22.04.2014

Record Store Day 2014



Allmählich entwickelt sich der Record Store Day zu einer Art Katatrophengaffen - man möchte eigentlich nicht hinsehen, dackelt aber dann doch in die erste Reihe, um vielleicht etwas zu erhaschen, in diesem Fall also: zu kaufen. Kaufen, kaufen, kaufen. Wir müssen immer alles kaufen.

Was als weithin unschuldiges Konzept zur Rettung der lokalen und unabhängigen Plattenläden begann, ist mittlerweile und zum großen Teil eine von Majorlabels gekaperte und durchkommerzialisierte Peinlichkeit geworden, die die für gewöhnlich mit Spinnweben versehenen Kartoffelpupser aus ihren 40qm Heimat herauslockt, damit die neuen Sammlerstücke bald einziehen dürfen. 500 vermeintlich exklusive Veröffentlichungen waren es im Jahr 2014, und mal ganz davon abgesehen, dass man sich schon fragt, wer diesen ganzen Scheiß mit Reis eigentlich kaufen soll, vor allem den völlig unbekannten Krempel, hat ein Plattenvertrieb wie Kudos aus London für die Wochen rund um den Termin am 19.4. schon die Segel gestrichen.

So groß die Faszination für Schallplatten und das Abtauchen in die Parallelwelt Plattenladen auch sein mögen, so unsinnig ist mittlerweile der ursprüngliche Ansatz geworden. Der Record Store Day fördert nicht den Erhalt lokaler Plattenhändler, er fördert viel mehr den Sammel- und Exklusivitätswahn, der seit dem Vinyl-Revival so oder so schon jeden 2nd Hand Dealer in Beschlag genommen hat. Dem man allerdings im Zweifelsfall keinen Vorwurf machen kann: wenn jemand einen dreistelligen Eurobetrag für eine Schallplatte bezahlen mag, die er an anderer Stelle auch für 20 Euro bekommen kann, dann ist das nicht seine Schuld. Dass aber auch im Vinylland jede Kompassnadel verrückt spielt, die den gesunden Menschenverstand versucht zu markieren, ist seit einigen Jahren nichts Neues mehr. Solange die Macher des Record Store Days weiter mit intransparenten Auflagenzahlen und ebenso undurchschaubarer Verteilungsstruktur fortfahren, fördern sie genau das Gegenteil des eigentlich sympathischen und sogar wichtigen Ziels: die Plattenläden sind einmal pro Jahr voll, zumindest für die halbe Stunde, bis die ganzen hochwertigen und raren Boxsets, Represses und bunte Vinyle von den Heuschrecken ausverkauft sind, die sie zwei Stunden später für den zwanzigfachen Preis auf Ebay und Discogs hochladen, danach kehrt jedoch wieder die ohrenbetäubende Ruhe zurück. Und die Sammelhengste kaufen die neue Bob Dylan Scheibe auf Amazon, die Rarität für drölf Trilliarden Euro bei Discogs. Aus Chile. Oder Japan. Hauptsache Italien, beziehungsweise: alles total lokal.

Der Record Store Day ist ein kurzfristiger Impuls, meinetwegen auch eine kurze Erinnerung daran, dass es da draußen auch noch Realitäten gibt, die Ladenpacht, Personalkosten und Existenzangst heißen. Und dafür ist es gut. Sehr gut sogar, das steht außerhalb jeder Diskussion. Aber in derart schnellen, oberflächlichen und vergesslichen Zeiten, in denen die Mobilgurke mit Spiegel Online-Eilmeldungen und Kriegstickern vollgepackt ist, die virtuelle Warteschlange für die nächste angesagte Hollywoodserie immer größer wird und selbst der stetige Konsum von Information uns mit einem leeren Bauch, Herz und Hirn zurücklässt, weil alles nur noch Selbstzweck und Pose ist, ist der Effekt so schnell verpufft, wie das Lippenbekenntnis "So kann das hier alles nicht weitergehen" den Weg ins Freie findet.

Das ist die eine Seite. Und weil alles ambivalent und vielschichtig und in Millionen Grautönen abbildbar ist, gibt es auch noch die andere Seite: der Florian, der watschelt auch jedes Jahr in die Frankfurter Plattenläden. Selbst und ganz besonders in jene, die dem Klimbim eine Absage erteilt haben, weil sie weder die 125 Euro Teilnahmegebühr bezahlen, noch ihre Kundschaft (und sich selbst) verarschen lassen wollen. Frei nach der Einschätzung von Brad Sanders, der in seinem Beitrag den Satz "I’ll go, but I don’t have to like it." erwähnt. Seine restliche Argumentation, es sei begrüßenswert, wenn möglichst viele Metaller am RSD in die Läden stürmen, um die ganzen Metalplatten leerzukaufen, weil der Händler dann mehr Metal ins Programm nimmt und die Labels mehr Platten pressen, ist natürlich ein naives und abgesoffenes Gedankenaquarium, aber sei's drum.

Über meinen inkonsequenten Samstag in den Frankfurter Plattenläden schreibe ich im nächsten Beitrag. Bleiben sie dran, ich zähl solange.

4 Kommentare:

Wurstbaron Käsewürfel hat gesagt…

Das mit den 125 Euro scheint - laut SH-Rainer - allerdings nicht zu stimmen.

Flo hat gesagt…

Laut dem Inhaber eines Frankfurter Plattenladens schon. Ich zieh' mir das ja nicht aus den Rippen. Was nun, Kanzler?

Flokaiser Kanzleramt hat gesagt…

Man weiß es - wie so oft - nicht. Ratzer hat sich anlässlich des RSD jedenfalls Ware im Wert von 10.000 in den Laden gestellt. :-)

Flo hat gesagt…

Dann freuen wir uns die nächsten Jahre über die immer noch vollen "RSD 2012", "RSD 2013" und ""RSD 2014"-Fächer. Auch ganz tolles RSD-Konzept, dass man den Scheiß nicht mehr zurückschicken kann. D: