"Yours Are Stories Of Sadness" ist ein hochverdichtetes Konzentrat aus dem bisherigen Schaffen des Kaliforniers Brock van Wey. Waren seine Alben aus den vergangenen Jahren meist bis auf die letzte Sekunde mit epischen, jeweils zwanzig bis dreißig Minuten dauernden Ambient-Operetten vollgepackt, in denen er seine - und wenn er schon dabei war: Deine auch! - Gefühlswelten ausbreitete und in diesem Rahmen jeden Augenblick mit überschäumenden Melancholiefontänen bis zum beinahe physisch erfahrbaren Zusammenbruch auskostete, ist das im Oktober 2016 erschienene Werk ein Bruch mit dieser Tradition. Zwar reizt "Yours Are Stories Of Sadness" mit einer Spielzeit von über 78 Minuten das alte CD-Format noch fast bis zum letzten Byte aus, benötigt dafür aber nicht weniger als 19 Tracks. Den Hintergrund für das Konzept beschreibt Brock so:
"In 2012, I was singing karaoke in the lavish VIP suite of the most opulent bar of Shaoxing. Hours in, at the height of drunken revelry, suddenly, literally out of nowhere, one of the hired girls walked over to me from the other end of the room, and whispered in my ear:
"When I saw you walk in, I knew yours was a story of sadness."
These are flashes of memories from that time... broken fragments, and spaces in-between... each a portrait of instances I have remembered that moment, each its own place and time. Every time I remembered that moment in the years that followed, I made a brief tribute to the beginnings of that realization, and the starting point for my mental wanderings that followed... putting that initial realization to sound, before going the rest of the journey in my own head.(...)
4 years later, these were the 19 times I remembered that moment... they will surely not be the last."
Es ist ungewohnt, diesen sonst so passionierten Langstreckenläufer plötzlich auf der Kurzstrecke zu begleiten - und das ist weniger eine wertende, als eine emotionale Feststellung. Über sechs Jahre hatte ich mich an ausdauerndes Suhlen im bittersüßen Weltschmerz-Bällebad mit seinen Alben als Soundtrack gewöhnt, nun ist manchmal schon nach dreieinhalb Minuten alles vorbei. Melancholicus interruptus, wie der Schwachkopf Lateiner sagt. Außerdem ist's auch nur die halbe Wahrheit: die typischen Kennzeichen seiner Musik lassen sich sowohl in Aufbau als auch Textur seiner Sounds immer noch dechiffrieren, und selbst in der Melodieführung ist es nicht völlig unmöglich, seine Signatur zu erkennen - der Unterschied zu seinen zwanzigminütigen Brocken ist auch nicht die ausbleibende, sondern die deutlich zügiger ablaufende Entwicklung seiner Motive im Rahmen dieser Tracks. Tatsächlich habe ich nie das Gefühl des Unfertigen oder des Unerfüllten, wohl aber den Eindruck, nicht in explizite Momente dieser Platte komplett eintauchen zu können, und ich vermute nach monatelanger Auseinandersetzung mit diesem Gedanken den Grund dafür in der Zusammenstellung dieser Momentaufnahmen: Brock hat sicher nicht ohne Grund erstmals auf Songtitel verzichtet. Der eigentliche Star des Albums ist das Album als solches, dessen Spannungsbogen weniger innerhalb der vierminütigen Grenzen einzelner musikalischer Mosaiksteinchen, sondern in den kompletten 78 Minuten von "Yours Are Stories Of Sadness" liegt.
Das Resultat hat schlussendlich Parallelen zu den Ergebnissen seiner gewohnten Arbeitsweise: ich höre "Yours Are Stories Of Sadness" oft in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen, mit den Gedanken auf Weltreise in die eigene Vergangenheit zur Selbstbeobachtung, schwebend, etwa zwei Meter über dem Erdboden.
Erschienen in Eigenregie, 2016.
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