23.06.2014

Methadon-Funk



THIRD COAST KINGS - WEST GRAND BOULEVARD


Solange die derzeit beste Neo-Funk-Combo der Welt, Orgone aus Kalifornien, nicht mit einer neuen Platte um die Ecke kommt, muss ansatzweise gleichwertiger Ersatz her. Mein letzter Besuch bei den Stuttgarter 2nd Hand Records-Jungs, eine Art Druckraum für süddeutsche Vinyljunkies, brachte eine frisch aufgezogene Spritze Deep Funk in die (Einkaufs)Tüte: "West Grand Boulevard" ist das zweite Album der Third Coast Kings aus Michigan. 

Die Coverästhetik könnte geradewegs aus dem Vorspann einer Krimi/Polizeiserie der 70er Jahre gemopst worden sein, die Widmung auf dem Backcover, mit diesem Album besonders dem Detroit Sound der sechziger und siebziger Jahre nachzueifern und ihn damit zu ehren, sowie das Bandfoto ließen mich aufmerksam werden. 2nd Hand-Rainer wirkte um 5 Minuten vor Ladenschließung zwar etwas müde, als er "Hab' in einen Song reingehört,  hat mich jetzt nicht sooooo umgehauen." sagte, öffnete aber liebenswürdigerweise die Versiegelung und ließ mich noch schnell ein Ohr riskieren. Nach 2 Minuten war für mich alles klar. 

"Shut up and take my money!"

Das Nontett spielt auf "West Grand Boulevard" einen über weite Strecken lässigen, manchmal - und vor allem bei den Songs mit Gesang - aber durchaus eindringlichen Mix aus Deep Funk, R'n'B und Soul und gesellt sich damit zur Gruppe der aktuell recht erfolgreichen Soul'n'Funk Clique um Sharon Jones, Charles Bradley, den Monophonics, den Dap Kings oder den Soul Investigators. Es mag legitim sein. dazu empört "Pastiche!" zu rufen, und es ist immer etwas fragwürdig, die Kopie derart markant zum manchmal einzigen Stilmittel zu machen; noch dazu warten vermutlich noch Legionen vergessener Perlen wirklich alter Soul und Funk Musik darauf entdeckt zu werden. 

Solange mir das Hören und die Auseinandersetzung mit solchem Sound einerseits soviel Spaß machen und ich andererseits darüber immer wieder förmlich dazu getrieben werde, auch nach den genannten alten Perlen zu tauchen, kann ich davon nicht wirklich genug bekommen. "West Grand Boulevard" ist ein starkes Album geworden. Seit fünf Wochen in der Heavy Rotation.

Ein Hinweis an Vinylfreunde: leider fehlt der Platte ein Downloadcode - wer sich die Songs auch für unterwegs auf die Ohren knallen lassen will, muss wohl oder übel nochmal sieben Schleifen für den Bandcamp-Download investieren. Da die Band offensichtlich nicht Schampus aus goldenen Badewannen schlürft, kann man das schon mal machen. 



Erschienen auf Record Kicks, 2014.

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