SHEILA JORDAN - PORTRAIT OF SHEILA
Eine echte kleine Rarität, und das auf mehreren Ebenen. "Portraits Of Sheila" der US-amerikanischen Jazz-Sängerin Sheila Jordan ist eine von nur zwei Vocal Jazz-Aufnahmen, die Blue Note, das vielleicht berühmteste Jazzlabel der Welt, unter der Ägide der beiden Gründer Francis Wolff und Alfred Lion veröffentlichte (das andere stammt von Dodo Greene, heißt "My Hour of Need" und erschien im Jahr 1963 - wäre nebenbei gesagt auch mal schön, darüber zu schreiben, wäre es nicht?). Blue Note hatte bis zur Veröffentlichung von "Portrait Of Sheila" im Jahr 1962 die strikte Regel, keine Gesangsaufnahmen zu veröffentlichen. Nachdem Alfred Lion Jordan allerdings im Page Three Club in Greenwich Village live sehen und hören konnte, wurde die Regel zum ersten - und nach Dodo Greenes Album für die nächsten acht Jahre auch einzigen Mal gebrochen: 1970 hieß die Platte "Worth Waiting For..." und wurde von Joe Williams eingesungen; da war Blue Note aber schon an Liberty Records verkauft worden und Lion, der sich innerhalb der größeren Liberty-Organisation nicht zurechtfand, ab 1967 bereits in Rente. Heute sind die genannten Labels übrigens unter dem Scheißhausdach von Universal Music versammelt. Schon toll, diese globalisierte Weiterentwicklung.
"The more I heard her, the more moved I was by her extraordinairy talent."
(Alfred Lion)
Jordan selbst, im Jahr 1928 geboren, lehnte bis zu dem Angebot seitens Blue Note jede Offerte für eine Aufnahme ab, weil sie ihre künstlerische Freiheit von den Label-A&Rs bedroht sah. Alfred Lion ließ ihr indes künstlerisch komplett freie Hand, sieht man davon ab, dass er Jordan von der Umsetzung der ursprünglichen Idee abriet, das Album ausschließlich mit Bass und Stimme einzuspielen. Es dauerte nach "Portrait Of Sheila" bis ins Jahr 1975, bis Jordan die zweite Platte unter eigener Führung veröffentlichte: "Confirmation" auf East Wind Records, einem 1977 aufgelösten Jazz Label aus Japan.
Als drittes Mosaik im angesprochenen Raritätenstadl fungiert zuguterletzt die Tatsache, dass Herr Dreikommaviernull das Album in sein Herz geschlossen hat, obwohl sich eine Jazzgitarre durch die 12 Kompositionen würmelt. Für mich ist das üblicherweise Grund genug, nicht mal im Ansatz Interesse auch nur vorzugaukeln, auf "Portrait Of Sheila" ist das etwas anders. Denn es ist in erster Linie Jordans umwerfende Stimme, die dieses Album prägt und es dirigiert, und es sind auch die Arrangements, gerade zwischen dem Bassspiel von Steve Swallow und Sheila, die hier jeden Ton angeben. Umwerfend ist in diesem Sinne das intime und auch irgendwie naive "Dat Dere", das tatsächlich nur mit Bass und Stimme eingespielt wurde. Mit welcher Elastizität und mit welchem Verve Jordan mit ihrer Stimme spielt, wie sie hüpft und immer wieder auf dem exakten Ton ankommt, wie sie kreiselt, spricht, klettert und wieder fällt ist besonders bei detaillierter Beschäftigung ein Hochgenuss. Es ist in diesem Zusammenhang keine große Überraschung mehr, dass ihre Stimme durch das Nachsingen der Trompete Charlie Parkers gestählt wurde. Wer "Dat Dere" hört weiß, was ich meine.
Ich erwähnte eben die Intimität und dies ist auch darüber hinaus ein gutes Stichwort. Besonders die Balladen ziehen mich in ihren Bann, so sparsam instrumentiert sie auch immer sein mögen. Die Produktion von Rudy van Gelder lässt ihnen so viel Luft wie möglich, die die Band, mit dabei sind neben Swallow außerdem Gitarrist Barry Galbraith und Drummer Denzil Best, nicht etwa im Sinne einer Überlast, sondern im genauen Gegenteil: im Weglassen von Noten ausfüllt. Hier entstehen die beeindruckendsten Momente dieser Aufnahme, wie beispielsweise in "Who Can I Turn To Now", einer feingliedrigen und doch so mächtigen, eindringlichen Komposition.
Wer nun eine Schwäche für alte Vocal Jazz Aufnahmen hat, übersehene Perlen des Blue Note Katalogs neu entdecken will oder auch nur den Unterschied zu dem Mainstream Gewäsch des heutigen Blue-Note-Universal-Major-Label-Holladrios erforschen möchte, dem hat das auf Reissues spezialisierte Label Heavenly Sweetness einen großen Gefallen getan: die Platten sind hübsch aufgemacht, klingen hervorragend und erscheinen auf schwerem 180 Vinyl. Zusätzlich sind es in aller Regel die übersehenen, längst vergriffenen Werke, die sich das Label zur Wiederbelebung ausgesucht hat, unter anderem auch das grandiose zweite (und leider letzte) Blue Note Album von Posaunist Grachan Moncur III "Some Other Stuff". Viele gute Gründe.
Erschienen auf Blue Note, 1963.
Reissue erschienen auf Heavenly Sweetness, 2014.