15.02.2014

2013 ° Platz 3 ° INC - No World



INC - NO WORLD

Es ist der Morgen des 27.Dezember 2006, 7 Uhr 23. Der US-amerikanische Popstar, Multiinstrumentalist und -millionär formerly und jetzt also again known as Prince Rogers Nelson erwacht in seinem 4 x 4 Meter großen Bett. Er ist allein. Minneapolis kann alt und grau sein, wenn man selbst alt und grau wird, und wenn die Feiertage vorbei sind und die Hangovers sich die Klinke in die Hand geben, wird aus dem grauen Schleier über der Stadt ein schwarzer Klumpen Menschenteer. Gestern Nacht noch hat er im Auftrag der Zeugen Jehovas an die Türen von unschuldigen Menschen geklopft, um mit ihnen "seinen Glauben zu diskutieren". Eines seiner Opfer bekam umgehend einen Schlaganfall, das Ergebnis lautet ein blaues Auge und eine gebrochene Rippe. Princeova, wie seine Freunde - ein sprechendes Usambaraveilchen in blass-purple und eine Alf-Handpuppe - ihn nennen dürfen, ist down mit sich und Minneapolis. Alles ist grau (wir berichteten) und ruhig, Jehova ist gerade einkaufen. Die gebrochene Rippe schmerzt beim Lachen. JEHOOOVAAA, JEHOOVAAAA. Nelson lacht.

Der laufende Meter hat heute nichts mehr vor, die Quoten gestern waren in Ordnung: er hat auf seinem Rundgang zwei Bluttransfusionen eigenhändig gestoppt und damit zwei Seelen näher zu Gott gebracht. Und vor allem schneller. Die Veganische [sic!] Volksfront hat ihn gerade zum erotischsten Vegetarier des Jahres gewählt und die anstehende Hüftoperation lässt sich mit einem Leben im Rollstuhl bestens aussitzen. Trotzdem neigt der GröKleiGAZ (größter kleiner Gitarrenspieler aller Zeiten) seit der Listeningsession zu seinem Album "3121" zu psychischer Verstimmung, weil der gelieferte Schampus nur Rotkäppchensekt war und die Redakteurin vom Rolling Stone das Bidet mit dem Pissoir verwechselte. Während der frisch geschorene Bonsai also in seiner Küche verspielt an einer frischen Schweinehaxe herumnagt, Rohkost hält die Backen glatt, geht der Griff wie an jedem Tag mit ungerader Stundenzahl in den Bereich des begehbaren Kleiderschranks, in denen der ehemalige Krösus und Hollywoodbezirksbeschäler (Carmen Electra) seine Schmerzmittel und Beruhigungspillen aufbewahrt. Ein Tässchen Ketamin in das Kuttelmüsli, ein Esslöffel frischer Stutenmilch dazu - ein Frühstück für Gewinner. Jetzt ist Prince bereit für neue Musik.

"No World" der beiden Brüder Andrew und Daniel Aged könnte das Ergebnis dieses wenig herausfordernden Morgens des Prince Rogers Nelson sein. "No World" ist alles und nichts; dabei immerhin sehr angemessen betitelt, denn ihre Musik erweckt manchmal tatsächlich den Eindruck, nicht von wenigstens dieser Welt zu sein. Die beiden Herren sind seit Jahren als Produzententeam für angeblich gar nicht so unbekannte RnB-, Soul- und Popsternchen (nicht) in Erscheinung getreten und veröffentlichen nun auf dem renommierten 4AD Label ihr zweites Album unter dem Projektnamen INC. "No World" ist sedierter Soul, zwischenweltlich. Ich würde jetzt gerne melancholisch schreiben, aber eigentlich sind ihre Kompositionen nicht melancholisch. Ich würde reflexartig eine unterkühlte, distanzierte Atmosphäre erwähnen, nur um im nächsten Moment mich daran zu erinnern, wie tief, einlullend und wärmend ein Song wie "Five Days" sein kann. Eine gewisse Gleichförmigkeit? Negativ - wer genau hinhört, erkennt die subtilen, meisterhaft ins Szene gesetzten dynamischen Griffe zum Schwungrad. Es ist eine Art blauer Cremigkeit, eine zärtliche und unprätentiöse Musik ohne Rockstargestus, ohne jedes Klischee, mystisch, esoterisch. Mit den in sich verlaufenden, übereinandergelegten Layern ihrer komplexen Arrangements und mit dem Entzug von allem Stofflichen ist "No World" die Ambient-Version des Soul. Eine einzigartige Musik.

Erschienen auf 4AD, 2013.

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