23.04.2016

Phoenix aus dem Aschenbecher



FATES WARNING - DARKNESS IN A DIFFERENT LIGHT


Die wahren, echten, treuen Metaller müssen jetzt sehr stark sein: für mich beginnt die große Zeit der US-amerikanischen Progressive Metal Band Fates Warning mit ihrem Album "Parallels" aus dem Jahr 1991 und endet mit dem 1997 veröffentlichten "A Pleasant Shade Of Grey" - das zwischen diesen beiden Scheiben liegende "Inside Out" ist sogar mein persönlicher Favorit, nicht zuletzt wegen immer noch vorhandener und positiver Erinnerungen an den Sommer des Jahres 1994, der mir von Vicious Rumors' "Word Of Mouth", Tiamats "Wildhoney" und eben "Inside Out" versüßt wurde. Und da weint er, der Kuttenmann: die Frühphase der Kapelle mit den Alben "The Spectre Within" und "Awaken The Guardian" und mit dem immer noch kultisch gefeierten Sänger John Arch hat mich einfach nie gepackt, ich kann's nicht ändern. Und wo wir schon bei den großen Beichten des Stahls sind: ich habe auch Mercyful Fate nie gerafft. So, jetzt ist's raus.  

Mit dem Verständnis der Fates Warning-Werke nach 1997 hat es hingegen nicht gehapert, eher ist das Gegenteil der Fall: sowohl "Disconnected" als auch "FWX" sind keine besonders herausfordernden Alben. Komponist und Gitarrist Jim Matheos hat viel mehr die mit "A Pleasant Shade Of Grey" begonnene Generalüberholung des Bandsounds, also weg vom transparenten, melodischen und nicht zu technischen Progressive Metal zu einem melancholischen, dunklen und ganz besonders hinsichtlich des Riffings sich zaghaft in Alternative Rock-Bereiche der etwas früheren neunziger Jahre vorwagenden Metal-Entwurf auf den beiden Nachfolgern weiter entwickelt. Veränderungen finden nur noch in Nuancen statt, und auch wenn Fates Warning dank dieser 1997 eingeleiteten und doch sehr deutlichen Zäsur ein gutes Stück Einzigartigkeit hinzugewonnen haben, sorgt eben auch die beste Story spätestens bei der zweiten Wiederholung nicht mehr für Begeisterungsstürme. Vor allem Matheos' tiefergelegte und repetitive Gitarrenarbeit, die die ihr innewohnende tonale Beschränkung zum Stilmittel erhebt, ist mittlerweile der größte Stolperstein der Band. Knapp dahinter: es ist erschütternd, wie sehr dieser Band ihr langjähriger Drummer Mark Zonder und dessen federndes, mehrdimensionales Spiel fehlt. Sein Nachfolger Bobby Jarzombek klingt im direkten Vergleich wie ein auf dem Boden zementierter Amboss. Und natürlich stellt das etwas mit Matheos' Kompositionen an: sie werden unbeweglicher und ausdrucksloser. 

Auch "Darkness In A Different Light" führt die Linie der drei Vorgänger fort: die Zeit der stilistischen Experimente ist offenbar endgültig vorbei. Was indes gelungen ist: die Songs sind ein Spürchen offener angelegt und damit weniger klaustrophobisch als auf den beiden Vorgängern. Am stärksten sind Fates Warning mittlerweile dann, wenn sie ihrem Händchen für große melancholische Momente und Melodien freien Lauf lassen und nicht auf Biegen und Brechen versuchen, "Metal" zu sein - das Eröffnungsriff des Openers "One Thousand Fires" ist beispielsweise in seiner bemühten Anbiederung wirklich ärgerlich, dasselbe ließe sich für einige Momente im 14-Minuten-Opus "And Yet It Moves" oder dem zugänglichen "Desire" sagen. Größter Nachteil am Festhalten der breitbeinigen Metal-Verbeugung ist die Tatsache, wie verschenkt der großartige Ray Alder in diesen Momenten ist. Alder ist aufgrund seiner Arbeiten in den letzten 25 Jahren für mich einer der zehn besten Sänger der kompletten Szene, und es gibt auch auf "Darkness In A Different Light" Gesangslinien, die in Verbindung mit den Texten eine intellektuelle Tiefe erreichen, die ich schon sehr lange nicht mehr auf einem Metalalbum gehört habe. Ich bin beinahe geneigt festzustellen, dass ihm, nachdem es plötzlich auch im Heavy Metal en vogue geworden ist, auf gute Sänger mit ausdrucksstarken Stimmen keinen gesteigerten Wert mehr zu legen, in kreativer und emotionaler Hinsicht praktisch niemand mehr das Wasser reichen kann - auf der Bühne sieht das bisweilen wegen seines Tabakkonsums etwas anders aus, und der Mann wird schließlich auch nicht jünger. Dennoch: eine Platte mit seiner Beteiligung sollte immer gehört werden. Heute mehr denn je, und sei es nur, damit man sich daran erinnert, wie wichtig, toll und fantastisch eine großartige Stimme auf einer Heavy Metal Platte klingen kann. Er ist der eigentliche Grund, warum ich hier einerseits überhaupt über Fates Warning schreibe und andererseits trotz all ihrer Unzulänglichkeiten immer wieder diese Platte hören will.  

Höhepunkte auf "Darkness In A Different Light" sind dann auch folgerichtig die eingängigen, gräulich schimmernden Juwelen mit dezenter Mainstreamattacke: die Single "Firefly" steht in der Tradition des kleinen 1991er Überraschungserfolgs "Eye To Eye", ebenfalls hörenswert ist die eindeutige Verbeugung vor Psychotic Waltz "Into The Black" und das unter Beteiligung von von ex-Dream Theater-Keyboarder Kevin Moore komponierte "O Chloroform". Auch der bereits erwähnte Rausschmeißer "And Yet It Moves" kann über weite Strecke überzeugen. 

Es gibt ehrlicherweise nicht allzu viele Platten, die ich auch nach knapp drei Jahren immer noch regelmäßig aus dem Regal ziehe und auflege - die Anzahl derer, die sich dabei dem Heavy Metal verschrieben haben, tendiert gar praktisch gegen Null. "Darkness In A Different Light" macht etwas mit mir und zieht mich trotz aller geäußerter Kritik immer noch an. 

Und ich will außerdem ein rauchendes Kind von Ray Alder. 





Erschienen auf Inside Out, 2013.

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