31.05.2014

Tanzschule



KEV BEADLE PRESENTS PRIVATE COLLECTION
Independent Jazz Sounds from the 70s and 80s

Die Liste der Platten, die teils schon seit Jahren auf eine ausführliche Behandlung innerhalb dieser 3,40qm warten, ist Legion. Und immer wieder dann, wenn ich vor dem Regal stehe und mir den nächsten Kandidaten für eine gemeinsame Runde auf dem Plattenteller aussuche, stolpere ich über genau jene Scheiben, die schon auf zig Notizfetzen, ob nun virtuell oder analog, verewigt wurden, auserkoren für drei halbsteife Sätze, die ich zu irgendwas prachtvoll erigiertem hochjazzen will. Weil's mir halt doch manchmal wichtig ist, sie zu würdigen - man verbringt bisweilen viel Zeit mit ihnen, verwächst mit ihnen und manchmal, im besten Fall, tragen sie mit dazu bei, dass sich das Leben ändert. Weil sie einen neuen Weg zeigen, weil sie inspirieren.

Für gewöhnlich stehen insbesondere die alten Helden aus meiner musikalischen Blütezeit auf diesen Notizen, wie kürzlich am Beispiel von Nirvana dargestellt, mit denen man nicht nur wegen einer anderen Lebenssituation als Teenager, Schüler und quadratpickliger Pubertätshohlklotz mehr Zeit verbracht hat. Dennoch lege ich wert darauf, dass ich mir die Begeisterung für Neues nicht madig machen lasse - nicht umsonst muss ich jedes Jahr aufs Neue darauf hinweisen, dass die vergangenen zwölf Monate aus musikalischer Sicht die besten seit circa immer waren. Das muss dann inhaltlich nicht mehr viel mit 1991 zu tun haben (und wenn es das täte, könnte ich mir meinen schönen Satz tatsächlich dahin tätowieren, wo die Sonne niemals scheint), aber man entwickelt sich ja weiter. Was ja auch so super ist: wenn 1990 ein Musikredakteur eine neue Metalplatte rezensierte und etwas von "Weiterentwicklung" schrub, wusste man, dass man besser die Finger von der Platte lässt. Heute ist Weiterentwicklung sexy und urban, manchmal geht sie auch horribly wrong, so wrong, wie man es sich nichtmal im ärgsten Alptraum hat vorstellen können, aber grundlegend ist das ja alles gut. "Weiter, immer weiter" wusste schon der Hulk des Fußballabiturs und heutiger mopsfideler Aasgriller O.Kahn ins Mikrofon zu sprotzen, und sofern man sich nicht mittels Überdosis Muskat ins Nirwana bröseln will, stimmt das ja auch.

Wir müssen auf alle Fälle über Kev Beadles Zusammenstellung teils obskurer Jazz'n'Funk-Leichen aus den 70er und 80er Jahren sprechen, und eigentlich wollte ich das schon im vergangenen Jahr tun. Genau genommen war die Doppel-LP fest für die Bestenliste 2013 vorgesehen, rutschte aber aufgrund des Sampler-Formats von der Agenda, verbunden mit dem dürren Gedanken, im Rahmen einer Art Nachglühkabinett jene Platten explizit vorzustellen, die es, gleichwohl wichtig und toll, aus welchen Gründen auch immer nicht geschafft hatten. Die Zeit rast - jetzt ist's beinahe Juni und so sehr ich mich um Konstanz (nicht die Stadt) bemühe, manchmal saust es halt doch schon ganz ordentlich an mir vorbei.

"Private Collection" ist das Ergebnis von Jahrzehnten harter Arbeit des britischen DJs Kev Beadle, der in den neunziger Jahren zusammen mit Gilles Peterson und Bob Jones damit anfing, dem Jazz auf die Tanzflächen Camden Towns zu helfen. Bei der Auseinandersetzung mit dieser Platte darf man sich von den gängigen Jazz-Klischees getrost verabschieden, und vor allem von denen, die sich durch den furchtbaren Mainstream-Jazz der Achtziger entwickelten. Weder handelt es sich um minutenlange Soloeskapaden, noch um wehenden Freejazz-Noise der wilden, freien Sechziger, noch weniger geht es um die gelackten und windelweichen Schulterpolstersakkoträger der achtziger Jahre, die ihr Saxofon manchmal nur dazu verwendeten, die Brötchenkrümel vom achteckigen, schwarzlackierten Frühstückstisch aus Marmor zu blasen. Und mit der unsäglichen Fusionmuckerwichse hat dieser hier präsentierte Sound auch nichts zu tun: das ist wirklich alles wirklich tanzbare wirkliche Musik. Wirklich. Keine Erinnerungen an James Last und keine weichgezeichneten Bilder aus der Glotze, die man vielleicht vom elterlichen Fernsehabend noch kannte. Dafür ist die "Private Collection" ein hochmusikalisches, manchmal exotisches, schwer groovendes, immer hell ausgeleuchtetes Abbild der damaligen Zeit und der Menschen, die in ihr lebten. Was es zu hören gibt, ist mal eine Spur bekannter wie Irakeres “Chekere Song“ oder der Smasher "Freedom Road" der Pharaos, deren "The Awakening"-Scheibe 2013 auf Ubiquity wiederveröffentlicht wurde, mal aber komplett unter jedem Radar: “Open Your Mind“ des Southern Energy Ensembles, über das man selbst heute fast nichts erfahren kann, außer dass im Jahr 1993 ihre einzige Platte (als Re-Issue?) auf Black Fire erschien, oder auch das großartige “Brotherhood“ von Kamal Abdul Alim.

Beadles Zusammenstellung lag zu zahllosen Gelegenheiten auf dem Plattenteller und es ist eine dieser Platten, die es seit dem Erwerb noch nie in das extra vorgesehene Jazz/Funk/Soul-Regal schafften. Immer griffbereit, immer in der Nähe im Neuheiten-Fach - man könnte ja auch mal kurzfristig Lust darauf bekommen. Jetzt, im sich langsam ankündigenden Sommer, wird sich daran auch nichts ändern. Fast schon ein Standardwerk, das allerdings, und auch darauf ist an dieser Stelle hinzuweisen, in jedem Format eine andere Songauwahl auffährt. Vinyljunkies bekommen neun Songs, CD-Anhänger derer zwölf und wer sich den Kladderadatsch als MP3 Download besorgt erhält gleich 16 Tracks.






Erschienen auf BBE Records, 2013.





25.05.2014

Monsters of Tanzbrunnen

Einen kleinen Nachtrag noch zum Nirvana-Kniefall des vorangegangenen Postings:

Ich stieß kürzlich auf dieses unten eingebettete und außerdem ganz ironiefrei wunderbare Video bei Youtube, das Nirvana am 24.August 1991 auf der Bühne des Kölner Tanzbrunnen zeigt, also einen knappen Monat vor der Veröffentlichung von "Nevermind". Der Anlass war das 1991er Monsters of Spex-Festival.

Hierzu sind drei Auffälligkeiten festzustellen:

Erstens: Cobain hatte, im Gegensatz zu der Zeit nach dem großen Erfolg, noch Bock auf "Smells Like Teen Spirit" und spielte den Song so, wie er vermutlich auch gespielt werden sollte.

Zweitens: wie geil die Songs von "Bleach" alle sind!

Drittens: wenn man sich das komplette Video anschaut, und die halbe Stunde darf man schon mal investieren, dann wird man feststellen, wie das Publikum mit fortschreitender Spieldauer immer weiter auftaut. Wo die Reaktionen während "Drain You" noch übersichtlich sind, und ich davon ausgehe, dass nur zwei Handvoll Zuschauer die Band bereits kennt, will man das Trio am Ende gar nicht mehr von der Bühne lassen - was in ein großes Pfeifkonzert mündet, als die geforderten Zugaben ausbleiben.

Und Cobains Gitarrenschmeißeinlage zum Ende des Sets ist großartig. Man achte auf die Gesichter der am linken Bühnenrand stehenden Typen. Es ist köstlich.







21.05.2014

OH SCHEISSE, DU LEBST!



NIRVANA - LIVE AT READING

Im Rahmen meines Livereviews (sowas müsste ich eigentlich viel öfter hier machen, ne?!) zum "Newermind"-Sampler aus dem Jahr 2011, und es löst weniger Schrecken denn Resignation aus, dass das schon wieder fast drei Jahre her ist, schrub ich:
Es ist nicht so, dass ich keinen Grund hätte, über Nirvanas "Nevermind" zu schreiben. Nachdem die Elogen zum zwanzigjährigen Jubiläum im Spiegel, in der TAZ, in der Süddeutschen sowie im Metzgerfachblatt "Tanz, Du Sau!" an uns vorbeigezogen sind, natürlich immer mit einer kaum bis extrem stark auffälligen Vermischung von redaktionellem Inhalt ("Sprachrohr einer Generation", "Verzweiflung", "So jung kommen wir nicht mehr zusammen!") mit plump und clever platzierter Werbung ("DIE DICKE JUBILÄUMSBOX ZUM JUBILÄUM! JUBILÄUM! JUBILÄUM! NUR 800 EURO! JUBILÄUM!"), könnte ich ja mal so tun, als ob sich irgendeine alte Sau noch dafür interessiert, was ich über "Nevermind" zu sagen hätte. Das Problem ist jedoch, dass ich mich nach zwanzig Jahren selbst nicht mehr dafür interessiere, wie ich über "Nevermind" denke.
"Nevermind" ist längst in meinen Knochen verbaut. Ich muss das nicht mehr mit allen verfügbaren Floskeln analysieren, zumal niemand, der die Explosion (zuerst) und die Implosion (später) live und in Farbe miterlebte, es jemals analysieren wollte. Es war einfach da, und es war überwältigend. Und das war mehr als ausreichend. Wir wären vermutlich alle wahnsinnig geworden, hätten wir wie vom Teufel getrieben unsere Gedanken und Gefühle reflektieren und erklären müssen. Es fühlt sich falsch an, über "Nevermind" heute noch mehr Worte zu verlieren.

Und, leicht pathosverstrahlt:
Ich weiß nicht, wem es nützt. Aber wer vielleicht ein letztes Mal hinter seine Songs und diese Wand aus Gitarren und einem donnernden Schlagzeug blicken will, der kann selbst in schwachen Momenten dieser Zusammenstellung viele beeindruckende und verbindende Elemente in "Nevermind" finden, die jede Veränderung und jede Lage aushalten. Eine Art universeller Aura, die in jedem Song mit glühender Leidenschaft erstrahlt.


Das ist in meinem Buch einerseits immer noch alles ziemlich richtig, andererseits ist es auch schon bemerkenswert, dass ich in diesen freien, unabhängigen und lediglich meiner Selbst verpflichteten 3,40 Quadratmetern außer diesen oben stehenden Zeilen noch nie ein nennenswertes und weiteres Wort über die vielleicht wichtigste Band meines Lebens verloren habe.

In meinem allerersten Blogpost überhaupt, und wir wollen uns jetzt galant anschweigen, dass der sogar schon knappe sieben Jahre zurückliegt, teilte ich "Nevermind" immerhin noch in die Reihe musikalischer Erleuchtungen ein:

Musikalische Erleuchtungen gab es in den Jahren 1982 (Roland Kaiser, "Santa Maria"), 1986 (Iron Maiden, "Live After Death"), 1991 (Nirvana, "Nevermind"), 1997 (Tool, "Aenima") 1999 (Neurosis, "Times Of Grace") und 2005 (John Coltrane, "A Love Supreme"), davor, dazwischen und danach allerhand Großartiges, Inspirierendes und zum Speien Furchtbares.


Das war's dann auch vorerst mit der Restverwertung und ich will mich mitnichten dazu hinreißen lassen, mir nun wirklich dreiundzwanzig Jahre später "Nevermind" explizit vorzuknöpfen. Aber, und das verdanke ich einer neuerlichen Tournee durch die Frankfurter Plattenläden und einem spontanen Impuls, dem ich bis zu jenem Freitag im Mai jahrelang aus dem Weg gehen konnte: wir müssen über Nirvana sprechen.

Wir müssen darüber sprechen, dass ich ohne Kurt Cobain heute keine Gitarre spielen würde. Dass ich ohne seinen Tod niemals mehr die seit 1989 in der Ecke vor sich hin staubende Akustikgitarre angefasst und mir mit der von MTV praktisch rund um die Uhr gesendeten "Unplugged"-Session das Gitarrespielen beigebracht hätte. Und Cobains Dropped-D Tunings bei "On A Plain" einfach nachmachte, ohne einen blassen Dunst von dem zu haben, was Kurt da treibt. Von Noten oder auch nur Akkorden hatte ich keine Ahnung, ich schaute einfach nur auf seine Finger. Und ich sang dazu - was mir, der Ausflug in die heutige Zeit sei mir an dieser Stelle gestattet, selbst heute noch zu Gute kommt.

Wir müssen darüber sprechen, dass ich noch genau weiß, wo ich war, als ich zum ersten Mal "Smells Like Teen Spirit" hörte: es war im Wohnzimmer der frisch verkabelten elterlichen Wohnung, dunkelbraune Auslegeware, braunes Noppensofa (Mutmaßungen, was ein Noppensofa ist gerne in die Kommentarspalte), ein schwerer, gleichfalls dunkelbrauner Raumteiler so groß und schwer wie die verfickten Alpen. Halbgrauer Herbstnachmittag, MTV. Ich hatte noch nie einen Ton von dieser Band gehört, aber mir knallte alles durch. Ich sprang über die Noppen im Sofa abwechselnd auf den Sessel, auf die 2er- und 3er-Couch, setzte zum Torjubel eines Fußballspielers an und bremste auf dem krausen Teppich mit den Knien direkt vor dem Fernseher. Es tat nicht weh, das Adrenalin unterdrückte jeden Schmerz. Diese Kraft. Was für eine Kraft das war. Es war EIN SCHREI. Ich lief am nächsten Tag in den Frankfurter WOM und brauchte unbedingt diese Single. Die Augen des Tresenmannes leuchteten, und er sprach:"Hier ist die Single, aber nimm' Dir das Album auch mit. Das ist einfach, das ist....einfach UN-GLAUB-LICH! Alle Lieder sind so gut wie die Single, das ist einfach...einfach....WHOAH!" Er hielt dabei die CD in den Händen, aber die 33,95 DM waren für einen vierzehnjährigen zu teuer. Die 17,95 für die LP hingegen waren noch knapp im Budget.

Wir müssen darüber sprechen, dass ich in den kommenden Jahren zum Kurt Cobain-Fanboy und -Look-a-Like mutierte, der noch Jahre nach seinem Tod im Frankfurter Flughafen von wildfremden Menschen mit ihm verwechselt wurde ("OH SCHEISSE, DU LEBST!") und sein bis heute zweifelhaftes Modebewusstsein mit einer prima Karohemdensammlung schärfte.

Wir müssen darüber reden, wie arg mich "In Utero" mitgenommen hat und darüber, wie ich mir ein 90er TDK-Tape mit dem siebenminütigen Bonuskrach "Gallons Of Rubbing Alcohol Flow Through The Strip" in Endlosschleife aufgenommen habe, weil es für mich letzte, endgültige Essenz dessen war, was Nirvana darstellten. Und wie dieses Bild nie klarer als auf "In Utero" zu erkennen war. Vielleicht wirklich die letzte, wirklich große Punkplatte. Als Schlusspunkt. Was für ein Statement.

Wir müssen darüber sprechen, dass ich Konzertkarten für das Nirvanakonzert am 3.3.1994 hatte, ich seit Wochen und Wochen und Wochen und Tagen und Tagen und Tagen diesem Tag entgegenfieberte und am Morgen von meiner Mutter mit den heute noch in meinem Hirn jederzeit abspielbaren Worten geweckt wurde:"Floooriiii! Aufstehen!!! Das Nirvanakonzert fällt aus!". Und darüber, dass ich einige Stunden später im weißen "In Utero"-Longsleeve mit den anderen Jüngern im Chemie-Klassenraum stand und wir uns sicher waren, dass sie das Konzert nachholen werden. Ganz schnell. Ganz sicher. Ganz schnell. Ganz sicher.

Und wir müssen darüber reden, dass ich noch genau weiß, wo ich war, als ich von Cobains Tod hörte. Meine Eltern befanden sich im Osterurlaub in Reit im Winkl und überließen ihrem Sprössling die Aufsicht über die Wohnung, wofür dieser sich mit einer, äh, kleinen Feier mit Freunden für das entgegengebrachte Vertrauen bedankte. Das war noch vor diesem ganzen Cocktailschrott, womit alles, was die Jungs und Mädels brauchten drei Kästen Bier, ein paar Päckchen Benson & Hedges und ein CD-Player war. Nachts um vier und mit vermutlich ebenso viel Promille im Blut) lief die Glotze, und als jemand den Sat1-Videotext öffnete und die Schlagzeile "Nirvana Sänger Kurt Cobain ist tot." sichtbar wurde, wurde es plötzlich ganz still auf der Noppencouch. Und auf dem dunkelbraunen Teppich. Und auf dem Balkon. Und in der Küche. Und in dem Raumteiler.

All das wurde in den letzten Wochen wieder nach oben und ins Bewusstein gespült. Der Grund dafür heißt "Live At Reading" und es sagt schon wieder einiges aus, dass fünf Jahre ins Land zogen, bis ich mir die Platte kaufte. Und es sagt vielleicht noch mehr aus, dass ich diese Songs schon so lange nicht mehr hörte, möglicherweise auch nicht mehr hören konnte. Und wie unwirklich es scheint, dass ich im Jahr 2014 hier sitze und immer noch und schon wieder weggeblasen bin von dieser Kraft, dieser Wucht. Wie geil die waren. Und wie fett sie klangen, für ein Trio gleich noch beeindruckender.

Nirvana stehen seit fast zwanzig Jahren als Heiligtum in dem großen Alpen-Raumteiler in meinem Kopf, in Ehren, nur mit den besten, den allerbesten Erinnerungen, mit einer Standleitung in beide Herzkammern. Und mit einem immer noch präsenten Blick auf die unschuldige Zeit als Teenager. Ein Teenager, der sich zum rotschwarzen Karohemd den 8-Tage-Bart ins Davidoff "Zino" Parfum seines Bruders tauchte. Der aus zwei Stunden Geschichtskurs bei Peter Weihnacht ("Geht's Ihnen gut? -"Joa?!" -"Sehen Sie - wählen sie die CDU!"), zwei Freistunden in der Höchster Wunderbar zauberte und dabei "In Utero" auf dem Walkman hörte. Der knietief im ersten Liebeskummer stand und die B-Seite der "Heart-Shaped-Box"-Single - "Marigold" - und "Where Did You Sleep Last Night" über Stunden auf Repeat laufen ließ. Der mit der ersten E-Gitarre in seinem Zimmer stand, sich die Bühnenbewegungen Cobains von Livevideos abschaute und "Bleach", "Nevermind" und "In Utero" für ein imaginäres Publikum nachspielte und am Ende des virtuellen Konzerts die typischen, minutenlangen, ultrafiesen und megalauten Feedbackorgien nachstellte. Wie unfassbar tolerant unsere damaligen Nachbarn gewesen sein müssen.

Und doch - als ich 1991 "Nevermind" kaufte, liebte, zum Grunge-Kid wurde und Freunde meiner Eltern im gleichen Atemzug was von den damals zwanzig Jahre zurückliegenden Hochzeiten Led fucking Zeppelins und der Beatles erzählten, diesem angestaubten, granatenalten, langweiligen, mies klingenden Schrott aus einer anderen Zeit für andere Menschen und für eine andere Welt, da hatte ich noch nicht auf dem Schirm, wie genau diese Welt wohl im Jahr 2014 aussehen mag und was sich ein heute vierzehnjähriger wohl dabei denkt, wenn der Blog-Onkel, dessen 8-Tage-Davidoff-Bart heute hier und da schon grau anläuft, ihm was von dieser angestaubten, granatenalten, langweiligen, mies klingenden Schrottcombo Nirvana erzählt.

Es ist schon alles sehr crazy, wenn man sich's "imaginiert" (Polt).

Erschienen auf Universal, 2009.

18.05.2014

It's Like I Shine



DOUGHBOYS - CRUSH

Da muss der eigentlich geplante Aufsatz zur vielleicht wichtigsten Band im Florianschen Musikkosmos glatt um ein paar Tage verschoben werden. Grund: eine kurze Autofahrt zum Supermarkt. Die Sonne schien und im CD Player rotierte der von der Herzallerliebsten in Auftrag gegebene Autofahrsampler vor sich hin, und als sich TV On The Radios "Wolf Like Me" dem Ende entgegenlaserte und die Doughboys mit dem für alle "Feel Good"-Zusammenstellungen reservierten "Fix Me" loslegten, ging es mir nach den neuerlichen und direkt aus dem Höllenschlund herausgekotzten zwei Wochen des Wahnsinns mit schwerkrankem Hund und kranken Katzen inklusive besuchter Tierklinik und hinzugezogenem Tiernotarzt, für die kommenden knapp drei Minuten wieder besser. "Fix Me" steht auf "Crush", dem vorletzten Album dieser kanadischen Pop-Punkband aus Montreal und ist, wie die komplette Platte, ein sonnendurchfluteter Seelenschmeichler, ein musikgewordener Sonnenaufgang, ein Balsam für Ohren, Herz und Hirn.

Es war wieder mal mein Bruder, der mich Anfang der neunziger Jahre mit dem Quartett vertraut machte. Seit dem Debut "Whatever" aus dem Jahr 1987 ein beinharter Fan, der sich jede ihrer Platten aus Kanada importieren ließ, nachdem ihm sein Kumpel Martin ein zusammengestelltes Tape ins Autoradio wuchtete. "Crush" erschien, wie die kurz zuvor als Appetizer veröffentlichte EP "Blanche", auf dem Major A&M Records und zeigte die Doughboys in jeder Hinsicht gereift. Weniger Wohlgesonnene würden nun wahrscheinlich "geschliffen" sagen, und auch sie hätten Recht. Die Band lieferte auf "Crush" zwölf blitzsauber funkelnde Pop-Punk-Hymnen mit charmanter frühneunziger Indie-Schrammel-Grunge-Ästhetik("Disposable") ab, kompositorisch bis in die letzte Tonritze und Wortsilbe ausdefiniert, klanglich auf Weltklasseniveau, melodisch bis kurz vor Kitschhausen opulent ausgerollt. Kein Anwärter auf den "Flavour of the day", ganz sicher auch keiner für die wildeste Punkabfahrt aller Zeiten, dafür grundehrlich vor sich hin bratzelnd, melancholisch, mit wunderbaren Gesangs- und Gitarrenarrangements. Auf ganz vielen Ebenen also exakt mein Beuteschema.

Die offensichtlichen Hits dieser Platte heißen "Shine" (auch als Single veröffentlicht), das bereits erwähnte "Fix Me", der fulminante Ohrwurm "End Of The Hall" und "Melt", aber es sind auch die spannend arrangierten, angeschrägten "Neighbourhood Villain", "Shitty Song" und das großartige "Fall", die, wenngleich stilistisch etwas aus dem Rahmen fallend, "Crush" erst zu einer meiner Lieblingsplatten aller Zeiten machen. Auch hier gilt: solche Bands werden heute nicht mehr gemacht. Die Doughboys lösten sich nach der nächsten, leicht schwächeren und nochmal deutlich polierteren Scheibe "Turn Me On" auf. Mastermind John Kastner, vor seiner Zeit mit den Doughboys übrigens Sänger bei den Asexuals, komponiert und produziert heute Soundtracks für Filme und TV-Shows und -Serien, ist Manager der Men Without Hats (!) und veröffentlichte 2006 sogar ein Soloalbum.

Beim Stöbern auf Youtube fand ich diese Show von 1994 und wer Lust hat, der möge mal ein Auge drauf werfen. Macht Spaß. Vielleicht. Also: mir macht's Spaß.














Erschienen auf A&M, 1993. 

04.05.2014

Tout Nouveau Tout Beau (10)


Krassofant: seit über einem halben Jahr gab es keine "Neue Besen kehren gut"-Rubrik mehr hier zu lesen. Der Thrash Countdown und der Top 20 Countdown haben nach Opfern gerufen, und sie mit den neuen Besen auch bekommen. Skandalös.

Machen wir also mal wieder mit drei neuen Scheiben weiter, die sich mittlerweile im Regal tummeln.




ACTRESS - GHETTOVILLE

Der Blätterwald der elektronischen Musik brachte für Darren Cunninghams neues Werk "Ghettoville" ordentlich die Hypemaschine ans Bratzeln; der Brite ist nicht zuletzt aufgrund der dargebrachten Zuneigung der schreibenden Zunft einer der Stars der Produzentenszene. Und selbst wenn sein letztes Album "Splazsh" es immerhin auf Platz 18 meiner Bestenliste des Jahres 2010 brachte, hinterließ es dennoch einen verwirrten Florian, der im hochkomplexen Abbild von dick aufgeschlagenen Grautönen mit minimalen Farbblitzen verloren ging. "Ghettoville" packt der Herausforderung, sich seiner Musik zu nähern, nochmal eine Schippe drauf, wenngleich es sich stilistisch ein wenig homogener als der Vorgänger präsentiert. Cunningham taucht hier noch tiefer in undurchdringbares Beatgestrüpp ein, spielt mit kontrastierenden Szenenwechseln und Fluchtpunkten und setzt die Gesamtwirkung dieses monumentalen Albums, das 16 Tracks über 3 Vinylscheiben verteilt, in den Fokus. Das kann also noch was werden, für den Moment muss ich aber hier die Segel streichen: ich raffe "Ghettoville" noch kein Stück, aber die Puzzleteile erscheinen übersichtlicher als jene von "Splazsh".

Erschienen auf Werk Discs, 2014.




SEGUE - THE HERE AND NOW

Wie schon beim Vorgänger "Pacifica" brauchte es auch bei "The Here And Now" den Hinweis von Kumpel Oli, ohne den mir das 2014er Premierenalbum des kanadischen Produzenten Jordan Sauer wohl zumindest fürs Erste durch die Lappen gegangen wäre. "Pacifica" war vor allem aufgrund seiner Abstraktion ein Juwel des vergangenen Jahres, weil es Schönheit und Freiheit aus der Ferne behandelte und dennoch so wärmend und auch tröstlich erschien. "The Here And Now" macht mir das Leben etwas schwerer: der Melodienanteil ist deutlich nach oben geschraubt worden und insgesamt schielt mir "The Here And Now" ein bisschen zu sehr auf das Indie-Metchen, das mit Strohballen auf dem Kopf und Designer-Sonnenbrille auf der Nase die Festivalsaison begehen wird. Und ich mag weder Indie-Metchen, noch Festivals. Vielleicht ist's aber auch nur meine falsche Programmierung im Kopf, die mich nicht die totale Abhuldigung durchziehen lässt - und was falsch programmiert ist, kann man auch wieder richtig programmieren. Was mit dem VHS-Videorekorder von 1983 klappte, klappt schließlich auch in meinem Hirn. Denn was trotz der folgerichtigen Auflösung der Abstraktion auch für "The Here And Now" stimmt: Segue's Musik ist immer hörenswert und seine Mischung aus Dreampop, Ambient und Dub-Techno ist selbst knietief im Kitsch watend noch wunderschön.

Erschienen auf Sem, 2014.




LEON VYNEHALL - MUSIC FOR THE UNINVITED

Ganz im Gegensatz zu den beiden vorangegangenen Alben hat mich das neue Album (6 Songs, 36 Minuten Spielzeit, und ja: für mich ist das ein Album) von Leon Vynehall sofort mit großem Doppelfisting umgeboxt. "Music For The Uninvited" ist der Soundtrack für den Frühling und den Sommer, und wenn meinereiner noch wenigstens im Ansatz fühlen könnte, wie sich ein euphorischer Einstieg in die Zeit mit Temperaturen über 15°C noch vor 5 Jahren agefühlt hat, dann würde ich nackig durch Sossenheim rennen und mich vom gestern erstmals entdeckten vollgesoffenen Nazi-Pärchen vermutlich verprügeln lassen. Kein Raum für Gewalt oder auch nur trübe Tassen auf "Music For The Uninvited": Vynehalls Deep House ist vollgepackt mit Glücksblüten aus dem Garten Eden, Pollenflug, unbefleckte Empfängnis, hemmungsloses Gerammel mit Frau Adam und Herrn Eva. Sie wissen schon. Ein Track wie "Be Brave, Clench Fists" trifft einen trotz der für gewöhnlich nicht über Gebühr tiefgehenden und anspruchsvollen Housemusik regelrecht ins Herz und lässt dort einen Impuls fallen, der mich wieder an dieses seltsame Leben erinnert. Und an die Musik. Und an die dazwischen liegende Verbindung, die manchmal durch die innere und äußere emotionale Kälte einfach nicht anpingbar ist. Vynehall schmeißt dafür den Schwerelos-Dampfreiniger an.

Erschienen auf 3024, 2014.

27.04.2014

Playlist (KW17)

Mal gucken, wie lange es hält.

Mit freundlicher Unterstützung von Last.fm, meines Plattenspielers und meines Erinnerungsvermögens: unsere 10 meistgehörten Platten für die Woche vom 21.4. - 27.4.2014.


01 Bvdub- I'll Only Break Your heart

02 Vermont - Vermont

03 Segue - The Here And Now

04 Earthen Sea - Mirage

05 Thievery Corporation - Saudade

06 Candlemass - Live

07 Kassem Mosse - Workshop 19

08 The KLF - The White Room

09 Kangding Ray - Solens Arc

10 Rainer Veil - New Brutalism

26.04.2014

Record Store Day 2014 - Teil 2

Freund Simon und meine Wenigkeit ließen es, so ziemlich unserem Naturell entsprechend, ruhig angehen, zumal keiner von uns auf der Jagd nach den mutmaßlichen Raritäten die Machete zwischen den Zähnen klemmen hatte. Ich hatte drei Titel lose notiert und wenn ich sie finden sollte, dann wäre ich durchaus glücklich. Andererseits wissen wir beide von der Preisstruktur und sahen uns ob der aufgerufenen Preise im Laden schon in den letzten Jahren mehr als nur einmal ungläubig an. Die Chancen auf Erfolg standen also so  oder so nicht gerade blendend. Ein Kaffee auf der zugigen Sonnenterasse, bevor wir uns zur ersten Station aufmachen: Lucky Star Records in Bornheim. Der inklusive Klo 24qm kleine Laden in der Heidestraße hatte im vergangenen Jahr sogar ein kleines Feature in der Frankfurter Rundschau und ist als einer von vier teilnehmenden Frankfurter Plattenläden beim Record Store Day dabei, 2014 bereits zum dritten Mal.

Es ist kurz nach 12 Uhr, als wir ankommen, und Inhaber Günter Henn berichtet, der Laden sei direkt nach Öffnung um 11 Uhr aus allen Nähten geplatzt. Davon zeugt das beinahe leergeräumte "RSD 2014"-Fach. Waren die Heuschrecken also schon da. Ich mag den Lucky Star, der besonders in Sachen Jazz, Soul/Funk und Stoner- und Doom Metal das ein oder andere unerwartete Schätzchen führt. Ich finde nicht allzuoft etwas, aber der Laden hat Charme. Und hätte ich die zweite Danzig-LP nicht schon im Schrank stehen, hätte ich sie zum fairen Kurs von 20 Euro dieses Mal mitgenommen.

Weiter geht's zu meinem persönlichen Frankfurter Favoriten: Big Black Records in der Eisernen Hand. Bei meinem ersten Besuch 2009 war ich schon Feuer und Flamme für diese unbekannte Chaosperle Frankfurts: der große Verkaufsraum war mit Stehlampen, Staubsaugern, Radios, Fernsehern und tausenden Schallplatten vollgerümpelt, und wer an die Kisten mit dem schwarzen Gold wollte, musste mit dem ganzen Krempel erstmal Tetris spielen. Die Kundschaft aus dem Nordend-Kiez, die sich reparierte Handys, Plattenspieler oder Radios abholt, ist immer für einen Lacher gut und unterstützt so die luftige, entspannte Atmosphäre des Ladens. Der Inhaber, ein extrasympathischer und sehr hilsbereiter, lockerer Typ, hat indes in den letzten Monaten etwas klar Schiff gemacht, das war am Samstag deutlich zu sehen. Das Repertoire umfasst sämtliche relevante Stilrichtungen, die Preise sind in der Regel absolut fair und außerdem gibt es nicht selten einen schönen Rabatt. Ich entdeckte Ministrys "Psalm 69" und eine alte Gil Scott Heron 12-Inch ("Space Shuttle" von 1991) und freute mich wie Bolle. Big Black nimmt nicht am Record Store Day teil, aber dieser Geheimtipp ist immer fester Bestandteil eines jeden Ausflugs in die hessische Vinylhölle.

Nächste Station: Sachsenhausen. Oder, wie wir Kenner sagen: Hachsensausen.
Sickwreckords in der Schulstraße ist eine Institution in Sachen Punk, Hardcore, Ska, Indie, Garage, Rockabilly und Reggea, außerdem gibt's ein großes Angebot für Jazz und Black Music-Aficionados. Sickwreckords nahm am Record Store Day teil und hat, um die RSD-Platten auszustellen, den Probehör-Plattenspieler für diesen Tag eingemottet. Das ist zwar doof, aber wenn man auf der Jagd nach den heiligen RSD-Scheiben ist, dann findet man hier das größte Angebot in ganz Frankfurt (keine Kunst, aber hey!). Ich fand meine drei Favoriten nicht, aber hätte ich viel zu viel Geld und außerdem einen Hirnschaden, dann hätte ich vielleicht die 18 Euro (!) für eine 12"-Maxi (!!) von Charles Bradley bezahlt. Oder die 30 Euro für die verdammte Oasis "Supersonic"-Maxi. Ein Song, der schlappe zwanzig Jahre auf dem Buckel hat. Die nächste Frage ist rhetorisch, weil ja jeder die Antwort schon kennt, aber sei's drum: wird sowas wirklich gekauft? Zu den Preisen?


Was sich der Herr Dreikommaviernull gönnte: die geile Candlemass "Live"-Scheibe aus dem Jahr 1990 - ein Klassiker aus einer Zeit, in der man Metal noch hören konnte, ohne sich dabei vollzukotzen, "The White Room" von The KLF (dummerweise mit praktisch unsichtbarem, dafür aber leider deutlich hörbarem Längskratzer), Soundgardens "Loud Love" 12" mit grandiosem Pressfehler (die Platte ist schlicht nicht zentriert gepresst, was den Tonarm zu wilden Salsa-Abfahrten anstachelt - noch nie gesehen, sowas) und eine krude, aber dafür höggschd (Bundesjogi) interessante Platte einer ebenso kruden wie interessanten Band: "Sinister Funkhouse #17", das Debut von Last Crack. Der Nachfolger "Burning Time" (produziert von Dave Jerden) ist so eine Art vergessene Perle des Metals oder des Alternative Rocks - so genau lässt sich das bei Last Crack nicht sagen, was auch gleichzeitig ihr größtes Problem war: musikalisch zwischen allen Stühlen, dazu auf einem reinen Metallabel (Roadrunner) - eher hätte man im hochsommerlichen Freibad eine Skiausrüstung verkaufen können, als im musikalischen Klima Anfang der neunziger Jahre eine solche Band zu vermarkten. Egal. Mein Geheimtipp für diese Woche: Last Crack. Kaufen. Lohnt.

Wir fallen aus dem Sickwreckords raus und in den No.2 hinein - die Läden liegen nur wenige Meter auseinander und es bietet sich an, immer einen Blick in beide Häuser zu werfen. Der No.2 in der Wallstraße ist nach dem Brand im Jahr 2009 und dem anschließenden Umzug in die neuen alten Räume der OP-Saal unter den Frankfurter Plattenläden. Hier könnte man auf dem Fußboden problemlos eine Herz-OP durchführen: sehr aufgeräumt, eine sehr klare Struktur und sehr viel Platz. Die Platten passen sich in 49 von 50 Fällen diesem Niveau an und sind immer in piekfeinem Zustand. Ab und an finde ich in der Metalabteilung ein lange gesuchtes Schätzchen, beim restlichen Programm wird die Luft immer etwas dünn für mich, zumal die Herrschaften wissen, welchen Preis sie auf die Platten pappen können. No time for Schnäppchen. Folgerichtig ging ich auch dieses Mal mit leeren Händen nach Hause.

Letzte Station unseres Trips war Mythos Records in der Höhenstraße in Bornheim, ein Laden, den Simon und ich beim letzten Besuch als nicht besinnungslos überragend empfanden, der aber, als ich im Dezember mit Freund Jens dort die Regale durchforstete, einen deutlich besseren und sympathischeren Eindruck machte. Auch dieses Mal war es ein angenehmer Aufenthalt, obwohl ich auch hier das Portemonnaie in der Tasche ließ. Besonders im Alternative/Indie/Punk-Fach tummelt sich die ein oder andere schöne Scheibe, preislich durchweg im Durchschnitt. Kann man also schon machen. Inhaber Christos, der den beiden Jungs, die bereits im Sickwreckords augenscheinlich in erster Linie auf der Jagd nach Record Store Day-"Raritäten" (hihi) waren, auf ihre Frage,wo denn der heiße RSD-Scheiß zu finden sei, gleich eine Absage erteilte ("Da mach' ich nicht mit!"), erzählte uns anschließend auch noch seine Sicht auf das Konzept des Record Store Days. Viel zu viel Arbeit, viel zu viele wirre Emails und Telefonate, viel zu viele Idioten - und da man den ganzen Krimskrams, den man bestellte und vielleicht sogar geliefert bekam, ja auch nicht zurückschicken kann, sitzt man am Ende auf einem (Andrea) Berg Platten, die keiner haben will. Kein neues Problem: selbst der kleine Rough Trade Schuppen in London hatte noch schön die "RSD 2010" und "RSD 2011" Fächer rumstehen. Im Jahr 2012, wohlgemerkt.

Angeblich war auch "CDs am Goethehaus" Teilnehmer, allerdings nur auf Basis von Vorbestellungen, weshalb wir hier nicht reinschauten. Und, und das ist jetzt richtig schlimm, beziehungsweise haarsträubend: Memphis Records, ein mir noch unbekannter Laden in der Friedberger Landstraße, hat auch teilgenommen. Und ich wusste es nicht. Ich wusste nicht mal, dass es den Laden gibt. Das muss nachgeholt werden. Simon: das müssen wir uns bei Gelegenheit ansehen!

Vinyl saves!

22.04.2014

Record Store Day 2014



Allmählich entwickelt sich der Record Store Day zu einer Art Katatrophengaffen - man möchte eigentlich nicht hinsehen, dackelt aber dann doch in die erste Reihe, um vielleicht etwas zu erhaschen, in diesem Fall also: zu kaufen. Kaufen, kaufen, kaufen. Wir müssen immer alles kaufen.

Was als weithin unschuldiges Konzept zur Rettung der lokalen und unabhängigen Plattenläden begann, ist mittlerweile und zum großen Teil eine von Majorlabels gekaperte und durchkommerzialisierte Peinlichkeit geworden, die die für gewöhnlich mit Spinnweben versehenen Kartoffelpupser aus ihren 40qm Heimat herauslockt, damit die neuen Sammlerstücke bald einziehen dürfen. 500 vermeintlich exklusive Veröffentlichungen waren es im Jahr 2014, und mal ganz davon abgesehen, dass man sich schon fragt, wer diesen ganzen Scheiß mit Reis eigentlich kaufen soll, vor allem den völlig unbekannten Krempel, hat ein Plattenvertrieb wie Kudos aus London für die Wochen rund um den Termin am 19.4. schon die Segel gestrichen.

So groß die Faszination für Schallplatten und das Abtauchen in die Parallelwelt Plattenladen auch sein mögen, so unsinnig ist mittlerweile der ursprüngliche Ansatz geworden. Der Record Store Day fördert nicht den Erhalt lokaler Plattenhändler, er fördert viel mehr den Sammel- und Exklusivitätswahn, der seit dem Vinyl-Revival so oder so schon jeden 2nd Hand Dealer in Beschlag genommen hat. Dem man allerdings im Zweifelsfall keinen Vorwurf machen kann: wenn jemand einen dreistelligen Eurobetrag für eine Schallplatte bezahlen mag, die er an anderer Stelle auch für 20 Euro bekommen kann, dann ist das nicht seine Schuld. Dass aber auch im Vinylland jede Kompassnadel verrückt spielt, die den gesunden Menschenverstand versucht zu markieren, ist seit einigen Jahren nichts Neues mehr. Solange die Macher des Record Store Days weiter mit intransparenten Auflagenzahlen und ebenso undurchschaubarer Verteilungsstruktur fortfahren, fördern sie genau das Gegenteil des eigentlich sympathischen und sogar wichtigen Ziels: die Plattenläden sind einmal pro Jahr voll, zumindest für die halbe Stunde, bis die ganzen hochwertigen und raren Boxsets, Represses und bunte Vinyle von den Heuschrecken ausverkauft sind, die sie zwei Stunden später für den zwanzigfachen Preis auf Ebay und Discogs hochladen, danach kehrt jedoch wieder die ohrenbetäubende Ruhe zurück. Und die Sammelhengste kaufen die neue Bob Dylan Scheibe auf Amazon, die Rarität für drölf Trilliarden Euro bei Discogs. Aus Chile. Oder Japan. Hauptsache Italien, beziehungsweise: alles total lokal.

Der Record Store Day ist ein kurzfristiger Impuls, meinetwegen auch eine kurze Erinnerung daran, dass es da draußen auch noch Realitäten gibt, die Ladenpacht, Personalkosten und Existenzangst heißen. Und dafür ist es gut. Sehr gut sogar, das steht außerhalb jeder Diskussion. Aber in derart schnellen, oberflächlichen und vergesslichen Zeiten, in denen die Mobilgurke mit Spiegel Online-Eilmeldungen und Kriegstickern vollgepackt ist, die virtuelle Warteschlange für die nächste angesagte Hollywoodserie immer größer wird und selbst der stetige Konsum von Information uns mit einem leeren Bauch, Herz und Hirn zurücklässt, weil alles nur noch Selbstzweck und Pose ist, ist der Effekt so schnell verpufft, wie das Lippenbekenntnis "So kann das hier alles nicht weitergehen" den Weg ins Freie findet.

Das ist die eine Seite. Und weil alles ambivalent und vielschichtig und in Millionen Grautönen abbildbar ist, gibt es auch noch die andere Seite: der Florian, der watschelt auch jedes Jahr in die Frankfurter Plattenläden. Selbst und ganz besonders in jene, die dem Klimbim eine Absage erteilt haben, weil sie weder die 125 Euro Teilnahmegebühr bezahlen, noch ihre Kundschaft (und sich selbst) verarschen lassen wollen. Frei nach der Einschätzung von Brad Sanders, der in seinem Beitrag den Satz "I’ll go, but I don’t have to like it." erwähnt. Seine restliche Argumentation, es sei begrüßenswert, wenn möglichst viele Metaller am RSD in die Läden stürmen, um die ganzen Metalplatten leerzukaufen, weil der Händler dann mehr Metal ins Programm nimmt und die Labels mehr Platten pressen, ist natürlich ein naives und abgesoffenes Gedankenaquarium, aber sei's drum.

Über meinen inkonsequenten Samstag in den Frankfurter Plattenläden schreibe ich im nächsten Beitrag. Bleiben sie dran, ich zähl solange.

21.04.2014

"I’m in this for life."

Ein sehr ausführliches Headphone Commute-Interview mit Brock van Wey aka BVDUB, East Of Oceans und Earth House Hold ist unter dem folgenden Link zu finden:

In the studio with Brock Van Wey

Brock beschreibt darin seinen kompositorischen Ansatz, seine Sicht auf seine (sehr raren) Livegigs, die Umgebung, in der er seine Songs produziert und wenigstens am Rande auch sein technisches Setup, wenngleich auffällig ist, dass er bei diesen Fragen sehr schnell die Abfahrt nimmt, die ihn weg von der technischen Komponente führt. Allerdings, und das gibt's als Teaser bereits hier zu lesen, ist seine Laptop-Geschichte ein Traum:


I only use Asus computers (I currently have 5, 3 for music production, 1 for live shows, and 1 for everyday use). In the city I live in, the woman who runs the Asus store is a friend of mine, so she pulled a bunch of strings and allowed me to go to the Asus factory (it’s about an hour from where I live) and not only work with them to build custom laptops purely designed completely to my specifications (anyone who knows laptops knows that’s nearly impossible), complete with custom-made motherboards and nearly all custom-made hardware all built directly at the factory and specially designed to optimally sync with each other – but she then hired out her best tech guy to work solely for me, and who is a complete magician, to build me a custom version of Windows 7 from scratch (meaning he modeled it after Windows 7 but it’s completely custom-built and written from the ground up) that can only run what I use to play a show. It can’t get on the internet, it can’t run any other software, and it has zero other capabilities or functions… Hell, it can’t even type text outside of specifically designated parameters limited to what I use for the show. So it has literally zero things running in the background, and the CPU is always 100% dedicated to whatever I’m doing musically. My three music machines are set up the same way, but with those ones he adapted the system to be slightly more flexible, so I can add in new operations, software, hardware, and functions as needed. And I can type stuff in a few more situations, otherwise it’s kinda hard to keep track of finished tracks (haha). But the amount of unbridled power and unshakable focus those things can generate is frightening.

20.04.2014

Voice'n'Bones



VALERIE JUNE - PUSHIN' AGAINST A STONE

"Pushin' Against A Stone" stand schon lange Zeit auf meinem virtuellen Einkaufszettel, vornehmlich aus dem Irrglauben heraus, die knapp dreißigjährige Sängerin aus Memphis hätte auf ihrem Debutalbum Interpretationen von ollen Nina Simone-Songs im Angebot - was mich und meine Verehrung für die Jazzlegende natürlich ziemlich wuschig werden ließ. Man möge mich indes bitte heute nicht mehr fragen, wie ich darauf kam - Freund Jens, der meinen diesbezüglichen Einkaufstipp im Schallplattenkaufladen zum Glück mit lediglich gelupfter Augenbraue und nicht etwa mit gezückter Kreditkarte quittierte, war nach einem Probedurchgang irritiert: das sei ja schon sehr südstaatig und redneckig und eher so "Äh?!". Ich kann ihm da nicht grundlegend widersprechen und wer eine unüberwinbare Allergie bei Kontakt mit US-amerikanischem Südstaatenfolk hat, der wird mit "Pushin' Against A Stone" nicht zwangsläufig hyposensibilisiert werden können. Oder vielleicht doch?

Nun hat der Autor dieses Blogs, wie schon, auch wenn nicht exklusiv dort, im Posting zu "Outroduction" der New Amsterdams festgehalten, durchaus gröbere Vorbehalte gegen dieses Folk und Country und Americana-Genre, und die Fixierung von so manchem Hipster-Indiefuzzi auf Bart, Banjo und Baumwollplantage hinterlässt für gewöhnlich einige böse Verbalinjurien auf meinen Lippen. So bleibt es unvermeidlich, dass es Momente auf dieser Platte gibt, die ich als echte Herausforderung begreife, und es wird nicht besser, wenn textlich das Gebetsbuch herausgeholt wird - aber man wächst ja mit seinen Aufgaben. Bei "Trials, Troubles, Tribulations" zwitschert mir das nasale Plärren Junes ein paar Mal zu oft was von "Cheeezus" ins Ohr und auch bei "Tennessee Time" sitzen mir ein paar Neanderthaler zu viel um das prasselnde Lagerfeuer herum. Andererseits fällt es mir schwer, zu den übrigen Songs ähnliche Gedanken aus dem Hirn zu wringen: Junes spitze Stimme ist sicherlich nicht Jedermanns Geschmack (was ganz grundlegend schon mal für einen dicken Pluspunkt sorgt), aber sie hat Charakter und Seele. Die Produktion von Dan Auerbach von den Black Keys ist mit dem unentwegten Pendeln zwischen sprödem Minimalismus wie in "Somebody To Love" und opuletenen Funk/Soul-Ansätzen wie in "Wanna Be On Your Mind" oder "Twined & Twisted" eine kleine Sensation, die Songs sind hingebungsvoll und melancholisch, manchmal wunderbar wiederborstig, bluesig und sogar schroffrockig wie in "You Can't Be Told".

Erschienen auf Sunday Best, 2013.

18.04.2014

The Idiot Whisperer II

Vor gut zwölf Monaten hatte ich den US-amerikanischen Entertainer Bill Maher auf diesen Seiten lobend erwähnt:

The Idiot Whisperer

und der heutige Karfreitag scheint ein besonders guter Termin für einen aktuellen Programmhinweis zu sein.

Vor wenigen Wochen ist nämlich das in meinem ersten Beitrag erwähnte Set "But I'm Not Wrong" wieder auf Youtube aufgetaucht. Da es hierzu auch eine DVD-Version gibt, die offensichtlich der Grund dafür ist, warum alle ehemals hochgeladenen Videos umgehend wieder gelöscht wurden, ist davon auszugehen, dass sich auch diese Version nicht lange halten wird. Deswegen sei an dieser Stelle der besonders schnelle Blick empfohlen.

"But I'm Not Wrong" ist im Jahre 2010 aufgezeichnet worden, demnach inhaltlich nicht mehr so irrsinnig taufrisch; da sich das Konzept von "Religion" auch in den letzten vier Jahren aber noch ganz prächtig gehalten hat, die "Klimalüge" immer noch in den Köpfen von Zurückgebliebenen existiert, Sexismus und Rassismus en vogue sind, und sich die sowohl politisch als auch medial inszenierte Hysterie so griffig und schnell wie noch niemals zuvor auf die Gesellschaft überträgt, sind viele von Mahers Einlassungen auch heute noch aktuell und die Themen zeitlos. Dummerweise. Ich wünschte ja, so manche grobe Unverschämtheit langsam zu den Akten legen zu können.

Was auffällig ist: sowohl beim Programm "I'm Swiss" (zu finden unter dem oben verlinkten Blogpost aus dem März 2013), als auch bei "But I'm Not Wrong" sitzen in der ersten Reihe Menschen, die keinen Hehl daraus machen, mit Mahers Ansichten nicht im Entferntesten übereinzustimmen. Bei "I'm Swiss" war es eine vierköpfige Familie, die an keiner Stelle klatschte oder lachte und zwei Sekunden nach Mahers Abgang die Sachen packte, bei "But I'm Not Wrong" ist es ein Pärchen, das von Maher während der knapp 80 Minuten desöfteren angegangen wird ("A sweater vest? In 2010? Let me guess - Republican?"). Ich frage mich ja, ob man die Leute da absichtlich für die Aufzeichnung hingesetzt hat, damit Maher im Verlauf des Sets die ein oder andere Pointe auf deren Kosten setzen kann, oder ob das US-amerikanische Comedy-Publikum wirklich so schmerzfrei ist, dass es sich auch zu politisch eindeutig entgegengesetzten Comedians treiben lässt. Aber dann wirklich gleich in die erste Reihe? Really?

Wie dem auch sei. Bill Maher. But I'm Not Wrong.




11.04.2014

Von der Einzigartigkeit



SPAIN - SARGENT PLACE


Manchmal frage ich mich im Rückblick auf so manche alte und sogenannte "Rezension" schon, was sich da in meinem Blutkreislauf breitmachte; insbesondere stellt sich die Frage für die Überschrift zum Text über das Debut von Spain. Andererseits: im September 2009 verlustierte sich "Florjan" (S.Holz) noch dank großzügiger Auszahlung des alten Arbeitgebers als Privatier, wurde terminlich geradezu optimal von Iron Maiden mit der Zahlung von 1400 Steinen abgemahnt - diese blöden Ficker! - und war abgesehen davon weitgehend sorgenfrei. Da fällt einem auch mal etwas aus dem Kopf, das man fünf Jahre später und in veritabler Lebenskrise (vierteldramatische Übertreibung) nicht mehr ganz nachvollziehen kann.

Inhaltlich ist die damalige Beschreibung von Josh Hadens Slowcore-Band indes noch völlig intakt, und meine Bewunderung für diesen beinahe sehr einzigartigen Sound der Kapelle ist über die Jahre nicht kleiner geworden. Ich sah "Sargent Place" vor wenigen Tagen im Stuttgarter Second Hand Plattenladen und obwohl ich mich bereits für andere neue Mitbewohner entschieden hatte, verwarf ich die ursprüngliche Auswahl, um das neue Album von Spain mit nach Hause zu nehmen. Der Sohn des Jazzbassisten Charlie Haden (vgl. "Nocturne") will es nebst neu formierter Begleitband, man quintettet mittlerweile vor sich hin, jetzt wissen: nach über zehnjähriger Veröffentlichungspause erscheint seit 2012 jeweils eine neue Platte pro Jahr.

"Sargent Place" ist musikalisch nicht mehr ganz so charmant vermodert wie das ikonische Debut, das uns vor allem super-schlomo-schlürfenden Indieblues anbot. Zur großen Überraschung hat sich eine waschechte Uptemponummer wie "Sunday Morning" auf das aktuelle Album geschmuggelt, die mich, inklusive eines Rockgitarrensolos und flockigen "Dubidubi"-Chören, fast vom Sessel klopft. "It Could Be Heaven" ist im Bandkosmos auch ein kleiner Ausreißer; nicht ganz so stürmisch wie der Sonntagmorgen, aber wach genug, um den Song als Morgenmusik zur ersten Tasse Kaffee und mit melancholisch-verträumten Blick aus dem Fenster zu genießen. Klappt ganz wunderbar.

Das ist alles mit großer Raffinesse gespielt und exzellent produziert - die Schallplatte klingt so großartig wie nur wenige andere Scheiben in den letzten zwölf Monaten. Sowas nimmt man nicht mit Boxhandschuhen zwischen Tür und Angel auf, da sitzt jeder Akzent und jeder Schunkler: wie sich die Band bei "From The Dust" hörbar zusammenreißt und fast schon zurückhalten muss, damit sie den Effekt in der Strophe, dieses Aufschwingen auch wirklich akzentuiert und genau trifft - da macht das Zuhören und das Entdecken großen Spaß. Könnte eine der Platten des Jahres werden.

Erschienen auf Glitterhouse Records, 2014.

07.04.2014

An eskimo face from the nineties

“Writing this now, God, how I miss the cultural side of the eighties - the rhetoric, the raggedy clothes, the politics, gigs you were frightened to go into, Radio 1 when it had weird bits, Channel 4 when it was radical, the NME when it had writers, and the thrill of discovering underground music and new comedy for yourself.”
Stewart Lee, How I Escaped My Certain Fate

Vor einigen Jahren wurde ich dank des damaligen Titanic-Redakteurs Oliver Nagel und dessen "Humorkritik Spezial" im endgültigen Satiremagazin, auf den britischen Komödianten, Autor, Regisseur und Musiker Stewart Lee aufmerksam. Nagel, der außerdem seine Leidenschaft, praktisch jeden zu kennen, zu erforschen und zu beschreiben, der jemals in Großbritannien auf einer Bühne stand oder im Fernsehen war, um die Mitinsassen zu erheitern, auf der überaus angemessen betitelten und darüber hinaus ganz famosen Website www.britcoms.de feiert, war voll des Lobes über diesen Mann, dessen Ansatz sich so deutlich von nahezu allen anderen Stand-up Comedians unterscheidet. Lange Jahre war sich das Publikum nicht sicher, was es mit Lees vermeintlich vermurksten Pointen, den absurden Wiederholungen und der prachtvollen Übellaunigkeit eigentlich anstellen sollte - mittlerweile ist man schlauer: nach mehreren sehr erfolgreichen BBC-Programmen und Tourneen durch das vereinte Königreich, werden die Hallen größer, und die Zweifel kleiner. Lee ist kein Großmaul, banale Parolen und offensichtliche Crowdpleaser sind in seinen Sets nicht zu finden, es sei denn, sie dienen dramaturgisch der zu spielenden Rolle. Dafür verpackt er seine Gags in zweifach Alufolie, die er zuerst zusammenditscht und -knetet, plattdrückt und als Kügelchen minutenlang über und durch die Köpfe seiner Zuhörer schweben lässt, bevor er, nicht selten mit einem einzigen Satz, alles in Flammen aufgehen lässt.

In den vergangenen Wochen zog es mich immer öfter zu den Stewart Lee-Clips auf Youtube, vor allem deshalb, weil ich seit mindestens drei halben Ewigkeiten auf der Suche nach einem ganz bestimmten Video bin, das mir, jedenfalls in meiner vernebelten Erinnerung heraus, von Oliver Nagel in dem erwähnten Titanic-Artikel empfohlen wurde. Also, nicht mir persönlich, aber uns. Uns Leser. Ihr wisst schon. *handwedel* Jedenfalls: ich kenne mittlerweile fast alles, was jemals von Stewart Lee erdacht und präsentiert wurde, aber das gesuchte Werk - unauffindbar. Wie vom virtuellen Erdboden verschluckt.

Vor zwei Wochen fasste sich der Florian schließlich ein Herz und belästigte den kongenialen ehemaligen Titanic-Partner von Stefan "Ich will ein Kind von Dir" Gärtner direkt auf seiner Seite - und erhielt nach der Aufzählung der noch im Hinterkopf verschlumpften Gedankenbrocken "Grabstein", "irgendein Typ, der Lee auf die Palme brachte" und einem eher weniger schmeichelhaften Schimpfwort doch tatsächlich den entscheidenen Hinweis.

Es ist selbstverständlich lohnenswert, den kompletten Clip zu schauen, wenngleich sich der eben kurz umrissene Teil erst ab 4:40 bahnbricht:





Außerdem möchte, ach was: MUSS ich noch auf zwei weitere besonders herausragende Episoden hinweisen, die mich und die Herzallerliebste zum unkontrollierten Heulen brachten. Beim ersten Video zitiert Lee vermeintlich echte Kommentare aus dem Internet:





Nummer zwei zeigt die letzten 15 Minuten eines gut 40-minütigen Rants über die äußerst beliebte britische Fernsehserie "Top Gear", ein einstündiges, auf BBC Two ausgestrahltes Automagazin, das mittlerweile weltweit mit rund 350 Millionen Zuschauern protzen darf. Lee weiß, dass die Mehrheit seines Publikums "Top Gear" liebt - und macht es in seinem Programm “If You Prefer a Milder Comedian, Please Ask For One" trotzdem, oder gerade deswegen, zu einem zentralen Thema.







Und wer dann noch nicht genug hat, darf sich dieses ausführliche Interview mit Stewart Lee durchlesen, das im Jahr 2011 in der Financial Times erschienen ist

Und: die DVDs seiner Programme gibt's auf amazon.co.uk zu kaufen.