08.04.2015

The Painless




THE GOD MACHINE - 
ONE LAST LAUGH IN A PLACE OF DYING


And you said life could be painless And I'm sorry but that's not what I've found

Viel zu selten landen die zwei Alben dieses Trios in meinen Playlists. Es gibt dafür fast keinen einzigen guten Grund, aber wenn ich es mir recht überlege, und gerade dann, wenn wie gerade jetzt und ganz besonders ihr Schwanengesang "One Last Laugh In A Place Of Dying" mit ohrenbetäubender und also anerkennender Lautstärke halb Sossenheim in sich zusammenklumpen lässt, dann habe ich wenigstens eine Ahnung: es ist zu schmerzhaft.

Ist schon recht, es ist alles nur Musik und es gibt ja Menschen, die offenbar ganz prima ohne leben können; scheiße ich schon wieder mit zu großen Worten das ganze Internet zu? Ist das schon wieder alles viel zu emotional? Die Antworten sind einfach: ja und ja. Und das ist völlig legitim. Das 1990 gegründete Trio aus San Diego, das im Verlauf seiner kurzen Karriere mehrheitlich aus England und dem europäischen Festland heraus operierte, zwei Alben und vier EPs aufnahm, spielte eine sehr emotionale, irrsinnig intensive und eigenständige Mixtur aus düsterem Indie- und Alternativerock mit deutlich erkennbaren Ausflügen in Gefilde des lauten, schrammelnden und zart kratzbürstigen Noiserock - und es ist besonders dieses zweite Album, das qualitativ nicht nur eine Sternstunde der Neunziger ist, sondern vor dem Hintergrund der Vorkommnisse während und nach den Aufnahmen beinahe schon unangenehme, voyeuristische Tendenzen provoziert. Es ist sicher keine Übertreibung, dass man sich auf einen ziemlich traurigen, und beklemmenden Trip einstellen darf. Mir fällt das mit zunehmendem Alter immer schwerer. Denn es ist anstrengend.

"My relationship with death remains the same, I'm strongly against it." (Woody Allen)

Bassist Jimmy Fernandez starb kurz nach dem Ende der Aufnahmen und während der Mixing Sessions zu "One Last Laugh In A Place Of Dying" im Mai 1994 an einem Hirntumor. Die verbliebenen Musiker, Robin Proper-Sheppard (Gitarre, Gesang) und Ronald Austin (Schlagzeug) lösten unter diesem Schock The God Machine nach Beendigung der Arbeiten zu diesem Album mit Verweis auf die außergewöhnlich starke und enge Verbindung zwischen den Bandmitgliedern auf. Während Proper-Sheppard Sophia gründete und 1996 mit dem sehr reduzierten und intimen "Fixed Waters" debütierte, zog sich Austin komplett aus dem Musikgeschäft zurück. 


In den besonders dramatischen Momenten dieser im Angesicht des Todes geschriebenen Songs möchte ich mich am liebsten im dunklen Keller verstecken und hemmungslos losheulen. "In Bad Dreams", "Painless", "The Hunter" und vor allem "The Life Song" lassen mich meist in Embryostellung zusammengekrümmt im Staub liegen. Im Vergleich zum deutlich rockigeren, wenngleich ebenfalls zappendusteren Debut "Scenes From The Second Storey", auf dem man tatsächlich einige zarte Parallelen zu den fast zeitgleich auf der Bildfläche erscheinenden Tool heraushören konnte ("Temptation"), hat sich die Band stilistisch insofern etwas freigeschwommen, als dass sie wenigstens in meinem Buch nicht mehr als klassische Band der neunziger Jahre durchgeht, auch wenn die Herzallerliebste die erkennbare Klangästhetik der 90er in den Mittelpunkt ihrer (wie immer korrekten) Analyse stellt. Trotzdem wirkt "One Last Laugh In A Place Of Dying" entzerrter und weitläufiger als das erste Album; es zeigt außerdem eine Band, die sich - ohne eine negative Interpretation zu forcieren - bewusst isoliert und sich in den eigenen Kosmos zurückgezogen hat. Und die daraus eine angreifbare Zerbrechlichkeit einerseits und eine fragile Stärke andererseits entwickelte. Man kann das hören. 

Es ist allerdings nicht immer ausschließlich schön und angenehm. 



Erschienen auf Friction, 1994.



PS: Für den Fall, die geneigte Leserin/der geneigte Leser erinnert sich nun wieder an die Band, und vor allem daran, dass ihre Alben spätestens ab 1995 out of print und damit entweder gar nicht mehr, oder nur für einen halben (CD) bis einen ganzen (LP) Monatslohn erhältlich waren, sei es nun laut hinaus gerufen: beide Studioalben wurden im Jahr 2010 auf CD wiederveröffentlicht, was außerdem den netten Nebeneffekt hatte, dass mittlerweile selbst die Originalversionen für einen überschaubaren Obulus den Besitzer wechseln können. Für die LP-Versionen muss nachwievor sehr tief in die Taschen gegriffen werden, aber vielleicht hat Robert Proper-Sheppard auch hier nochmal ein Einsehen. Wobei: seine Webpage für Sophia (inklusive Facebook) macht nicht mehr den frischesten Eindruck. Hat da einer den Laden dichtgemacht?

PPS: Würde Euch gerne was zum Lauschen via Youtube kredenzen, aber...wann fickt sich eigentlich diese verschissenedreckfickscheißkackverhurtkackte GEMA endlich weg?



04.04.2015

Rock Hard, Ride Blöd

Wenn es in der für mich so wichtigen und wegweisenden Phase meiner Adoleszenz ein Magazin gab, das ich vermutlich sogar manches Mal über Gebühr verschlungen und ernstgenommen habe, das mir unzählige neue Bands ans pubertäre Herz legte, das die frühen Entwicklungen im Death Metal ganz selbstverständlich mit der aufkeimenden Alternative- und Grunge-Szene verknüpfte und in einem Heft abbildete, und also auch in dieser Hinsicht dafür sorgte, dass ich innerhalb der harten Rockmusik keine Scheuklappen kannte und eben alles hörte, was mir Stratmann, Kühnemund, Schäfer, Albrecht und Trojan auf dem Silbertablett anboten; mit genau dessen Schreibern ich mich identifizierte und von denen ich annahm, sie seien zwar irgendwie "Kritiker", aber eben in erster Linie Fans, die vor allem hinsichtlich der bedenklichen politischen Auswüchse in Deutschland zu Beginn der 90er Jahre eine klare und unbeugsame Haltung hatten, und die sich darüber hinaus über die Vorbildfunktion und ihren "Auftrag" als Sprachrohr der deutschen Metalszene im Klaren waren, dass sich die braune Brut nämlich gefälligst aus genau dieser Szene verpissen soll, auch weil sie keine Andockstelle finden wird, um ihre Ideologie unter den Metalkids zu streuen, denn dafür würden sie, das Magazin und seine Schreiber, schon sorgen - dann war es das in Dortmund ansässige Rock Hard.

Und ich las jedes erschienene Heft im Zeitraum zwischen 1988 und 2001 bis zur letzten Zeile leer.

Für ein erstes Stirnrunzeln unter jener Leserschaft, die das Rock Hard vor allem für seine Undergroundtipps im Bereich der abseitigen, noch in den Kinderschuhen steckenden Subgenres liebten, sorgte die schon sehr früh platzierte Hofberichterstattung für die Knallköppe der Böhsen Onkelz, die in erster Linie vom damaligen Chefredakteur Götz Kühnemund ins Blatt gedrückt wurde, gerne auch unter dem Schleier des ernsthaften und kritischen Journalismus: "Wir tun das, was sich keiner traut und setzen uns mit der Band auseinander. Wir glauben nicht die Verleumdungen der Massenmedien. Wir stellen kritische Fragen. Wir bilden uns selbst ein Urteil." Dass die Redaktion damit an dem Masterplan von Oberonkel Weidner begeistert mitstrickte und insofern selbst instrumentalisiert wurde - bon, das konnte man als schreibender Fan dann wohl nicht mehr erkennen. Dafür konnte man sich nach dem endgültigen Durchbruch der Band schön ans Revers heften, schon ganz früh mit dabei gewesen zu sein. Auch Fans haben dann und wann ein Ego, das befriedigt werden will.

Als die Frankfurter zum ersten Mal auf dem Titel des Rock Hard zu finden waren, konnte ich es kaum glauben. Was war passiert? Die haben doch jahrelang dafür geschrieben und gekämpft, dass Dumpfbacken wie David Vincent aus dem Heft verschwanden, haben Interviews mit damaligen Vollidioten wie Glen Benton und Dark Throne wegen immanent zur schau gestellter Vollverblödung vorzeitig beendet - und jetzt kommen die Onkelz auf den Titel? Wir sprachen doch eben noch von Dream Theater, Voivod, Watchtower, Atheist, von Heir Apparent, Hades, der emotionalen Kraft von Pearl Jam und Alice In Chains, der Innovation und Progressivität von Janes Addiction und Ministry, von Kunst und Hochkultur - jetzt kommt also die Eisenzeit ins Heft? Niemand, der damals ohne zu Stolpern bis 4 zählen konnte, konnte das verstehen. Die Onkelz waren in meiner "alten" Szene niemals akzeptiert. Auch dieser redaktionelle Offenbarungseid konnte daran nichts ändern.

Die Jahre nach 2001 sind schnell erzählt: ich las das Heft nicht mehr. Zum einen war die Hysterie um die Onkelz auf dem Höhepunkt angekommen, zum anderen war ich vom Metal und vom Heft furchtbar gelangweilt. Meine Hörgewohnheiten änderten sich, die Zeit des Rock Hard war vorbei.

Und sie ist es bis heute, wenngleich ich immer noch, und sei es nur emotional und trotz mittlerweile ausgetauschter Führungsmannschaft und Redaktion, noch mit dem Heft verbunden bin. Jedes Mal, wenn ich "Facelift" von Alice In Chains auf den Plattenteller lege, muss ich an Kühnemunds Schlusssatz der Rezension denken - "Echter Rock'n'Roll kommt immer noch von der Straße, mitten aus dem Dreck - und ALICE IN CHAINS stinken wie die Schweine! " - und daran, dass er in Ermangelung einer passenden Schublade die Band in den Bereich des "Street-Metal" einsortierte (was auch die Frage provoziert, was zum Fick denn jemals Street Metal gewesen sein soll). Bei jedem Hören von "Killing In The Name" von Rage Against The Machine flüstert mir Herausgeber Stratmann ins Ohr, dass die Platte demnächst in jeder guten "Alternative-Zappelbude" laufen wird. Und er hatte recht. Stratmann hatte zu jener Zeit Anfang der neunziger Jahre immer ein gutes Näschen für die neuen Hits. Stratmann hatte wenigstens eine Idee von Geschmack. Stratmann wusste was geht - und was nicht geht.

Gebröckelt hat diese Fähigkeit zur unfallfreien Navigation durch die Untiefen einer im schlechtesten Sinne mehr und mehr indifferent gewordenen Szene in den letzten Jahren, in denen ich die Inhalte und Entwicklungen im Heft noch am Rande mitverfolgte, mehr als ein Mal, und so holte man sich so einige Musiker und Bands ins Heft, die in dem ein oder anderen Genre eine monatelange Diskussion zur Grauzone ins Rollen gebracht hätten - in der Metalszene der Nuller Jahre herrscht dagegen weitgehend stoische Lethargie. Watain, Drudkh ("zwielichtig (...), aber besonders gelungen" - Dorian Gorr), Burzum - letztgenannte wurden als Erschaffer einiger echter Meilensteine des Black Metal gefeiert; textlich vielleicht nicht ganz einwandfrei, ideologischer Fixpunkt des National Socialist Black Metal (NSBM) aber hey: die Platten sind legendäre Szeneklassiker.

Und sie sind natürlich ein rechter, faschistischer, menschenverachtender Quadratscheiß, dafür aber einer, der mittlerweile in der Mitte der Szene angekommen ist. Es ist absurd (no pun intended!), dass wir einerseits davon sprechen, wie sehr Metal als Kunstform mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert ist, während andererseits die politische Debatte über den Standpunkt der Szene vollkommen zum Erliegen gekommen ist.

"Metal war schon immer unpolitisch." - Ja, und Du warst offenbar intellektuell schon immer ziemlich übersichtlich veranlagt, denn es geht sich halt einfach partout nicht aus: mein Metal war nie unpolitisch. Er war albern, pubertär, manchmal geschmacklos - aber er war eben nie unpolitisch.


Stratmann hat mittlerweile sein Mojo wohl endgültig verloren.

Ich habe gestern gesehen, dass nach einem Interview in Ausgabe 304 aus dem Jahr 2012 im aktuellen Heft tatsächlich schon wieder ein Interview mit den Schwachstromelektronikern von Freiwild zu finden ist. Geführt von Jan Jaedike, der seit 1993 für das Heft schreibt und traditionell aus dem Punk- und Hardcorebereich kommt - Discharge, 7 Seconds, Napalm Death, Leatherface, The Exploited - jetzt also Freiwild:

"Die Mischung aus Rock, Punk, Pathos und einer nach wie vor unüberhörbaren Schlager-Affinität funktioniert auf dem Doppelalbum (!) besser denn je. Die erste Single ´Wir brechen eure Seelen´ entpuppte sich bereits als Ohrwurm mit anständigem Punch, und auch sonst servieren der kreative Alleinherrscher Phillip Burger (g./v.) und seine Mitstreiter einen Reigen, der zwar immer wieder in latenter Schunkelei wildert, aber - jetzt mal ehrlich - das gesamte Gedöns ähnlich gestrickter Top-Ten-Konkurrenten locker in die Tasche steckt." (Jan Jaedike)

Spätestens jetzt darf man überlegen, dem Dortmunder Magazin beide emporgereckte Mittelfinger zu zeigen.

Jungs, Ihr habt echt den Schuss nicht mehr gehört.

03.04.2015

Blackfish



Der US-amerikanische Dokumentarfilm "Blackfish" von  Gabriela Cowperthwaite ist mittlerweile auf Youtube zu sehen. 

"Blackfish" thematisiert in erster Linie das Leben des Orcas "Tilikum" ab seiner Gefangennahme im Jahr 1983 und dessen Beteiligung an insgesamt drei tödlichen Zwischenfällen mit Menschen, darüber hinaus aber auch die Zustände von weiteren gefangenen Orcas in den populären amerikanischen Erlebnisparks wie Sea World oder in dem mittlerweile geschlossenen Sealand Of The Pacific. 

Der Film und vor allem die sich ihm anschließende Kampagne in den sozialen Medien, vor allem von PETA angeführt, hatte und hat weiterhin offenkundige Auswirkungen auf Sea World. Zum einen sah sich das Unternehmen provoziert, mehr als nur ein Mal eine Gegendarstellung zu veröffentlichen, um "Blackfish" als unzulässige Propaganda von "Extremisten" (Sea World) zu verurteilen, zum anderen hat Sea World seit der Premiere des mehrfach preisgekrönten Films mit sinkenden Besucherzahlen und einem durchaus signifikanten Absturz des Aktienkurses zu kämpfen. 

Auf Twitter führt die Organisation gleich mehrere überdeutliche Gegenkampagnen. Jede Erwähnung des Hashtags #Blackfish eines Nutzers führt automatisch zu einem Antworttweet von Sea World mit dem Verweis auf vermeintlich irreführende Fakten des Films:




Außerdem setzt das in Orlando, Florida ansässige Unternehmen unter dem Banner "Sea World Cares" den Fokus auf seine Bemühungen für den Tier- und Artenschutz mit entsprechend emotional aufgeladenen Bildern, beispielsweise die Auswilderung von ehemals kranken und von Sea World-Mitarbeitern aufgepeppelten Schildkröten oder Seevögeln. 

Es ist ein verzweifelt anmutender Kampf an vielen Fronten.  





Ich selbst erinnere mich daran, dass ich in den frühen 80er Jahren im traditionellen Familienurlaub in Riccione/Italien ebenfalls Delfinarien besuchte, weil meine Eltern offenbar dachten, es sei wichtig, dem kleinen Florian "wilde" Tiere zu zeigen. Es braucht sicher nicht "Blackfish", um selbst bei minimaler Auseinandersetzung mit diesem Thema und der Situation vieler Tiere - nicht nur in Delfinarien, sondern auch in Zoos (von Tierversuchslabors und Schlachthöfen müssen wir nicht sprechen) - zur Erkenntnis zu gelangen, wie ungeheuer falsch unser Umgang mit diesen Lebewesen ist. 

Für mich ist der Film - bei aller erkannten Wichtigkeit - nur schwer zu ertragen. Entscheidet selbst, ob Ihr das sehen wollt. 




29.03.2015

Kanaworms - Die Nachzügler 2014 (5)




LEON VYNEHALL - MUSIC FOR THE UNINVITED


Es gab 2014 im Grunde keinen besseren Zeitpunkt, "Music For The Uninvited" zu veröffentlichen. Das Debut des House-Produzenten auf Martyns 3024 Label erschien vor fast genau einem Jahr im März zu den ersten wärmenden Sonnenstunden nach langer Winterfinsternis, und ich umarmte diesen Strahlemann sogleich mit einiger Begeisterung. Insofern ist es auch passend, "Music For The Uninvited" heute und damit zum Frühling 2015 hoch zu werfen, denn damit lässt sich auch dieses Jahr jeden dunklen Fleck auf Seele und Leben weglasern. 

Die 36-minütige EP, ein Konvolut aus leicht angejazztem, swingendem Deep House, Boogie-Funk und lässigem Downtempo, ist durch und durch lebens- und farbenfroh, im besten Sinne optimistisch und dabei völlig echt, im Sinne von unironisch. Ein großer Teil dessen geht auf das Konto eines romantischen Vibes  und einer bittersüßen Melancholie, die als Fundament dieser sieben Tracks für ein debil-zufriedenes Grinsen bei Herrn Dreikommaviernull sorgen, auch hörbar gemacht durch ein feines weißes Rauschen, das sich durch die gesamte Platte zieht und bereits Anlass zur Spekulation über einen vermeintlichen Produktionsfehler war. 

Vor allem in den Sommermonaten 2014, beim morgendlichen Bereitmachen für so manch schwierigen Tag, lieferten Tracks wie das hypersonnige "Goodthing" oder der Clubstampfer "Be Brave, Clench Fists" die Familienpackungen Endorphine auf 3024 Europaletten an und machten dann doch für so einen kurzen Moment klar, dass das alles so irrsinnig schlecht dann doch nicht ist, wenn man es denn endlich nur mal so sehen könnte. Oder wollte. Denn wir halten fest: ich atme, die Pumpe schlägt noch und ich kann diese wunderbare Musik hören. Das hätte alles schon ganz anders aussehen können. 

Because there is no light when you're dead.

Denn wer sagt, dass elektronische Momente ganz prinzipiell und wie von Moses in kühlen Schnee gepinkelt nicht so ganz nah an die eigene Seele angetackert werden könne, weil sie so distanziert, kalkuliert und entmenschlicht wäre, sollte sich mal Gedanken über das verbarrikadierte Dachgeschoss machen. 

Erschienen auf 3024, 2014. 

25.03.2015

Kanaworms - Die Nachzügler 2014 (4)



PATTERN IS MOVEMENT - PATTERN IS MOVEMENT


Warum die beiden Vollnerds von Pattern Is Movement in dieser Liste auftauchen ist eines der großen Mysterien des letzten Jahres - das, und wie sich ein 37-jähriger Veganer mit praktisch nicht existentem Alkoholkonsum einen Blutdruck von 270 einfangen kann, aber auch dazu vielleicht etwas später etwas mehr. 

"Pattern Is Movement" habe ich mir ehrlich gesagt komplett blind gekauft, wenngleich "taub" für diesen Moment besser passt: Ich sah das Cover und dachte "Geil!", ich las was von schrulligem Hip Hop und dachte "Geil!" und als dann die Platte aus dem fernen Philadelphia ins so nahe Sossenheim schlitterte, wurde aus dem "Geil!" ein schockiertes "Wüäh??". 

Der Ehrenfelder Warrior hatte die Band in der Vergangenheit immer wieder auf ein ziemlich hohes Podest gehoben, der Ehrenfelder Warrior hört aber seit Jahren konsequent fast ausschließlich "Musik", die meine "Mutter" "hören" würde, stünde sie vor der "laufenden" "Waschmaschine", in deren "Trommel" sich anstatt flauschiger QVC-Mikrofaserbettwäsche ein Radiator, ein Furzkissen und die Stimmbänder von Mike Patton mal ordentlich durchbimsen ließen. Demnach ist das Urteil mit Vorsicht zu genießen, aber vielleicht ist in diesem Fall ja tatsächlich etwas "dran": als ich einen Eintrag in seinen Opportunities mit wenigstens so halbspitzer Feder kommentierte, warum denn ausgerechnet er, der doch sicherlich den Sound eines in Aktion befindlichen Reißverschlusses auf Endlosschleife zum relaxten Einschlafen benötigt, auf dieses "handzahme Indie-Gewimmer" abfährt, schrub der Herr Lehrer:

Könnte sein, dass man auch die alten Alben der Band kennen und mögen muss, um das nachzuvollziehen. Für "Indie-Gewimmer" sind die beiden allerdings definitiv ein bisschen zu versponnen, würde ich mal sagen. Es hilft übrigens eventuell auch, sie mal gesehen zu haben, denn dann denkt man nicht mehr an Indie, sondern eher an zwei Typen, deren Zivi sich gerade neben der Bühne eine filterlose Zigarette dreht und darauf wartet, dass er sie wieder zurück ins Wohnheim fahren kann. Keine Ahnung, aber vielleicht "versteht" man sie/das dann besser!?

Ich habe Pattern Is Movement bislang noch nicht live gesehen, was folgerichtig bedeutet, dass ich sie immer noch nicht verstanden habe, aber, und das gibt zu Denken: noch bevor ich öffentlich kundtat, was mir an der Musik des Duos nicht gefällt, war ich ihnen im Prinzip wenigstens so halbwegs verfallen, da sich die Scheibe wie von Geisterhand immer wieder fast selbstständig auflegte. Anfangs geschah das sicherlich im Gedanken, sich das hier alles mal schön schön zu hören, weil man bei Platten, die man sich blind kauft und dann nicht mag, haarscharf an der persönlichen und also eigenen Demütigung entlang schrammt. Später aber, als die Ratlosigkeit sich nicht signifikant verkleinerte, muss es etwas anderes gewesen sein. 

I don't get it, and I certainly don't get it why I like it - aber ich tu's. Es ist eine manchmal völlig überambitionierte Larger-Than-Life-Soße, wie Kirmes und Zuckerwatte und Riesenteddys, zeitgleich introvertiert und ja: romantisch, pathetisch und irgendwie...süß. 

Ja. Irgendwie sind die süß. Bekloppt und süß.



Erschienen auf Hometapes, 2014.


P.S.: Und schöne Grüße nach Ehrenfeld.

21.03.2015

Kanaworms - Die Nachzügler 2014 (3)




WHEEDLE'S GROOVE - SEATTLE FUNK, MODERN SOUL & BOOGIE 1972 - 1987


Das US-Amerikanische Label Light In The Attic hat in den vergangenen Jahren mehr als nur einen Volltreffer gelandet. Das erfahrene Team von Schatzsuchern hat nicht nur das Phantom Lewis ins Rampenlicht des Jahres 2014 gezerrt und mit Jim Sullivans "UFO" eines der brilliantesten Singer/Songwriteralben aller Zeiten aus dem mysteriösen Wüstenstaub befreit (mehr dazu in Kürze), sie haben sich auch besonders um die Funk- und Soul-Szene der Emerald City Seattle gekümmert und ihr einen die Jahre 1965 bis 1975 abdeckenden Sampler aus dem Jahr 2004, sowie einen Film "Wheedle's Groove" (2008) gewidmet. 2014 legte das Label mit Volume 2 nach, nun waren die Jahre 1972 bis 1987 an der Reihe. 

Das spannende an dieser Zusammenstellung ist neben dem Entdecken eines bislang mir unbekannten musikalischen Erbes dieser Stadt - als Kind des Grunge und der Neunziger war ich jahrelang ignorant genug, Seattle nur mit Mudhoney und Pearl Jam und der Comedyserie Frasier in Verbindung zu bringen - die faszinierende Beobachtung, wie die einsetzende Discowelle, die jungen Jahre des naiven Hip Hop und die großen Pop-Entwürfe mit Schulterpolster, Weichzeichner und Death by Haarspray-Frisuren diesen Sound beeinflussten und weiterentwickelten. Der Unterschied der Sounds von Volume 1 zu Volume 2 ist bemerkenswert, obwohl man auf von Sampler 1 bereits bekannte Namen trifft - ein Zeichen für die zum einen übersichtliche Szene Seattles, andererseits auch ein markantes Merkmal dafür, wie sehr die Musiker die neuen Einflüsse verarbeiteten. "Here I Go Again" von Septimus hat schon den 80er-Ruckelbeat unter der Haube, das zum Schreien komische "Kingdome" von Baseball-Star Lenny Randle verarbeitet mit seinen Ballplayers neben Chipmunks-Gesangslinien auch eine Huldigung an die Spielstätte der Seattle Mariners, sowie die ersten zaghaft herübergeschwappten Raps von Grandmaster Flash. Malik Din schwebt zwischen Prince und Harold Faltermeyers "Axel F." herum, Romel Westwoods "I'm Through With You" sollte hörbar in die Heavy Rotation der nationalen Radiostationen (und hätte da zweifellos auch hingehört), und das folgende "Steal Your Love" von Teleclere könnte man mit seinen futuristischen Sounds und einem windschiefen Arrangement um ein Haar schon als avantgardistisch bezeichnen. 

Jetzt sitze ich hier schon wieder mit einem breiten Grinsen, höre mich durch das toll aufgemachte, dicke Doppelvinyl, lese mich durch die bestens recherchierten Linernotes und mein Kopf will gar nicht mehr aufhören mitzuwippen. "Wheedle's Groove" ist ein Schmuckstück der Sammlung geworden. Gebe ich nicht mehr her. 

Erschienen auf Light In The Attic, 2014.

17.03.2015

Kanaworms - Die Nachzügler 2014 (2)




THEO PARRISH'S BLACK JAZZ SIGNATURE


"I don't know that much about jazz. I've always liked it." (Will Lynch)


Zwei ähnliche Sätze wie jene von Resident Advisor-Schreiber Will Lynch könnten auch Herrn Dreikommaviernull über die Finger gleiten, wenngleich mich zwei Einschränkungen von der vollen Punktzahl abhalten. Erstens ist die Jazz-Sammlung mittlerweile nicht mehr die übersichtlichste und das Eingraben in viele Subgenres nebst ihrer Vertreter hat mir wenigstens für den Anfang einen ganz guten Überblick verschafft. Das steht also auf der Habenseite. Rein technisch aber, oder nennen wir es "musiktheoretisch", habe ich von Jazz immer noch keine Ahnung. Allerdings, und das führt uns zum zweiten Satz, hält mich dieser Umstand nicht davon ab, mit besonders in letzter Zeit wieder wachsender Begeisterung Jazz zu hören - die zweite Einschränkung des anfänglichen Zitats besteht übrigens darin, dass ich Jazz nicht "immer" mochte. Ich befürchte, dass es Phasen meiner Adoleszenz gab, in denen ich zu "unerlöst" (Willemsen) und mental zu verpickelt war, um Jazz wirklich verstehen zu wollen. Oder zu können. You decide.


“All music influences me, there are no divisions for it in terms of genres.” (Theo Parrish)

Für Theo Parrish scheint das nicht zu gelten. Der in Detroit ansässige und 1972 in Washington DC geborene Techno- und House-Produzent und -DJ wuchs mit Jazz, Soul und Funk auf. Für diesen Mix nahm er sich den Katalog des leider nur kurzlebigen Black Jazz Labels an, das 1971 von Gene Russell mit dem Ziel gegründet wurde, die politischen und spirituellen Wurzeln des Afro-Amerikanischen Jazz abzubilden, oder besser: Afro-Amerikanischer Musik im Allgemeinen. Das Label brachte unter diesen Vorzeichen auch Soul- und Funk-Acts auf das Radar der Musikgeschichte, und die von Black Jazz vertretenen Bands und Künstler erlangten etwas, was man heute möglicherweise einen "Kultstatus" nennen würde. Eingeschworene Fans aus dem Untergrund, Insider, Musiker, Aktivisten wuchsen zur loyalen Fanbase heran, bis Russells Tod im Jahr 1976 den Rolladen nach unten fahren ließ (James Hardge hat ihn mittlerweile wieder nach oben gezogen - es macht Sinn, die aktuelle Website anzusurfen und etwas zu schmökern). 



“Fuck the genres, I’m still trying to find a good country and western record that I can play in my set, seriously.”(Theo Parrish)

Parrish verzichtet auf seiner Zusammenstellung komplett auf das Hinzufügen elektronischer Spielereien, es gibt keine Upbeat-Versuchungen, keine Abfahrten in House-Gefilde, keine Umleitung über Technohausen. Parrish wählte aus dem Katalog des Labels zwölf  (für die Digital Natives: vierzehn) schwungvolle, energiereiche und gleichzeitig meditative, deepe Tracks aus, die ein deutlich hörbares Gegengewicht zum traditionellen Jazz der damaligen Zeit und zur aufkeimenden Fusionbewegung darstellen, weil sie universeller klingen, zeitloser, bestimmter. Das Herz und die Seele brannten, alles war Sturm und Drang, die Identifikation, der Zorn, der Schmerz, die Stärke und das neu erwachte Selbstbewusstsein: alles musste zwingend ins Außen. 

Diese Songs sind beeindruckende Zeugnisse einer revolutionären, spirituell und künstlerisch aufgeheizten Zeit. 

Und ich frage mich gerade, ob es schon besonders zynisch ist, in unseren heutigen Zeiten des Untergangs sich einen solchen Satz rauszulassen. Was waren das damals eigentlich für Zeiten? 


Erschienen auf Snow Dog Records, 2014.


P.S.: Ein sehr interessantes Interview mit Theo Parrish gibt es übrigens hier zu lesen. http://www.bonafidemag.com/theo-parrish-interview/


15.03.2015

Kanaworms - Die Nachzügler 2014 (1)


Die Geburt der letztjährigen Jahrescharts war auch deshalb eine so schwere, weil mir die Entscheidung hinsichtlich Formaten so schwer gefallen ist. EPs, Compilations, Re-Issues - es hat sich nicht richtig angefühlt, aktuelle und tatsächlich 2014 veröffentlichte Platten nach hinten zu schieben, weil ein zufällig im selben Jahr wiederveröffentlichtes, aber immerhin vierzig Jahre altes Werk den Platz beansprucht. Deshalb, wie so manches Mal in den vorangegangenen Jahren, gibt es auch dieses Jahr einen kleinen Nachschlag.





Earthen Sea - Mirage


Die Vinylversion vermisst gleich zwei Tracks, die in der digitalen Variante als Bonus enthalten sind, und selbst unter dem der Schallplatte beiliegenden Downloadcode verbergen sich nur die vier langgezogenen Ambient/Dub Techno Cuts des US-Amerikaners Jacob Long. Das ist einerseits diskussionswürdig, andererseits und besonders dann, wenn man das Vinyl als Originalversion bewertet, ist das eben das Original. So war's gedacht, so soll's gehört werden.

Und wer sich im sprichwörtlichen Dunstkreis aus sich gefühlt stundenlang entlangwürmelnden Endloskompositionen unter der Meeresoberfläche mit aquatischen und zugleich staubigen Nuancen bewegt, der sollte das hier gehört haben: der ehemalige Bassist der US-Combos Mi Ami und Black Eyes, letztgenannte sogar mit zwei Veröffentlichungen auf dem Washingtoner Vorzeige-Hardcore Label Dischord in den Jahren 2003 und 2004, hat sich mit "Mirage" eine introspektive und beinahe luftleere Musik ausgedacht, die mich vor allem in sommerlichen und nächtlichen Autobahnfahrten konsequent begleitete und begeisterte.

Erschienen auf Lovers Rock, 2014.

07.03.2015

2014 ° Platz 1 ° Brock van Wey - Home



BROCK VAN WEY - HOME


Stellvertretend für alle im letzten Jahr erschienenen Arbeiten von Brock van Wey, also auch für "I'll Only Break Your Heart", "A History Of Distance" und "Tanto", die allesamt unter seinem üblichen BVDUB-Moniker erschienen, steht "Home" seit letztem Februar einsam und erhaben auf dem Gipfel der Platten des Jahres 2014.

Auch das mag niemanden mehr überraschen, der diesem Blog länger als vorgestern folgt, und ich weiß selbst gut genug, dass die Top 3 einfallsreicher hätten aussehen können. Andererseits ist 3,40qm eben kein Webzine und kein Print-Meinungsmacher, die sich mit marktwirtschaftlichen Regeln gekoppelten Musikjournalismus aus dem Pöter schwitzen müssen. Ich muss außerdem keinem "Any Promotion Is Good Promotion"-Modell entsprechen, damit man sich auf Twitter und Facebook darüber streiten kann, welche Platte denn fehlt und welche so scheiße ist, dass sie niemals in einer solchen Bestenliste auftauchen darf. Mir geht es selten um den neuesten und heißesten Scheiß der Stunde, ich schreibe für gewöhnlich auch keinen "Erster!"-Kommentare unter Youtube-Videos. Bitte nicht als Selbstgeilheitsglibber missverstehen - I'm just not like that. Letzten Endes ist das hier ja alles purer Egoismus: ich schreibe über meine Lieblingsplatten. Dass es offensichtlich wirklich Menschen gibt, die das spannend finden - find' ich spannend. Und toll. 


"innerhalb weniger Minuten in einen verletzlichen, grüblerischen, romantischen, introvertierten Menschenklumpen, der in diesen Momenten glaubt, nie wieder eine andere Musik hören zu wollen, als immer wieder nur "Home", in einer nie enden wollenden Schleife, "Spiral Out, Keep Going" (Maynard). Und vor die Tür will ich dann bitteschön auch nicht mehr, denn die Illusion der Schönheit der Welt, der Natur und des Lebens soll bitte von meinem antrainierten, abscheulichen Zynismus verschont werden."

"Home" ist seitdem völlig immun gegen jeden Angriff. Und was man sich alles ungefragt anhören darf: ein öder, billiger, trauriger Kitsch, Fahrstuhlmusik, schlechte noch dazu (wenn's gute geben geben sollte: ich bin offen für Anspieltipps; anscheinend gefällt mir sowas ja ganz gut). Das kann seltsamerweise verletzen, wenn das Ziel der Häme so eng mit einem selbst verbunden ist. Normalerweise ließe sich Dave Wyndorf mit seinem ubiquitär zitierten "It's a satanic drug thing, you wouldn't understand." zitieren und müde mit den Achseln zucken, und dennoch versteht man es nicht ganz. Die Antwort liegt vielleicht in obigem Zitat: mein Zynismus ist in Bezug auf "Home" ausgeschaltet. Ich empfinde das als so rein und wahr und schön, so gänzlich ohne jede Spur von Ironie und anderen Hintergedanken, dass es eine Flanke aufmacht, die sich völlig ungeschützt der Welt zeigt. Emotional nackig. Leichte Beute. Superblödmanns Kryptnonit. 


Ich spüre eine enge und tiefe Verbundenheit mit Brocks Musik - und irgendwie auch mit dem Menschen, der hinter dieser Musik steht. Ich hatte Brock bereits vor einigen Jahren, kurz nachdem mich "The Art Of Dying Alone" so unfassbar hart umgehauen hat, per Email belästigt - und er antwortete sogar; damals schon sehr freundlich und ehrlich glücklich über die Wortmeldung aus dem fernen Deutschland. Nun, knapp fünf Jahre später, hatte ich mich im Dezember 2014, über die ruhigen, und mittels Rotwein und Räucherstäbchen vernebelten Weihnachtstage dazu entschlossen, einen BVDUB-Mix zu erstellen. Kein besonders elaborierter, auf sterilem Untergrund entwickelter Versuch, aber immerhin einer mit Liebe und Leidenschaft für die Frau ausgedacht, die ich mit Leidenschaft liebe. 

Die Idee, diesen Mix im Rahmen der Nummer 1 für "Home" meinen Lesern zur Verfügung zu stellen, ist ja im Grunde keine schlechte, nach weniger erfreulichen Erfahrungen hinsichtlich Copyrights entschloss ich mich allerdings dazu, Brock im Vorfeld zu fragen, ob ich seine Musik für eine Zusammenstellung nutzen und öffentlich machen darf. Nicht nur, dass mich seine erneut hyperfreundliche Antwort für 20 Minuten nach Luft schnappen ließ (Zitat der Herzallerliebsten:"You're starstruck!"), Brock zeigte sich auch damit einverstanden, den Mix zu teilen. 

Brock, I have no clue, if you will ever read this, but: Thank you. It really means a lot.


Hier. Für Euch. Sogar mit Genehmigung vom Chef. Enjoy.



01.03.2015

2014 ° Platz 2 ° Amerigo Gazaway - Yasiin Gaye




AMERIGO GAZAWAY - YASIIN GAYE


"Thank you for flying with Soul Mates. Peace Out."

Spätestens jetzt wird es arg redundant, denn es gab im vergangenen Jahr wenig, was auf Dreikommaviernull.de öfter und vor allem hingebungsvoller abgefeiert wurde als das "Yasiin Gaye" Projekt des US-amerikanischen Rappers und Produzenten Amerigo Gazaway. Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht mehr, was es noch zu sagen gäbe. Nicht so irrsinnig kreativ, ich weiß. Aber ich will niemanden langweilen, und ganz ehrlich: vor allem nicht mich. 

Kommt, wir machen es kurz - ihr lest den ganzen Schotter einfach nochmal, beziehungsweise eben nicht, und wer bislang tatsächlich noch so ignorant war, sich jeden im allerbesten Sinne gemeinten Hinweis dahin zu schieben, wo's lustig riecht, für den wird's jetzt allerhöchste Eisenbahn. Dabei ist lediglich zu beachten, dass jede Ausrede inakzeptabel ist.







Ich bleibe dabei: das muss man gehört haben, wenn das Leben wenigstens noch so ein kleines bisschen Spaß macht. Und machen soll. 








Die Bandcamp-Page (mit immer noch einer Menge kostenloser Downloads).


Listen & Enjoy. 


Erschienen auf Amerigo Gazaway, 2014.

24.02.2015

2014 ° Platz 3 ° Melanie De Biasio - No Deal



MELANIE DE BIASIO - NO DEAL


"C‘est pas vraiment du jazz, mais c‘est aussi du jazz."


Es ist beinahe unmöglich, diese Platte in Tageslicht zu hören. Es ist auch ungehörig, diese Platte in Tageslicht zu hören. Streng genommen zerfällt jeder, der diese Platte in Tageslicht hört zu Staub. Oder zu einem Bündel Bio-Knoblauch, als Strafe.

"No Deal" ist Nachtmusik, und so ausgeschrieben ist es fast eine Untertreibung. Nokturn, dunkelrot glühend, intim, gar so intim, dass man fast ein bisschen nervös auf dem Stuhl herumrutscht, weil alles so nah erscheint. Emotional nah. Weil die Instrumente so klingen, als wären sie von einem selbst handgeschnitzt worden. Die Geschichten von Di Biasio so kontemplativ, weil man sie selbst sein Leben lang auf dem eigenen Buckel herumträgt und von ihrer universellen Richtigkeit überzeugt ist, selbst wenn niemand sonst so fühlt. Die Stimme so eindringlich, dass der Atem zu spüren ist. Im Nacken. Im Ohr. Gänsehaut auf den Armen. 

So viel Luft wie hier zu finden und zu hören ist, so wenig Luft ist hier zu finden und zu hören. Selbst wenn der Swing hier und da für ein wenig Raum sorgt, so klaustrophobisch räkelt sich das geknüpfte Netz aus Moll und Hall am eigenen Körper hoch, wenn der Blues wieder das Zepter übernommen hat. Diese Musik kommt aus der Tiefe der Dunkelheit ganz langsam nach oben gekrochen, an die Erdoberfläche. Nur bei Nacht. Dann spannt sie ihre Weisheit über den ganzen scheiß Planeten. 

Und wenn das Timing stimmt, dann hat man nachts um 4 und spätestens beim Ende von "With All My Love", diesem ungeschlagenen Feedbackbrodeln und dem zweifellos besten Moment, der im abgelaufenen Jahr zu Klang wurde, plötzlich das Verständnis für das Kollektiv, für alles und jeden, für jeden Zusammenhang. 

Ein paar Minuten braucht man zum Sammeln der Gedanken. Dann lässt man die Rolläden einfach unten und es geht von vorne los.

Eternal Darkness. 





Erschienen auf Play It Again Sam, 2014.

21.02.2015

2014 ° Platz 4 ° The Life And Times - Lost Bees




THE LIFE AND TIMES - LOST BEES



Wenn ich schon im Jahr 2010 mit einem überraschend trotzigen Unterton schrub, dass ich die Größe von The Life And Times nun schon wirklich oft genug erwähnte, und außerdem auch die folgenden Jahre nicht müde wurde, dem Trio aus Kansas City bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Heiligenschein aufzusetzen, dann, und das muss ich ehrlicherweise zugeben, gehen mir jetzt schon ein bisschen die Superlative aus. Zumal ich "Lost Bees" erst vor wenigen Wochen bereits kommentierte. 

Was sich seitdem verändert hat? Ich habe erstens endlich die Schallplatte von "Lost Bees" auf toll klingendem weißen Vinyl auf dem Plattenspieler liegen, ich habe zweitestestens mittlerweile auch einen Lieblingssong, denn "Bored To Death" trifft mit seiner schwer dampfenden Melancholie und den schönsten Gitarrenharmonien der Welt meine Hauptschlagader wie ein Amboss, und darüber hinaus ist "Lost Bees", wie mir neulich erst auffiel, tatsächlich das einzige 2014 von mir gekaufte Rockalbum - was ein glatter Minusrekord ist. Rock ist tot. Und mit Blick auf das, was 2014 so alles die Kanäle verstopfte: mit was? Mit Recht! Das gilt natürlich nicht für Blank When Zero, die sind cool und am Leben. *hust*

Und es gilt nicht für The Life And Times. "Lost Bees" ist das einzige Lebenszeichen, der einzige Leuchtturm in der Dunkelheit. Fantastische, deepe, völlig klischeefreie Rockmusik zwischen Shoegazer, altem, US-amerikanischem Indierock, Grunge und Alternativerock mit den besten Musikern, die eine solche Musik verdient hat. Kein breitbeiniges Simpelgerocke, eher zurückgezogene, nachdenkliche, melancholische und doch tonnenschwere Rockmusik, die sich immer so anfühlt, als wäre sie aus der Zeit geplumpst. Gitarrist Allen Epley mit einem riesigen Omar-Rodriguez-Lopez-Gedächtnis-Effektboard, auf dem der Mann auch alles ausspielt, was es (alles)(nicht) gibt, ein hypereffektiver Eric Abert am Bass, der beinahe exklusiv stoisch vor sich hinpumpt und mit Super-Drummer Chris Metcalf so wichtig für den Punch der Band ist, einen Punch, der sich durch die Legion von Noise- und Harmonielayern durchtanken darf.

Ein Gesamtkunstwerk. Genau wie dieses Video. Damit sollte dann wirklich alles gesagt sein.





Erschienen auf Slim Style Records, 2014

17.02.2015

2014 ° Platz 5 ° Matthew Halsall & The Gondwana Orchestra - When The World Was One




Matthew Halsall & The Gondwana Orchestra - 
When The World Was One

Wäre ich vor fünf, sechs Jahren zu meinen Vorlieben in Sachen Jazz gefragt worden, hätte ich ohne mit dem Hanfblatt zu zucken irgendwas diffuses von Free Jazz gefaselt, möglicherweise noch unter Erwähnung der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts. Und es gäbe sogar einige Beweise auf meinem 3,40qm-Universum vorzulegen, beziehungsweise -lesen: Colemans "Free Jazz", Clifford Thornton und sein explodierendes "Ketchaoua"-Manifest oder auch die Schlachtenfummler-Exkursionen von Bassist William Parker. Im Gegenzug konnte ich die von vielen meiner Mitmenschen bevorzugten und von mir etwas despiktierlich genannten Kuscheljazzer nie so richtig verstehen und erfassen. Mir war das immer zu zahm, zu anschmiegsam und auf eine ganz klebrige Art ranschmeißerisch, was die deutschen Mainstream-Jazz-Postillen (for the record: Tautologie) in ihren ausgewählten Themen immer wieder bewiesen: je massenkompatibler, desto wertiger. Für die Auflage. Künstlerisch fand ich das fast immer sehr traurig und öde. 

Mittlerweile ist der Autor tatsächlich fünf, sechs Jahre älter geworden, und ich habe natürlich keine Ahnung, ob das Konzept von der Altersmilde wirklich existiert, aber ich muss unter Berücksichtigung der mir innewohnenden Offenheit, dass es also sicherlich nicht immer bis hin zu fast nie um ein "Entweder-Oder" gehen kann, soll, darf und muss, zugeben, dass ich diejenigen Stimmen, die an der Stelle von Chaos und Ungezügeltheit lieber Ton, Aura und Melodie hören wollten, mittlerweile besser verstehen kann. Es wird hoffentlich nie für Brönners Till reichen, aber für dieses fantastisch strahlende Album des britischen Trompeters Matthew Halsall gleich für die nächsten Jahre und Leben. 

"When The World Was One" war der höchste Neueinsteiger seit so ziemlich immer, praktisch von der 0 auf die 5, würde Der Dieter! Der Thomas! Der Heck! in seine sechs "Linie Aquavit" hineinsprotzen, die als Standgasportion hinter der Hitparadenkulisse auf ihn warteten. Es mag ganz bestimmt nicht der wildeste Ritt auf dem Rücken eines durchdrehenden Pferdes sein, aber ich habe in den letzten Jahren keine schönere und wärmendere Mischung aus modalem Jazz der 1960er und dem spirituellen Jazz der 1970er Jahre gehört, eine Mischung, die einerseits so unprätentiös, andererseits so selbstbewusst klingt, sodass nicht mal eine Sekunde Platz ist für eine ansonsten immanente Käsigkeit und den berüchtigten Muckerkitsch. "When The World Was One" ist eklektischer, nachdenklicher, moderner Jazz - hypnotisch und meditativ, nicht nur mit dem besten, was die britische Jazzszene gerade zu bieten hat - Taz Modi am Piano, Flötistin Lisa Mallett, Luke Flowers (u.a. Cinematic Orchestra) am Schlagzeug, Nat Birchall am Saxofon und Gavin Barras am Bass - sondern auch mit einer entsprechenden Instrumentenvielfalt ausgestattet: Rachael Gladwin setzt ihre Harfe unter anderem prominent und selbstverständlich beim Albumhighlight "Tribute To Alice Coltrane" ein, Keiko Kitamura spielt das japanische Koto, eine mit Seide bespannte Wölbbrett-Zither. 

Wer sich gerne mal ein halbes Fläschchen Tramal einbaut und die nächsten acht Tage ohne Toilettengang zugedeckt im Bett verbringt, weil's so schön entspannt und weil's außerdem ein heimlicher Traum von mir ist, oder morgens zum ersten Kaffee gleich den Lautsprecher ablecken will, weil's natürlich auch ein Traum von mir ist, aber wenigstens einer, der wegen dieser Platte mittlerweile in Erfüllung gegangen ist, der weiß, was jetzt zu tun ist. 





Erschienen auf Gondwana Records, 2014.