelle Fluten von Synapsen mit Energie, Verständnis und Vertrauen, wird wohl auf ewig ohne eine angemessene Erklärung auskommen müssen. Dass wir diesem gewaltigen Naturschauspiel trotzdem beiwohnen dürfen, und zwar immer wieder aufs Neue, dass wir uns immer wieder in der Tiefe jener Nacht verlieren dürfen, ist ein großes Geschenk. Kein berühmter Name, kein Marketinggekröse und aus der Ferne betrachtet eigentlich ein eher kleines, unscheinbares Werk - bis zu jenem Moment, in dem sich die Nadel auf diese Platte herabsenkt, die erste Musikrille erreicht und mit jeder weiteren Sekunde die Kinnlade ein Stückchen weiter nach unten kracht. 

Aktives Zuhören scheint in Zeiten  von Dschingdarassabumm-Streaming und dem ubiquitären Profit-Geflacker von Weltkonzernen nicht mehr über Gebühr en vogue zu sein, und ich möchte auch nicht der hinterletzte pretentious prick sein, der fürs Ressort des Kulturpessimismus' den wöchentlichen Leitartikel schreibt, aber for fuck's sake: hört dieser Platte zu! 




Erschienen auf Bureau B, 2012.


04.04.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Oddisee - People Hear What They See




ODDISEE - PEOPLE HEAR WHAT THEY SEE


Urban wie ein Solo-Sonntagsbrunch im Hamburger Neustadt-Kiez mit frisch gedruckter Wochenzeitung, intellektuell wie ein tiefes, reflektiertes Gespräch mit einem guten Freund. Ein bisschen Philosophie über guten Kaffee und die sozialen Verwerfungen in den USA, eine Idee über Tanzen und Realitätsflucht, Jazz und Soul. 

Unter der Conscious-Pudelmütze im Arbeitszimmer irgendwo in Brooklyn steckt ein Einzelgänger, ein mutiger, smarter, offener Geist, auf der Bühne steht und derwischt hingegen ein Teamplayer, der mit seiner Begleitband Good Compny jeden Laden in die Knie glühen kann. Ich durfte das Spektakel zwei Mal erleben, und vor allem das Konzert im leider eher unzulänglich besuchten Bett zu Frankfurt im November 2013 wird mir mit seinen positiv geladenen Power-Vibes zwischen klassischem Hip Hop, Soul, RnB und Jazz wohl auf ewig in Erinnerung bleiben. Sicherlich eines der besten Gigs, die ich im vergangenen Jahrzehnt gesehen habe. 

Wer es mit eigenen Augen und Ohren erleben will, klickt das folgende Video vom Into The Great Wide Open Festivals aus dem Jahr 2015 an und hält schon mal den Sack für die Glücksgefühle weit auf):



"People Hear What They See" war möglicherweise Oddisees Durchbruch im Hip Hop Underground - und auch wenn die größeren Hits wie "That's Love" oder "Things" auf den späteren, und darüber hinaus ebenfalls brillianten Alben "The Iceberg" und "The Good Fight" erschienen, ist das 2012 erschienene Soloalbum des (ex-)DC-Mannes nicht nur wegen der umwerfend aussehenden Vinylpressung der Klassiker seiner bisherigen Diskografie. Und es ist für mich bis heute ein Rätsel, wie dieser ultradicke und alles niederpumpende Bass auf "People Hear What They See" die Nadel nicht dazu bringt, nach zwei Sekunden aus der Rille zu flumpfen. 

"Hip Hop never died. It just went underground." 




Erschienen auf Mello Music Group, 2012.

31.03.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Fela Kuti Vs. De La Soul - Fela Soul




Fela Kuti Vs. De La Soul - Fela Soul  


Manchmal hat selbst Herr Blödkommatrübetassenull einen ganz guten Riecher: diesen Mashup aus Fela Kuti-Samples und De La Soul-Raps gab es 2012 lediglich als Download über Amerigo Gazaways Bandcamp-Seite, und als wenig später die Erstpressung des Bootlegs bei meinem Lieblingsmailorder auf die Verkaufsliste gesetzt wurde, in schwarzer Blankohülle, ohne Coverartwork oder gar aufgeklebten Titel, konnte ich unmöglich widerstehen. 

Mittlerweile hat "Fela Soul" einen derartigen Kultstatus im Untergrund erreicht, dass es regelmäßigen Nachschub mit einer nun hübsch aufgemachten, wenngleich angeblich immer noch mindestens halblegalen Vinylversion (und einer zusätzlichen Tape-Edition!) gibt, die sich auch immer noch hervorragend verkauft. Und das mit Recht, denn jede Jubelarie, die sich jeder coole Hipster über diese 33 Minuten ans dürre H&M-Hütchen steckt, ist wahr. "Fela Soul" ist aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken und ist eine jener Platten, die ich immer (IMMER!) in greifbarer Nähe habe - und das in jedem vorstellbaren und passenden Format.




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BONUS TRACKS

Dass Amerigo nach diesem Meisterwerk noch weitere Mashups veröffentlichte, ist Lesern dieses Blogs natürlich geläufig. Zwei Alben davon sind absolutes Pflichtprogramm, und daran geht auch einfach kein Weg vorbei. Sorry, not sorry.


Erstens: A Tribe Called Quest & The Pharcyde - Bizarre Tribe

  


Zweitens: Yasiin Bey & Marvin Gaye - Yasiin Gaye




Ich verfahre wie immer mit der "Linke Reihe anstellen, jeder nur ein Kreuz"-Regel, daher ist nur Fela Soul in diese Liste gerutscht. Die beiden zusätzlich genannten sind, Achtung, ich sag's nochmal: absolutes Pflichtprogramm.