23.05.2015

Episch im Weltraum



KAMASI WASHINGTON - THE EPIC


Ich schrieb vor einigen Jahren zum "People Hear What They See"-Album des US-Rappers Oddisee, dass die Zeit für Klassiker wohl endgültig vorbei ist - der Pop bringt kein neues "Thriller" auf die Welt, im Hip Hop wird es kein zweites "3 Feet High And Rising" geben, im Metal wohl kein zweites "Kill 'Em All" und ob jemand nochmal so hart an den Türen zu Coltranes "A Love Supreme" oder Davis' unvermeidlichen "Kind Of Blue" rütteln wird, darf mit Recht ebenfalls in Zweifel gezogen werden. Das liegt natürlich niemals an der Musik selbst, sondern an den gesellschaftlichen Veränderungen unserer Welt im Allgemeinen, an jenen Veränderungen im Konsumverhalten und der außer Kontrolle geratenen Geschwindigkeit, mit der uns neue Gesichter und neue Stars vor die Nase gehalten und sogleich wieder durch deren Nachfolger ersetzt werden, im Besonderen. Hinzu kommt die durch Tools und Gadgets forcierte Individualisierung, eine unerschöpfliche Auswahlquelle und vor allem eine durch die neuen Medien professionell entwickelte Steuerung der Meinungsbildung, die gleichzeitig auf jede Nachhaltigkeit zwangsläufig verzichten muss, wenn sie sich weiter am Leben halten will. 

Ab und zu sortiert sich jedoch der Untergrund und steckt zaghaft den Kopf in Richtung Höhenluft. Und ab und zu stellt sich dann dieses besondere Gefühl ein, irgendwas Großes sei gerade im Gange. Beziehungsweise und in diesem Fall: im CD-Player. Im Mai 2015 veröffentlichte der US-amerikanische Saxophonist Kamasi Washington sein Debut über Brainfeeder, das Label von Steve Ellington aka Flying Lotus; in Europa übernehmen die Damen und Herren von Ninja Tune dieses monumentale Werk des vierunddreißigjährigen Musikers. 

"The Epic" ist ein knapp dreistündiges Spektakel des Jazz. Gespielt von einer zehnköpfigen Band, einem 32-köpfigen Orchester und einem zehnköpfigen Chor, gepresst auf drei Silberlinge. Das Hören dieses Brockens eine Herausforderung zu nennen, wäre blankes Understatement, und ich bin noch nicht mit mir einig, ob es naiv oder arrogant ist, im Jahr 2015 ein dreistündiges Album zu veröffentlichen. Gemessen an den Reaktionen im Internet scheint die Rechnung überraschenderweise aufzugehen - ähnlich wie im Falle "Black Messiah" von D'Angelo gibt es kein einziges schlechtes Wort über "The Epic" zu lesen, und knapp 100.000 Views der vierzehnminütigen Single (!) auf Youtube sprechen Bände. 

Wenn die ersten Stimmen tatsächlich schon von einer Konsensplatte (mit Jazz drauf! Auf einem Indielabel! Im Jahr 2015!) sprechen, dann weiß der halbwegs orientierte: bitte Ohren spitzen. Sowas wird's so schnell nicht nochmal geben.

Muss man haben. 





Erschienen auf Brainfeeder, 2015.

Keine Kommentare: