Posts für Suchanfrage the sea and cake werden nach Datum sortiert angezeigt. Nach Relevanz sortieren Alle Posts anzeigen
Posts für Suchanfrage the sea and cake werden nach Datum sortiert angezeigt. Nach Relevanz sortieren Alle Posts anzeigen

25.02.2023

Best Of 2022 ° Platz 19: marine eyes - chamomile



MARINE EYES - CHAMOMILE

Ein großes Versäumnis, das der Verzicht auf eine Bestenliste fürs Jahr 2021 auf diesem Blog mit sich brachte, ist die bisherige  Nichterwähnung von marine eyes, einem Ambientprojekt von Cynthia Bernard. Ihr Debutalbum "idyll" brachte mich auf meinem Instagramkanal ins rhetorische Trudeln:

"Sounds as if the vibes from The Sea And Cake's music have an out of body experience under an almond tree in full blossom on the Samoan Islands, right after getting a serious dose of muscle relaxants (life goals, btw!). So peaceful and soothing, you can't help but get lost in it."

Und auch wenn's in so illustren wie professionellen Zirkeln ein bisschen cringe wirkt, sich erstens selbst zu zitieren und sich zweitens dann auch noch selbst auf die Schulter zu klopfen, sei's drum: da stimmt ja immer noch jedes Wort. "idyll" war das reinste, sanfteste, friedvollste Weiß der Welt. Cynthias zweites Album, das im gleichen Jahr veröffentlichte "Unfailing Love", ist in Zusammenarbeit mit Past Inside The Present-Gründer zaké entstanden (gemastered übrigens von niemand Geringerem als Stephan Mathieu) und bekam im direkten Vergleich ein wenig mehr Erdung und Melancholie unter die Schwerelosigkeit gelegt. 

Als im Oktober des letzten Jahres unser Hund Fabbi schwer krank wurde, und ich unter seelischer Betäubung versuchte, die Tage ohne einen oder dreizehn Nervenzusammenbrüche zu überstehen, wurde mir "chamomile" ein Begleiter in dieser von Schlaflosigkeit und großer Traurigkeit geprägten Zeit. Mir erschien die Ansprache dieser Musik als intuitiv unemotional. Sie war einfach...da. Sie forderte nichts ein, sie kam mir nicht ungefragt zu nahe - sie tröstete einfach nur. Sie füllte den Raum um mich herum mit einem Kokon aus tausenden kleinen Lichtpunkten, mit Verständnis und Zuspruch, damit ich nicht fallen konnte. Ein Seraphim. 

"chamomile" kann mir meine Angst vor Krankheit, Tod und Verlust nicht nehmen. Aber es macht den Umgang mit den Erlebnissen und Erfahrungen einfacher. Es ist magische Musik, die das Leben, den Augenblick und das Universum feiert.

--

Vinyl: Meine Past Inside The Present-Pressungen sind leider nicht immer makellos, was bei der im Allgemeinen sehr verhaltenen Musik problematisch werden kann. Meine "Cocoon White"-Version von "chamomile" ist insgesamt zufriedenstellend, aber nicht perfekt. Das Cover-Artwork ist ein Träumchen und so friedvoll und transparent-schimmernd wie die Musik.


   


Erschienen auf Past Inside The Present, 2022.



05.09.2021

All On The Black




LEYA - WATCH YOU DON'T TAKE OFF

Liebe LeserInnen,

Während ich im Fiebertraum an etwas arbeite, das irgendwann mal die intellektuelle Verdunkelung dieses Blogs mit dem großen "Bad Religion Album-Ranking" fortführen wird, ich muss ja die zweite Jahreshälfte irgendwie rumbringen, beziehungsweise ihr entgegendämmern, gibt es nach dem geborgenen Interview mit The Sea And Cake noch eine weitere Resteverwertung aus einer anderen Zeit und einem anderen Leben. 

Als Schreibknecht beim Hamburger Tinnitus-Mag zur Mitte der nuller Jahre war ich angehalten, jeder Plattenbesprechung eine Punktzahl anzuhängen und also jede Platte auf einer Skala von 1 (Atommüll-Endlager) bis 10 (Bundespressekonferenz auf Acid) zu bewerten. Aus der etwas diesigen Erinnerung heraus lag mein Notendurchnitt sicherlich deutlich unter sechs Punkten - ich bekam wirklich erschütternd viel Schrott und noch mehr Middle-Of-The-Road-Gerocke zugeschickt; letzteres empfand ich oft als mindestens genauso ärgerlich wie den klar erkennbaren Bodensatz, weil es sich in jenen Fällen irgendwie verbat, emotional einigermaßen aufgewühlt und mit sprachlicher Finesse das eigene Ego zu befriedigen, sich also vermeintlich lustige Analogien und Metaphern einfallen zu lassen. Egale Musik war eben schon immer egal, und ein triviales Schulterzucken macht selbst der beste Comedian der Welt nicht zur guten Unterhaltung. Einen Verriss zu schreiben kann dagegen ein großer Spaß sein, und weil Spaß wirklich die überbewerteste Kernscheiße der Welt ist - guckt euch domma um, in welchem Autounfall wir hier leben, Ihr Assos! - und ich sowieso seit Anbeginn dieses Blogs stets darauf hinwies, gibt's auf Dreikommaviernull auch keine ebenjenen zu lesen. Weder Spaß noch Verriss. If you wanna see juggling, go watch clowns.

Mit Noten von 8/10 oder gar höher, tat ich mir gleichfalls immer schwer. Platten, die damals acht Punkte von mir bekamen, hätten von einem anderen, möglicherweise sagen wir mal: etwas unkritischeren Geist sicher eine 14/10 eingefahren, und um diesen Schwachsinn von Schwachsinnigen etwas auszubalancieren, war ich in der Redaktion als notorischer Tiefwerter bekannt. Ich glaube, ich vergab in den zwei Jahren meiner Mitarbeit an maximal zwei Platten eine 9. 10 Punkte waren eigentlich komplett undenkbar. 

Bis zu dem Tag, an dem ich tief durchatmete und eine 10 vergab. 

Wenn sich heutzutage wirklich noch irgendjemand außer mir dafür interessieren würde und mich also fragte, wie es denn 15 Jahre später damit aussieht und ob ich die zehn Punkte für "Watch You Don't Take Off" auch heute noch verteilen würde, dann müsste ich die Frage verneinen. I have moved on - und eigentlich war ich bereits im Sommer 2006 weitergezogen. Und trotz meiner natürlichen, und ich kann es nicht diplomatischer formulieren, "Skepsis" gegenüber dieser Spielart des im Pathos geradewegs abgesoffenen Indierocks, dem man zu allem Überfluss sowohl seine geografische Heimat als auch die Epoche anhört, in der er entstand, verstehe ich den Typen aus dem Jahr 2006 auch heute noch ganz gut und weiß, warum die Vergabe von zehn Punkte damals unausweichlich erschien. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft gerade der Abschlusstrack "All On The Black" und ich bekomme immer noch eine kilometerdicke Gänsehaut. Ich kann mich gegen sowas einfach nicht wehren, das drückt einfach alle, alle, alle Knöpfe. Auch im Jahr 2021: Der blanke Wahnsinn. Wo hat diese Band das bloß hergeholt?

Bleibt mir zum Abschluss noch festzuhalten: entgegen aller völlig logischen Erwartungen, halfen die zehn Punkte von einem kleinen idiotischen Kartoffeldeutschen der Band nicht dabei, den winzigen und wahrscheinlich von einer abgewichsten Promoagentur herbeihalluzinierten "Hype" zu bestätigen. "Watch You Don't Take Off" sollte das einzige Lebenszeichen von Leya bleiben, die Band löste sich wenig später sehr sang- und klanglos auf. Leider erschien das Album nie auf Vinyl und die Chancen stehen denkbar schlecht, dass sich das nochmal ändert, denn viel tiefer untergehen kann eine Platte nicht. Wirklich nicht. Der daraus resultierende Vorteil ist indes, dass die längst gestrichene CD mittlerweile für unverschämt kleines Geld im Internet zu beziehen ist. 

Ich habe für diesen Beitrag meinen Rezensionstext von damals ausgegraben. Vielleicht versüßt die Platte jemandem die wahrlich abgefuckteste aller Zeiten.

--

Leya - Watch You Don't Take Off


Wasserwirbel. Herzensbrecher. Windgeflüster. Ein Album wie aus einer anderen Welt.

Leya sind eine langsam, aber stetig gewachsene Band. Von kleinen, privaten und lokalen Gigs zum Anfang ihrer Karriere im Jahr 2001, über gewonnene Bandwettbewerbe, Support-Slots für Damien Rice und Interpol bis hin zu einem weltweiten Management-Deal und einem Plattenvertrag in 2006 hat sich ihre Karriere stets nach vorne bewegt. In ihrem Heimatland Nordirland gelten Leya als DIE Hoffnung des Jahres und "Watch You Don't Take Off" ist das Album, das Herzen brechen wird. Das Tränen fließen lassen wird. Das den Boden unter den Füßen wegzieht. 

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich dieser Platte zunächst nicht die volle Aufmerksamkeit entgegenbrachte. Der Veröffentlichungstermin stand erst in ein paar Wochen auf dem Plan, ich sollte also noch genug Zeit haben mich mit "Watch You Don't Take Off" zu beschäftigen. Dennoch legte ich sie fast instinktiv immer wieder auf, allerdings ohne größere Auswirkungen. Ich sprang weder im Dreieck, noch aus dem Fenster; es schien, als sei das eine "ganz nette Platte" einer "ganz netten Band" mit einer "ganz netten Mischung" aus britischem Gitarrenrock und epischem, ausuferndem  Bombast. Bis zu jenem Moment, als ich während eines weiteren Durchlaufs plötzlich hellhörig wurde. Ach, was schreib' ich da...die Sicherungen sind mir durchgeknallt! Plötzlich fand ich mich mit Textblatt in der Hand vor der enthemmt aufgedrehten Anlage wieder und bekam den Mund nicht mehr zu. "Was machen die denn da? Hallo...? Verdammt, was machen die denn da???"

Das sanfte Piano, das eben noch an der Ecke lehnte und traurig in die Nacht hinein spielte, bäumt sich plötzlich auf. Aus dem Innern schwingen sich immer lauter und immer größer werdende Gitarren empor. Die Violinen breiten ihre überdimensionalen Flügel aus. Das Grollen des Himmels verschlingt das weite Land. Alles ist Eins. Schicht um Schicht legen die vier Musiker immer neue Farben und Gebilde übereinander. Wie ein Maler, der vor seiner großen Leinwand steht und jeden Pinselstrich genießt, der mit jeder Handbewegung, mit jedem Geistesblitz sich selbst und seine Kunst neu erfindet. Ein abgeschlossenes System, das dennoch so offen und frei ist, dass jede minimale Veränderung Auswirkungen nach sich zieht. 

Der Kern aber bleibt. Felsenfest. 

Das Lied, auf das sich diese Beschreibung bezieht heißt "Again" und ist eines von zwei totalen Unglaublichkeiten in einem Meer voller Unglaublichkeiten. "Who are we, where do we come from?" fragt Sänger Ciaran Gribbin und wir können ihn nur ungläubig anstarren und versuchen die warmen Schauer, die er uns damit über den Rücken jagt irgendwie zu kontrollieren. Ha, wir Narren! Hier gibt es nichts zu kontrollieren. Wer etwas anderes versucht, als sich treiben zu lassen geht im Wahnsinn unter.

Sie nahmen mich gefangen. Spielend leicht. Ihre Songs sind wie Raketen, die sich in den Himmel hineinschrauben, ohne jemals zu verglühen. So leicht und schwerelos wie eine Feder, die in einer sanften Brise herumtänzelt und nie den Boden berührt. Ihr Sänger Ciaran Gribbin, ein Künstler, der es mit Leichtigkeit vermag die perfekten Worte, Silben und Melodien an die perfekten Stellen zu platzieren. Der mit einer der grandiosesten und ausdrucksstärksten Stimmen gesegnet ist, die in den letzten zwanzig Jahren Musik veredeln durfte. Seine Hinterleute mit untrüglichem Gespür für den richtigen Anschlag, die richtige Geste. Das Laut/Leise Prinzip in Vollendung. Diese Songs strahlen so viel Herzenswärme, so viel Gefühl und so viel Leidenschaft aus, man weiß gar nicht mehr wohin damit. Dabei hochmelodisch, aber bitte nicht kitschig. Diese Lieder stehen weit über dem Kitsch.

"All On The Black", der letzte der elf Songs auf "Watch You Don't Take Off" und gleichzeitig die zweite totale Unglaublichkeit in einem Meer voller Unglaublichkeiten (siehe oben), setzt den Schlusspunkt und beschließt damit ein geradezu beängstigend rundes, stimmiges und - man traut es sich ja fast kaum zu sagen: perfektes Album. "Some days are right, some days are anything but right. Some days we'll fight, some days are anything". Gribbin holt zum letzten Mal Luft. Legt zum letzten Mal all seine Emotionen in diese Wörter. Und lässt uns zurück. In einer anderen Welt.

10/10


 


Erschienen auf Rubyworks, 2006.

01.08.2021

Blast From The Past: The Sea And Cake (2007)

 


THE SEA AND CAKE

Viel ist aus meiner aktiven Zeit als Textidiot Redakteur beim Hamburger Tinnitus-Magazin nicht übrig geblieben, wenigstens nicht in der virtuell erreichbaren Welt: Chef Haiko hatte den Laden irgendwann zu Beginn der zehner Jahre dichtgemacht und alle Inhalte ratzeputz und hottehü vom Netz genommen, bevor er sich von Rockmusik im weiteren Sinne verabschiedete und Techno-DJ wurde. Ich selbst habe im Rahmen von mehreren Laptopwechseln seit meinem Ausscheiden 2007 sicherlich den ein oder anderen Text ans Daten-Nirwana verloren, was mir normalerweise keine schlaflosen Nächte bereitet. Aber es ist ein bisschen vergleichbar mit meinen regelmäßigen CD- und Plattenverkäufen. Man vermisst eigentlich nichts - bis zu dem Moment, an dem man etwas vermisst. "Wo habe ich denn nur...?!"

In einigen Fällen finde ich es aber tatsächlich etwas schade, die Texte nicht mehr zur Verfügung zu haben. Das betrifft meistens jene, die ich im Rahmen von geführten Interviews zusammenstellte, was auch immer ein ganz besonderer Aufwand war - mal ganz davon abgesehen, dass ich mit Personen sprechen durfte, deren Musik mir außerordentlich viel bedeutete (und in vielen Fällen gilt das sogar bis heute). 

Ich kam kürzlich mit einem weiteren Freund von The Sea And Cake ins virtuelle Gespräch, und nachdem ein Wort das andere ergab, war irgendwann offensichtlich, dass wir beide an diesem kühlen und regnerischen Juniabend des Jahres 2007 nicht nur dasselbe Konzert sahen und uns also beide in den Räumlichkeiten der Frankfurter Brotfabrik aufhielten, sondern auch noch beide ein Interview mit der Band führten: er mit Sänger/Gitarrist Sam Prekop, ich mit Gitarrist Archer Prewitt. Potztausend! Dass ich mich angesichts der journalistischen Qualität des Textes des Kollegen tatsächlich noch auf die Suche nach meinem eigenen holzigen Textgestümper machte, sagt einiges über die eigene Hybris aus, die ich immer so gerne ins Tal der Mythen schicken will, lol, ja, am Arsch; aber es gab "Hoffnung": eine fix durchgeführte Recherche auf den noch im Zugriff befindlichen Geräten ergab: et perdidisti. Die Datei ist weg, verschluckt, weggeflogen, vor Scham selbst in Flammen aufgegangen, was weiß ich.   

Es war daher hocherfreulich schockierend, dass eine Suche auf den Seiten des Internet Archives nach dem Prinzip "Topfschlagen unter 13 Promille" tatsächlich einen Treffer ergab - unter den über 150 Milliarden gespeicherten Webseiten befindet sich doch wirklich diese eine aus dem Juni 2007, es ist geradezu verrückt. Und da kann man auch mal sehen, mit welchem Schrott hier wertvoller Cloudspace verrammelt wird, das ist ja absurd.

Nun ist es außerdem ja so: wen interessiert denn im Sommer 2021 wirklich noch ein vierzehn Jahre altes Interview mit Archer Prewitt? 

Und Hurra, ich habe die Antwort: es ist mir scheißegal! 

Hier ist es, enjoy!

--


Von der Leichtigkeit des Black Metal

Es war ein denkwürdiger Tag. The Sea And Cake sind für mich sowas wie der ganz persönliche Trendsetter. Die erste Zusammenkunft mit ihrer Musik, mit dem 2001er Album "Oui" vor knapp drei Jahren, war das Überschreiten des point of no return, der neue Weg, nach dem ich schon lange gesucht habe. Ihr feingliedriges Songwriting, das so erfrischend ohne die große Pose auskommt, diese gänzlich machofreie Mischung aus Jazz, Pop und Indie: spätestens das war der der endgültige Anfang von Ende von über 15 Jahren Rock und Metal-Sozialisation. Man soll sowas ja nicht schreiben, weil es angeblich so unprofessionell klingt, aber ich tu es trotzdem.
Ja, ich bin Fan. Und an diesem sackkalten Juniabend trifft dieser Fan auf eine seiner Lieblingsbands. Genauer gesagt auf Gitarrist Archer Prewitt, der im Rahmen der Europatournee des Quartetts so freundlich war, mir meine Fragen zu beantworten. Mr.Prewitt ist ein ruhiger, schüchterner und sympatischer Mensch, bietet mir sofort Kaffee an und spurtet umgehend los, als mir gleich zu Beginn der Schreck in alle Glieder fährt: Das Aufnahmegerät will nicht mehr. Sind's die Batterien? Die sollten doch eigentlich noch funktionieren. Egal, Archer springt sofort auf und hält Ausschau nach dem Roadie der Frankfurter Brotfabrik und fragt nach neuen Stromlieferanten. Als die neuen Teile auf sich warten lassen, bedient er sich eines alten Hausmittels, nimmt meine leeren Batterien und reibt sie sich über die Hose.

"Let's try it the good old way..." grinst er. Und tatsächlich, es klappt. Jetzt steht einem entspannten Plausch nichts mehr im Wege.


"Das Publikum reagiert hervorragend auf die neuen Songs. Wir können uns nicht beklagen über die Tour. Bis jetzt läuft alles fantastisch. An manchen Abenden sind die Leute während der Show eher zurückhaltend und klatschen nur höflich nach den Songs. Und wenn wir dann das erste Mal von der Bühne gehen, flippen sie förmlich aus und wollen eine Zugabe nach der anderen. Wir sind dann immer sehr überrascht darüber, weil wir das während des Gigs eigentlich kaum mitbekommen, wie die Zuschauer drauf sind. Es ist sowieso immer sehr überraschend. Ich meine, die meisten Gigs liefen gut, aber es gibt Abende, die herausstechen. In Paris zum Beispiel drehten die Leute wirklich durch. Du weißt eben nie, wie ein Abend läuft."

"Everybody" ist der Anlass für die erste Rundreise seit knapp vier Jahren, passend zum ersten Album seit ebenso langer Zeit. Eine erneut zum Weinen großartige Scheibe, gespickt mit den vielleicht besten und straightesten Songs, die der Chicago-Vierer bis dato geschrieben hat. Obgleich "Everybody" rockiger erscheint als die Vorgänger, zieht ihr doch sicherlich kein typisches Rockpublikum an, oder?

"Errr, maybe not, haha. Oftmals gibt es zwischen den Songs sowas wie respektvolles Schweigen. Das ist vielleicht nicht jedermanns Sache, aber ich mag das eigentlich ganz gerne, weil es zeigt, dass die Leute wirklich zuhören."

Was ist eigentlich in der langen Zeit zwischen eurem letzten Album "One Bedroom" und dem aktuellen Werk passiert? Und warum hat es solange gedauert, bis man wieder etwas von euch gehört hat?

"Nun, jedes Mal, wenn du ein Album veröffentlichst, gehst du dafür natürlich auf Tour und wir taten dies für "One Bedroom" sehr ausgiebig. Dann nahm ich mein erstes Soloalbum "Wilderness" auf und ging dafür ebenfalls auf Tournee. Und fast zeitgleich brachte Sam (Prekop, Sea And Cake-Sänger - F.E.) seine zweite Soloplatte "Who's Your New Professor" heraus, auf der ich ebenfalls Gitarre spielte und später dann auch mit ihm auf Tour ging. Es war also eine ständige Zeit des Musikmachens, wenn auch nicht immer unter dem The Sea And Cake-Banner. Außerdem arbeitete auch John (McEntire, TSAC-Drummer - F.E.) in seinem Studio mit seiner Band Tortoise an neuem Material und unser Bassist Eric Claridge verkaufte hunderte seiner Bilder über seine Homepage www.ericclaridge.com. Wir haben also im Grunde niemals pausiert, wir hatten alle viel zu tun. Aber nach den Erfahrungen mit "Everybody" planen wir, Ende des Jahres gleich wieder ins Studio zu gehen, um das nächste Sea And Cake-Album aufzunehmen."

Aber es stand nie zur Debatte die Band aufzulösen, oder? Ich meine, vier Jahre sind eine lange Zeit, selbst wenn ihr alle in unterschiedlichen Projekten involviert wart...

Nein, die gab es nicht. Wir nehmen uns einfach diese Auszeiten. Wir haben das jetzt schon ein paar mal gemacht und ich muss zugeben, dass wir uns vorgenommen haben, etwas produktiver zu sein, weil wir das Gefühl haben, dass es dem Wohl der Band nicht besonders förderlich ist, wenn wir uns immer so lange Zeit lassen. Davon abgesehen ist es ja auch für die Fans nicht das Wahre.

Lass uns ein wenig auf das neue Album "Everybody" zu sprechen kommen. Sam Prekop sagt darüber, es sei ein Rock-Album und tatsächlich ist es das mit Sicherheit rockigste und auch straighteste Album, das ihr je aufgenommen habt. Denkst du, dass es etwas damit zu tun hat, dass ihr so lange nicht mehr miteinander Musik gemacht habt?

Ja, ich denke, dass man da durchaus einen Link setzen kann. Es war ein bisschen so wie unsere frühere Herangehensweise an Musik. Einfach einen Song heraus zu hauen, ihn aufzunehmen und fertig. "The Biz" (aus dem Jahr 1995 - F.E.) war diesbezüglich nicht unähnlich. Wir legten weniger Wert auf die Post-Production, sondern achteten auf das Songwriting und die Ausarbeitung eines Titels bevor wir ihn überhaupt aufnahmen. Es erschien uns sinnvoll, dass wir uns nach so langer Zeit in erster Linie unseren musikalischen Fähigkeiten vertrauen sollten, anstatt der Studiotechnik. Das wir mehr Wert auf das legen, was wir schreiben und produzieren können, noch bevor wir das Material dann tatsächlich aufnehmen. Ich denke, das war ein guter Ansatz für "Everybody". Wir arbeiteten sehr hart daran, vierzehn oder fünfzehn Songs zu haben, bevor wir uns an die Aufnahmen machten, und es zahlte sich auch hinsichtlich der Moral innerhalb der Band aus. Du liegst mit deiner Vermutung sicherlich richtig, dass diese Arbeitsweise und letztlich diese Platte aus der Tatsache geboren wurde, dass wir seit knapp vier Jahren zumindest die kollektive Studiosituation nicht mehr hatten.

Ich las einen Bericht über "Everybody", in dem ihr dahingehend zitiert wurdet, dass die Zeit im Studio sehr intensiv gewesen sei, und dass ihr alle hochkonzentriert an der Platte arbeiten konntet. Obgleich waren die Songs schon fertig, bevor ihr ins Studio gegangen seid. Wie entstanden die Titel denn? Wie muss man sich das vorstellen?

Meistens war es Sam, der mit einem Entwurf zu einem Song ankam. Dann schrieben wir die Gitarren- und Bassparts zusammen, trugen den Song in eine neue Richtung, legten Sachen wie Tempo oder Länge fest, schauten, wie die einzelnen Parts zusammen passen. Aber ursprünglich kommen die Ideen von Sam, bevor Eric und ich uns daran machen, den Ansatz weiter aus zu bauen. Bei "One Bedroom" haben wir John McEntire gleich zu Beginn in den Songwritingprozess miteinbezogen und ich hatte das Gefühl, dass es mich dazu brachte die Gitarre minimalistischer ein zu setzen. Das war ein interessanter Weg, weil da plötzlich soviel Information in einer Songskizze war, dass ich mich ganz automatisch mehr zurückhielt, was die Musik auf eine ganz spezielle Art öffnete. Aber grundsätzlich denke ich, dass der eigentliche Sea And Cake-Sound aus der Zusammenarbeit von Sam, Eric und mir entsteht und unsere Art die Akkorde ineinander zu verweben den Sound in erster Linie prägen. "Everybody" ist demzufolge eine Rückkehr zur alten Arbeitsweise, a return to form.





Es hat so oder so den Anschein, als wäre exakt diese Art Musik zu machen in euren Genen verankert. Ein blindes Verständnis darüber, wie The Sea And Cake zu klingen haben. Wenn man euch alle in einen Raum einsperren und euch die Augen verbinden würdet, käme wohl immer genau dieser ganz spezielle Sound dabei heraus.

Ja, ich weiß was du meinst. Ich glaube, dass liegt daran, dass Eric, Sam und ich alle Autodidakten sind und unser Sound das widerspiegelt, was wir seit Jahren tun, wie wir es tun und wie wir es uns gegenseitig beibrachten zu spielen. Wir haben über die vielen Jahre ein eigenes Vokabular erschaffen, das uns von der ersten Sekunde an, in der wir miteinander Musik machten, passend und angemessen erschien. Und glücklicherweise fanden wir damals in dem Studio in dem wir unsere erste Platte aufnahmen John McEntire. Ursprünglich hatten wir ja mit Brad Wood einen anderen Drummer, der auf unserem Debut spielte. Aber wir hatten bei ein paar Songs das Gefühl, dass die Drums etwas pampig klangen, obwohl sie eigentlich etwas abheben und luftiger klingen sollten, verstehst du? John fragte also, ob er es mal versuchen solle und als er loslegte machte es sofort *klick* und der spezielle Sea And Cake-Sound war geboren.

Ein Sound, der oft als der perfekte Sonntagmorgen-Frühstück-Sonne-Scheint-Durchs-Fenster-Sound bezeichnet wird. Fühlt ihr euch damit eigentlich wohl?

Also ich schon, haha. Ich finde, das passt schon ganz gut. Wir klingen ja auch sehr sonnig. Allerdings muss ich die Einschränkung machen, dass unser Klangbild ja nicht durchgängig leicht und breezy ist. Versteh' mich nicht falsch, ich will mich dagegen gar nicht verteidigen, aber ich denke es ist nicht angebracht, Sea And Cake auf ausschließlich diese Seite zu reduzieren. Es gibt leichtere und schwerere Songs und es gibt leichte Themen und schwerere Themen.

Vor einiger Zeit gab es in einem deutschen Musikmagazin en Interview mit Sam zu lesen, in dem er sagte, dass er der Meinung ist, dass sich unter der Oberfläche viele Zweifel und viel Melancholie verbergen. Um das zu erkennen müsse man aber sehr genau hinschauen. Wie macht ihr das, dass diese schwermütigeren Themen so subtil in euren Sound eingeflochten werden?

Ich denke, dass es einfach im Songwritingprozess so passiert und diese Seite von Sea And Cake genauso zu unserem Sound gehört. Bei dem Song "Transparent" auf "Everybody" waren wir zum einen alle sehr überrascht, dass er sich zu einer solch eher komplexen Struktur entwickelte, aber ich denke zum anderen, dass gerade dieser Song ein sehr gutes Beispiel dafür ist, dass wir zwei Seiten miteinander verbinden: die sonnige und die melancholisch-zweifelnde. Des Weiteren denke ich, dass Sams Texte die Musk unendlich bereichern, auch gerade hinsichtlich dieser zwei Emotionen. Ich weiß, dass viele sagen, unsere Texte seien nicht so wichtig oder gar zu gefällig, aber ich verwehre mich gegen den Standpunkt, dass sie nichts aussagen würden. Sie bedeuten etwas, und Sam wählt die Wörter sehr sorgfältig aus, die er singt. Ich war schon immer ein großer Fan seiner Texte und ich glaube, dass gerade sie es sind, die die dunkleren Nuancen wie Melancholie oder auch Frustration in unsere Musik bringen. Es gibt immer einen Gegenspieler, der das Gegenteil aufnimmt und ihm den Ball wieder zurückspielt.

Diskutiert ihr eigentlich die Texte mit Sam oder ist das ausschließlich sein Ding?

Oh, Eric und ich haben früher sogar selbst Texte geschrieben oder Sachen zu Sams Lyrics beigesteuert, als wir noch etwas produktiver waren. Aber mittlerweile sehen wir dazu keine Veranlassung mehr. Sam singt und greift dabei auch auf seinen Notizblock zurück, auf dem er immer wieder einzelne Phrasen und Worte notiert...er hat also genug davon, denke ich, haha. Es kommt vor, dass ich einige Stellen kommentiere, wenn alles vorbei ist. Im Sinne von "Oh, das ist aber ziemlich düster, oder?". Man kann eigentlich leicht die Bedeutung der Worte außen vor lassen und einfach nicht darauf achten, aber ich achte bei Sam immer darauf. So lassen sich viele interessante Aspekte erkennen.

Es wurde berichtet, dass ihr wenig Overdubs für "Everybody" verwendet habt, und dass außerdem John McEntire erstmals nicht so stark in die Produktionspflichten eingebunden wurde wie zuvor, sodass er sich mehr auf sein Schlagzeugspiel konzentrieren konnte. Wie lief das ab?

Es hatte jedenfalls nicht soviel damit zu tun, dass Brian Paulson die Platte produzierte, weil im Grunde es immer noch wir waren, die Hand anlegten. Und wir sind es auch immer noch die im letzten Schritt entscheiden, was der Song benötigt. Ob hier oder da noch Keyboards notwendig sind...solche Sachen. Aber wir versuchten uns ein wenig mit diesen Sachen zurück zu halten. Wenn wir einen Song geschrieben hatten, hatten wir meist das Gefühl, es sei bereits alles da, was er benötigt. Das war auch ein Vorteil, den Brian ins Spiel brachte. Er ist eher direkt in seiner Arbeitsweise und nimmt alles recht zielstrebig auf. Nichtsdestotrotz hat auch er seine Ideen eingebracht, die man auch auf dem Album hören kann. Er hatte auch großen Anteil an dieser Platte. Es war eine Gemeinschaftsarbeit. Eigentlich arbeiteten wir den Song bis an die Spitze aus. Bis zu dem Punkt, an dem wir dachten "Okay, das war's!" und DANN gingen wir erst dazu über zu überlegen, ob noch etwas fehlt. Das war sehr hilfreich, um den Blick frei zu bekommen. Du läufst irgendwann Gefahr, die Übersicht zu verlieren, wenn du einen Keyboardteppich über den anderen stapelst und dir davon einen besseren Song erhoffst. Und irgendwann schüttelst du nur noch mit dem Kopf und denkst "alles muss hier wieder weg". Da war unsere Taktik wesentlich besser.

Und ich gehe davon aus, dass du mit "Everybody" sehr glücklich bist?!

Ja, absolut. Sehr glücklich.

Das ist gut. Ich nämlich auch.

Hahaha. Es ist interessant, dass wir eigentlich alle sehr zufrieden sind. Ich meine, du wirst immer Situationen haben, gerade wenn du auf Tour bist und das Material jeden Abend spielst, dass du denkst, dass die ein oder andere Passage vielleicht schneller sein müsste. Wenn du auf der Bühne dann das Tempo anziehst und merkst, dass es besser klingt, dann wünschst du dir, dass du auf der Platte schon diesen Einfall gehabt hättest. Aber das ist das Übliche, damit ärgern sich noch ganz andere herum, wenn die Scheibe erstmal im Kasten ist.

Findest du es eigentlich auch so bemerkenswert, dass die Reviews zu jeder neuen Platte im Grunde immer wieder dasselbe sagen? Meistens heißt es doch "Es gibt hier nichts Neues zu hören, aber wahrscheinlich ist diese neue Sea And Cake-Platte die schönste, die sie bisher aufgenommen haben.", und dieser Gegensatz zwischen "Nichts Neues, aber schöner als der Rest." ist doch sehr interessant, gerade hinsichtlich der Rezeption eurer Musik. Wie siehst du das?

Es wird mehr und mehr frustrierend. Wir als Band sehen sehr wohl eine Entwicklung, wir sehen sehr wohl eine Form von Wachstum, von Verfeinerung. Und wir sehen auch die veränderten Entscheidungen, wie wir sie von Platte zu Platte einer neuen Form anpassen. Wenn ich "frustrierend" sage, meine ich das auch in Hinblick auf andere Bands, bei denen eine sogenannte fehlende Weiterentwicklung in der öffentlichen Meinung niemals eine Rolle spielt, obgleich sie einen viel stärkeren Drang nach einem gradlinigen Klang besitzen. Man beginnt daran zu glauben, dass viele Journalisten eher nach Information und Bestätigung suchen, weil sich dieser Vorwurf so oft wiederholt und weil er überall auftaucht. Wir denken dann immer "Okay everybody! We get it!". Aber wir gehen niemals mit diesen Gedanken im Kopf an die Arbeiten zu einem neuen Album. Unser Gefühl dazu ist eher in der Art von "Lasst uns ein Album machen, das wir gerne hören würden."





Zumal es gerade in Bezug auf "One Bedroom" sehr wohl eine nicht zu unterschätzende Entwicklung in eurem Sound gibt. "Everybody" ist detailreicher, zugleich fokussierter und die offensivste Sea And Cake-Veröffentlichung bis jetzt.

Da stimme ich dir zu. Bei jedem neuen Album werden die Anforderungen an die Band größer. Meine beiden Lieblingsplatten sind "Everything" und "Oui" (aus dem Jahr 2001 - F.E.). Ich bin sehr stolz auf diese beiden Platten und all die Zeit, die wir damit verbrachten sie fertig zu stellen war es wert. Ich höre mir unsere alten Scheiben eigentlich nie mehr an, wenn wir sie veröffentlicht haben, aber diese beiden liebe ich dennoch. Sie sind für mich wie Meilensteine, und wir arbeiteten sehr hart für diese Platten.

"All The Photos" von "Oui" ist einer meiner Lieblingssongs von Euch. Spielt ihr den auch live auf dieser Tour?

Ich muss dich leider enttäuschen, den spielen wir nicht, weil er so viele Keyboards benötigt. Weißt du, wir dachten uns für diese Tour, dass wir mit demselben Ansatz an sie herangehen sollten, wie wir auch dem neuen Album begegnet sind. Eben direkter. Und es fühlt sich ganz gut an, muss ich sagen. Es ist mehr Raum und Luft für die Songs da, es gibt mehr Freiräume und nicht diese ganzen Töne, die jedes Loch zumauern wollen. Das ist auch spannender für uns auf der Bühne. Wir sind eine eher introvertierte und bescheidene Band, die nicht um jeden Preis die Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss, wirklich nicht. Es fühlte sich manchmal schon sehr merkwürdig an, wenn wir Gastmusiker auf der Bühne hatten, damit wir möglichst nah an den Klang der Platte auf CD kamen. Dieses Mal hatten wir alle das Gefühl, dass wir all das hinter uns lassen sollten. Ich wollte immer eine raffinierte Vertracktheit entwickeln, sodass deine Ohren immer nach einer neuen Information suchen und nicht vor Langeweile einschlafen. Ich möchte mich selbst herausfordern, den Song herausfordern...

Ist das der Ansatz, den du beim Schreiben der Gitarrenparts für "Everybody" im Sinn hattest? Du spielst auf der neuen Platte viel detaillierter, viel "tiefer"...

Ja, ganz bestimmt. Um nochmal auf die Entstehung von "One Bedroom" zurück zu kommen: gerade der Unterschied von dieser zur neuen Platte ist ziemlich auffallend, was die Gitarren betrifft. Meine Gitarre war auf "One Bedroom" sehr minimalistisch, deswegen finde ich sie vom Standpunkt eines Gitarristen jetzt auch nicht übermäßig interessant. Es ist richtig, wenn du sagst, dass ich auf "Everybody" wieder etwas präsenter und detaillierter vorgehe. Wobei es damals wie heute Situationen gibt, in denen ich einige Passagen lieber weglasse, vor allem dann, wenn wir nachdem Sam seinen Gesang beisteuerte merken, dass es besser passt, wenn die Gitarre wegfällt. Bei "One Bedroom" haben wir sie beispielsweise oft durch Keyboards ersetzt und bei "Exact To Me" auf dem neuen Album habe ich das Riff der Art von Sams Gesang angepasst. Und es klingt so viel interessanter als vorher.

In eurer Musik schlagen für meine Begriffe zwei Herzen: eines, das sich eher in einem urbanen Großstadtfeeling widerspiegelt, während das andere sich für die hippieske Selbstversorgerfarm entschieden hat. Ich finde auch diesen Gegensatz in eurem Sound sehr inspirierend und er steuert viel zu der Faszination von The Sea And Cake bei, wie ich finde. Wie siehst du das?

Ähnlich. Ich denke, The Sea And Cake sind einerseits sehr distanziert, andererseits aber auch sehr einnehmend mit einer Art von entwaffnender Intimität, die dich ganz nah heranzieht. Manche Leute sagen, es sei organisch. Ich finde, dass es ein ganz netter Ort ist, an dem man sich als Band aufhalten kann.

Das GQ-Magazin beschrieb euch mit den Worten "Musik, die ihren Kopf über den Wolken und ihre Füße auf dem Boden hat", was ein angemessenes Bild ist, wie ich meine.

Wir achten vor allem immer auf eine gute Melodie, weißt du?! Wenn du keine gute Melodie hast, fällt alles in sich zusammen...

Dann könntet ihr ja auch gleich Black Metal spielen...was eh keiner will, aber...

Haha, ja. Wir albern immer herum und sagen, dass wir endlich mal ein Black Metal-Album machen wollen um all den Kritikern das Maul zu stopfen, die immer wieder "alles wie immer" schreiben, hahaha.

Es gibt besonders hier in Deutschland seit einigen Jahren sogar unter den Intellektuellen den Drang dieser Musik ein Image des Anspruchsvollen, des Intelligenten und des Geistreichen zu verleihen, was ich niemals auch nur im Ansatz verstanden habe, und das trotz meiner Metal-Sozialisation. Ihr könntet also mit eurer Black Metal Platte voll durchstarten, haha.

Was ich davon gehört habe klingt sehr oberflächlich und lächerlich. Obwohl es wie eine Karikatur von Musik klingt, gibt es dort nicht einen Funken Humor, was mich wirklich immer wieder schockiert. Aber für viele Menschen ist das ein verführerischer Ort, diese Dunkelheit, der Hass, die Konfusion. Aber es ist gleichzeitig eben auch ein sehr einfacher Weg, den man damit geht, egal über welche Kunstform wir jetzt sprechen. Dunkelheit und Hass sind die einfachsten Emotionen, die man auswählen kann, eine billige Partie. Ich habe daran kein Interesse. Weißt du, ein gut ausgearbeiteter Song hat genau den Anteil Dunkelheit und Zweifel in sich, den er benötigt um ein guter Song zu sein. So machen zumindest wir unsere Musik.


Mr.Prewitt, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Die Web-Ansicht auf den Seiten des Internet Archives ist HIER zu finden


 

12.07.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: Arch/Matheos - Winter Ethereal




ARCH/MATHEOS - WINTER ETHEREAL


Es liegt ein bisschen in der (meiner) Natur der (meiner) Sache, dass jene Alben, die in den letzten nasagenwirmal ein bis zwei  Jahren erschienen sind, in dieser Bestenliste etwas unterrepräsentiert sind. Ich habe die Neigung, Platten erleben zu wollen. Gemeinsame Geschichten schreiben, Erinnerungen entwickeln, Anker setzen, tiefer graben. Das geht fast immer nur mit Zeit. Manchmal dauert es Jahre, bis die Annäherung deutlich geworden ist. Und manchmal geht es andererseits überraschend flott, meistens dann, wenn die Gegebenheiten nicht völlig neu und unbekannt sind. Bei The Sea And Cake beispielsweise ist's einfach, da stehen sämtliche Scheunentore schon seit Jahren offen und der Weg zur großen ganzen Ergebenheit ist nicht mehr so weit. Ähnliches darf ich auch über das aktuellste Album in dieser Liste schreiben, denn der Boden für "Winter Ethereal" ist im Prinzip gleichfalls seit Jahren vorbereitet. 

Und so schrieb ich es bereits vor wenigen Monaten ins Internet hinein: wenn es in den 35 Jahren meiner Leidenschaft für Musik eine Konstante gibt, dann ist es Progressive Rock und Metal, meinetwegen in allen Spielarten, Subgenres und Auswüchsen. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Affinität tatsächlich wiederbelebt werden musste, möglicherweise gilt das höchstens und im Besonderen für aktuelle Bands und Platten, aber "Darkness In A Different Light" und vor allem "Theories Of Flight" von Fates Warning waren zweifellos verdammt laute Weckrufe für ein Genre, das ich nicht unbedingt im Verdacht hatte, mich nochmal derart zu begeistern. Vor diesem Hintergrund ist es vermutlich keine riesige Überraschung mehr, "Winter Ethereal" bereits ein gutes Jahr nach der Veröffentlichung schon in einer Bestenliste für das ganze Jahrzehnt zu sehen. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.

Und da schließt sich folgerichtig ein weiterer Kreis für "Winter Ethereal", sind John Arch und Jim Matheos doch die teils ehemaligen (Arch), teils noch aktiven (Matheos) Protagonisten von Fates Warning. Sieben Jahre nach dem Debut "Sympathetic Resonance" haben die beiden Superhelden im Jahr 2019 alle Regler auf Anschlag gedreht: Virtuosität, Kraft, Melodie, Komplexität, Tiefe, Klang - viel mehr ist für einen, der den jüngeren Entwicklungen im Metal mit einiger Skepsis gegenübersteht, kaum mehr vorstellbar. Keine aufgesetzte Härte, kein martialisches Herumprotzen, kein Image-Dachschaden, keine nukleare Atomreaktor-Produktion, stattdessen echte Durchschlagskraft durch überragende technische Fähigkeiten, ein über alle Ebenen gespanntes und bis in die letzte Ritze totalarrangiertes Melodieverständnis und mit John Arch ein Sänger, der die komplette Kontrolle über alle lyrischen Höhen und Tiefen hat und sich wie entfesselt durch diese neun Songs schraubt - unaufhaltsam, uneinholbar, unnachahmlich. Sollten sich von seiner Entscheidung, künftig nicht mehr auf Tournee gehen zu wollen, Indikationen auf das baldige Ende seiner Gesangskarriere ableiten lassen, so hat sich dieser Mann mit "Winter Ethereal" sein eigenes, ultimatives Denkmal gesetzt. Ich wüsste auch ehrlich gesagt nicht, was noch einer solchen Darbietung noch kommen soll. 

Herzklopfen. Feuchte Hände. Freudentränen. Ein echter Meilenstein des Heavy Metal. 




Erschienen auf Metal Blade, 2019. 



26.06.2020

2010 - 2019: Das Beste Des Jahrzehnts: The Sea And Cake - Any Day




THE SEA AND CAKE - ANY DAY


In den letzten zehn Jahren erschienen gerade mal zwei Alben von The Sea And Cake, und wer sich nicht erst seit gestern auf diesem Blog herumtreibt oder mich gar, Himmel hilf!, persönlich kennt, ahnt, dass frei nach Vicco von Bülow eine Bestenliste ohne The Sea And Cake zwar möglich, aber komplett sinnlos gewesen wäre. Seit 15 Jahre trage ich meine Liebe zu diesem Quartett auf, neben, unter, vor und hinter dem Herzen spazieren und es gibt nur wenige Bands, die mich mit links zu einem furiosen, mit leuchtenden Augen und bebender Stimme vorgetragenen Monolog über Schönheit, Raffinesse, Subtilität, Virtuosität von Musik schubsen können. 

Vielleicht erfuhr meine Wertschätzung mit "Any Day" einen neuen Höhepunkt, denn das ist das Schöne am Älterwerden: man lernt Außergewöhnliches eben doch noch mehr zu schätzen, als wenn Testosteron, Samenstau und generelle juvenile Quadratblödheit im Weg stehen. Fünf Jahre nach dem ebenfalls hervorragenden "Runner" haben sich die dreieinhalb stillen Helden tatsächlich nochmal aufgerafft und ihren unnachahmlichen Sound weiter verfeinern können. Jede noch so diffizile Akzentuierung gelingt mühelos, jedes Break wird sicher und souverän durch alle Stromschnellen hindurch geführt, jede Melodie als Kokon sorgfältig verschnürt und mit großer Selbstverständlichkeit und einem Klaps auf den Hintern in die Freiheit geschickt. Wer ihnen genau auf die Finger und auf die funkelnden Hochenergiesynapsen in den vernetzt arbeitenden Gehirnen und Herzen schaut, wird im Verlauf von "Any Day" kaum ohne spitze Freudenschreie auskommen. 

Nie war dieses Urteil wertvoller und wahrer als heute: Was für ein Erlebnis, diesen absoluten Könnern zuzuhören. Ich lebe für solche Momente. 

The Sea And Cake ist Leben. 




Erschienen auf Thrill Jockey, 2018. 


16.04.2019

Best Of 2018 ° Platz 1 ° Marillion - All One Tonight



MARILLION - ALL ONE TONIGHT


Schon wieder Marillion auf der Pole Position? Und schon wieder ein Livealbum im Jahresrückblick? Was ist hier los?

Ich habe ehrlicherweise lange mit mir gerungen, ob eine live aufgenommene Platte wirklich an der Spitze meiner Jahrescharts stehen sollte. Ganz aus Prinzip. Hätten es nicht eher die brillianten Wanderwelle mit ihrer funkensprühenden Kreativität oder die künstlerischen und traumwandlerisch souveränen The Sea And Cake verdient gehabt? Möglicherweise irgendjemand sonst, der wirklich neue Musik im Jahr 2018 präsentieren konnte und also nicht auf Bewährtes zurückgreifen musste, um eine Veröffentlichung vorweisen zu können? 

Am Ende war es eine Entscheidung für ein "mehr als die Summe der einzelnen Teile", eigentlich für das Lebenswerk einer Band, die seit 40 Jahren im Geschäft und noch immer so voller Kraft, Leidenschaft und Kreativität ist. Die nach so langen wie problematischen Zeiten in den neunziger Jahren, in denen außer einer überschaubaren aber loyalen Fanbase niemand mehr einen Pfifferling auf sie geben wollte, sich immer wieder aufraffen und sich am eigenen Schopf aus dem Dreck ziehen konnte. Die trotz eines musikalischen Klimas, das für eine Progressive Rock Band, in der kein Steven Wilson mitspielt, kaum ungemütlicher und unwirtlicher sein kann, plötzlich mit einem aufsehen erregenden Studioalbum in die vorderen Regionen der Charts einsteigen konnte. Und die sich Ende 2017 plötzlich dort wiederfanden, wo sonst nur die größten der Großen aufspielen dürfen: in der Royal Albert Hall. Ein Blick in die Gesichter der fünf Musiker an diesem Abend sagt alles, was man über ihre Hingabe, ihre Begeisterung und ihr Durchhaltevermögen wissen muss. 

Ich habe im August des letzten Jahres sehr ausführlich über "All One Tonight" berichtet und weil ich nicht glaube, außer den an dieser Stelle ausgebreiteten und also einleitenden Sätzen noch weitere Einsichten zum Besten geben zu können, die über das bereits Geschriebene hinaus gehen, lade ich meine werten Leserinnen und Leser ein, den damals herausgearbeiteten Text nochmals über sich ergehen zu lassen - oder ihn alternativ zum ersten Mal zu lesen. Nicht nur mit einer billigen Verlinkung, sondern mit dem vollen Text und in voller Pracht. 

Ich beendete jene erste Huldigung auf "All One Tonight" mit dem Satz "Das ist die beste Band der Welt" und um den Kreis zu den eingangs gestellten Fragen zu schließen: Dann gehört die beste Band der Welt auch auf Platz 1 der Jahrescharts 2018. 

Verdient ist eben verdient. 


---


Fans von Marillion sind bisweilen ein seltsames Völkchen. Die Diskografie der Band auf dem Plattensammler- und Plattenverkaufsportal Discogs listet aktuell nicht weniger als 142 Alben auf - und obwohl das Quartett auf eine beinahe vierzigjährige Karriere zurückblicken darf, die sicherlich nicht in erster Linie von Däumchendrehen und Tee trinken geprägt war, erscheint die stattliche Anzahl ein wenig irreführend: die loyale Handvoll Bekehrter, die der Band seit Jahrzehnten nicht nur aus der Hand frisst, sondern sie auch mittels eigenständig durchgeführter Internetpromotion ein wenig mehr in den musikgesellschaftlichen Fokus rücken und damit auch gleichzeitig das eigene Ego ein wenig streicheln möchte, hat also ganze Arbeit geleistet und wirklich jede noch so obskure Zusammenstellung und Liveaufnahme der über die geschäftlichen Hauptquartiere Racket Records, Intact Records und Front Row Club vertriebenen CDs in der Diskografie als Album geführt, hinzu kommen außerdem Bootlegs und BBC Radiomitschnitte, deren Aufnahmedatum in den Kommentarspalten auch noch rührselig korrigiert werden. Das passiert sicherlich und ausschließlich mit den allerbesten Absichten, ist einerseits lohnenswert für die Komplettisten in uns, die dieses eine Rothery-Lick von dieser raren Budapest-Liveaufnahme unbedingt auf eine Plastikscheibe gebrannt haben möchten, andererseits völlig überwältigend und unübersichtlich für fast alle anderen. Wer in dieses Rabbit Hole tatsächlich reinkrabbelt und sich die gelisteten Veröffentlichungen etwas genauer anschaut, stellt schnell fest, dass Liveaufnahmen integraler Bestandteil des Marillion'schen Selbstverständnisses sind. Die Anzahl ist Legion, und der Eindruck, die Band habe von jedem ihrer Konzerte in den letzten 40 Jahren mindestens sieben verschiedene Albenveröffentlichungen geschnitzt, wird plötzlich sonderbar real. Aber wer das alles kauft? Und wer das alles hört? Ich sagte doch: es ist ein seltsames Völkchen.

Selbst mit den offiziellen und also im regulären Handel erhältlichen Livealben wird es für das weniger gut organisierte Oberstübchen unübersichtlich und spätestens bei den zahllosen Versionen eines einzelnen Titels zerfällt wenigstens mein Dachgeschoss in Mikropartikel. In den letzten Jahren begeisterten mich aus dieser Kategorie immerhin zwei Aufnahmen so ausgeprägt, dass sie seitdem im heimischen Plattenschrank stehen und - entgegen des immer wieder vorgetragenen Einwands, man könne das ja eh niemals im Leben alles hören, aber stattdessen alles mal schön einstauben lassen - ziemlich regelmäßig auf dem Plattendreher und in der Playlist landen: "Marbles On The Road" und "A Sunday Night Above The Rain" sind exquisite, auf jeweils 3 LPs verteilte Liveaufnahmen, und ja, ich muss es zugeben: diese eine Version von "Montreal" - holy fucking shitballs, die sollte man gehört haben. Um Missverständnissen vorzubeugen: es ließe sich hier nachlesen, dass ich dem Song vor sechs Jahren nicht sonderlich zugetan war. Jetzt weiß ich: "I was wrong." (Mike Ness) 

Dass nun im Jahr 2018 selbst die allergrößten Die-Hard Fans das aktuelle Werk "All One Tonight" als bestes Livealbum der Band seit dem Urknall feiern, lässt zunächst aufhorchen; bei genauerer Betrachtung ist indes kein anderes Urteil möglich. Die Band spielte nach dem überraschenden Erfolg ihres letzten Studioalbums "F.E.A.R." mit seinem Top Ten-Charteinstieg im Vereinten Königreich, in der nicht nur altehrwürdigen, sondern auch restlos ausverkauften Royal Albert Hall und das ist denkwürdig genug: dort, wo sich sonst nur die richtig Großen die Klinke in die Hand geben, die Roger Waters', die Brian Mays, die Robert Plants, kommen Marillion-Fans aus der ganzen Welt angereist, um das beeindruckende Gemäuer mit Licht, Liebe und Musik zu füllen. Ich möchte nicht respektlos klingen, aber Marillion galten allerspätestens ab Mitte der 1990er Jahre und der Trennung von der EMI nicht gerade als kommerziell attraktiv oder vielversprechend und segelten mit den in Eigenregie organisierten Crowdfunding-Kampagnen und derart finanzierten Albumveröffentlichungen nebst selbstständig gegründeten und geführten Labels unter dem Radar des Mainstreams - manchmal sogar unter dem Radar des Undergrounds. Das Ergebnis: eine außerordentlich enge, vielleicht einmalige Verbindung zu ihren Anhängern - die sich wenig überraschend in den zweieinhalb Stunden dieses auf sage und schreibe 4-LPs verteilten Mammutprogramms in voller Pracht zeigen darf. Die Publikumsreaktionen lassen das Dach der Royal Albert Hall abheben und wer via BluRay/DVD/Youtube in die Gesichter und auf die Körpersprache der Band schaut, die angesichts der Begeisterungsstürme und ob der schieren Tatsache, dass sie tatsächlich und nach vierzig Jahren zum ersten Mal in der verdammten Royal Albert Hall spielen dürfen, erkennt die Einzigartigkeit dieses Abends, dieser Band und ja: auch dieser Fans. Als konkretes Anschauungsobjekt möchte ich auf das weiter unten eingebettete Video von "Go" und auf die Szenen ab Minute 4:55 Minuten verweisen. Die Herzallerliebste und ich überbieten uns praktisch fortwährend mit den über uns schwappenden Gänsehautattacken.

Über das in Gänze aufgeführte "F.E.A.R." habe ich mittlerweile schon genug Lobeshymnen geschrieben, und ich könnte mich auch knapp 2 Jahre nach der Veröffentlichung nur wiederholen - es bleibt eines der drei herausragenden Alben ihrer Karriere und der damit erreichte Erfolg gibt Anlass zur Hoffnung, dass doch noch nicht alles verloren ist. Der zweite Teil des Abends besteht aus bekannten Bandklassikern wie "Afraid Of Sunlight", "The Space", "Easter" oder "Neverland", die mit der Unterstützung eines kleinen Orchesters aufgeführt werden und glücklicherweise nie überarrangiert in die Kitschfalle aus dem Hause Rondo Veneziano plumpsen, sondern dank der sehr behutsam in die Songs eingepassten Orchestrierung zwar voluminöser und einen Tacken melancholischer klingen, aber nie den eigentlichen Spirit aus dem Kern der Komposition verlieren. Unter normalen Umständen wird "All One Tonight" künftig in einem Atemzug mit "Live & Dangerous", "Live At The Apollo", "At Folsom Prison", "It's Alive" oder "Made In Japan" genannt. Nur: was ist heute noch normal?

Nun ist Herr Dreikommaviernull grundlegend ziemlich nah am Wasser gebaut und es ist nicht ungewöhnlich für mich, von Musik so tief berührt zu werden, dass mir selbst in der Öffentlichkeit die Tränen über die Wangen laufen. Es gibt beispielsweise die Heart-Coverversion von Led Zeppelins "Stairway To Heaven" aus dem Kennedy Center, bei der ich in den letzten dreieinhalb Minuten - völlig egal wo ich bin, wie es mir geht, was ich gerade denke und/oder mache - _IMMER_ Rotz und Wasser heulen muss und es also dem ebenfalls sehr gerührten Robert Plant gleichtue - obwohl mir Led Zeppelin weithin am Gesäß vorbeigehen und am Ende des Videos außerdem ein paar Rockstars auf der Bühne stehen, die sich meinetwegen besser einmauern sollten, aber ich kann mich selbst angesichts dieser "abominations unto the lord" (John Oliver) einfach nicht dagegen wehren, emotional fast zerrissen zu werden. Als ich in der vergangenen Woche in meiner Rolle als professioneller Businesskasper im ICE nach München saß und mir mit "Neverland" das schönste Lied der Welt ins Schallgesims gedrückt wurde, rächte sich mal wieder die Entscheidung, keine Papiertaschentücher ins Reisegepäck aufgenommen zu haben. Wie soll man sowas aushalten?

Manchmal erscheint das alles zu groß, wichtig - überlebenswichtig! - und heilend, um es darüber hinaus in Worte oder auch nur Gedanken zu kleiden. 

Manchmal ist es besser, es einfach so im Raum stehen zu lassen: Das ist die beste Band der Welt. 




Erschienen auf Ear Music, 2018.

07.04.2019

Best Of 2018 ° Platz 3 ° The Sea And Cake - Any Day




THE SEA AND CAKE - ANY DAY


Es ist oftmals eine Herausforderung für mich, über alte Bekannte zu schreiben, solche zumal, die zu den Stammgästen auf Dreikommaviernull gehören. Ich habe in den letzten 12 Jahren gleich sieben Mal über The Sea And Cake geschrieben - und das, obwohl die Band in dieser Zeit nur drei Platten veröffentlichte. Eigentlich ist über sie und meine besondere Verbindung mit ihnen alles gesagt, alle Huldigungen sind gefühlt hundertfach ausgesprochen, sämtliche Fanbrillen längst ins Gesicht zementiert, die LP-Sammlung wird gehegt und gepflegt und ist dabei nicht nur komplett, sondern wegen den von Thrill Jockey farblich einzigartig designten Vinylreissues aus den letzten zwei Jahren sogar überkomplett. Schon wieder muss Polt zitiert werden, denn: "mehr habe ich nicht hinzuzufügen!". Eigentlich. 

Vielleicht aber doch noch eine Kleinigkeit. 

"Any Day" war nach sechs Jahren Funkstille ein zwar erhofftes, aber nicht notwendigerweise erwartetes Comeback. Bassist Eric Claridge musste aus gesundheitlichen Gründen sein Engagement bereits vor einigen Jahren beenden, Schlagzeuger John McEntire ist mit Tortoise und Studiojobs ausgelastet, Gitarrist Archer Prewitt arbeitet als selbstständiger Illustrator und Zeichner und Sam Prekop ist in seiner Heimatstadt Chicago aktiver und erfolgreicher Künstler. Die Annahme, dass sie alle nach 25 Jahren Bandkarriere und vermutlich auch nicht erst seit gestern nicht mehr auf The Sea And Cake angewiesen sind, um sich entweder kreativ zu betätigen oder um nur banal die Zeit totzuschlagen, ist wohl nicht allzu abenteuerlich. So löste die Ankündigung für ein neues Studioalbum nichts als große Freude bei mir aus - die sich angesichts der ebenfalls erfolgten Bekanntgabe eines Konzerttermins in Frankfurt im Juni 2018 gar zu einer - Pardon! - prachtvollen Erektion ausweitete.

Ich schrub kürzlich über die sehr gute Band Tocotronic, dass deren 2018er Album "Die Unendlichkeit" zu einem Lebensgefühl, einem Begleiter wurde. Ohne das Urteil weder für die einen noch die anderen verwässern zu wollen, und ich bin mir des möglichen Risikos hierfür durchaus bewusst, aber ich kann, nein: muss! dasselbe nicht nur über "Any Day" in den virtuellen Notizblock kritzeln, ich muss es auf die ganze Band ausweiten. Ich bin mir nicht sicher, ob es an der langen Pause lag, in deren Verlauf zwar kein Frühling und kein Sommer ohne eine geradewegs hypnotische, aber auch nach Jahren der Auseinandersetzung irgendwie abgeklärt durchgewunkene Phase mit ihrer Musik verging, dass mich die Band sogar über das bekannte Maß hinaus so tief traf wie noch nie zuvor - und wer meine früheren Einlassungen zu The Sea And Cake kennt, wird verstehen, warum das etwas Besonderes ist. Oder lag es an meinem fortgeschrittenen Alter und meinen bestenfalls in gleichem Ausmaß fortgeschrittenen Erfahrungen, Gedanken, Einsichten? Und warum muss es eigentlich immer ein "oder" sein? 




Mir ist den letzten zehn Jahren in einigen wenigen Fällen eine neue und bedeutend intensivere Liebe zu Bands aufgefallen, die ich zwar schon früher längst auf den musikalischen Olymp geschoben hatte, aber plötzlich einen extragroßen Schubser in den fast schon ätherisch zu nennenden Bereich mitnehmen konnten, in dem die Luft selbst für Götter dünner wird. Ein gutes Beispiel sind King's X, die ich mittlerweile in jedem vorstellbaren Universum und für jeden vorstellbaren Aspekt für völlig unantastbar halte und für die meine Anerkennung weit über Alben, Songs oder Texte hinausgeht. Es ist eher der schier endlose Respekt für das Lebenswerk voller Kreativität, Virtuosität, Durchhaltevermögen, Freundschaft, Zusammenhalt, Inspiration, Freiheit, Offenheit, Hingabe und Leidenschaft. 

Ich habe diesen schier endlosen Respekt im letzten Jahr auch für The Sea And Cake gefunden. Ihr Zusammenspiel, ihre Subtilität, ihre Virtuosität, ihr Entdeckerdrang und ihre Ausstrahlung sind völlig einzigartig. Niemand klingt so wie diese vier Musiker, niemand sonst spielt diese feinstoffliche Musik so filigran, so präzise - und dabei gleichzeitig so mühelos und lebhaft. Ich habe heute das Gefühl, "Any Day" hat mich an den Punkt im Universum von The Sea And Cake gebracht, an dem ich den 360° Blick über all das habe, was diese Band im Kern ausmacht, was sie wirklich ist - und diesen Blick dabei jederzeit bis in die engmaschigste Nuance ihres Sounds vergrößern kann, um sie von allen Seiten zu betrachten. Sie funkeln und leuchten zu sehen. 

Der Superzoom ins Reich der Götter. 




Live at KEXP:




Erschienen auf Thrill Jockey, 2018.

03.05.2016

Let's Do This!




TORTOISE - THE CATASTROPHIST


Die Postrocklegende aus Chicago hat es weit gebracht. Was bis zum 2004er Album "It's All Around You" in erster Linie nur den Underground interessierte, ist spätestens seit ihrem letzten Album "Beacons Of Ancestorship" aus dem Jahr 2009 auch im hiesigen Feuilleton angekommen, das bei einem Lebenszeichen aufmerksam wird und die spitzen Finger für allerhand schlaue und bekloppte Texte spreizt, die alle das Ziel zu haben scheinen, mindestens genauso verkopft zu sein wie die Musik der Band; unvergessen etwa der üble Verriss aus der Süddeutschen, den die beliebte Qualitätszeitung aus München zwischenzeitlich offenbar aus ihrem Netzrepertoire entfernt hat. Springers anerkanntes Idiotenfachblatt "Die Welt" stammelte 2009 hingegen mit verschwurbeltem Musikkritikerquatschdeutsch durch die letzten viereinhalb überlebenden Hirnzellen der Leserschaft, die die Texte von Ulf Poschardt überlebt haben:

"Mal imitiert der Sampler eine springende Schallplatte. Mal wirkt ein Stück allein durch umständliche Titel wie "Yinxianghechengqi". Über weite Strecken fehlen heute die verblüffenden Melodien, und wo früher Stille herrschte, hört man heute magenkrankes Blubbern."

- wovon mein Magen auch ein paar Geschichten erzählen kann, vor allem nach dem Lesen solcher Texte. 

Die Zeiten haben sich in den letzten sieben Jahren geändert - heute liest man auch aus den deutschen Redaktionsstuben fast nur Wohlwollendes über "The Catastrophist"; Tortoise sind nunmehr die gesetzten Intellektuellen, künstlerisch anspruchsvoll, schwer zu durchschauen, unvorhersehbar. Und weil ich nicht immer nur schimpfen kann, sage ich: das ist richtig.

"The Catastrophist" ist schon heute, zwei Monate nach der Veröffentlichung, eine meiner meistgehörten Tortoise-Platten - und das sage ich im Angesicht meiner damaligen Sucht nach "TNT", "Standards" und vor allem "It's All Around You". Das Quintett, das seinen Sound über die Jahre hinweg immer wieder subtil veränderte und mit einem ganzen Sack voll unterschiedlicher Einflüsse, vom Krautrock über Jazz und Pop bis zum Noise, experimentierte, geht auf seinem siebten Studioalbum in der Gesamtanlage etwas gebremster und übersichtlicher zu Werke und ist dabei konsequenterweise stilistisch so kohärent wie vielleicht noch niemals zuvor. Etwas despiktierlich fielen mir möglicherweise "versöhnlich" und "Alterswerk" als beschreibende Attribute ein, aber das geht in die falsche Richtung: Tortoise sind alles andere als kreativ müde - und dafür muss ich nicht mal exklusiv die beiden Gesangspremieren auf einem ihrer Alben herausstellen: "Rock On", ein wunderbar ironisches und heruntergekommenes Cover des alten Hits von David Essex, herausragend interpretiert von Todd Rittman (U.S. Maple) und der Einsatz von Yo La Tengos Georgia Hubley auf "Yonder Blue", der erstmals einen Hauch von laszivem Sex auf einem Tortoise-Album platziert, setzen markante Duftmarken auf "The Catastrophist". Trotzdem drängen sich diese beiden Revolutionen nicht in den Vordergrund, um das restliche Material auf ihren Schultern tragen zu müssen. Tortoise wissen nicht erst seit gestern, was sie tun (und tun müssen). Von spannungsgeladenen Arrangements wie in "Shake Hands With Danger" bis zum vordergründigen Hängemattengedudel in "Hot Coffee", einem Überbleibsel aus den "It's All Around You"-Sessions, und dem luftigen, leicht an The Sea And Cake erinnernden Wolkenschmeichler "Tesseract", habe ich hier nur gute Gefühle, Spaß und Inspiration. 

"The Catatrophist" marschiert gerade mit ziemlich großen Schritten in Richtung Jahres Top-Ten. 





Erschienen auf Thrill Jockey, 2016.

27.04.2015

Tour De Vinyl - Köln - 8.4.2015 (II)



TOUR DE VINYL - KÖLN
8.4.2015 (Teil II)


Nächster Hotspot also: das Parallel in der Brabanter Straße 2-4. Haben die bösen Stimmen im bösen Internet recht? Geht hier wirklich die Schallplattenwelt und die Musikkultur unter? 

Nach einer guten halben Stunde wissen wir: fast alles Kappes. Zwar könnten wir auf dem Fußboden locker eine Lebertransplantation durchführen und bei dem Raumkonzept von Transparenz und Fläche kommt nicht wirklich Stimmung auf, und wer auf der Suche nach Schnäppchen ist, sollte auch besser einen Bogen ums Parallel machen, legt man für Neuware doch fast immer zwischen 20 und 30 Steine auf den Tisch des Hauses - inklusive einiger absurder Ausreißer nach oben. Dafür ist der Laden aber in nahezu jedem Genre prima sortiert. Vor allem im Raritätenfach dürfte das ein oder andere Herz höher schlagen. Manchmal auch ganz besonders das Herz von Deinem Bankberater. Auf meine drei nervigen Fragen reagierte der Mann hinter dem Tresen total freundlich und konnte mir sofort Auskunft geben. Buchstäblich auf den letzten Drücker finde ich das seit langer Zeit gesuchte Debut von Gil Scott-Heron, die Gedichtsammlung "Small Talk at 125th And Lenox" als Reissue für günstige sagenhafte 15 Euro - sowas geht hier also auch. Guck' an.

Einmal um die Ecke laufen und schwupps! stehen wir auch schon im Groove Attack (Maastrichter Straße 49) - allerdings stehe ich erst mal schön wie der Storch im Salat, weil außer T-Shirts, Jacken, Hosen und Schuhen nicht viel zu sehen ist. Vor allem keine Schallplatten. Der nette Tresenmensch weist mir den Weg in den Keller, dort steht das schwarze Gold. Und wie es da steht. 



Auch hier überrascht mich das Repertoire sehr positiv, denn im Grunde ist das mein physischer Wunschzettel meines bevorzugten Dealers Mailorders. Ich bin baff. Das Groove Attack führt in erster Linie sehr viel Hip Hop, und davon sehr viel Neuware. Alle wichtigen Labels, alle wichtigen Neuheiten, alle wichtigen Wiederveröffentlichungen - es ist alles da. Neben dem zweiten Schwerpunkt, der auf elektronischer Musik, Techno und Drum'n'Bass liegt, gibt es Spurenelemente von Brazil, World, Kraut, Indie, und Punk. Es fällt mir wirklich schwer, den "Shut up and take my money!"-Reflex zu unterdrücken, verantwortlich dafür, dass ich es letztlich doch kann, ist mal wieder die Preisgestaltung. Hier geht es im Vergleich zu den anderen besuchten Läden schon nochmal zwei bis drei Euro nach oben, wohlwissend, dass das nicht immer am Inhaber liegen muss. Die neue (Einzel-)LP von L'Orange beispielsweise, erschienen auf der Mello Music Group, kostet absurderweise auch via Versandhandel 25 Euro, und exakt zu jenem Preis steht sie auch im Groove Attack. Bei anderen Titeln muss man bei den aufgerufenen 27 oder 28 Euro schon mal kurz durchschnaufen. Und dennoch, will ich eine Platte unbedingt und habe sogar das Glück, sie im Laden zu finden - ohne Versandschrott, ohne Bezahlung via Hitler-Paypal und ohne eine arme Socke von DHL durch halb Deutschland zu hetzen, damit ich mir eine überteuerte Schallplatte anhören kann - dann bezahle ich gerne den Sondergroschen des Einzelhandels. In vollem Bewusstsein, das Problem des heißlaufenden Markts und der schwindelerregend schnell aufsteigenden Preisspirale damit gerade nochmal anzufeuern. Wie man es macht, ist es verkehrt in diesem Schweinesystem. Was genau der Grund dafür sein könnte, dass uns der Dreck noch nicht vollends um die Ohren geflogen ist. Unkraut vergeht halt nicht.

Wir verlassen das Groove Attack ohne neue Lieblinge. Nicht fair für einen echt prima sortierten und durchdachten Laden, aber wir haben keinen Geldschisser zu Hause auf der Terrasse stehen. Man mag mir die Unsachlichkeit verzeihen, hier trifft's im Grunde die falschen Jungs. Guter Laden, alle hingehen, Daumen hoch.


Der Abschluss wird nochmal ein Schmankerl. Wir holen die Herzallerliebste aus der Kölner Konsumhöllenmeile heraus, sprechen noch schnell ein Treffen mit dem Oberlehrer ab und fahren Richtung Ehrenfeld. Hier haben Blank When Zero immerhin schon drei Mal gespielt und ich habe in völlig vernebeltem Kopf Tool live gesehen. 1997. Trotz Feuchtigkeits- und Nachtcreme fällt nicht nur an dieser Stelle auf: ich bin alt. 

Ein alter Hase ist auch Jochen Sperber, der Inhaber von Normal Records (Heliosstraße 6). Über Jahrzehnte war der Laden in der Kölner Innenstadt eine Institution, bevor Jochen 2010 frustriert und schwer gezeichnet vom ewigen Kampf gegen Saturn und Media Markt, gegen das Internet und gegen die Pfeifen, die bei ihm stundenlang Platten anhörten und sie dann um die Ecke beim Elektro-Allrounder kauften ("Ich möchte nie wieder in einem Plattenladen arbeiten.") das Handtuch schmiss. Dass der Mann trotzdem nicht ohne Schallplatten und ohne den Kundenkontakt leben kann, entdeckte er Ende 2014 und erweckte Normal Records wieder zum Leben. Die Location alleine ist schon der Hit: in einem Hinterhof in Ehrenfeld wird eine kleine Laderampe hochgekraxelt und man steht in dem niedlich eingerichteten "La Boite Gourmande", der ersten Kölner Konserverie mit Café. In der Durchgangstür entdeckt man sie dann schon: die Schallplatten. Es ist mittlerweile ein toller, sonniger Frühlingstag. Die Stimmung ist so heiter wie das Wetter. Gute Menschen. Plötzlich ist irgendwie alles gut. 



Jochen ist ein sehr sympathischer und offener Typ, dem man problemlos für ein paar Stunden zuhören könnte. Sein Leben hat er in der Plattenladenpause in ein Buch hinein geschrieben, das nur noch redigiert und mit einem Cover versehen werden muss. So philosophieren wir uns alle für eine gute Stunde durch die Gesellschaft, durch Schallplatten, durch Konsum, durch Musik und wir entdecken, dass alles miteinander zusammenhängt. Jochen sagt, er will sich wieder auf das konzentrieren, was für ihn zählt: echte Musik. Und echte Beratung.

"Das was einen guten Händler auszeichnet, ist seine fachliche Kompetenz und sein ahnen von dem was ich mögen könnte. Beratung eben.
Genau das möchte ich wieder tun. Beraten. Das was in den letzten Jahren in meinen vorherigen Läden immer seltener wurde." (Facebook, 11.Januar 2015)

Die Plattenauswahl ist übersichtlich, aber das macht nichts. Dafür ist man gar nicht in erster Linie da. Ich habe die Zeit in dem Laden sehr genossen - man lachte und scherzte, philosophierte, schaute sich nebenher ein paar Platten an, war erstaunt, legte ein paar zum Anhören auf den Plattenteller, blättert in den ebenfalls ausliegenden Büchern, schwätzt weiter...die Zeit verging wie im Fluge. Und fündig wurde ich auch nochmal: die The Sea And Cake-Sammlung ist nach dem Erwerb von "Two Gentlemen" nun tatsächlich komplett und endlich steht nun "Cavale" von ihrer Quasi-Vorgängerband Shrimp Boat auf dem Bandaltar in meinen 3,40qm Luft, Liebe und Musik. 

Toll. Danke Simon! "Des wär' aber net nöödisch geweese!" (Henni Nachtsheim)


Um ein Haar noch toller: ich entdecke "Moment Returns", das 2004er Album von der australischen experimentellen Jazzband Triosk auf Vinyl. Die 2007 leider aufgelöste Truppe ist nicht nur geographisch mit den irren The Necks vergleichbar, auch musikalisch haben die beiden Truppen durchaus Parallelen, wenngleich die Nacken etwas verspielter und tatsächlicher jazziger sind, wo Triosk noch ausgeprägter der Elektronik und dem Ambient verfielen. Eine beeindruckende Platte, jedenfalls. 

Wir nehmen gemeinsam in der Sonne sitzend noch Ingwer-Bier und Kaffee zu uns und lassen uns die Sonne auf den Pelz scheinen. 

Auch wenn es in der angenehmen, unbeschwerten Atmosphäre schwer fällt, müssen wir los. Es ist Feierabendverkehr und wir haben noch gut zwei Stunden Fahrt vor uns. Wir eisen uns gaaaanz langsam los und verlassen Köln in Richtung Heimat.

Ein toller Tag mit tollen Platten und tollen Menschen. 

"Der Plattenladen ist nicht tot - er riecht nur etwas komisch." (Flo Zapfhahn)




24.02.2013

2012 ° Platz 2 ° The Life And Times - No One Loves You Like I Do



THE LIFE AND TIMES - NO ONE LOVES YOU LIKE I DO

Als ich vor wenigen Tagen feststellte, es gäbe außer The Sea And Cake keine andere Band, die ich auf diesem Blog mit soviel Hingabe und Liebe überschüttet habe, dann war das wenn nicht glatt gelogen, dann zumindest nur die berühmte halbe Wahrheit. The Life And Times gehören seit ihrem Albumdebut "Suburban Hymns" zu meinen Lieblingsbands, was ich an der ein oder anderen Stelle bereits ebenfalls ausgiebig breittrat. Das Power Trio aus Kansas City hat praktisch noch keinen auch nur durchschnittlichen Ton auf eine Platte gepresst und kommt mit seinem psychedelischen, schweren und emotionalen Indienoiserock verdammt nahe an meine Idealvorstellung aktueller Rockmusik heran.

Allen Epley, Meister des verschrobenen Arrangements und außerdem Saitenhexer von kilometermeterdicken Noiselayern, die einen Kevin Shields wie einen blutigen (haha!) Anfänger aussehen lassen, hat aus der Asche seiner früheren Alternative/Grunge Truppe Shiner einen völlig einzigartigen Stil für The Life And Times geboren und mit seinen Kumpels Eric Abert am Bass und Chris Metcalf am Schlagzeug mittlerweile zur Perfektion veredelt: tonnenschwer, verzerrt, noisy, dabei aber zum Sterben romantisch, melancholisch, opulent und tiefrot glimmend. Es gibt keine Band, die auch nur im Ansatz so klingt wie diese drei Typen.

"No One Loves You Like I Do" ist in der Liste vergangener Klassiker keine Ausnahme, tatsächlich muss ich zugeben, dass ich im Grunde bereits vor Veröffentlichung "Na, dann muss ich mir dieses Jahr ja keine Gedanken um meine Nummer 1 machen!" jubelte. Jetzt steht ihr drittes Studioalbum also auf Platz zwei, und es liegt weißgott nicht an seiner Qualität, denn das Trio ist auf Albumlänge kompakter geworden, hat aber gleichzeitig an der Psychedelic-Schraube gedreht und einige ziemlich fiebrige Minuten aufgenommen, die den Kopf ganz schön weichkochen und ohne echte Auseinandersetzung wie Staub zerfallen können. Ich habe keine Ahnung, wie sie das angestellt haben, aber es gibt Momente im Verlauf der 46 Minuten, die das komplette Werk als großen Noise-Meteoriten aus purer, in Chloroform getränkter Watte erscheinen lassen. Und jeder Ton gräbt sich tief in die DNA jeder einzelnen Körperzelle ein.

It doesn't get much more intense than this.


Veröffentlicht auf Hawthorne Street Records, 2012.