Vorstellung der Dimensionen unseres Universums gefällig? Bock auf ein bisschen Hypnose und Wegtreten? Ist die Drogenabstinenz nochmal überdenkenswert? Ist veganer Eiersalat wirklich als Badezusatz zu gebrauchen? Und: raucht Pumuckl wirklich Meister Eders Schnurrbarthaare?
3,40qm empfiehlt zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen die Kombination aus Campari und O - Quatsch: die Kombination aus dem unten eingebetteten Video, das Dir im Rückwärtsgang die Galaxie zeigt, also zumindest die, die in etwa der Größe eines Tempokrümels in der Arschtasche Deiner verwaschen Pimmelklemmer-Jeans (1984, C&A) entspricht, und dem leider nur per Ausschnitt verfügbaren Smasher von Fuck Yeah! - "Mount Julip". Letzterer ist die B-Seite der auf Musik Krause erschienenen "Pritch EP" und ich darf an dieser Stelle den erhobenen "Mimimimi"-Zeigefinger in Richtung des Labels schicken, weil Snippets wirklich total balla balla sind.
Jedenfalls ist "Mount Julip" ein ansonsten knapp neunminütiger, schmutzigschöne Gedanken provozierender Sci-Fi-Smasher mit perfektem Spannungsbogen, der, in Endlosschleife und mit 280dB abgespielt, eine Kochshow für Klingonen vor dem geistigen Auge abspielen lassen kann (demnächst auf ZDF Neo, Moderator ist Joachim "Aldebaran" Bublath) und wie Katze auf Klo zu der Reise durch den Weltraum passt.
Download "Mount Julip"
Riding Light from Alphonse Swinehart on Vimeo.
16.05.2015
13.05.2015
Tout Nouveau Tout Beau (13)
Eine halbe Ewigkeit ist es her, als ich zuletzt neue Besen meiner Abstellkammer meines Plattenregals in kleineren Häppchen als üblich vorstellte. Der Vorteil eines nicht gelesenen Blogs ist ja auch, dass die Beiträge so lang sein können, wie sie wollen (beziehungsweise: wie ich will).
Koketterierei, is' schon recht. Tatsächlich hatte ich bereits im letzten Jahr Edition 13 komplett fertig geschrieben, dann aber gemerkt, dass die Texte schon wieder so ausufernd umfangreich waren, dass sie als Einzelposting besser aufgehoben waren. Ich laber' und schreib' zuviel. Wer immer noch durchhält: Hut ab!
In den letzten Wochen fanden einige Exemplare neuer Schallplatten den Weg in die Sossenheimer Hood, warum also nicht hier und heute und also praktisch: jetzt?! Wenn ich primagut motiviert bin, folgt Teil 14 vielleicht schon total bald.
Ich bin mir noch nicht sicher, aber das könnte wirklich eine große Enttäuschung werden. Bekanntermaßen werden Enttäuschungen auf meinen virtuellen Seiten sehr selten erwähnt, in diesem Fall muss es aber wegen meiner großen Erwartungshaltung, ganz besonders nach dem immer noch tollen "Parodia Flare"-Langspieler aus dem Jahr 2011, leider doch sein. Dabei war vor dem Auflegen noch alles super: ich war heiß wie ein dampfender Pfannkuchen mit frischen Erdbeeren auf diese Platte, ein prima Cover, wunderbar weiß-marmoriertes Vinyl, was sollte hier schon schiefgehen? Der britische Alleskönner Chris Ward hat sich allerdings auf "Rapture" vom schwülen und schwülstigen Hedonistenpop, der sich mit Sonnencremebowle und qualmenden Tramalzäpfchen am Schwackeln hält, verabschiedet und stattdessen einen unterkühlten und wimmernden Elektropop ins Campingzelt gelassen, der nicht nach Strand und Leben und Liebe, sondern nach Schneefall, Ingwertee und Strickpullover aus gedrechselten veganen Usambaraveilchen klingt. Wir sprechen im Herbst nochmal über "Rapture", bis dahin frage ich mich (und Euch!): Musste die Abfahrt in Richtung der Legionen von emotional verdorrten und dabei seltsamerweise aalglatten Soundfummlern wirklich sein? Passt alles nicht together.
Erschienen auf Heavenly Sweetness, 2015.
Zur Selbstauskunft: Hardcore Punk made by some Baltimore feminists. Als Vorband von Propagandhi tourte das Quintett 2013 durch Europa und überzeugte mich beim Gig in Köln zumindest insofern, als dass ich das 10-Inch Debut als Erinnerung mit nach Hause nahm. Wo "Improvised Weapons" noch etwas unrund lief, ist das selbstbetitelte zweite Album ein riesengroßer Schritt nach vorne. Bis auf eineinhalb dezent schnarchige Punkstandards ist "War On Women" eine kratzbürstige, intensive, komplexe, technisch überraschend anspruchsvolle Hardcorescheibe mit nicht nur wichtigen, sondern auch durchaus provokanten Texten von Sängerin Shawna. Ich habe drei, vier Durchgänge gebraucht, um mich in den manchmal nur eineinhalb Minuten langen Songs zurechtzufinden, seitdem wandert das schicke rote Vinyl immer öfter auf den Plattenteller. Eine geile Platte, die auf jeder Ebene meilenweit vom zahmen Allerweltspunkrock entfernt ist.
Erschienen auf Bridge 9, 2015.
Das zweite Album von Catherine Harris-White und Stasia Irons ist im Vergleich zum Vorgänger "Awe Naturale" eine Spur ätherischer und spiritueller ausgerichtet. "Earthee", ebenfalls auf Sub Pop veröffentlicht, erscheint vor allem auf der B-Seite wie eine moderne Version alter Shanti-Mantras von Alice Coltrane, verschachtelt und progressiv, dabei aber sanft- und sanftmütig. Jazz und kein Jazz, Soul und kein Soul, Hip und doch irgendwie kein Hop. Cool - und gleichzeitig uncool. Theesatisfaction balancieren immer noch auf der Trennlinie zwischen Avantgarde und Popkultur, wohlwissend, dass sich beides nicht zwangsläufig ausschließen muss, und wirken in der Folge, als hätten sie sich selbst im vollem Bewusstsein in diesen toten Winkel manöveriert. "Earthee" ist angenehm aufgeheizt, angenehm schräg, manchmal fremdartig, fast außerirdisch.
Erschienen auf Sub Pop, 2015.
Koketterierei, is' schon recht. Tatsächlich hatte ich bereits im letzten Jahr Edition 13 komplett fertig geschrieben, dann aber gemerkt, dass die Texte schon wieder so ausufernd umfangreich waren, dass sie als Einzelposting besser aufgehoben waren. Ich laber' und schreib' zuviel. Wer immer noch durchhält: Hut ab!
In den letzten Wochen fanden einige Exemplare neuer Schallplatten den Weg in die Sossenheimer Hood, warum also nicht hier und heute und also praktisch: jetzt?! Wenn ich primagut motiviert bin, folgt Teil 14 vielleicht schon total bald.
TROPICS - RAPTURE
Ich bin mir noch nicht sicher, aber das könnte wirklich eine große Enttäuschung werden. Bekanntermaßen werden Enttäuschungen auf meinen virtuellen Seiten sehr selten erwähnt, in diesem Fall muss es aber wegen meiner großen Erwartungshaltung, ganz besonders nach dem immer noch tollen "Parodia Flare"-Langspieler aus dem Jahr 2011, leider doch sein. Dabei war vor dem Auflegen noch alles super: ich war heiß wie ein dampfender Pfannkuchen mit frischen Erdbeeren auf diese Platte, ein prima Cover, wunderbar weiß-marmoriertes Vinyl, was sollte hier schon schiefgehen? Der britische Alleskönner Chris Ward hat sich allerdings auf "Rapture" vom schwülen und schwülstigen Hedonistenpop, der sich mit Sonnencremebowle und qualmenden Tramalzäpfchen am Schwackeln hält, verabschiedet und stattdessen einen unterkühlten und wimmernden Elektropop ins Campingzelt gelassen, der nicht nach Strand und Leben und Liebe, sondern nach Schneefall, Ingwertee und Strickpullover aus gedrechselten veganen Usambaraveilchen klingt. Wir sprechen im Herbst nochmal über "Rapture", bis dahin frage ich mich (und Euch!): Musste die Abfahrt in Richtung der Legionen von emotional verdorrten und dabei seltsamerweise aalglatten Soundfummlern wirklich sein? Passt alles nicht together.
Erschienen auf Heavenly Sweetness, 2015.
WAR ON WOMEN - WAR ON WOMEN
Zur Selbstauskunft: Hardcore Punk made by some Baltimore feminists. Als Vorband von Propagandhi tourte das Quintett 2013 durch Europa und überzeugte mich beim Gig in Köln zumindest insofern, als dass ich das 10-Inch Debut als Erinnerung mit nach Hause nahm. Wo "Improvised Weapons" noch etwas unrund lief, ist das selbstbetitelte zweite Album ein riesengroßer Schritt nach vorne. Bis auf eineinhalb dezent schnarchige Punkstandards ist "War On Women" eine kratzbürstige, intensive, komplexe, technisch überraschend anspruchsvolle Hardcorescheibe mit nicht nur wichtigen, sondern auch durchaus provokanten Texten von Sängerin Shawna. Ich habe drei, vier Durchgänge gebraucht, um mich in den manchmal nur eineinhalb Minuten langen Songs zurechtzufinden, seitdem wandert das schicke rote Vinyl immer öfter auf den Plattenteller. Eine geile Platte, die auf jeder Ebene meilenweit vom zahmen Allerweltspunkrock entfernt ist.
Erschienen auf Bridge 9, 2015.
THEESATISFACTION - EARTHEE
Das zweite Album von Catherine Harris-White und Stasia Irons ist im Vergleich zum Vorgänger "Awe Naturale" eine Spur ätherischer und spiritueller ausgerichtet. "Earthee", ebenfalls auf Sub Pop veröffentlicht, erscheint vor allem auf der B-Seite wie eine moderne Version alter Shanti-Mantras von Alice Coltrane, verschachtelt und progressiv, dabei aber sanft- und sanftmütig. Jazz und kein Jazz, Soul und kein Soul, Hip und doch irgendwie kein Hop. Cool - und gleichzeitig uncool. Theesatisfaction balancieren immer noch auf der Trennlinie zwischen Avantgarde und Popkultur, wohlwissend, dass sich beides nicht zwangsläufig ausschließen muss, und wirken in der Folge, als hätten sie sich selbst im vollem Bewusstsein in diesen toten Winkel manöveriert. "Earthee" ist angenehm aufgeheizt, angenehm schräg, manchmal fremdartig, fast außerirdisch.
Erschienen auf Sub Pop, 2015.
Labels:
Alternative,
Ambient,
Avantgarde,
Disco,
DJ,
Electronica,
Funk,
hardcore,
Hip Hop,
Indie,
Jazz,
metal,
Neue Besen,
Pop,
Psychedelic,
punk,
Schallplatten,
Soul
09.05.2015
Another Lesson In Violence
EXODUS - ANOTHER LESSON IN VIOLENCE
"I Love Heavy." (Paul Baloff)
Ich hatte es schon mal an anderer Stelle dieses Blogs erwähnt, dass ich Exodus beinahe immer eher so semigut fand. Zum einen komme ich mit den Stimmen der beiden langjährigen Sänger Steve "Zetro" Zouza und Rob Dukes ganz und gar nicht zurecht, dazu gab es immer wieder redneck'sche Patriotenaussetzer, "Support Our Troops"-Gepose und darüber hinaus mehr als nur ein schwaches Album - unvergessen in dieser Beziehung das bodenlose "Force Of Habit" Werk aus dem Jahr 1992, nach welchem dann auch sehr folgerichtig das vorläufige Karriereende eingeläutet wurde. Es ist wenigstens in meinem Buch einfach eine sehr unsympathische Band mit einem unangenehm großen Spritzer Selbstüberschätzung. Ich will die für gewöhnlich nicht sehen. Oder hören.
Und weil wir gerade dabei sind, was ich gar nicht so gerne mag und weil es außerdem inhaltlich so superangenehm hier hin passt: ich bin in der Regel auch kein großer Freund von Livealben.
Womit genau jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem wir zumindest für die nächsten Zeilen, das bisher geschriebene über den Haufen werfen sollten. Trotz meiner Aversion hat die Band drei dicke Steine bei mir im Brett - und diese dicken Steine heißen "Bonded By Blood", "Another Lesson In Violence" und vor allem, als verbindendes Element, Paul Baloff.
"Heavy must stay together, all others must die." (Paul Baloff)
Baloff war von etwa 1981 bis 1986 der Sänger der Truppe, bevor er wegen seines enormen Alkoholkonsums und der daraus resultierenden unprofessionellen Einstellung an die frische Luft gesetzt wurde. Baloff war es demnach auch, der das bereits 1984 aufgenommene und erst ein Jahr später veröffentlichte Exodus-Debut "Bonded By Blood" einsang - einer der ganz großen und legendären Genreklassiker. Gitarrist Rick Hunolt sagte mal, man habe in der Anfangsphase besonders die Entwicklungen in der Punk und Hardcoreszene aufgegriffen und sie zu Metal transformiert. Und Dead Kennedy Jello Biaffra fuhr Baloff sogar mal nach einem Konzert in seinem Auto nach Hause. Man kann diesen Einfluss des Punk auf "Bonded By Blood" noch erahnen, er zeigt sich ganz besonders in der aggressiven Stimmung und der grundlegenden Intensität des Albums.
"Talk minus action equals nothing." (Paul Baloff)
Nachdem der zuvor bei Testament ausgestiegene Zetro ab dem zweiten Album "Pleasures Of The Flesh" am Mikro stand, die Band ab 1988 beziehungsweise 1990 sogar auf dem Major Capitol Records landete, und schwache Werke wie "Impact Is Immanent" und das erschütternd orientierungslose "Force Of Habit" das Tagelicht erblickten, die sowohl kommerziell als auch künstlerisch einem Offenbarungseid gleichkamen, befand sich die Band, die sich darüber hinaus mit ernsten Drogenproblemen herumschlug, in einem zerstörerischen Treibsandszenario wieder - und knipste das Licht aus.
"Give it up! This ain't no Arsenio Hall show, DESTROY SOMETHING!" (Paul Baloff)
Baloff, nach seiner Demissionierung zeitweise obdachlos und bis zum Hals in einem Misthaufen aus Drogen, Alkohol und Wahnsinn stehend, wurde nach der Auflösung seiner Nachfolgeband Piranha (das Demo produzierte übrigens ein gewisser James Hetfield; im Netz mit drei Klicks zu finden), im Jahr 1996 von Gitarrist Gary Holt kontaktiert, um Exodus wieder zum Leben zu erwecken. Baloff sagte sofort zu. "Another Lesson In Violence" ist, sieht man von der semioffiziellen DVD "Double Live Dynamo" ab, leider das einzige Zeugnis der neuerlichen Zusammenarbeit: die Band balancierte auch nach dem Comeback immer haarscharf an der Grenze zur spontanen Selbstentzündung entlang und es liegt vielleicht nicht nur am gleichen Anfangsbuchstaben des Nachnamens, dass das Gitarrenduo Hunolt/Holt den Beinamen "The H-Team" mit sich herumtrug. In Anlehnung an die Aerosmith-Staubsauger Perry und Tyler war auch von den "Toxic-Twins des Thrash" die Rede. Vor allem Hunolt, dem die Band auf einem späteren Album und nach dessen Ausstieg sogar den Song "Deathamphetamin" widmete, grub sich Mitte der 90er Jahre tief in die US-Techno und Raveszene ein, inklusive allem, was man sich in Pillen- und Pulverform in den Körper prügeln konnte. Dieses Kreuz hatte die Band also in die neue alte Inkarnation mit herübergeschleppt. Der andere Grund, warum Exodus kein Kapital aus der Reunion schlagen konnten, ist ein tragischer: nach allerlei Labeldiskussionen, die unter anderem dafür sorgten, dass der Vertrag mit Century Media aufgelöst wurde, was die Band erneut handlungsunfähig werden ließ, und einigen weiteren Versuchen, neue Songs zu schreiben, erlitt Paul Baloff einen Hirnschlag, an dem er kurze Zeit später im Krankenhaus von Oakland in Kalifornien starb. Die Folge: Exodus holten Zetro wieder in die Band und ersetzten ihn später durch Rob Dukes, der wiederum nach einigen Jahren von Zetro ersetzt wurde.
"Just remember one thing: we couldn't do this shit without you guys. We would just be heavy without anybody to watch." (Paul Baloff)
"Another Lesson In Violence", aufgenommen im März 1997 im Torocadero Club in San Francisco ist für mich - genreübergreifend - eines der zehn besten Livealben aller Zeiten. Die Setlist besteht ausschließlich aus den königlichsten Songs des Thrash Metal, angefangen bei "Bonded By Blood", "A Lesson In Violence", "Exodus", "And Then There Were None", "Piranha", "Strike Of The Beast" bis hin zu "Pleasures Of The Flesh", einer atemberaubenden Version von "Seeds Of Hate" und dem alten Demoklassiker "Impaler", dessen Riffs der damalige Exodus-Gitarrist Kirk Hammet einst mit zu Metallica nahm. Der Sound der Liveaufnahme ist in seiner Breite und Dichte für die damalige Zeit eine Sensation - freilich wird man im Studio sicher den ein oder anderen Regler bedient haben, und ob Baloff, der auf der Bühne auch gerne mal seine Einsätze und Texte vergaß, die 70 Minuten tatsächlich so beeindruckend einwandfrei absolvierte, sei auch mit einem Fragezeichen versehen. Songs und Sound sind also herausragend. Das folgende Video von "A Lesson In Violence" (mit Machine Heads Rob Flynn als Gast) stammt von genau jenem Gig und ist neben zwei, drei weiteren Tracks irgendwie auf Youtube durchgesickert. Vielleicht hat Century Media ja irgendwann nochmal ein Einsehen und einigt sich mit der Band auf eine vollständige Veröffentlichung.
Was "Another Lesson In Violence" indes zu einem echten Klassiker macht, ist die unbändige Energie eines Paul Baloff, der hörbar auf Hochtouren läuft und regelmäßig mit animalischen Schreien seiner eigenen Begeisterung Ausdruck verleiht. Der in Instrumentalparts aus dem Off "SO FUCKING HEAVY" oder wie vom wilden Affen gebissen "YEEEEEEEEAAAAAAAAAAAHHHHHHHHH" ins Mikro röhrt. Baloff war ein Wahnsinniger, nicht immer nur im besten Sinne, aber auf der Bühne katalpultierte ihn dieses positive Rowdytum trotz stimmlicher Unzulänglichkeiten in die Höhen der allergrößten Thrash-Shouter und -Entertainer. Alleine seine Ansagen, von denen ich in diesem Posting einige dokumentiere, sind hochunterhaltsam und passen in der Ausprägung eines asozialen Monsters mit Herz bestens zu der Backing-Band, die sich gleichfalls in einen wahren Rausch spielt und die Rohheit ihrer Anfangstage bei aller Souveränität beibehalten hat. "Another Lesson In Violence" zeigt eine Band, die trotz des fortgeschrittenen Alters ihrer Mitglieder, in ihrer schieren Ausgelassenheit tatsächlich radikal und gefährlich wirkt.
"This song is older than shit, heavier than time." (Paul Baloff)
Die neunziger Jahre waren kein gutes Jahrzehnt - weder für den Metal im Allgemeinen, noch für den Thrash Metal im Besonderen. Herausragende Momente nach 1992 sind rar gesäht - Sacred Reichs Spätwerk "Heal" aus dem Jahr 1995, oder Invocators "Weave The Apocalypse" von 1993 sind derer zwei - wer indes für die zweite Dekadenhälfte nach hochklassigem Thrash sucht, sollte sich ein paar Wochen Zeit nehmen, etwas relevantes zu finden. Oder man nimmt sich meine Ausführungen zu Herzen, investiert 15 Kröten für "Another Lesson In Violence" und erkennt nach dem ersten Durchgang, dass dieses Livealbum der Grabstein für ein Genre war, das sich trotz der eine Jahre später aufstrebenden jungen Wilden wie Municipal Waste, Gama Bomb oder Warbringer in den nuller Jahren aus künstlerischer Sicht bis heute nicht mehr von dem Niedergang in den frühen 90ern erholen sollte.
Dass "Another Lesson In Violence" dabei ausschließlich Songs aus den achtziger Jahren präsentiert, darf man getrost als Beleg werten. Was es nicht besser macht.
Aber verständlicher.
Erschienen auf Century Media, 1997.
03.05.2015
War On Women / Blank When Zero - LIVE
WAR ON WOMEN/BLANK WHEN ZERO
am
20.8.2015
in der Kreativfabrik Wiesbaden
Es dauert zwar noch ein paar Wochen, aber angesichts der hyperrasenden Zeit, ist's praktisch übermorgen: Blank When Zero, Deine sympathische kleine Punkband, hat die Gelegenheit bekommen, am 20.August 2015 die US-Hardcore Band War On Women zu supporten, und das ist toll. Und toll auch. Aber vor allem: toll.
Wir freuen uns ja wirklich immer noch über jeden Gig, den man uns anbietet und dabei ist es egal, ob wir dafür 1000 Kilometer fahren müssen und für ein gut halbstündiges Set schlappe 14 Stunden unterwegs sind, um am Ende einen Satz Briefmarken (80 Pfennig, 1993) als Spritgeld in die Hand gedrückt zu bekommen. Wir wissen, dass wir musikalisch etwas kratzbürstig sind und vielleicht nicht in jedes Billing so ultrasmooth reinpassen, wir wissen auch, dass ein Veranstalter nicht damit rechnen kann, dass wir 50 Zuschauer im Schlepptau haben - wenn wir noch sowas wie "Freunde" haben, dann sind die entweder nicht in unserer unmittelbaren Nähe oder liegen an einem Samstagabend vom andauernden "Schaffe Schaffe, Häusle baue!" total erschossen im Rohbau des neuen Eigenheims. Eigentlich so wie wir das auch tun, nur ohne Eigenheim. Und nicht nur am Samstagabend.
Insofern sind wir immer darauf angewiesen, dass jemand genau vor diesen Faktoren keine Angst hat und uns stattdessen trotzdem irgendwo mit dazuholt und uns für dreißig Minuten auf eine Bühne lässt. Denn wir wissen andererseits auch, dass das fortgeschrittene Alter durchaus ein Segen sein kann: man sieht vieles lockerer als früher, plant jede Konzertreise generalstabsmäßig durch, damit erstens bloß nix daneben geht und wir zweitens nicht unpünktlich sind, nimmt lieber drei neue Sätze Gitarrensaiten und -kabel mit, um nicht bei anderen schnorren zu müssen, gegessen wird daheim, getrunken wird meist mitgebrachtes Wasser und auf die Nerven gehen wir auch niemandem - zumindest nicht vor und nach unserem Auftritt. Außerdem wissen wir mittlerweile auch, wie wir die täglich neu dazukommenden Schmerzen nach dem Aufstehen am schnellsten wegkurieren können. Das Alter und die daraus resultierende Erfahrung kann also auch ganz entspannt sein.
Cornelius von Keep It A Secret Booking war in dieser Hinsicht schon seit den Anfängen von Blank When Zero tiefenentspannt und buchte uns regelmäßig für kleine, aber sehr feine Konzerte. Unerschrocken und dabei immer sehr, sehr großzügig. Ein prima Kerl, mit viel Vertrauen (und natürlich: Geschmack). Und dieser prima Kerl hat nun auch für den War On Women Gig an uns gedacht. Für uns ist sowas wie Weihnachten. Und wenn jemand in der Ankündigung auch noch so schöne Sachen über uns schreibt, dann ist auch noch gleichzeitig Ostern.
Kwelle: Keep It A Secret Booking
Danke, Cornelius!
So. Es ist also noch etwas hin. Aber ich wollt's schon mal gesagt haben. Und ich werd's bestimmt noch öfter sagen.
Nur weil man nicht mehr Anfang 20 ist, heißt das nicht, dass man sich nicht mehr freuen kann. Oder darf.
Unsere Platten sind übrigens immer noch kostenlos via Bandcamp herunterzuladen.
01.05.2015
New York Is Now
ORNETTE COLEMAN - NEW YORK IS NOW
Ich frage mich gar nicht mal so selten, ob es überhaupt Menschen gibt, die "New York Is Now" schätzen. Ich kenne niemanden, der Ornette Colemans Album von 1968 wirklich in sein Herz geschlossen hat - dafür ist es allerdings in der genaueren Betrachtung emotional viel zu distanziert, ich wäre um ein Haar gar versucht zu sagen, es ist gefühlskalt. Nun verbindet mich mit Colemans Stil seit jeher eine Art Hassliebe, und wo ich seine Experimentierfreudigkeit und seinen Humor mag, so empfinde ich seinen Stil immer als bewusst hakelig und seinen Ton als krude und unförmig. "New York Is Now" ist hierfür keine Ausnahme. Schon der Opener "The Garden Of Souls" ist in der kompletten Anlage schleppend und in sich verschoben, zerfasert. Dabei ist das Line-Up der von Francis Wolff für das Blue Note Label aufgenommene Session ein Hingucker, wenn nicht -hörer: die Rythmusabteilung mit Elvin Jones an den Drums und Jimmy Garrison hat sich Coleman vollständig von John Coltranes legendärsten Bandgefüge gemopst, dazu kommt mit Dewey Redman ein versierter und wieselflinker Tenorsaxofonist, der mit Coleman als Leader bis ins Jahr 1972 noch bei sechs weiteren Arbeiten an dessen Seite sein sollte. Das Lineup mit Garrison und Jones hielt immerhin noch für ein weiteres Album "Love Call", das aus den selben Session wie "New York Is Now" entstand.
Ich habe über die letzten Jahre einen Narren an dieser Aufnahme gefressen, obwohl es nicht immer ein reiner Genuss ist, "New York Is Now" zu hören. Zum einen, und das mag seltsam klingen, aber wer ohne Knick im Hirn ist, der werfe den ersten Operationsbericht, mag ich schlicht den Albumtitel. "New York Is Now" ist unmittelbar und urban, klingt nach Aufbruch und Revolution. Zum anderen ist mir das Coverartwork mit der Großaufnahme Colemans und Garrison mit Zigarette im Hintergrund ans Herz gewachsen - in der aktuellen Wiederveröffentlichung als Vinylversion erscheint das Cover noch größer und einnehmender. Und das Backcover mit Blick auf die Skyline New York und mit den erloschenen Leuchtbuchstaben des Hotel Manhattan trägt viel zur Stimmung dieses Albums bei.
Es liegt selbstverständlich auch eine große Faszination in der Musik, die mich das Album sehr regelmäßig aus dem Regal ziehen lässt, aber hier wird die Erläuterung schwieriger. Vielleicht ist es die dunkle Aura der Aufnahme, die so anziehend ist. Vielleicht ist es das diffuse Gefühl, als wären alle Beteiligten in einer Art Traumwelt gefangen gewesen, als die Bänder mitliefen. Vielleicht kamen Garrison und Jones wirklich nicht mit dem Stil Colemans zurecht, waren herausgefordert und musste so reagieren, wie sie es nicht gewohnt waren. Thom Yurek schrieb dazu, dass insbesondere Elvin Jones den Eindruck mache, als wüsste er wegen des reduzierten Tempos nichts mit sich anzufangen. "New York Is Now" ist eine aufgerauhte, alles andere als zugängliche Session postmodalen Jazz, der rythmisch wie so oft bei Coleman im Blues verharrt, gleichzeitig im Aufbrechen von Harmonien und im Experimentieren mit melodischen Elementen immer an der Stelle zum Free Jazz entlangschlingert.
Erschienen auf Blue Note Records, 1968.
27.04.2015
Tour De Vinyl - Köln - 8.4.2015 (II)
TOUR DE VINYL - KÖLN
8.4.2015 (Teil II)
Nächster Hotspot also: das Parallel in der Brabanter Straße 2-4. Haben die bösen Stimmen im bösen Internet recht? Geht hier wirklich die Schallplattenwelt und die Musikkultur unter?
Nach einer guten halben Stunde wissen wir: fast alles Kappes. Zwar könnten wir auf dem Fußboden locker eine Lebertransplantation durchführen und bei dem Raumkonzept von Transparenz und Fläche kommt nicht wirklich Stimmung auf, und wer auf der Suche nach Schnäppchen ist, sollte auch besser einen Bogen ums Parallel machen, legt man für Neuware doch fast immer zwischen 20 und 30 Steine auf den Tisch des Hauses - inklusive einiger absurder Ausreißer nach oben. Dafür ist der Laden aber in nahezu jedem Genre prima sortiert. Vor allem im Raritätenfach dürfte das ein oder andere Herz höher schlagen. Manchmal auch ganz besonders das Herz von Deinem Bankberater. Auf meine drei nervigen Fragen reagierte der Mann hinter dem Tresen total freundlich und konnte mir sofort Auskunft geben. Buchstäblich auf den letzten Drücker finde ich das seit langer Zeit gesuchte Debut von Gil Scott-Heron, die Gedichtsammlung "Small Talk at 125th And Lenox" als Reissue für günstige sagenhafte 15 Euro - sowas geht hier also auch. Guck' an.
Einmal um die Ecke laufen und schwupps! stehen wir auch schon im Groove Attack (Maastrichter Straße 49) - allerdings stehe ich erst mal schön wie der Storch im Salat, weil außer T-Shirts, Jacken, Hosen und Schuhen nicht viel zu sehen ist. Vor allem keine Schallplatten. Der nette Tresenmensch weist mir den Weg in den Keller, dort steht das schwarze Gold. Und wie es da steht.
Auch hier überrascht mich das Repertoire sehr positiv, denn im Grunde ist das mein physischer Wunschzettel meines bevorzugten Dealers Mailorders. Ich bin baff. Das Groove Attack führt in erster Linie sehr viel Hip Hop, und davon sehr viel Neuware. Alle wichtigen Labels, alle wichtigen Neuheiten, alle wichtigen Wiederveröffentlichungen - es ist alles da. Neben dem zweiten Schwerpunkt, der auf elektronischer Musik, Techno und Drum'n'Bass liegt, gibt es Spurenelemente von Brazil, World, Kraut, Indie, und Punk. Es fällt mir wirklich schwer, den "Shut up and take my money!"-Reflex zu unterdrücken, verantwortlich dafür, dass ich es letztlich doch kann, ist mal wieder die Preisgestaltung. Hier geht es im Vergleich zu den anderen besuchten Läden schon nochmal zwei bis drei Euro nach oben, wohlwissend, dass das nicht immer am Inhaber liegen muss. Die neue (Einzel-)LP von L'Orange beispielsweise, erschienen auf der Mello Music Group, kostet absurderweise auch via Versandhandel 25 Euro, und exakt zu jenem Preis steht sie auch im Groove Attack. Bei anderen Titeln muss man bei den aufgerufenen 27 oder 28 Euro schon mal kurz durchschnaufen. Und dennoch, will ich eine Platte unbedingt und habe sogar das Glück, sie im Laden zu finden - ohne Versandschrott, ohne Bezahlung via Hitler-Paypal und ohne eine arme Socke von DHL durch halb Deutschland zu hetzen, damit ich mir eine überteuerte Schallplatte anhören kann - dann bezahle ich gerne den Sondergroschen des Einzelhandels. In vollem Bewusstsein, das Problem des heißlaufenden Markts und der schwindelerregend schnell aufsteigenden Preisspirale damit gerade nochmal anzufeuern. Wie man es macht, ist es verkehrt in diesem Schweinesystem. Was genau der Grund dafür sein könnte, dass uns der Dreck noch nicht vollends um die Ohren geflogen ist. Unkraut vergeht halt nicht.
Wir verlassen das Groove Attack ohne neue Lieblinge. Nicht fair für einen echt prima sortierten und durchdachten Laden, aber wir haben keinen Geldschisser zu Hause auf der Terrasse stehen. Man mag mir die Unsachlichkeit verzeihen, hier trifft's im Grunde die falschen Jungs. Guter Laden, alle hingehen, Daumen hoch.
Der Abschluss wird nochmal ein Schmankerl. Wir holen die Herzallerliebste aus der Kölner Konsumhöllenmeile heraus, sprechen noch schnell ein Treffen mit dem Oberlehrer ab und fahren Richtung Ehrenfeld. Hier haben Blank When Zero immerhin schon drei Mal gespielt und ich habe in völlig vernebeltem Kopf Tool live gesehen. 1997. Trotz Feuchtigkeits- und Nachtcreme fällt nicht nur an dieser Stelle auf: ich bin alt.
Ein alter Hase ist auch Jochen Sperber, der Inhaber von Normal Records (Heliosstraße 6). Über Jahrzehnte war der Laden in der Kölner Innenstadt eine Institution, bevor Jochen 2010 frustriert und schwer gezeichnet vom ewigen Kampf gegen Saturn und Media Markt, gegen das Internet und gegen die Pfeifen, die bei ihm stundenlang Platten anhörten und sie dann um die Ecke beim Elektro-Allrounder kauften ("Ich möchte nie wieder in einem Plattenladen arbeiten.") das Handtuch schmiss. Dass der Mann trotzdem nicht ohne Schallplatten und ohne den Kundenkontakt leben kann, entdeckte er Ende 2014 und erweckte Normal Records wieder zum Leben. Die Location alleine ist schon der Hit: in einem Hinterhof in Ehrenfeld wird eine kleine Laderampe hochgekraxelt und man steht in dem niedlich eingerichteten "La Boite Gourmande", der ersten Kölner Konserverie mit Café. In der Durchgangstür entdeckt man sie dann schon: die Schallplatten. Es ist mittlerweile ein toller, sonniger Frühlingstag. Die Stimmung ist so heiter wie das Wetter. Gute Menschen. Plötzlich ist irgendwie alles gut.
Jochen ist ein sehr sympathischer und offener Typ, dem man problemlos für ein paar Stunden zuhören könnte. Sein Leben hat er in der Plattenladenpause in ein Buch hinein geschrieben, das nur noch redigiert und mit einem Cover versehen werden muss. So philosophieren wir uns alle für eine gute Stunde durch die Gesellschaft, durch Schallplatten, durch Konsum, durch Musik und wir entdecken, dass alles miteinander zusammenhängt. Jochen sagt, er will sich wieder auf das konzentrieren, was für ihn zählt: echte Musik. Und echte Beratung.
"Das was einen guten Händler auszeichnet, ist seine fachliche Kompetenz und sein ahnen von dem was ich mögen könnte. Beratung eben.
Genau das möchte ich wieder tun. Beraten. Das was in den letzten Jahren in meinen vorherigen Läden immer seltener wurde." (Facebook, 11.Januar 2015)
Die Plattenauswahl ist übersichtlich, aber das macht nichts. Dafür ist man gar nicht in erster Linie da. Ich habe die Zeit in dem Laden sehr genossen - man lachte und scherzte, philosophierte, schaute sich nebenher ein paar Platten an, war erstaunt, legte ein paar zum Anhören auf den Plattenteller, blättert in den ebenfalls ausliegenden Büchern, schwätzt weiter...die Zeit verging wie im Fluge. Und fündig wurde ich auch nochmal: die The Sea And Cake-Sammlung ist nach dem Erwerb von "Two Gentlemen" nun tatsächlich komplett und endlich steht nun "Cavale" von ihrer Quasi-Vorgängerband Shrimp Boat auf dem Bandaltar in meinen 3,40qm Luft, Liebe und Musik.
Toll. Danke Simon! "Des wär' aber net nöödisch geweese!" (Henni Nachtsheim)
Um ein Haar noch toller: ich entdecke "Moment Returns", das 2004er Album von der australischen experimentellen Jazzband Triosk auf Vinyl. Die 2007 leider aufgelöste Truppe ist nicht nur geographisch mit den irren The Necks vergleichbar, auch musikalisch haben die beiden Truppen durchaus Parallelen, wenngleich die Nacken etwas verspielter und tatsächlicher jazziger sind, wo Triosk noch ausgeprägter der Elektronik und dem Ambient verfielen. Eine beeindruckende Platte, jedenfalls.
Wir nehmen gemeinsam in der Sonne sitzend noch Ingwer-Bier und Kaffee zu uns und lassen uns die Sonne auf den Pelz scheinen.
Auch wenn es in der angenehmen, unbeschwerten Atmosphäre schwer fällt, müssen wir los. Es ist Feierabendverkehr und wir haben noch gut zwei Stunden Fahrt vor uns. Wir eisen uns gaaaanz langsam los und verlassen Köln in Richtung Heimat.
Ein toller Tag mit tollen Platten und tollen Menschen.
"Der Plattenladen ist nicht tot - er riecht nur etwas komisch." (Flo Zapfhahn)
Labels:
Alternative,
Ambient,
Australien,
Avantgarde,
Blank When Zero,
Electronica,
Fliegenpilze,
Funk,
hardrock,
Hip Hop,
Indie,
Jazz,
metal,
Neue Besen,
Schallplatten,
Shoegazer,
Soul
25.04.2015
Tour De Vinyl - Köln - 8.4.2015 (I)
TOUR DE VINYL - KÖLN
8.4.2015
Die aktuelle Ausgabe der von Freund Simon initiierten Tour De Vinyl-Reihe führte uns an einem wunderbar sonnigen Frühlingstag in die Plattenläden der aus fußballerischer Sicht verbotenen Stadt - nach Köln. Da mein Intelligenzquotient aber zu Jahresbeginn den auch "psychologisch wichtigen" (Beckenbauer) zweistelligen Meilenstein nicht nur erreichen, sondern auch überspringen konnte, und die Domstadt darüber hinaus mit einer überraschend großen Anzahl entsprechender Oasen für Vinylaficionados punkten kann, springe ich gerne über meinen Schatten, den im Kopf installierten sowieso. Zumal Köln auch unsere kleine Punkband Blank When Zero bei unseren drei Gigs immer mit offenen Hosen und Armen empfing und ich im Grunde nur gute, liebevolle Menschen von dort kenne.
Wir starten um kurz vor 11 im Black Diamond in der Ritterstraße. Als wir den Laden betreten, scheint bereits Sodom & Gomorrha ausgebrochen zu sein, denn vier mittelalte Herren wühlen sich tief in der Hocke sitzend durch sechs frisch geöffnete Kisten mit Nachschub aus dem Jazz-, Soul- und Funksektor, außerdem besprechen zwei Mädels den nächsten Deal mit dem Inhaber - Treffpunkt, Uhrzeit, Klaviermusik, Neuware, nächste Woche, alles frisch aus den USA. Laufkundschaft gibt es auch. "Haben sie die neue Platte von Olli Schulz?", "Ich suche Rock'n'Roll der 50er und 60er Jahre auf CD - können sie etwas empfehlen?" Das Black Diamond ist nicht besonders groß, tatsächlich ist es sogar ziemlich klein und wenn sich, wie an diesem Morgen, bis zu acht Menschen in ihm aufhalten, dann wird das eine sehr kuschlige Angelegenheit. Was ist hier los? Des Rätsels Lösung: jeden Mittwoch werden neue Kisten mit neuen zukünftigen Mitbewohnern angeliefert und die Stammkundschaft weiß, was zu tun ist: sie stürmt den Laden. Mir wird berichtet, dass die aktuellen Schätzchen gerade den langen Weg aus den USA hinter sich haben. Aus 20000 Platten suchte der Inhaber 1000 Stück handverlesen aus und nahm sie mit nach Köln. Wunderbare Stücke, zum großen Teil in bestem Zustand, preislich durchaus angemessen. Ich greife beim Klassiker "One Nation Under A Groove" von Funkadelic zu, ein Cut-Out und ohne die original beiligende 7-Inch Single, dafür aber mit gerade mal 12 Euro sogar zwei Euro günstiger als ausgezeichnet. Ich mag George Clintons wilde Rasselbande sehr gerne und freue mich über ein weiteres Juwel des 70er Jahre Funk. Den angebotenen Kaffee schlage ich indes aus - das ist mir hier zu voll und Kaffee treibt - wer weiß, wann ich wieder eine Toilette zu Gesicht bekomme. Trotzdem ein prima Start.
Simon schaut sich derweil beim Comicladen Pinup um, der nur ein paar Meter weiter ebenfalls ein umfangreiches Angebot von 2nd Hand Schallplatten führt. Berichte aus dem Internet sagen, dass es sich hierbei primär um Flohmarktware handelt, dass man aber immer wieder auf ein rares Schätzchen stoßen kann. Simons Eindrücke decken sich damit, wobei der Zustand wohl tatsächlich nur selten über einen knittrigen Flohmarktbestand hinaus kommt.
Wir fallen der Länge nach hin und liegen im Underdog (auch Ritterstraße). Die Kölner Institution in Sachen Vinyl ist mit dem Green Hell Mailorder aus Münster verbandelt und so wundert es nicht, dass das Repertoire seinesgleichen sucht. Ich bin einigermaßen perplex, denn sowas habe ich seit den goldenen Zeiten des Schallplattenhandels nicht mehr gesehen: die außerordentliche Auswahl wirkt gerade für mich, der seine vier virtuellen Wunschzettel nicht nur im Kopf mit sich herumträgt, sondern große Teile davon hier tatsächlich findet, etwas erschlagend. Im Underdog finden sich zwar leider fast keine 2nd Hand Ware, dafür ist der Laden mit Neuveröffentlichungen und Reissues auch abseits des Indie-Mainstreams vollgepackt. Doom, Post Metal und Sludge werden zusammengefasst als ein eigenes Genre präsentiert, dazu gibt es tatsächlich eine eigene Abteilung für Freunde des Thrash-, Speed, und Death Metal. Hip Hop, Elektronisches, Soundtracks, Punk, Hardcore, Oi, Metalcore, Mosh, Indie - hier könnte ich gleich ein paar Kreditkarten bis ans Limit ausreizen. Preislich liegt der Underdog im oberen Mittelfeld, denn auch hier verschließt man sich der aktuellen Preisentwicklung unter dem Motto "The Sky Is The Limit" nicht. Der Anteil von berüchtigten 25 Euro + X Platten ist zwar überschaubar, aber warum man neuerdings für das neue Album des kanadischen Postrock-Kollektivs Godspeed You! Black Emperor satte 27 Euro für eine einzelne LP auf den Tisch legen muss, erschließt sich mir vor allem aufgrund des DIY-Images des Labels Constellation ganz und gar nicht. Fairerweise muss hinzugefügt werden, dass der Underdog damit nicht alleine ist, aber das macht es ja nur bedingt besser. Interessant ist die Cheapo-Abteilung im Eingangsbereich, denn hier lassen sich Scheiben finden, die in deutlich günstigeren Preisklassen zu Hause sind. Hier werde ich dann auch für den Gang zur Kasse vorbereitet: die Shoegazer-Kapelle Medicine sind mit ihrer - Record Store Day 2014, ick hör' dir trapsen - letztjährigen und dreifarbigen (!) LP "In Session" für 16 Euro vertreten. Her damit!
Wir steigen ins Auto und fahren ins wenige Kilometer entfernte belgische Viertel. Hier sollen sich gleich drei Plattenläden in drei aneinanderliegenden Straßen tummeln. Eine Eckkneipe im Viertel heißt "Zum goldenen Schuss". Ist das der Kölner Humor?
Wir starten mit Nunk Music in der Antwerpener Straße 16. Das im Hinterhof liegende Geschäft lässt uns gleich zu Beginn große Augen machen und fast simultan "Ha! Wie im Big Black!" ausrufen. Der Big Black Records ist ein furchtbar sympathischer und gleichzeitig chaotischer Plattenladen im Frankfurter Nordend und außerdem ein echter Geheimtipp. Wie im Big Black stehen auch bei Nunk alte Röhrenradios, Verstärker, Plattenspieler, Tapedecks nebst allerhand Gekruschel in den Gängen und den Regalen, und ebenso wie im Big Black sehen wir unzählige Kisten mit 7-Inch Singles in der gefürchteten "Rock/Pop A-Z"-Sortierung. Im schmalen Mittelgang empfangen uns der Inhaber und drei Angehörige der bundesdeutschen Streitkräfte der Kölner Bullerei in voller Kostümierung Vollausstattung. Gab's eine Mumie im Krautrock-Fach? Kettensägenmassaker in der Metal-Abteilung? Die Wahrheit ist wohl banaler: die Herren trinken Kaffee und klönen. Gibt wohl nicht so viel zu tun, da oben in Köln.
Im hinteren Teil öffnet sich dann Nunks Heiligtum und Tausende LPs kommen zum Vorschein. Wir wundern uns über gleich drei vermeintliche Originalversionen von Leatherface "Mush" (ohne Preisangabe), Simon ist erstaunt über das interessante Repertoire im Punk/Hardcore-Fach, Herr Dreikommaviernull sieht sich in der Metalabteilung der Tautologie von grauenhaften Coverartworks und 80er Hardrock ausgesetzt. Einen Treffer lande ich für 10 Euro mit dem Debut der UK-Rocker von Thunder. "Backstreet Symphony" ist klassischer Ami-Schmonzrock, der allerdings deutlich hörbar die Schulterpolster aus Britannien dauerwellt. Mit großartigem Sänger und einem bemerkenswerten Groove. Der Nachfolger "Laughing On Judgment Day" ist sogar noch einen Tacken besser.
Das Soul/Funk-Fach ist, etwas enttäuschend, weitgehend mit Samplern, Flohmarktware und Maxis bestückt, wohingegen vor allem der Bereich des 70er Jahre Rocks außerordentlich umfangreich vertreten ist. Auch im Jazzbereich lassen sich einige schöne Stücke finden, weshalb ich mir für relativ schmales Geld noch "Alone In San Francisco" von Thelonious Monk einpacke. Der Zustand der geprüften Platten schwankt stark - "Welcome To The Ball" der US-Metaller von Vicious Rumors, die ich für Freund Jens ins Auge fasste, war beispielsweise leider komplett verdreckt, während Monk sowohl was Cover als auch das Vinyl betrifft, durchaus sauber durch San Francisco tänzelt. Nunk Records ist ein interessanter Laden, in dem sich problemlos einige Zeit verbringen lässt, geführt von einem sympathischen Original, der erstens sehr spaßig mit sich handeln ließ und zweitens auf seiner Facebookseite zu Karneval "Kein Fußbreit den Karnevalisten!" postete. Kann man im Prinzip nur gut finden.
Nach einem knapp zehnminütigen Fußmarsch stehen wir im Parallel (Brabanter Straße 2-4) wie der Holzlöffel in der Buttermilch. Wir lasen im Vorfeld einige Misstöne aus Internetzhausen und waren entsprechend vorbereitet: das Personal sei unerträglich unfreundlich und arrogant und die Preise seien bar jeder Vernunft. Gedanken an den legendären Franz und Josef in Berlin werden wach. Werden wir auch rausgeschmissen?
Das lest ihr im zweiten Teil des Tour de Vinyl Berichts.
17.04.2015
"Wir haben kein Informationsdefizit, wir haben ein Aktionsdefizit." - Gedanken zum Record Store Day 2015 - Teil 2
Alles, was ich im letzten Jahr zum Record Store Day, dieser gigantischen Cash Cow für Majorlabels geschrieben hatte, ist nicht nur nachwievor gültig, es bleibt sogar, weil nicht davon auszugehen ist, dass sich das Rad in den nächsten Jahren langsamer drehen wird, auf absehbare Zeit relevant:
3,40qm zum Record Store Day 2014
"Was als weithin unschuldiges Konzept zur Rettung der lokalen und unabhängigen Plattenläden begann, ist mittlerweile und zum großen Teil eine von Majorlabels gekaperte und durchkommerzialisierte Peinlichkeit geworden, die die für gewöhnlich mit Spinnweben versehenen Kartoffelpupser aus ihren 40qm Heimat herauslockt, damit die neuen Sammlerstücke bald einziehen dürfen. 500 vermeintlich exklusive Veröffentlichungen waren es im Jahr 2014, und mal ganz davon abgesehen, dass man sich schon fragt, wer diesen ganzen Scheiß mit Reis eigentlich kaufen soll(...)."
"So groß die Faszination für Schallplatten und das Abtauchen in die Parallelwelt Plattenladen auch sein mögen, so unsinnig ist mittlerweile der ursprüngliche Ansatz geworden. Der Record Store Day fördert nicht den Erhalt lokaler Plattenhändler, er fördert viel mehr den Sammel- und Exklusivitätswahn, der seit dem Vinyl-Revival so oder so schon jeden 2nd Hand Dealer in Beschlag genommen hat. Dem man allerdings im Zweifelsfall keinen Vorwurf machen kann: wenn jemand einen dreistelligen Eurobetrag für eine Schallplatte bezahlen mag, die er an anderer Stelle auch für 20 Euro bekommen kann, dann ist das nicht seine Schuld."
Wie jedes Jahr gibt es einsame Rufer in der Wüste, die uns mitteilen, dass die Entwicklung des Konzepts nicht nur Milch und Honig für alle Beteiligten bereithält. In diesem Jahr fanden sich zwei (!) Independent Labels aus England, die die weiße Flagge hissen - vor allem wegen der entstehenden Blockade der Schallplattenpresswerke. Die Pressen laufen schon ohne den Record Store Day Tag und Nacht, in den drei Monaten vor dem großen Tag haben sich mittlerweile die zahlungskräftigen und geschäftskritischen Major Labels mit breiten Ellenbogen vor die Türen der Presswerke platziert, um Tausende Bruce Springsteen Reissues pressen zu lassen. Die kleinen unabhängigen Indielabels gucken derweil in die Röhre, denn die Aufträge für ihre Bands werden den Majorbestellungen untergeordnet.
Zuerst machen wir 20.000 Mal "Born In The USA", dann kommt ihr an die Reihe.
The result will leave small labels such as Sonic Cathedral, from London, and Bristol-based Howling Owl Records unable to compete, “so we won’t compete”, they said, adding: “Record Store Day really isn’t fun, and it’s certainly not beneficial to small, backs-to-the-wall labels.”
A combined statement from the two revealed plans to release a split single and, rather than limiting it to the one day, one copy would be released every day for 365 days – as “every day should be Record Store Day”.
“This is not a protest against record shops,” they said, or even a protest against the annual day itself. “It’s what Record Store Day has become: just another event in the music industry circus.”
Auf der Seite http://www.recordstoredayisdying.com/ ist das inoffizielle offizielle Statement hinterlegt.
Es geht weiter:
If it’s a protest against anything, it’s what Record Store Day has become: just another event in the annual music industry circus that begins with the BBC Sound Of… list and ends with the Mercury Prize, co-opted by major labels and used as another marketing stepping stone, like an appearance on ‘Later… With Jools Holland’ or bagging the sunset slot at Glasto. If you want to queue up from the early hours of April 18 to buy Mumford & Sons’ 7” or an overpriced Noel Gallagher 12” to flip on eBay, then fine, but what the hell has it got to do with us? U2 have already shat their album into our iTunes, why should they constipate the world’s pressing plants with it too? And there’s a picture disc of A-ha’s ‘Take On Me’ as well. Of course it’s a fine pop single, but there’s bound to be a copy in the Oxfam around the corner.
No, because of the rules and regulations (minimum pressing amounts, no direct to customer sales, blah blah blah) Record Store Day really isn’t fun, and it’s certainly not beneficial to small, backs to the wall labels like Sonic Cathedral and Howling Owl. But we are still affected by it. Badly. There are currently no copies of Spectres’ album Dying on vinyl in the shops because the repress is somewhere towards the back of the queue after some Foo Fighters studio scrapings, a host of EPs by The 1975 and about a million heavyweight ‘heritage rock’ reissues that no-one really needs. Less Cheap Trick, more bloody expensive con.
Womit alles gesagt ist.
Fast alles. Als Simon und ich uns vergangene Woche in Kölns Plattenläden umschauten und mitlauschten, wie der Verkäufer in einem größeren, durchaus bekannten Plattenladen einem Pärchen mitteilte, dass die von ihnen bestellte und so arg gewünschte 7-Inch Single um die 40 Euro kosten wird, und den daraufhin mit einem erstaunten Gesichtsausdruck ausgestatteten Musikfreunden erläuterte, der Record Store Day habe sich eher zu einem Major Label Day entwickelt, weil die Damen und Herren von der Musikindustrie für diesen Tag mittlerweile nahezu jeden Preis aufrufen könnten - wenn die Platte nur angemessen als rar und damit exklusiv vermarktet wird, wird jeder Preis bezahlt.
In conclusio: ich werde den Zirkus in diesem Jahr nicht mitmachen. Es steht indes zu befürchten, dass ich auch trotz dieser Entscheidung danach noch weiteratmen und ein total prima Leben haben werde.
Aber man muss auch mal in die Aktion kommen. Selbst wenn es nur darum geht, ebenjene zu verweigern.
12.04.2015
"Wir haben kein Informationsdefizit, wir haben ein Aktionsdefizit." - Gedanken zum Record Store Day 2015 - Teil 1
Jegliche Argumente, die aus guten Gründen gegen die Institution des Record Store Days gerichtet werden können, wo nicht müssen, werden von mir höchstpersönlich und in schöner Regelmäßigkeit torpediert, und das macht das alles nicht einfacher. 2014 war ich mit drei Platten auf dem Einkaufszettelchen noch als Katastrophentourist unterwegs, und keine dieser drei Auserwählten ließ sich in den Frankfurter Plattenläden finden. Eine davon, Gil Scott Herons "Nothing New", eine Solo-Neuaufnahme seiner eher unbekannteren Songs, gab es der Legende nach nur in England und den USA, offenbar mit einer ungleichen Verteilung mit deutlicher Tendenz in Richtung Übersee. Die Scheibe hätte ich schon gerne gehabt, weil ich Gil für einen der allergrößten Persönlichkeiten und Musiker und Texter halte - aber muss man sich dafür wirklich so verarschen lassen? Die Preise für ein Exemplar waren schon am Record Store Day selbst jenseits von gut und böse, und was man später auf Ebay und Discogs fand, löschte dann endgültig jeden Funken Mentalhygiene und Menschenverstand aus meinem Kopf. Dazu dieses unwürdige Herumrennen und Fragen und sich zum Affen machen. Es ist nur eine Schallplatte, for fuck's sake!
Ich hielt "Nothing New" einige Zeit auf allen möglichen Wunschzetteln, aber weder gingen die Preise signifikant nach unten, noch mochte ich die drölf Trilliarden Euro Versandkosten nebst den Zollgebühren aus den USA berappen. Ende des letzten Jahres zog ich die Konsequenz und löschte alle Einträge. Ich sollte die Platte wohl einfach nicht bekommen, damit muss und kann ich leben. Außerdem ist es lohnenswert, sich in den Situationen den Satz von Freund Simon immer wieder aufzusagen:"Man braucht einfach nur ein bisschen Geduld."
Um den weiteren Verlauf abzukürzen:
Tatort: Second Hand Records in Stuttgart. Tatzeit: Anfang März 2015. Preis: obszön, aber der persönlichen Wichtigkeit angemessen. Vielleicht. So setzte ich mich für 15 Minuten in den Ladensessel und betrachtete die Platte. Darf ich das? Soll ich das? Werde ich zur Züchtigung am Abend die Sitzbänke im Dampfbad des Hotels ablecken, sollte ich hier jetzt nicht zugreifen?
Wir kennen mittlerweile die Antwort. Und wieder eine persönliche Niederlage. Eingeknickt. Dafür allerdings ohne Geschlechtskrankheit im Gesicht. Das muss anders werden. Also nicht das mit ausbleibenden Geschlechtskrankheit, aber...ihr wisst schon. Time for a change. Man muss doch auch mal in die Aktion kommen.
Bis es soweit ist: "Nothing New" präsentiert sehr intime und spartanische Versionen seiner alten Songs. Nur Gil und sein Piano. Es ist darüber hinaus eine Songauswahl, die auch seine eher unbekannten Alben wie "1980" oder "Moving Target" berücksichtigt. Aufgenommen von Richard Russell, der sich auch für die Produktion des Combebacks "I'm New Here" aus dem Jahr 2010 verantwortlich zeichnet.
Es hat etwas gedauert, bis ich mich traute, die Plastikfolie zu entfernen und die Platte wirklich aufzulegen. Als ich es tat, lief sie für 9 Stunden auf Endlosschleife. Da fällt der Blick auf das moralische Dilemma schon ziemlich schwer.
"Was haben wir uns nicht gut arrangiert."(Blank When Zero)
Im zweiten Teil: warum der Record Store Day sterben muss, damit die Schallplatte leben kann und warum Verweigerung die einzige Option ist.
...to be continued...
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10.04.2015
10.4.1972
Der 16. miteinander zu verbringende Geburtstag löst Erinnerungen aus - wo waren wir gleich nochmal beim ersten Mal? Richtig, bei Sting in der Frankfurter Festhalle.
"Und ein Jahr später?" - "Da war Britt da, wir waren in der Sauna."
"2002?" - "Da warst Du auf Opiaten und ich hab' meinen 30. in der neuen Wohnung gefeiert."
Man blickt zurück auf ein bewegtes Leben, auf bewegte Jahre. Zusammen in Rödelheim, dann in Kaltenholzhausen auf dem Land (oder besser: dem Acker, wortwörtlich), dann 11 Jahre lang im mondänen Wiesbaden. Seit 2013 sind wir wieder an alter Wirkungsstätte - und es geht immer weiter über all den banalen Krempel wie der Standort der Höhle hinaus.
Es geht eigentlich immer noch und sogar immer mehr darum, dass ein Leben ohne Dich nahezu unvollstellbar erscheint - Du bist mein Kompass. Wenn ich nicht weiß, wie es weitergeht, dann bist Du da. Wenn ich unsicher bin, gibst Du mir Halt. Wir streiten fast nie, weil wir gelernt haben, aufeinander zu hören. Und weil wir wissen, dass es wichtig ist, zu Lachen.
Wir lachen jetzt schon 16 Jahre miteinander. Auf die nächsten 3,8 Millionen.
<3 U
09.04.2015
D'Angelo Is Movement
Ich kann das nicht in den Kommentaren versauern lassen. Vor wenigen Tagen schrub ich ein paar handverlesene Zeilen zum Weirdo-Duo PATTERN IS MOVEMENT, beziehungsweise zu dessen selbstbetiteltem Album aus vergangenem Jahr.
Nach einem kurzen Schwätzchen mit Herr Opportunities am gestrigen Mittwoch in Köln (Plattenladenreport folgt, btw), wemmste er mir folgendes in das Kommentarfeld:
Was es ist?
Der große D'Angelo Hit "Untitled (How Does It Feel)" aus dem Jahr 2000:
Und die Coverversion der beiden Rolemodels von "Betreutes Wohnen":
Kann man machen.
Nach einem kurzen Schwätzchen mit Herr Opportunities am gestrigen Mittwoch in Köln (Plattenladenreport folgt, btw), wemmste er mir folgendes in das Kommentarfeld:
https://www.youtube.com/watch?v=KE3_6CUMpYY vs. https://www.youtube.com/watch?v=hEIYuzCASUI - danach hast du es/sie vielleichtwahrscheinlich verstanden...
Was es ist?
Der große D'Angelo Hit "Untitled (How Does It Feel)" aus dem Jahr 2000:
Und die Coverversion der beiden Rolemodels von "Betreutes Wohnen":
Kann man machen.
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08.04.2015
The Painless
THE GOD MACHINE -
ONE LAST LAUGH IN A PLACE OF DYING
And you said life could be painless And I'm sorry but that's not what I've found
Viel zu selten landen die zwei Alben dieses Trios in meinen Playlists. Es gibt dafür fast keinen einzigen guten Grund, aber wenn ich es mir recht überlege, und gerade dann, wenn wie gerade jetzt und ganz besonders ihr Schwanengesang "One Last Laugh In A Place Of Dying" mit ohrenbetäubender und also anerkennender Lautstärke halb Sossenheim in sich zusammenklumpen lässt, dann habe ich wenigstens eine Ahnung: es ist zu schmerzhaft.
Ist schon recht, es ist alles nur Musik und es gibt ja Menschen, die offenbar ganz prima ohne leben können; scheiße ich schon wieder mit zu großen Worten das ganze Internet zu? Ist das schon wieder alles viel zu emotional? Die Antworten sind einfach: ja und ja. Und das ist völlig legitim. Das 1990 gegründete Trio aus San Diego, das im Verlauf seiner kurzen Karriere mehrheitlich aus England und dem europäischen Festland heraus operierte, zwei Alben und vier EPs aufnahm, spielte eine sehr emotionale, irrsinnig intensive und eigenständige Mixtur aus düsterem Indie- und Alternativerock mit deutlich erkennbaren Ausflügen in Gefilde des lauten, schrammelnden und zart kratzbürstigen Noiserock - und es ist besonders dieses zweite Album, das qualitativ nicht nur eine Sternstunde der Neunziger ist, sondern vor dem Hintergrund der Vorkommnisse während und nach den Aufnahmen beinahe schon unangenehme, voyeuristische Tendenzen provoziert. Es ist sicher keine Übertreibung, dass man sich auf einen ziemlich traurigen, und beklemmenden Trip einstellen darf. Mir fällt das mit zunehmendem Alter immer schwerer. Denn es ist anstrengend.
"My relationship with death remains the same, I'm strongly against it." (Woody Allen)
Bassist Jimmy Fernandez starb kurz nach dem Ende der Aufnahmen und während der Mixing Sessions zu "One Last Laugh In A Place Of Dying" im Mai 1994 an einem Hirntumor. Die verbliebenen Musiker, Robin Proper-Sheppard (Gitarre, Gesang) und Ronald Austin (Schlagzeug) lösten unter diesem Schock The God Machine nach Beendigung der Arbeiten zu diesem Album mit Verweis auf die außergewöhnlich starke und enge Verbindung zwischen den Bandmitgliedern auf. Während Proper-Sheppard Sophia gründete und 1996 mit dem sehr reduzierten und intimen "Fixed Waters" debütierte, zog sich Austin komplett aus dem Musikgeschäft zurück.
In den besonders dramatischen Momenten dieser im Angesicht des Todes geschriebenen Songs möchte ich mich am liebsten im dunklen Keller verstecken und hemmungslos losheulen. "In Bad Dreams", "Painless", "The Hunter" und vor allem "The Life Song" lassen mich meist in Embryostellung zusammengekrümmt im Staub liegen. Im Vergleich zum deutlich rockigeren, wenngleich ebenfalls zappendusteren Debut "Scenes From The Second Storey", auf dem man tatsächlich einige zarte Parallelen zu den fast zeitgleich auf der Bildfläche erscheinenden Tool heraushören konnte ("Temptation"), hat sich die Band stilistisch insofern etwas freigeschwommen, als dass sie wenigstens in meinem Buch nicht mehr als klassische Band der neunziger Jahre durchgeht, auch wenn die Herzallerliebste die erkennbare Klangästhetik der 90er in den Mittelpunkt ihrer (wie immer korrekten) Analyse stellt. Trotzdem wirkt "One Last Laugh In A Place Of Dying" entzerrter und weitläufiger als das erste Album; es zeigt außerdem eine Band, die sich - ohne eine negative Interpretation zu forcieren - bewusst isoliert und sich in den eigenen Kosmos zurückgezogen hat. Und die daraus eine angreifbare Zerbrechlichkeit einerseits und eine fragile Stärke andererseits entwickelte. Man kann das hören.
Es ist allerdings nicht immer ausschließlich schön und angenehm.
Erschienen auf Friction, 1994.
PS: Für den Fall, die geneigte Leserin/der geneigte Leser erinnert sich nun wieder an die Band, und vor allem daran, dass ihre Alben spätestens ab 1995 out of print und damit entweder gar nicht mehr, oder nur für einen halben (CD) bis einen ganzen (LP) Monatslohn erhältlich waren, sei es nun laut hinaus gerufen: beide Studioalben wurden im Jahr 2010 auf CD wiederveröffentlicht, was außerdem den netten Nebeneffekt hatte, dass mittlerweile selbst die Originalversionen für einen überschaubaren Obulus den Besitzer wechseln können. Für die LP-Versionen muss nachwievor sehr tief in die Taschen gegriffen werden, aber vielleicht hat Robert Proper-Sheppard auch hier nochmal ein Einsehen. Wobei: seine Webpage für Sophia (inklusive Facebook) macht nicht mehr den frischesten Eindruck. Hat da einer den Laden dichtgemacht?
PPS: Würde Euch gerne was zum Lauschen via Youtube kredenzen, aber...wann fickt sich eigentlich diese verschissenedreckfickscheißkackverhurtkackte GEMA endlich weg?
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04.04.2015
Rock Hard, Ride Blöd
Wenn es in der für mich so wichtigen und wegweisenden Phase meiner Adoleszenz ein Magazin gab, das ich vermutlich sogar manches Mal über Gebühr verschlungen und ernstgenommen habe, das mir unzählige neue Bands ans pubertäre Herz legte, das die frühen Entwicklungen im Death Metal ganz selbstverständlich mit der aufkeimenden Alternative- und Grunge-Szene verknüpfte und in einem Heft abbildete, und also auch in dieser Hinsicht dafür sorgte, dass ich innerhalb der harten Rockmusik keine Scheuklappen kannte und eben alles hörte, was mir Stratmann, Kühnemund, Schäfer, Albrecht und Trojan auf dem Silbertablett anboten; mit genau dessen Schreibern ich mich identifizierte und von denen ich annahm, sie seien zwar irgendwie "Kritiker", aber eben in erster Linie Fans, die vor allem hinsichtlich der bedenklichen politischen Auswüchse in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre eine klare und unbeugsame Haltung hatten, und die sich darüber hinaus über die Vorbildfunktion und ihren "Auftrag" als Sprachrohr der deutschen Metalszene im Klaren waren, dass sich die braune Brut nämlich gefälligst aus genau dieser Szene verpissen soll, auch weil sie keine Andockstelle finden wird, um ihre Ideologie unter den Metalkids zu streuen, denn dafür würden sie, das Magazin und seine Schreiber, schon sorgen - dann war es das in Dortmund ansässige Rock Hard.
Und ich las jedes erschienene Heft im Zeitraum zwischen 1988 und 2001 bis zur letzten Zeile leer.
Für ein erstes Stirnrunzeln unter jener Leserschaft, die das Rock Hard vor allem für seine Undergroundtipps im Bereich der abseitigen, noch in den Kinderschuhen steckenden Subgenres liebten, sorgte die schon sehr früh platzierte Hofberichterstattung für die Knallköppe der Böhsen Onkelz, die in erster Linie vom damaligen Chefredakteur Götz Kühnemund ins Blatt gedrückt wurde, gerne auch unter dem Schleier des ernsthaften und kritischen Journalismus: "Wir tun das, was sich keiner traut und setzen uns mit der Band auseinander. Wir glauben nicht die Verleumdungen der Massenmedien. Wir stellen kritische Fragen. Wir bilden uns selbst ein Urteil." Dass die Redaktion damit an dem Masterplan von Oberonkel Weidner begeistert mitstrickte und insofern selbst instrumentalisiert wurde - bon, das konnte man als schreibender Fan dann wohl nicht mehr erkennen. Dafür konnte man sich nach dem endgültigen Durchbruch der Band schön ans Revers heften, schon ganz früh mit dabei gewesen zu sein. Auch Fans haben dann und wann ein Ego, das befriedigt werden will.
Als die Frankfurter zum ersten Mal auf dem Titel des Rock Hard zu finden waren, konnte ich es kaum glauben. Was war passiert? Die haben doch jahrelang dafür geschrieben und gekämpft, dass Dumpfbacken wie David Vincent aus dem Heft verschwanden, haben Interviews mit damaligen Vollidioten wie Glen Benton und Dark Throne wegen immanent zur schau gestellter Vollverblödung vorzeitig beendet - und jetzt kommen die Onkelz auf den Titel? Wir sprachen doch eben noch von Dream Theater, Voivod, Watchtower, Atheist, von Heir Apparent, Hades, der emotionalen Kraft von Pearl Jam und Alice In Chains, der Innovation und Progressivität von Janes Addiction und Ministry, von Kunst und Hochkultur - jetzt kommt also die Eisenzeit ins Heft? Niemand, der damals ohne zu Stolpern bis 4 zählen konnte, konnte das verstehen. Die Onkelz waren in meiner "alten" Szene niemals akzeptiert. Auch dieser redaktionelle Offenbarungseid konnte daran nichts ändern.
Die Jahre nach 2001 sind schnell erzählt: ich las das Heft nicht mehr. Zum einen war die Hysterie um die Onkelz auf dem Höhepunkt angekommen, zum anderen war ich vom Metal und vom Heft furchtbar gelangweilt. Meine Hörgewohnheiten änderten sich, die Zeit des Rock Hard war vorbei.
Und sie ist es bis heute, wenngleich ich immer noch, und sei es nur emotional und trotz mittlerweile ausgetauschter Führungsmannschaft und Redaktion, noch mit dem Heft verbunden bin. Jedes Mal, wenn ich "Facelift" von Alice In Chains auf den Plattenteller lege, muss ich an Kühnemunds Schlusssatz der Rezension denken - "Echter Rock'n'Roll kommt immer noch von der Straße, mitten aus dem Dreck - und ALICE IN CHAINS stinken wie die Schweine! " - und daran, dass er in Ermangelung einer passenden Schublade die Band in den Bereich des "Street-Metal" einsortierte (was auch die Frage provoziert, was zum Fick denn jemals Street Metal gewesen sein soll). Bei jedem Hören von "Killing In The Name" von Rage Against The Machine flüstert mir Herausgeber Stratmann ins Ohr, dass die Platte demnächst in jeder guten "Alternative-Zappelbude" laufen wird. Und er hatte recht. Stratmann hatte zu jener Zeit Anfang der neunziger Jahre immer ein gutes Näschen für die neuen Hits. Stratmann hatte wenigstens eine Idee von Geschmack. Stratmann wusste was geht - und was nicht geht.
Gebröckelt hat diese Fähigkeit zur unfallfreien Navigation durch die Untiefen einer im schlechtesten Sinne mehr und mehr indifferent gewordenen Szene in den letzten Jahren, in denen ich die Inhalte und Entwicklungen im Heft noch am Rande mitverfolgte, mehr als ein Mal, und so holte man sich so einige Musiker und Bands ins Heft, die in dem ein oder anderen Genre eine monatelange Diskussion zur Grauzone ins Rollen gebracht hätten - in der Metalszene der Nuller Jahre herrscht dagegen weitgehend stoische Lethargie. Watain, Drudkh ("zwielichtig (...), aber besonders gelungen" - Dorian Gorr), Burzum - letztgenannte wurden als Erschaffer einiger echter Meilensteine des Black Metal gefeiert; textlich vielleicht nicht ganz einwandfrei, ideologischer Fixpunkt des National Socialist Black Metal (NSBM) aber hey: die Platten sind legendäre Szeneklassiker.
Und sie sind natürlich ein rechter, faschistischer, menschenverachtender Quadratscheiß, dafür aber einer, der mittlerweile in der Mitte der Szene angekommen ist. Es ist absurd (no pun intended!), dass wir einerseits davon sprechen, wie sehr Metal als Kunstform mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert ist, während andererseits die politische Debatte über den Standpunkt der Szene vollkommen zum Erliegen gekommen ist.
"Metal war schon immer unpolitisch." - Ja, und Du warst offenbar intellektuell schon immer ziemlich übersichtlich veranlagt, denn es geht sich halt einfach partout nicht aus: mein Metal war nie unpolitisch. Er war albern, pubertär, manchmal geschmacklos - aber er war eben nie unpolitisch.
Stratmann hat mittlerweile sein Mojo wohl endgültig verloren.
Ich habe gestern gesehen, dass nach einem Interview in Ausgabe 304 aus dem Jahr 2012 im aktuellen Heft tatsächlich schon wieder ein Interview mit den Schwachstromelektronikern von Freiwild zu finden ist. Geführt von Jan Jaedike, der seit 1993 für das Heft schreibt und traditionell aus dem Punk- und Hardcorebereich kommt - Discharge, 7 Seconds, Napalm Death, Leatherface, The Exploited - jetzt also Freiwild:
Spätestens jetzt darf man überlegen, dem Dortmunder Magazin beide emporgereckte Mittelfinger zu zeigen.
Jungs, Ihr habt echt den Schuss nicht mehr gehört.
Und ich las jedes erschienene Heft im Zeitraum zwischen 1988 und 2001 bis zur letzten Zeile leer.
Für ein erstes Stirnrunzeln unter jener Leserschaft, die das Rock Hard vor allem für seine Undergroundtipps im Bereich der abseitigen, noch in den Kinderschuhen steckenden Subgenres liebten, sorgte die schon sehr früh platzierte Hofberichterstattung für die Knallköppe der Böhsen Onkelz, die in erster Linie vom damaligen Chefredakteur Götz Kühnemund ins Blatt gedrückt wurde, gerne auch unter dem Schleier des ernsthaften und kritischen Journalismus: "Wir tun das, was sich keiner traut und setzen uns mit der Band auseinander. Wir glauben nicht die Verleumdungen der Massenmedien. Wir stellen kritische Fragen. Wir bilden uns selbst ein Urteil." Dass die Redaktion damit an dem Masterplan von Oberonkel Weidner begeistert mitstrickte und insofern selbst instrumentalisiert wurde - bon, das konnte man als schreibender Fan dann wohl nicht mehr erkennen. Dafür konnte man sich nach dem endgültigen Durchbruch der Band schön ans Revers heften, schon ganz früh mit dabei gewesen zu sein. Auch Fans haben dann und wann ein Ego, das befriedigt werden will.
Als die Frankfurter zum ersten Mal auf dem Titel des Rock Hard zu finden waren, konnte ich es kaum glauben. Was war passiert? Die haben doch jahrelang dafür geschrieben und gekämpft, dass Dumpfbacken wie David Vincent aus dem Heft verschwanden, haben Interviews mit damaligen Vollidioten wie Glen Benton und Dark Throne wegen immanent zur schau gestellter Vollverblödung vorzeitig beendet - und jetzt kommen die Onkelz auf den Titel? Wir sprachen doch eben noch von Dream Theater, Voivod, Watchtower, Atheist, von Heir Apparent, Hades, der emotionalen Kraft von Pearl Jam und Alice In Chains, der Innovation und Progressivität von Janes Addiction und Ministry, von Kunst und Hochkultur - jetzt kommt also die Eisenzeit ins Heft? Niemand, der damals ohne zu Stolpern bis 4 zählen konnte, konnte das verstehen. Die Onkelz waren in meiner "alten" Szene niemals akzeptiert. Auch dieser redaktionelle Offenbarungseid konnte daran nichts ändern.
Die Jahre nach 2001 sind schnell erzählt: ich las das Heft nicht mehr. Zum einen war die Hysterie um die Onkelz auf dem Höhepunkt angekommen, zum anderen war ich vom Metal und vom Heft furchtbar gelangweilt. Meine Hörgewohnheiten änderten sich, die Zeit des Rock Hard war vorbei.
Und sie ist es bis heute, wenngleich ich immer noch, und sei es nur emotional und trotz mittlerweile ausgetauschter Führungsmannschaft und Redaktion, noch mit dem Heft verbunden bin. Jedes Mal, wenn ich "Facelift" von Alice In Chains auf den Plattenteller lege, muss ich an Kühnemunds Schlusssatz der Rezension denken - "Echter Rock'n'Roll kommt immer noch von der Straße, mitten aus dem Dreck - und ALICE IN CHAINS stinken wie die Schweine! " - und daran, dass er in Ermangelung einer passenden Schublade die Band in den Bereich des "Street-Metal" einsortierte (was auch die Frage provoziert, was zum Fick denn jemals Street Metal gewesen sein soll). Bei jedem Hören von "Killing In The Name" von Rage Against The Machine flüstert mir Herausgeber Stratmann ins Ohr, dass die Platte demnächst in jeder guten "Alternative-Zappelbude" laufen wird. Und er hatte recht. Stratmann hatte zu jener Zeit Anfang der neunziger Jahre immer ein gutes Näschen für die neuen Hits. Stratmann hatte wenigstens eine Idee von Geschmack. Stratmann wusste was geht - und was nicht geht.
Gebröckelt hat diese Fähigkeit zur unfallfreien Navigation durch die Untiefen einer im schlechtesten Sinne mehr und mehr indifferent gewordenen Szene in den letzten Jahren, in denen ich die Inhalte und Entwicklungen im Heft noch am Rande mitverfolgte, mehr als ein Mal, und so holte man sich so einige Musiker und Bands ins Heft, die in dem ein oder anderen Genre eine monatelange Diskussion zur Grauzone ins Rollen gebracht hätten - in der Metalszene der Nuller Jahre herrscht dagegen weitgehend stoische Lethargie. Watain, Drudkh ("zwielichtig (...), aber besonders gelungen" - Dorian Gorr), Burzum - letztgenannte wurden als Erschaffer einiger echter Meilensteine des Black Metal gefeiert; textlich vielleicht nicht ganz einwandfrei, ideologischer Fixpunkt des National Socialist Black Metal (NSBM) aber hey: die Platten sind legendäre Szeneklassiker.
Und sie sind natürlich ein rechter, faschistischer, menschenverachtender Quadratscheiß, dafür aber einer, der mittlerweile in der Mitte der Szene angekommen ist. Es ist absurd (no pun intended!), dass wir einerseits davon sprechen, wie sehr Metal als Kunstform mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert ist, während andererseits die politische Debatte über den Standpunkt der Szene vollkommen zum Erliegen gekommen ist.
"Metal war schon immer unpolitisch." - Ja, und Du warst offenbar intellektuell schon immer ziemlich übersichtlich veranlagt, denn es geht sich halt einfach partout nicht aus: mein Metal war nie unpolitisch. Er war albern, pubertär, manchmal geschmacklos - aber er war eben nie unpolitisch.
Stratmann hat mittlerweile sein Mojo wohl endgültig verloren.
Ich habe gestern gesehen, dass nach einem Interview in Ausgabe 304 aus dem Jahr 2012 im aktuellen Heft tatsächlich schon wieder ein Interview mit den Schwachstromelektronikern von Freiwild zu finden ist. Geführt von Jan Jaedike, der seit 1993 für das Heft schreibt und traditionell aus dem Punk- und Hardcorebereich kommt - Discharge, 7 Seconds, Napalm Death, Leatherface, The Exploited - jetzt also Freiwild:
"Die Mischung aus Rock, Punk, Pathos und einer nach wie vor unüberhörbaren Schlager-Affinität funktioniert auf dem Doppelalbum (!) besser denn je. Die erste Single ´Wir brechen eure Seelen´ entpuppte sich bereits als Ohrwurm mit anständigem Punch, und auch sonst servieren der kreative Alleinherrscher Phillip Burger (g./v.) und seine Mitstreiter einen Reigen, der zwar immer wieder in latenter Schunkelei wildert, aber - jetzt mal ehrlich - das gesamte Gedöns ähnlich gestrickter Top-Ten-Konkurrenten locker in die Tasche steckt." (Jan Jaedike)
Spätestens jetzt darf man überlegen, dem Dortmunder Magazin beide emporgereckte Mittelfinger zu zeigen.
Jungs, Ihr habt echt den Schuss nicht mehr gehört.
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Sascha Hehn
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