30.12.2014

Endlich geschafft: 2014 im Rückspiegel


"Machen wir das Beste daraus." (Meine Oma, 1924 - 2005)

Könnte ich einen kleinen Nanofunken (was soll das sein? - die Redaktion) in die Zukunft blicken, und könnte ich als Ergebnis dessen erkennen, dass mir das kommende Jahr weniger infernalischen Scheißdreck auf die Türmatte legen wird, als das nun beinahe abgelaufene 2014, dann könnte ich wiederum an Silvester so ausgelassen die Korken knallen lassen, dass jene erst über der Antarktis wieder in die Erdatmosphäre eintreten und dort umweltfreundlich verglühen, bevor sie etwa einen armen Pinguin treffen, der mit Silvester und Jahreswechsel und meinem ins virtuelle und doch so vertraute Netz herauskrakeelten Wohlstandsschrott so gar nix an der "Frisur" (H.Rether) hat. Man erkennt es an dem satte drei Mal erwähnten "könnte", dass ich's eben nicht kann, neben so vielem; als Transferleistung wäre es wohl auch zumutbar, daraus eine gewisse Skepsis beziehungsweise Angst für das Jahr 2015 abzuleiten, denn es gilt das Gesetz der Serie - wenn sie denn ordentlich gefüttert wird. Der FC Bayern München beispielsweise hält sich seit Jahrzehnten mit den Gehirnen seiner Fans über Wasser und das Ergebnis, zwar abhängig vom Ernteerfolg, aber sagen wir's frei raus: 3 Millionen Mini-Sojaböhnchen ergeben am Ende eben auch einen Tofubraten, mit dem man halb Indien sattbekommen würde, jedenfalls: Deutscher Backpfeifenmeister werden sie so oder so in fast jedem Jahr. Deutscher Fußballmeister leider auch.

Ich hab's außer im Fall der halbspaßig gemeinten musikalischen Bewertung für gewöhnlich nicht mit den ubiquitären Einlassungen zum Jahresende, das abgelaufene Jahr sei das schönste, beste, tollste, oder im weniger positiven Fall das granatenbeschissenste gewesen, weil das Jahr an sich ja kaum etwas für die Erfüllung des Klassikers "Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh." kann. Zumal ich auch nicht in Jahreskategorien denke und ich mich außerdem, wenn man es ganz genau nimmt, nicht grundlegend beklagen kann. Man baut sich den ganzen Schmarrn am Ende eben selbst zusammen, und dafür, dass ich nicht 24/7 mit einem grell leuchtenden Heiligenschein herumlaufe, sondern das Lebensglas eher halbleer anstatt halbvoll ist, wäre mehr Optmismus und Lebensfreude ja fast nicht auszuhalten. Gutfried-Wurst ist gut für mich, oh yeah, schubidua - aber auch ohne Wurst gilt: Danke, es geht mir gut.

Für 2014 muss ich eine Ausnahme machen, denn niemals zuvor, vielleicht abgesehen von körperlichen Seuchenjahr 2002 mit Chemotherapie und retroperitonealer Lymphadenektomie (ich kann es auswendig aufsagen) gab es ein derart von Zombies  zerfressenes, halb- und ekelhaft schleimig verdautes und in ein mit tödlichen Baktieren vollgesprotztes, selbst dem Deibel höchstnöterlich persönlich zu heikel zugerichtetes, direkt aus der Justizvollzugsanstalt Stadelheim geliefertes und von Uli Hoeneß selbstarschig vollgestrulltes und beflecktes Plumpsklo, pardon: GESCHISSENES Jahr wie - Tadaaa: 2014. Der Spaß begann am 1.1.2015, als hätte ein mental derangierter Pastinakenarsch pünktlich zum letzten gezündeten Böller den Schalter umgelegt, mit einer toten Katze in unserem Mikro-Blumenbeet auf der Terasse, ging über in zwei Monate andauernde Angstzustände, weil man neuerdings etwas in seinem Körper vermutete, was da absolut nicht und unter keinen Umständen hingehört, und kaum, als ich die Entwarnung dafür präsentiert bekam, also eine Blutdruckmessung den wunderbaren 270/160 Wert ergab, der, natürlich wie bestellt, laut schulmedizinischer und zwischen Kassenpatient und Kaffeemaschine hin und hergerissener Nulldiagnose keinerlei körperliche Ursache hat, denn: "Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach?".

"Können wir das nicht, äh, irgendwie testen?"
"Überlegen sie mal, was wir dafür bräuchten - 1000 Veganer, die seit 12 Jahren 40mg Esomeprazol täglich nehmen und Bluthochdruck haben! Viel Spaß beim Suchen, Herr Besserwisser."

Stattdessen gab es, bedingt durch parallele Einnahme von den wirklich vollständig wirkungslosen und gefährlichen Killer-Globulis, die endlich mal verboten gehören, weil sie so teuer und so nutzlos und so esoterisch sind, dass anderen Menschen deswegen leise die Gehirne wegschmelzen und sie für das selbsternannte "Realismusportal" Psiram schreiben müssen, um die Welt oder immerhin ihren Schrebergarten im Obergeschoss zu retten, eine schöne Depression, und, weil es halt nur im ganzen funktionieren kann, den plötzlichen Tod des Schwiegervaters.

Zwischendrin kreuzen die üblichen Verdächtigen den Weg: eine bestenfalls anstrengende Familie, einen Job, der mich mehr als einmal am Rand geistiger Gesundheit entlangschlittern lässt und eine Welt im Allgmeinen, die auch 2014 nicht den Anschein machte, als seien wenigstens ihre Bewohner noch zu retten. Hauptache wir haben den Spiegel Online-Liveticker zum verschwundenen Passagierflugzeug MH370, Qualitätsjournalismus aus dem Hause Claus "Uhu" Kleber und gepresste Holzfleischbriketts für den Toaster. Oh, und Parfumwerbung mit Musik von Led Zeppelin.


Positives soll nicht verschwiegen werden: ich bin immer noch mit der tollsten Frau der Welt verheiratet, und wäre ich nicht ab und an ein geradeheraus "idiotic idiot" (Bill Maher), der sich von seiner Umwelt und seinem Alltag im Hirn so auf doof umkrempeln lässt, könnte ich darauf fast ein bisschen Stolz sein. Ich liebe unseren Hund Fabbi und unsere beiden Katzen Kleini und Schnuffel, meine Band Blank When Zero exisitiert weiterhin und läuft zumindest in unserem Proberaum und unter erschwerten, weil familiär bedingten Bedingungen so gut wie vielleicht nie zuvor. Und auch wenn man uns außerhalb des Proberaums dieses Jahr nur vier Mal auf einer Bühne sehen konnte, waren alle vier Konzerte unter dem Strich immer positiv und machten riesigen Spaß. Vor allem auch deshalb, weil die anderen beiden Typen - Simon und Marek - die angenehmsten Bandkumpels und Freunde sind, die man sich vorstellen kann. Wir spielten in Solingen auf dem Ox-Festival, in unserem Mainzer Wohnzimmer Haus Mainusch, in Münster und in Hanau. Nicht zu vergessen sind außerdem die mit Freund Jens verbrachten Stunden in den Stuttgarter Plattenläden und indischen Restaurants. Und dass mich die Arbeit sehr regelmäßig in die Schwabenmetropole schickt, sei an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang gleichfalls als äußerst positiv vermerkt.


Was die zu hörende Musik des Jahres betrifft, und hier sind wir mal ausnahmsweise redundant: war es noch nie so geil wie 2014. Es war zugegebenermaßen etwas schwierig, in oben erwähntem Sumpfschlamm die "Spirits" (Gil Scott Heron) so weit aufrecht zu halten, um immer die eigene Stimme zu hören, die einem die Bedürfnisse zuflüstert, aber über weite Strecken lief's ganz flüssig. Mir fällt spontan wirklich nur eine furchtbare Enttäuschung ein, der Rest war und ist super. Über den besten Rest werde ich hier traditionell in den kommenden Wochen referieren.

Beim Überfliegen der Jahresbestenlisten der professionellen Musikzeitschriften oder Webzines gab es, auch das ist mittlerweile Tradition, große Fragezeichen. Das ist unabhängig von den Genres alles soviel Pose und Image, und in der Hauptsache derart gestreamlineter medialer (!) Konsens, dass man gar nicht weiß, worüber man zuerst diskutieren müsste, um den ganzen Zirkus wieder auf stabile und vor allem ehrliche Beine zu stellen. Andererseits scheint sich der Abgrenzungsprozess in der Hörerschaft auch 2014 weiter verschärft zu haben. Wie ich anderer Stelle schon mal schrub: die Menschen hören heute vermutlich so viel Musik wie niemals zuvor - der Streamingtempel Spotify berichtet wie Twitter-Spam von 8 Milliarden gestreamter Songs in den letzten 12 Monaten - sie hören halt nur nicht mehr richtig hin, sondern lassen sich von multinationalen Medienkonzernen und Wirtschaftsunternehmen diktieren, was sie zwischen Tür und Angel hören sollten. Ich werde vielleicht 2015, auch als Nichtstreamer, ein paar Konsequenzen daraus ziehen. Als Stichworte: Entschleunigung. Auseinandersetzung. Wertschätzung. Abtauchen. Mal gucken, ob sich das mit meiner schweren und manischen Neugier umsetzen und durchhalten lässt.

Hier geht es jedenfalls auch im Jahr 2015 weiter. Ich wünsche weiterhin viel Spaß beim Lesen und beim Leben und danke ernsthaft und sehr aufrichtig jedem einzelnen Gast und Leser und KÖNIG, der sich diese endlosen Bandwurmsätze wirklich noch durchliest - wo Blogs doch mittlerweile so öde und out sind wie Cola mit Ketchup, die Lindenstraße oder, ähem. U2. Ich weiß es zu schätzen. Ganz in echt.

Untertänigst immer der Ihre,

F

25.12.2014

Dies ist ein Protestsong



Clogged Arteries:
Songs and Spoken Word in Support of Front​-​line Pipeline Resistance

Und schon singt ihr wieder von Ende der Welt
nur weil irgendwo ein Sack Reis umfällt
lasst mich endlich mit euerm Genöle in Ruh',
wenn ich Lust dazu hab, scheiß' ich die Nordsee zu.
Danach zieh' ich mir ein Robbensteak rein, auf einem Teller aus Elfenbein.
Und dann leg' ich die Schlampen von Greenpeace flach,
eine nach der anderen,
die ganze Nacht...
Die Ärzte

Kanada ist ein paar Handvoll Kilometer entfernt, aber zum einen sucht man sich ja immer noch selbst aus, was man unterstützenswert findet, zum anderen sind die Schweinereien, die auf der kanadischen Seite aktuell Menschen, Tiere, Umwelt und Klima bedrohen, wenigstens dem kritischen Teil der Gesellschaft in Old Europe mehr als nur geläufig. Tatsächlich wurden die Weichen auch auf unserer Seite des Atlantiks schon längst in Richtung, Achtung, Tautologie: profitable Umweltzerstörung gestellt und vor gerade mal vier Wochen heimlich still und leise nochmal sauber poliert, vermutlich mit den ausgeleierten und heraushängenden Enddärmen der deutschen Bundesregierung : "Die Bundesregierung weicht ihre Pläne für ein Fracking-Verbot auf."(FAZ 20.11.2014) .

Hüben wie drüben sitzt man angesichts der sich in neue korrupte Höhen katapultierenden und gewählter Sackgesichter Abgeordneter ohnmächtig im Ohrensessel herum, aber glücklicherweise gibt's wunderbare Menschen, die dem Angreifer die Stirn bieten.

Konkret geht es um die Ölsandindustrie, die aktuell große Projekte zur Gewinnung und zum Transport verwirklicht sehen will und mittels gewaltiger Lobbyarbeit auf dem aufsteigenden Ast ist.

Greenpeace Canada schreibt dazu: 

The tar sands are huge deposits of bitumen, a tar-like substance that’s turned into oil through complex and energy-intensive processes that cause widespread environmental damage. These processes pollute the Athabasca River, lace the air with toxins and convert farmland into wasteland. Large areas of the Boreal forest are clearcut to make way for development in the tar sands, the fastest growing source of greenhouse gas emissions in Canada.




Als Reaktion haben 18 kanadische Künstler einen Protestsampler auf die Beine gestellt, der bei Bandcamp für mindestens 10 Kanadische Dollar als Download erhältlich ist. Ich finde die Beiträge zu meiner eigenen Überraschung überwiegend überdurchschnittlich. Außerdem, und so kam ich überhaupt erst darauf, steuert der großartige Lee Reed mit Mother Tareka unter dem Namen Flowtilla den besten Track der Zusammenstellung bei. Über Lee Reed hatte ich hier schon mal ein paar Zeilen zwei links, zwei recht, einen fallen lassen: Lee Reed Or Fuck Off  .

"Clogged Arteries: Songs and Spoken Word in Support of Front-line Pipeline Resistance" is a compilation CD featuring 18 tracks from 18 different artists spanning a huge range of musical styles. In response to proposed projects to increase the flow of tar sands oil and fracked gas to the west coast of Turtle Island, artists on the compilation address the blatant disregard for communities, ecosystems and democracy, for the sake of profit and power. They show many sides of the human response to the threat of these projects, such as the Enbridge Northern Gateway Project, the Kinder Morgan Trans Mountain Expansion Project, the Pacific Trails Pipeline, and the tar sands themselves. The songs call for support for the struggles of original inhabitants on unceded lands, and for action in response to injustices. 


Reinhören könnt ihr hier, kaufen könnt Ihr da.  



22.12.2014

The Incredible Lewis


I'm too stoned to handle that right now. - nosebleeds, 20.7.2014

Nichts ist so spannend und faszinierend wie eine gute Geschichte mit einer Tonne Mythos und Esoterik. Das hatten sich vielleicht auch die Mitarbeiter des in Seattle, USA ansässigen Labels Light In The Attic gedacht, als ihnen diese wahrhaft unglaublichen Erlebnisse widerfahren sind.




LEWIS - L'AMOUR

Die Geschichte geht so: im Jahr 2007 findet der Plattensammler Jon Murphy auf einem Flohmarkt in kanadischen Edmonton eine interessant aussehende Privatpressung, die er sogleich an den fanatischen Sammler Aaron Levin weiterreicht. Die im Jahr 1983 aufgenommene und auf dem Label R.A.W. (es gibt immerhin einen Hinweis auf ein Postfach in Beverly Hills) veröffentlichte Platte wird in den Randbereichen der Randbereiche der Randbereiche des Internets über Jahre hinweg heiß diskutiert und in Sammlerkreisen als lange vergessene Perle gefeiert. Die Informationen auf dem Plattencover sind allerdings rar: der Künstler nennt sich Lewis, seine Platte heißt "L'Amour". Als Engineer wird Bob Kinsey erwähnt, an den Synthies saß Philip Lees, dazu gibt es den Hinweis auf den Fotografen Ed Colver (ein Punkrock-Fotograf aus Los Angeles) und eine Widmung für das Sports Illustrated-Model Christie Brinkley. Zu diesem Zeitpunkt ist Lewis ein Geist. Niemand weiß etwas über diesen Mann, niemand kennt seinen richtigen, vollständigen Namen, und ob er noch weitere Platten veröffentlichte, ist ebenfalls unbekannt. 

"L'Amour" ist eine surreale und für das Jahr 1983 völlig untypische Platte, stilistisch vielleicht keine Jahre, sondern gleich ganze Jahrzehnte seiner Zeit voraus. Ein leise getupftes Piano. Eine Akustikgitarre, die undefiniert durch die wabernden Synthieteppiche stakst. Eine Stimme, die murmelt, haucht, sich leise überschlägt und kaum verständlich ist. Walzer-Rhytmus. Als würde sich David Lynch einen Albtraum im heißen, schaumigen, romantisch beleuchteten Whirpools eines 5-Sterne-Hotels ausdenken. Es ist schwer, sowas im Jahr 2014 zu finden. Im Jahr 1983 erscheint es als völlig undenkbar.


Über Umwege landet die Story auf den Schreibtischen von Light In The Attic. Dort ist man von "L'Amour" so begeistert, dass sich das Personal auf die Suche nach Lewis macht, um das Mysterium zu entschlüsseln. Das Ergebnis wirft aber zunächst mehr Fragen auf, als dass es Antworten bietet. Das Postfach des R.A.W.-Labels in Beverly Hills ist schon lange aufgelöst, der Produzent der damaligen Session kann sich nur noch daran erinnern, Lewis sei aus dem Nichts gekommen und direkt nach Ende der eintägigen Aufnahme wieder ins Nichts zurückgekehrt. Außerdem stand der Sänger offensichtlich unter Drogeneinfluss, fuhr ein weißes Mercedes-Cabriolet und hatte eine ebenso vernebelte, blonde und attraktive Frau als Begleitung im Schlepptau, die wie ein Model aussah. Ed Colver erinnerte sich immerhin an den mutmaßlich bürgerlichen Namen von Lewis: Randall Wulff. Er erinnert sich vor allem deshalb an den Mann, weil Wulff die 250$-Rechnung für die Fotosession mit einem nicht gedeckten Scheck bezahlte.

Musikjournalist Jack D. Fleischer und der Privatdetektiv Markus Armstrong machten sich auf den Weg nach Alberta, einer westlichen Provinz Kanadas, wo "L'Amour" zum ersten Mal gefunden wurde. Sie fanden dort einen Neffen Wulffs, der sich zwar dunkel an einen früheren Besuch im komplett in weiß gehaltenen Appartement des Sängers erinnern konnte, und der außerdem bestätigte, dass Randall ein Börsenmakler gewesen sei, aber seit Jahren keinen Kontakt mehr mit ihm hielt und auch nicht wusste, wo er sich gerade aufhielt. Dafür erinnert er sich an ein weiteres Pseudonym: Randy Duke. Später sollten Fleischer und Armstrong herausfinden, dass unter diesem Namen in den Fiasco Bros. Studios in Vancouver angeblich drei bis vier weitere Alben aufgenommen wurden. 

Lewis selbst bleibt weiterhin unauffindbar. 

Light In The Attic stellt die Suche vorerst ein und veröffentlicht "L'Amour" Anfang des Jahres 2014. Das Label friert die Einnahmen aus den Verkäufen ein. Vielleicht taucht Lewis doch noch irgendwann auf. Die Platten-Nerds, vor allem die US-amerikanischen, drehen zu diesem Zeitpunkt ganz dezent frei. 






LEWIS BALOUE - ROMANTIC TIMES


Nur wenig später sollten sie aufgrund eines Beitrags auf der Homepage des Labels allerdings auf Turbostufe rotieren: im Bestand des DJs und Sammlers Kevin “Sipreano” Howes wurde in Calgary ein Vinylexemplar dessen gefunden, was vielleicht ein zweites Lewis-Album sein konnte; ein Album von dem bislang niemand wusste, dass es überhaupt existiert. "L'Amour" kursierte schließlich schon seit Jahren in der Sammlerszene, "Romantic Times" war trotz Internet'scher Überverfügbarkeit von jeder Art von Musik, sei sie noch so obskur und rar, völlig unbekannt. Kein einziges Google-Ergebnis, kein Hinweis auf Youtube. Es war der viel zitierte Heilige Gral, nach dem Sammlerherzen manchmal ihr ganzes Leben lang suchen. 

Der Künstler nannte sich nun Lewis Baloue, aber sein Gesicht war unverkennbar. Lewis posiert mit Zigarillo in einem weißen Anzug vor dem bereits vorher bekannt gewordenenen und ebenfalls weißen Mercedes-Cabrio und einem Privatjet. "Romantic Times", aufgenommen und privat veröffentlicht im Jahr 1985, ist so rar, dass dieses Exemplar als die zu jenem Zeitpunkt einzige bisher aufgetauchte Originalversion gilt. Light In The Attic kauft Howes die Platte ab, zieht Kopien von dieser Scheibe für eine Wiederveröffentlichung, bevor eine weitere Originalpressung von "Romantic Times" plötzlich auf Ebay auftaucht. Der Underground-Hype bei den Sammlern explodiert nun förmlich. Er treibt den Auktionspreis für "Romantic Times" auf sagenhafte 1800 US-Dollar. 




Musikjournalist Jack Fleischer, der die Liner Notes für beide bislang veröffentlichten Lewis-Alben schrieb, wird zu wie folgt zitiert:

Ok. Well now that the cat is out of the bag, I will shed a little light to wet the tastebuds... A Canadian digger turned a copy of this up 2 months ago and sold it to Light in the Attic. In a great irony, it was the same guy who we asked to go to the studio in Vancouver to ask about the recordings done there in the mid '00s. In an even greater irony, he found the record in his storage unit just thumbing through the refuse of some old buys. Such is life. The copy currently on eBay landed at THE SAME record store that Aaron bought his copies from years ago. It has been confirmed as having been recorded in Calgary, despite the address on the back for R.A.W. Corp which is actually a PO Box at a mailboxes etcetera type place in Beverly Hills.

The label had me come in and I found the disc under the coffee table, while Matt was on the phone. I initially thought it was a total hoax, but they handed me a CD-R and listening to it on the ride home I was pretty blown away. It's a great follow-up to an incredible record, and is decidedly even more personal and strange. The unintentional nods to Badalamenti on the first disc take a plunge into deep red room turf on "Romantic Times" and in some ways he feels like a necromancer waiting to make an appearance on that vaunted show. 5 years before it aired. I'll save the rest for the liner notes. Suffice to say, it's a doozy, and for me a future big one in the real people / twilight zone camp.


Die Musik auf "Romantic Times" ist im Grundsatz mit jener auf "L'Amour" vergleichbar, wirkt aber noch brüchiger und dunkler als auf dem Debut. Das Album öffnet mit einer unerwähnten Coverversion von "Strangers In The Night" (hier: "We Danced All Night") und schunkelt sich im weiteren Verlauf sehr konsequent auf einer Schwebewolke durch die Nacht. Stilistisch ist die Musik von Lewis kaum dechiffrierbar; ich kann auch nicht sagen, dass ich mir vor Begeisterung die Klamotten vom Leib reißen möchte, aber es liegt eine große Faszination in dieser Musik vergraben, etwas Gespenstisches, Eindringliches - natürlich ordentlich aufgeladen mit viel Mythos und vielen Rätseln und Geheimnissen. Ich glaube, es hilft dabei, die beiden Platten zu mögen, oder sie auch nur zu verstehen.


Dabei gibt es natürlich einiges zu Spekulieren: passiert das hier wirklich, oder ist es nur eine sauber ausgedachte Geschichte von ein paar komischen Typen? Warum taucht "Romantic Times" ausgerechnet bei dem Mann auf, der vorher schon von Fleischer und Armstrong angespitzt wurde, sich in dem Studio in Vancouver nach den späteren Aufnahmen zu erkundigen? Und warum taucht plötzlich ein Exemplar auf Ebay auf? Ist es nur ein Zufall, dass "Romantic Times" im selben Plattenladen in Calgary auftaucht, in dem Jahre vorher noch versiegelte Exemplare des Debuts gefunden wurden? Und: gab es Lewis wirklich? Wenn ja: lebt er noch? Wenn nein: wer steckt hinter all diesem Irrsinn?


Befeuert von der Entdeckung von "Romantic Times", recherchieren die Damen und Herren von Light In The Attic weiter - sie versuchen mit weiteren vermeintlichen Familienmitgliedern Wulffs Kontakt aufzunehmen, reisen durch Kanada und die USA und führen weitere Interviews. Im August 2014, wenige Wochen nach dem Bekanntwerden eines zweiten Lewis-Albums, kommt der große Schlag. Lewis ist gefunden. Jack und Matt treffen den Musiker angeblich in Kanada. Gleichzeitig tauchen Gerüchte auf, Wulff lebe mittlerweile auf Hawaii. Das einzige Foto, dass die beiden von ihm veröffentlichen, zeigt ziemlich definitiv den mittlerweile fast 30 Jahre älteren Mann der "'L'Amour" und "Romantic Times"-Cover. Der Hintergrund wurde auf Wunsch von Lewis verfremdet, sodass keine Rückschlüsse auf seinen Aufenthaltsort möglich sind. 


Randy had no idea about the recent interest in his old records and didn’t seem to care in the slightest. We had a check for him but he wasn’t interested. We brought him CDs and LPs of L’Amour. He took a look, impressed (“nice”), and smiled, recalling a number of positive stories from back in the day. Then handed back the CD, saying it was for us and kindly declined keeping it. Randy simply wanted to look forward with both his life and music and had no interest in any celebrity or financial gain having to do with the albums. He told us over and over again, “That was a long time ago” and that we should “have a ball” with the reissues. When we mentioned that we’d been looking for him for years, he was surprised, responding that he’s been right there all along and shops for groceries at his neighborhood store.

After a half hour chatting about his musical past, he signed a couple copies of L’Amour (as “Lewis”) and said, “I wish you guys all the best. I’m not looking back. I’m doing stuff now that’s taken me forty, fifty years to write. I’m not looking into coin. I’m not looking into anything. I’m just strumming my guitar. I just wish you guys all the best in the world.”





Als Reaktion auf Lewis' Verzicht zur finanziellen Beteiligung an den Verkäufen entschieden Light In The Attic, die beiden Lewis-Alben nicht mehr nachzupressen, sollten sie ausverkauft sein. Die Einnahmen werden weiter eingefroren für den Fall, dass es sich Lewis doch nochmal anders überlegt. 

Und während die Herzallerliebste ob des entrückten Gemurmels von Lewis noch immer in sich hinein kichert und mittlerweile der Auffassung ist, die beiden Platten seien nicht 1983 und 1985 entstanden, sondern stattdessen mit 99,9%iger Wahrscheinlichkeit erst vor kurzem neu aufgenommen worden und die Community der Plattensammler sei damit einem gigantischen Hoax auf den Leim gegangen (eine Möglichkeit, die auch ich für absolut plausibel halte, während sie vom Label - natürlich - vehement bestritten wird), lege ich an diesem vorweihnachtlichen Montagmittag und bei Kerzenschein und Salbeitee nochmal "Romantic Times" auf den Plattenteller - denn eines ist auch klar: sollte das wirklich alles so passiert sein, wie es uns Light In The Attic seit Monaten erzählt, dann ist es aus allen erdenklichen Blickwinkeln nichts weniger als eine Sensation. Eine wunderbare, wahrhaftige Sensation. 

I Want To Believe.

Re-Issues erschienen auf Light In Attic, 2014

14.12.2014

"WE FOUND BAD BONN."



PTERODACTYL - PTERODACTYL


Ein etwas obskures Schätzchen noch kurz vor Weihnachten und dem ganzen unvermeidbaren Listenkram, der mich - und damit irgendwie auch Euch - sicherlich wieder bis März beschäftigen wird, und über den ich auch in diesem absoluten und verboten-armseligen Scheißjahr 2014 schon mindestens dreizehn bis achtzehn Sekunden nachgedacht habe. 

Pterodactyl stammten aus der Gegend um Brooklyn und veröffentlichten im Jahr 2007 mit ihrem selbstbetitelten Debut ein nervöses, aufkratzendes Album. Das Trio kommt, holzt - und ehe man sich versieht, ist es auch schon wieder weg. Die hysterischen, hellen und schrillen Organe der beiden Sänger Kurt Beals und Joe Kremer, letzterer ist im halbwegs seriösen Leben tatsächlich ein Physiklehrer, die hier und da mittels Sampler übereinander geschichtet wurden und damit eine dichte und unwirkliche Stimmung erzeugen, dominieren, während im Hintergrund die mal hektischen, mal swingenden Drums von Matt Marlin vorbeiwuseln. Die verspulten Gitarrenläufe und -melodien schrauben dabei die Extase der Band immer weiter nach oben. Das ist nicht besonders sexy, aber dafür frisch, spontan und wild.

Eine mehr als krude Mischung aus Noiserock, Hard- und Mathcore mit einem äußerst erfreulichen Spritzer Garagenrock oder auch, als Synonym: frühem Grunge. Kein Mainstream-Grunge von Anfang der neunziger Jahre, eher von dem holpernden und schrägen Herumgerocke und Rumgerotze, das Ende der Achtziger noch tief in der Ursuppe vor sich hin köchelte. Dreckiges Psycho-Riffing wie in "Rampage 1", fuzzige Bass- und Gitarren-Noiseorgien in der Fortsetzung "Rampage 2", an treibenden und abgefahrenen Postrock erinnernde Songfetzen wie in "Three Succeed" oder "Astross" und Hi-Speed-Wahnsinn in "Chx Bx" prägen eine verrückte Platte, die sich, man mag's erahnen, nicht abschließend beschreiben lässt. 

Die Songs sind sperrig und anstrengend, haben sicherlich die ein oder andere Schraube locker und überschreiten auch mal die Grenze zum unerträglichen Krach. Aber sie sind charmant. Eben weil sie sich nicht einordnen lassen, weil sie voller Ideen stecken, weil sie dich die Perspektive wechseln lassen. "Pterodactyl" will nicht ganz bestimmt nicht Dein Freund sein, ist kratzbürstig, manchmal unangenehm und unhöflich - und darauf muss man sich erst mal einstellen. Aber mal ehrlich: Kann man einer Band böse sein, die bei einem Label veröffentlicht, das "If it doesn't suck it's probably not on Brah" als Werbespruch benutzt? 

Eben.

Erschienen auf Brah Records, 2007.


30.11.2014

Chances With Wolves - Gil Scott Heron Memorial Show


Chances With Wolves ist der Name einer Radiosendung aus Brooklyn, die jeden Montag zwischen 18:00 und 20:00 auf dem zunächst eingestellten, nun aber wiederbelebten East Village Radio läuft.





Ich bin kürzlich über ihre Gil Scott Heron Memorial Show gestolpert, die im Juni 2011 und damit kurz nach Scott-Herons Tod ausgestrahlt wurde und die man entweder via Soundcloud streamen, oder aber unter dem Blog der Macher sogar herunterladen kann. Die anderen Sets, die auf jenem Blog zu finden sind, sind darüber hinaus auch sehr zu empfehlen.

Knapp zwei Stunden der besten Musik vom großen Poeten und Rebellen Gil Scott-Heron. Am End' könnte euch das gefallen.

Enjoy.

28.11.2014

zzZZzzzZZZzzzzzZZzzzzz



MY MORNING JACKET - Z


Sie würde nun vehement protestieren, säße sie denn neben mir, aber dass die Herzallerliebste neuer Musik des Herrn Florian im besten Fall eher ambivalent gegenübersteht und sie in aller Regel stillschweigend erträgt, beziehungsweise sie im weniger guten Fall mit einigen Unmutsbekundungen überzieht – die Band, die sich diesbezüglich die meisten Ohrlaschen abholen darf heißt übrigens Leatherface; ich darf zitieren:“Da bekomm‘ ICH Halsschmerzen, wenn ich den Typen singen höre!“ – ist meinetwegen ganz dezent übertrieben, in der Sache aber auch nicht so irre falsch. Weit liegen wir in unseren musikalischen Vorlieben gar nicht auseinander, ich glaube aber, dass ich einfach ein gutes Schippchen weniger wählerisch bin. Eine Einlassung, zu der mir auch wieder eine Handvoll Menschen einfielen, die jetzt ihrerseits vehement protestieren würden. Beim vierten Album dieses Quintetts aus Kentucky um Sänger und Mastermind Jim James indes sind sich Frau P und meine Wenigkeit einig: das ist eine tolle Platte. 

Die Band , die in den Vereinigten Staaten sogar den Madison Square Garden in New York mit 18000 Menschen locker ausverkauft bekommt, pendelt auf „Z“ zwischen Folkrock und leisem, aber vor allem sehr sphärischem und psychedelischem Indiegewürmel umher, manchmal zaghaft von Reggae-beeinflusstem Geschunkel wie in „Off The Record“ oder, wie im vergleichsweise fast schon stürmischen „What A Wonderful Man“ mit soulig angehauchter rockiger Strohballennote unterbrochen. Highlight von „Z“ ist ganz bestimmt der Rausschmeißer „Dondante“, ein sich bis zur Extase hochschraubender Siebenminüter mit ausuferndem Gesang und peitschendem Crescendo, der auf dem Höhepunkt abbricht und sich dann mittels ungewöhnlich langer Ausblendphase ins Nirwana kreiselt. Danach kommt Stille.

„Z“ ist sicher ein leicht kauziges, aber überaus charmantes Werk, auch weil es, im Wortsinn, mitfühlt. Die Band ist immer ganz nah an mir dran, als könnten diese Songs mein Innenleben mit all den Zweifeln und all der Lebenslust lesen und sich zu einem Zuhörer und Begleiter entlang amorpheln. Verwurzelt in den siebziger Jahren, mit erstaunlicher Tiefe und brillianten Melodien ausgestattet. Dafür zu keiner Sekunde kitschig oder ironisch. Kein Indiegezappel, kein Clubgehopse. Nur Musik von einer Band, die es mit dieser Platte unbedingt wissen wollte. Und die über sich selbst hinausgewachsen ist. 

Musik, die in den besten Momenten zu Tränen rühren kann, weil man erkennt, dass das Leben so schlecht gar nicht ist. 

Erschienen auf ATO, 2006.

16.11.2014

Der Weg ist das Ziel - und er liegt voller Rosenblüten



MARK BANNING - JOURNEY TO THE LIGHT


"One of the most beautiful new age records ever recorded. One of the most beautiful instrumental records ever recorded. One of the most beautiful records ever recorded, period."

Vor einigen Tagen, tief in der Nacht, die Kirchturmuhr muss schon drei oder sogar vier Mal geschlagen haben, zappten sich Frau und Herr Dreikommaviernull noch durch das Nachtprogramm und blieben auf dem Raumschiff Enterprise hängen. Auf der Originalserie wohlgemerkt, die zwischen 1966 und 1969 produziert und nach drei Staffeln wegen geringer Zuschauerquoten (!) eingestellt wurde. Ich bin eher der wortwörtlichen "Next Generation" zuzuordnen und konnte mich für die erste Inkarnation der Sternfahrer nie so recht erwärmen. Dass die Crew mit einem winzigen Budget zu kämpfen hatte, ist natürlich an allen Ecken und Enden zu sehen; der ganze Salat ist irrsinnig langsam und hölzern inszeniert, wenngleich es natürlich schon spannend zu beobachten ist, wie man sich in den sechziger Jahren die Zukunft vorgestellt hat. Aber diese Requisiten! Die, äh, Möbel. Die Tische und Stühle. Selbst die verfluchten Wände. Die Farben. Die Kostüme. So modern darf man selbst 2014 gar nicht mehr sein, sonst geht's ruckzuck aufs Designerschafott. Manchmal scheint's, wir entwickeln uns zwischen all dem in den Hals gedrückten Krempel von Apple und Primark und der Rügenwalder Mühlenwurst viel weiter zurück, als es uns lieb sein kann. 

Mir ist dieses nächtliche Erlebnis eingefallen, als ich Mark Bannings "Journey To The Light" gehört habe. Auch hier kann man ganz wunderbar weit in die Vergangenheit blicken, ohne sich allzu weit aus der Gegenwart herauszulehnen - und gleichzeitig darf man sich fragen, ob wohl so die Zukunft klingen mag. 

Nach diesem Worthirnsalat braucht's zwei, drei geradeaus formulierte Sätze: "Journey To The Light" ist topmodern. Es ist völlig faszinierend, dass diese 1984 aufgenommene und 1985 veröffentlichte, nun 30 Jahre alte Schwebewolke aus New Age Gitarrengeflirre klingt, als sei sie vorgestern komponiert und noch vor dem Abendessen aufgenommen worden. Und gleichzeitig bietet das vom rührigen Students Of Decay-Label ausgegrabene Album einen Einblick in das Selbstverständnis einer Generation in den achtziger Jahren zwischen Poststrukturalismus und damit einhergehender Realitätskritik. "Journey To The Light" lebt und atment in diesen letzten dreißig Jahren und scheint bis heute Geschichte und Moderne gleichermaßen aufgesaugt und in das von ihm entworfene Bild eingebaut zu haben; es pendelt zwischen Dekonstruktion und Assimilierung, zwischen postmoderner Freiheit und romantischer Verlustemotion. Das ist spannend zu hören und zu entdecken. Bannings spiritueller Eskapismus bringt aber gleichzeitig Frieden, innere Einkehr und Reflektion - und das völlig ohne verkopfte Theoriemodelle. 




Original erschienen auf Creative Sound, 1985.
Re-Issue erschienen auf Students of Decay, 2014.

10.11.2014

Eimer Rauchen & Sellerie Einlauf



DEEPCHORD - LANTERNS



Die beste Dubtechno-Scheibe des Jahres 2014, soviel sei in Hinblick auf die große Jahresbestenliste heute schon verraten, wurde im Mai auf Astral Industries veröffentlicht. Deepchords "Lanterns" erschien vor einem halben Jahr ausschließlich als beschämend teure und auf 500 Stück limitierte Doppel-LP mit zwei unterschiedlich eingefärbten durchsichtigen Vinylscheiben, wunderbarem Artwork inklusive eines Riesenposters. Die Aufmachung ist schon aller Ehren wert, wenngleich mir dieser aus "limitiert & teuer" zusammengeflickte Exklusivitätsteppich immer noch schwer aufs Gemüt schlägt; die dazu passende Musik ist geradewegs ein Erlebnis. Im Vergleich mit dem ebenfalls exzellenten, dezent kratzigen und bisweilen kühl und distanziert klingenden "20 Electrostatic Soundfields" aus dem vergangenen Jahr, hat "Lanterns" indes weniger den Charme von verstaubten Industrieanlagen im Herbst, die mit Stroboskopfeuerwerk angestrahlt werden. "Lanterns" ist in allen Bereichen homogener und wirkt dadurch introspektiver als Deepchords frühere Arbeiten - die durchgehend auch nicht von schlechten Eltern waren. 

"Lanterns" brachte mich immerhin mit seinen leise vor sich hin schachernden Beats, die sich so wunderbar in das blitzende Noisegestrüpp einpassen, dem tongewordenen Tunnelblick in die Nacht und dem sich subtil und fast verschämt zeigenden Hedonismus dazu, meinen seit dem letztjährigen Umzug stillgelegten und astrein benamten "Space Projektor" von Mathmos wieder anzuschmeißen, um im tiefsten Rot mit diesen gut 64 Minuten Musik gemeinsam durch die Sossenheimer Nacht zu glühen. 

2012 war es die "Voices From The Lake"-LP mit ihrer todessehnsüchtigen Unterwasser-Glory, ein Jahr später verschlug mir Segues "Pacifica"-Schulung in strahlendem Weiß die Sprache, im Jahr 2014 ist es der verschwommene, pulsierende, ziellose Weg durch den Untergrund der Großstadt von "Lanterns", der mich durch das Leben trägt.



Erschienen bei Astral Industries, 2014.

28.10.2014

Fuck Tradition. Fuck Religion.



When it comes to bullshit, big-time, major league bullshit, you have to stand in awe of the all-time champion of false promises and exaggerated claims, religion. No contest. No contest. Religion. Religion easily has the greatest bullshit story ever told. Think about it. Religion has actually convinced people that there's an invisible man living in the sky who watches everything you do, every minute of every day. And the invisible man has a special list of ten things he does not want you to do. And if you do any of these ten things, he has a special place, full of fire and smoke and burning and torture and anguish, where he will send you to live and suffer and burn and choke and scream and cry forever and ever 'til the end of time!

But He loves you. He loves you, and He needs money! He always needs money! He's all-powerful, all-perfect, all-knowing, and all-wise, somehow just can't handle money! Religion takes in billions of dollars, they pay no taxes, and they always need a little more. Now, you talk about a good bullshit story. Holy Shit!
(George Carlin)


Es gibt allerhand Beispiele von Tieropferungen im Rahmen besinnungslos religiösen Kladderadatschs, dieser trüben Traditions- und Kulturgut-Soße, der man auch im Jahr 2014 immer noch nicht den Stöpsel aus der Badewanne ziehen kann. Das islamische Opferfest, in dem vor allem Paarhufer - Schweine haben wenigstens in dieser Hinsicht mal ausnahmsweise Glück gehabt - geschlachtet und rituell geschächtet werden, wahrscheinlich für gute Verdauung, saubere Unterhosen und einen straff nach oben gerichteten Penis oder was weiß ich, das Judentum darf für seine fünf in der Tora erwähnten Opferarten Olah, Mincha, Sebach, Chattat und Ascham unter anderem Rinder, Schafe und Widder vollständig verbrennen oder wie im Chattat einer Ziege (!) die Sünden des Menschen per Handauflegen (!!)  übertragen, das Tier anschließend schlachten und sein Blut auf den Altar und dem Vorhang im Tempel verspritzen. In dem obszönen Märchenonkelbuch "Die Bibel", der ein oder andere hat vielleicht schon mal davon gehört, ein kräftig lasziver Schmöker voller Gewalt, Inzucht und Bananendildo-Userbewertungen, wimmelt es natürlich auch nur so von gottloser Unterbelichtung: "Die Tiere, die für Opfer verwendet wurden, waren immer Haustiere. Sie mussten fehlerlos, einjährig und männlich sein." - andernfalls wäre der als Hochstapler verurteilte Jesu S. (32, wohnhaft in Gütersloh, dritte Kloake rechts, Hotel "Die Wicherts", vier Mal klopfen) nicht wieder auferstanden oder hätte aus Wasser keinen Wein, sondern ein schönes Grützwurstrisotto mit gelbem Schmackes gezaubert.

Wer noch alle Klöppel in der Glocke hat, greift sich angesichts dieses rituellen Boheis mindestens mal schön an den Kopf und wundert sich, was Jahrtausende kompletter Vollverstrahlung mit dem menschlichen Gehirn und der Seele so alles anstellen können. Wir haben es tatsächlich ziemlich anerkennenswert sehr weit gebracht, beziehungsweise mal gerade vom Esstisch zum donnernden Klingonenfurz auf der Keramik, und es ist geradezu bedauerlich zu beobachten, dass sich vor allem der vermeintlich ideologiefreie und progressive Teil der Bevölkerung hierzulande in Sachen religiöser Hirnverknotung noch immer, und in den letzten Jahren dank Papst und Gauck erschütternderweise sogar immer mehr, mit der Bullenlederpeitsche vor den Altar und in den Beichtstuhl treiben lässt - meinetwegen gerne im übertragenen Sinne, aber wie viele dieser Rituale immer noch so wunderbar kräftig am Leben sind und mit aller Macht an selbigem erhalten bleiben müssen, ist einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft unwürdig.

Nun zeigt ja der deutsche Kleinmümmelmannbürger gerne mal mit dem Finger auf die anderen, in erster Linie und gerade in diesen Tagen mit stetig wachsender Begeisterung auf die, die im westlichen und nicht offiziellen Kastensystem weit unter ihm selbst stehen, denn der über den ganz großen Kamm geschorene Deutsche tritt traditionell gerne nach unten und spreizt im Gegenzug für "die da oben" die Arschbacken weit auseinander; was zu verstehen ist, denn die Angst ist ein Meister aus Deutschland, und das gilt für mehr als nur eine Ebene. Auf meiner Ebene hier unten zeige ich heute mit allen elf Fingern auf Nepal und das dort Ende November stattfindende Gadhimai Tieropferfest. Obwohl das Opfern von Tieren im Hinduismus keine Regel ist, gibt es Mitglieder von einzelnen Stämmen und Clans, die einen Kübel Traditionsschlamm im Brägen herumtragen. Seit 260 Jahren werden alle fünf Jahre bis zu, Achtung festhalten: 500.000 Tiere über den Lauf eines Monats rituell geopfert, lässt man den rhetorischen Weichzeichner weg: massakriert und abgeschlachtet. Die blutgeilen, besoffenen und derangierten Sackgesichter stehen inmitten von Tausenden, teils über Tage zum Tempel getriebenen Tieren mit stumpfen Messern und köpfen Wasserbüffel, Ziegen, Hühner, Tauben, Enten und Ratten; als besonderes Spezialfeature darf man sogar seine eigenen Tiere mitbringen und vor Ort meucheln, damit ihnen die Gadhima, die "Goddess of Power" wohlgesonnen sein wird. Die Times Of India schrieb beim letzten Festival der Liebe:

The name on everyone's lips on Tuesday, when the slaughter of buffaloes started, was that of Raman Thakur, a farmer from Sitamarhi in Bihar who sacrificed 105 buffaloes to show his gratitude. The goddess, Thakur said, had answered the prayer he had made five years ago by granting him a son. 


Für den Rest zitiere ich den Text der deutschen Tierrechtsgruppe Animal Equality:

Es sind Bilder, wie wir sie uns kaum vorstellen können: Hunderttausende Tiere werden auf einem Feld zusammen getrieben und von hunderten Menschen niedergemetzelt. Alle diese Tiere sterben einen langsamen, qualvollen Tod, da die Menschen, die sie töten, sehr unerfahren sind und zumeist stumpfe Messer verwenden. Zwischen toten und sterbenden Tieren stehen verstört die Tiere, die noch am Leben sind. Sie müssen zusehen, wie ihre Artgenossen vor ihren Augen sterben müssen.(...)

Mehr als 500.000 unschuldige Tiere sollen im November 2014 beim weltgrößten Opferfest in Nepal sterben. Das Gadhimai Tieropferfest folgt einer hinduistischen Tradition, die seit ungefähr 260 Jahren in Bariyapur, im Süden Nepals, praktiziert wird. Bei diesem Fest werden alle fünf Jahre über die Dauer von einem Monat hunderttausende Tiere der Göttin Gadhimai geopfert. Wasserbüffel, Ziegen, Lämmer und Tauben sind als Opfer vorgesehen - tatsächlich aber befinden sich alle Tiere in der Umgebung des Veranstaltungsortes in Gefahr niedergemetzelt zu werden.

Viele der Tiere werden in indischen Dörfern gekauft und über lange Entfernungen zum Gadhimai-Tempel getrieben. Die Besucher, bei denen circa 70% aus dem Nachbarland Indien kommen, können die von ihnen mitgebrachten Tiere auf jede beliebige Art und Weise auf dem Schlachtplatz töten. Die Tiere müssen dabei eine Tortur von bis zu zwei Stunden durchleiden, da sie mit stumpfen Messern und von unerfahrenen Personen getötet werden. Die Menschen, die an dem Tieropferfest teilnehmen, konsumieren oft große Mengen Alkohol, so dass sie betrunken sind, wenn sie die Tiere töten. Häufig sind kleine Kinder bei den Opferungen anwesend.

http://www.animalequality.de/neuigkeiten/gadhimai

Petition unterzeichnen:

http://massaker-beenden.org/


Bilder und Videos erspare ich Euch wenigstens auf meiner Seite, sonst kommt uns allen das kalte Kotzen.

"There will be Zero Tolerance."(Chuck Schuldiner)

25.10.2014

Katzen! Er mag auch noch Katzen!



BVDUB - TANTO


Vorankündigung des voraussichtlich letzten BVDUB Albums für das Jahr 2014, das am 1.12.2014 erscheint. Brock van Wey über die Hintergründe. Gefunden auf dem Webshop von N5MD. Dort gibt es auch schon Hörproben.

Alle Tränenschleusen auf.

"In 2014 I lost one of my best friends, without whom my life will never be the same - Tanto, my feline brother in arms, and not only a massive part of my life, but my music as well. We fought our hardest, for months, side by side, but in the end, everything we had was not enough.

From one of, if not the darkest times in my life, I wanted to honor a life with good and beauty, the way he deserved. The result is my first ‘live’ album, in that all tracks were done in one take, one each day for six days, recorded raw and untouched... not a story, not a narrative, but a direct account of the saddest, emptiest, most helpless days of my life, after I was forced let my brother and best friend leave this life... and everything I wish I could have told him as he slipped from my world in front of my eyes, and in my arms. But it is not entirely an album of sadness and anger... it is as much my wish to show a life of beauty and pure, unadulterated love, and my love for someone who meant the world to me. The end result is an unbridled recording that is as much joy as pain, and as much hope as despair.

100% of everything from this album will be donated to the UC Davis Center for FIP Research, in the hopes that even one life, one brother or sister, one innocent cat can be spared the horror of this cruel disease. But equally as importantly, let it serve as a tribute, and an eternal memorial to a life of loyalty, of joy, and of love. Let it serve as a tribute to life itself... about which Tanto taught me more than I can ever describe, through not only his unwavering friendship, but his unshakable bravery and strength.

For this, and what this means, Quietus is reborn. At least once... to let a life of such kindness and love live on... and to hopefully help many more friends and family stay side by side. This CD was made locally in the Bay Area, my home, and the cover hand-printed on an actual printing press, using real paper and ink - the way my family and I did for over 20 years. Thank you for your love and support, and cherish every day with those you love, and who love you." - Brock Van Wey

Erscheint auf Quietus, Dezember 2014.



22.10.2014

Let The Shyce Flow - Iron Maiden von unten (Teil 2)



Es ist kein Geheimnis, dass Harris und Dickinson allerhöchstens ein professionelles Verhältnis pflegen: auf der einen Seite der wilde, rastlose, kreative, neugierige Flummi Dickinson, auf der anderen Seite der konservative Sturkopf Harris - das wird keine Liebe mehr. Nach Dickinsons Rückkehr kittet allerdings der gigantische Erfolg wie schon vor 30 Jahren die Risse zwischen dem Sänger und dem Bassisten, weil man für ein paar Millionen Britische Pfund auch drei Monate im Jahr mal so tun kann, als sei man ganz dicke miteinander. Die restliche Band profitiert von der Geschäftsbeziehung des Trios Smallwood/Harris/ Dickinson, ist aber im Grunde mittlerweile nur noch schmückendes, wenngleich notwendiges Beiwerk - eine Änderung der Besetzung scheint mittlerweile völlig ausgeschlossen und würde neben dem Image der Band als starke Einheit in der Folge auch deren Erfolgsaussichten nachhaltig ramponieren.

Seit der 1999er Reunion mit Dickinson und Gitarrist Adrian Smith, dem die Kohle nach einigen gefloppten Projekten (A.S.A.P. und Psycho Motel) wohl auch so langsam ausging, hat die Band vier Studioalben, fünf Livealben (u.a. das legendär miese und kurz nach einer Halserkrankung Dickinsons aufgenommene "Death On The Road", das im Studio so grotesk schlecht nachbearbeitet wurde, dass man schon einen panierten Blumenkohl im Ohr haben muss, um sowas auch nur mitleidig abzunicken), vier Best Of-Zusammenstellungen, von denen eine, "Edward The Great", sogar nur drei Jahre nach der im Jahr 2002 erschienenen ersten Ausgabe in einer aktualisierten Version neu aufgelegt wurde, und 13 Singles, fast alle in unterschiedlichen Formaten, veröffentlicht.

Hinzu kamen außerdem noch insgesamt neun(!) DVDs, bei denen auch hier "Death On The Road" auf Jahrzehnte die rote Laterne behalten wird: wer angesichts des Bildschnitts alleine die ersten zehn Minuten ohne epileptischen Anfall aushält, steht sowieso schon unter permanenter Medikation. Maiden gingen im erwähnten Zeitraum mehrfach auf Tournee, und wenn es kein Album zu promoten gab, dann gab es Resteverwertung oller Kamellen à la carte: 2003 nahm man sich die ersten vier Alben vor, 2008 ließ man unter dem Banner "Somewhere Back In Time" die "Live After Death"-Ära wieder auferstehen und beschloss den Krempel im Jahr 2012 mit "Maiden England" und der "Seventh Son"-Phase. Zu der man natürlich, man kann es sich erlauben, auch das Titelstück der schwachen "Fear Of The Dark" Scheibe von 1992 zählte.

Nicht eingerechnet sind die Wiederveröffentlichung der alten Alben sowohl auf CD als auch auf Vinyl, aber genau das war tatsächlich der Ausgangspunkt meines, äh, Ausbruchs. So veröffentlichte man nicht nur jedes Studio-, Live- und Best Of-Album als sackteure und oftmals qualitativ minderwertige Picture Disc-Pressung (Höhepunkt: die völlig vergeigte erste Seite der "The Final Frontier"-Erstauflage), man nahm sich, befeuert durch den Vinyl-Hype auch den Backkatalog vor: 2012 und 2013 gab es Picture Discs der ersten sieben Studioalben, nun legt man im Herbst 2014 nach.

In diesen Tagen sind erneut (!!) die ersten sieben Studioalben plus die 1985er "Live After Death" Doppel-LP  plus alle aus den Alben ausgekoppelten Singles als 7-inches (!) an der Reihe, dieses Mal indes auf schwarzem Vinyl. Gesammelt werden kann die Rohstoffverschwendung in einer LP-Box, die es mit dem ersten Wurf der ersten drei Alben zum Preis von knapp 60 Euro zu kaufen gibt. Die nachfolgenden Scheiben sind in der bewährten Salamitaktik bis zum Jahresende zu erstehen. Am Ende stehen also acht Platten im Schrank, Gesamtpreis mindestens 160 Euro, die Singles nicht mit eingerechnet. Angeblich ist jede Platte auf 2500 Stück "streng limitiert", aber das sieht man im Hause Maiden traditionell nicht ganz so eng: es wird seit Jahren gemunkelt, dass die auf 10000 Stück limitierte Erstpressung der "Best Of The Beast"-4LP-Box nochmal ganz streng nach oben limitiert wurde, nachdem der erste Schwung ausverkauft war.

Jetzt könnte man mir natürlich den üblichen "Du musst es ja nicht kaufen"-Reflex an den Kopf werfen, und läge damit grundlegend auch völlig richtig. Es dürfte auch kaum verwundern, dass ich mir die Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung nicht ins Regal stellen werde. Ich halte es allerdings immer öfter für tragisch, dass eine der ehemals besten Metal-Bands aller Zeiten so durchschaubar die immer wieder kolportierte Fan-Nähe torpediert - absurderweise in dem sie angebliche Fan-Nähe demonstriert.

Iron Maiden Platten sind mittlerweile die Musikentsprechung zu Klamotten von KiK oder Primark. Oder zum Essen von fucking McDonalds. Künstlerisch muss man schon lange keine Bäume mehr ausreißen oder sich mal wieder einen Funken anstrengen. Sie müssen niemanden mehr überzeugen, sie müssen nur noch regelmäßig Platten abliefern. Und Konzerte abspulen. In diesem Zusammenhang ist die immer wieder derart penetrant in den Vordergrund geschobene Exklusivität und die vermeintlich hohe, wertige Qualität und die unausweichliche "Fan-Nähe", dieser "Value For Money"-Gestus und dieses Underdog-Blabla noch perfider.


Wie hart mich dieser verlogene Konsumterrordreck mittlerweile am Arsch lecken kann.


Der Autor: Florian E., 37, verheiratet. Mit 9 Jahren zum Maiden-Anbeter geworden, nachdem er die letzten 15 Minuten des "Live After Death" Videos sah. Von 1986 bis 2006 ausdauernder und unterwürfiger Sammler von Maiden-Artikeln (Bootlegs, T-Shirts, Schweißbänder, Konzertkarten, LPs, CDs). Von 2006 bis 2009 im Status "Kritischer Fan" verweilend. Im Mai 2009 Empfänger einer Abmahnung seitens der von Iron Maiden Holdings  beauftragten Anwaltskanzlei Sasse und Partner(*). Mit einer Zahlung von 1700 Euro freigekauft. Seitdem bisweilen harter Kritiker mit problematischem, ambivalentem Verhältnis zur Band, der der ganzen Blase in schwachen Momenten gerne eine Backpfeifenpolka (12-Inch, Extended Version, Repeat-Modus) vorspielen würde, sich allerdings ihre guten Momente immer noch mit großer Freude anhören kann. Zu Steve Harris' berühmter Bootlegsammlung sollte er indes niemals unbeaufsichtigt mit einer Kettensäge Zutritt erhalten. Und "Killers" ist ihre geilste Platte. So.

(*): Heise.de schloss den damaligen Artikel zur Abmahnwelle übrigens mit folgendem Absatz:


Weil dieser abmahnende Anwalt sowohl gegenüber Telepolis als auch gegenüber dem Spiegel darauf hinwies, dass jemand, der "sicher gehen" wolle, "im Zweifelsfall einfach gar keine alten Iron-Maiden-Produkte verkaufen" solle, vermutet der Ettlinger Heavy-Metal-Fan, dass die Abmahnungen auch dem Zweck dienen könnten, Personen, die ihre alten CDs verkaufen möchten, zu verunsichern, um so das Gebrauchtangebot an legalen Tonträgern zu verknappen, damit potentielle Käufer eher zu Neupressungen greifen, an denen die Band und die Rechteverwerterindustrie nochmals Geld verdienen.

"Mehr hab' ich nicht hinzuzufügen."(G.Polt)

19.10.2014

Let The Shyce Flow - Iron Maiden von unten (Teil 1)



Die New Wave Of British Heavy Metal-Legende Iron Maiden, seit ihrer Reunion mit Leadsänger Bruce Dickinson wieder dick im Geschäft, um nicht zu sagen dicker denn je, macht zumindest unter dem kritischeren Teil der Anhängerschaft, also weltweit immerhin circa 7 Personen, seit mehreren Jahren in erster Linie mit einer zweifelhaften Veröffentlichungspolitik Furore - mehr jedenfalls als mit neuer Musik oder Tourneen: das letzte Scheißalbum "The Final Frontier" war vor allem ein Scheißalbum, und die Liveauftritte sind angesichts des Stellenwertes der Band einerseits und im Vergleich mit den Showelementen anderer Größen wie Rush, AC/DC oder auch Metallica andererseits, allenfalls solide. Wie ein Abend im Pub mit Labberbier aus dem Eigenurin-Katheterbeutel oder Pommes rot/weiß. Man weiß eben, was man bekommt: eine meistens gähnend-sacköde Setlist, seit Jahren/Jahrzehnten altbekannte Backdrops, eine Lightshow wie 1985 aus der Long Beach Arena geplumpst und ein drei Meter großes Modell von Maskottchen Eddie, das drei Minuten über die Bühne stakst. Es überrascht in diesem Sinne nur die übersichtlich talentierten Maiden-Fans, dass die Band, obwohl sie sich immer entsprechend in Szene setzten, aus technologischer Sicht niemals Vorreiter war. Zur Unterstützung der These schauen wir auf drei Stationen ihrer Karriere:

Erstens: 1996 wurde das Videospiel "Melt" monatelang mit überschwänglichem Tam-Tam angekündigt, anschließend bis auf zwei Sätze und damit praktisch kommentarlos ("It was crap. Maiden want to give their fans something to blow them away.") eingestampft und später durch "Ed Hunter" ersetzt; ein Spiel, das schon 1996 wirkte, als hätte es ein Commodore Amiga 500-Entwickler als Hobby zwischen zwei Valiumtrips an Weihnachten 1987 ersonnen - was Steve Harris selbstverständlich nicht davon abhielt, folgendes zu Protokoll zu geben: "It's the most amazing thing I've ever seen. I don't get shocked very often, but Ed Hunter was so good." Es soll Menschen geben, die heute noch darüber lachen. Über das Spiel. Und über Steve Harris. 


Zweitens: das Album "Dance Of Death", nicht nur eine musikalische ("Wildest Dreams") und textliche ("Age of Innocence"), sondern auch visuelle Unverschämtheit, die mit der dazu passenden Hintergrundgeschichte gar zu einer tragischen Angelegenheit wird:

"Der erste Entwurf zeigte Eddie als Sensenmann mit vier Mönchen im Hintergrund. Um dem Cover etwas Pep zu verleihen, beauftragte Rod Smallwood, der Manager der Band, einen Mitarbeiter von ironmaiden.com, die Charaktere um Eddie herum auszuarbeiten. Der Entwurf wurde an Patchett zurückgesandt. Da dieser mit dem Resultat nicht zufrieden war, bat er darum, nicht im Booklet erwähnt zu werden. Als das Cover im Internet veröffentlicht wurde dachten viele Fans, dass die Band ihnen einen Streich spielen wollte." 
(http://de.wikipedia.org/wiki/Dance_of_Death_(Album)#Hintergrund). 

Sowas passiert also, wenn Maiden mit "neuer" CGI/3-D-Computergrafik experimentieren. 


Drittes Zeugnis von der ziemlichen Komplettahnungslosigkeit, wie es im nicht mehr ganz so neuen Jahrtausend läuft, ist das Video des Titeltracks von "The Final Frontier", zusätzlich auch noch der Song mit der beknacktesten Textzeile des gesamten Backkatalogs, überraschenderweise noch vor "Bring your daughter to the slaughter": 

"But I wish I could talk to my family and tell them one last goodbye"

Wie miteinander verwachsen natürlich mit einer irrsinnig miesen Melodyline kombiniert. 

Bon, Maiden-Videos waren niemals Sternstunden der Kreativität, sehr oft sogar ziemlich hell strahlende Intelligenzdetonationen, und dazu muss ich nicht nur auf den unfassbaren und peinlicherweise offiziellen "Wildest Dreams"-Clip verweisen, auf den ich nicht mal verlinken kann, weil es wahrscheinlich selbst für Youtube zu beschämend war, das Ding zu hosten. Oder auf das "Holy Smoke"-Video. Oder - Alex Meier Fußballgott steh' mir bei - auf "Virus", konsequenterweise auch der nicht nur vielleicht furchtbarste Maiden-Song aller Zeiten, trotz gummiharter Konkurrenz von "The Angel And The Gambler". Aber können sich die Typen nicht mal wenigstens ein bisschen anstrengen? Es gibt so viele kreative, junge Menschen, warum muss man sich diese fremdschamverursachenden Hilflosigkeit von Harris' Gärtner oder künstlerischen Dinosauriern wie Smallwood einflüstern lassen? Mein lieber Herr Gesangsverein. 




Normalerweise macht man sich damit zum Gespött der Leute, bei Maiden klingelt immer noch und wieder die Kasse. Dazu gibt's auf der Bühne die gleichen Ansagen, die gleichen Posen und die selbe kumpelhafte Anbiederei seit 35 Jahren. "Wir sind Maiden, ihr seid die Besten und wir wären nichts ohne Euch!". Damit ist die Band immerhin nicht alleine, und wer sich zumindest ein bisschen im via der "Early Years" DVD öffentlich ausgebreiteten Gedankenkosmos von Bassist Steve Harris und Manager Rod Smallwood auskennt, seit jeher die beiden Kapitäne im Millionen-Euro-Dampfer Iron Maiden Ltd., dürfte von der Sucht nach Publicity und Anerkennung dieser beiden Alphatiere auch nicht wirklich überrascht sein.

Nach jahrelanger und tatsächlich sehr harter Arbeit beim Aufbau einer kleinen englischen Pub-Kapelle zu einer der erfolgreichsten Metal-Bands aller Zeiten in den achtziger Jahren, war der durch sinkende Relevanz in Folge des Sängerwechsels von Aushängeschild Bruce Dickinson hin zum bemühten, aber überforderten Ersatz Blaze Bayley ausgelöste Schmerz beim Duo Harris/Smallwood am Ende sogar so unaushaltbar, dass man sich nach dem Abschluss der "Virtual XI"-Tournee 1999 mit dem ehemals zur persona non grata erklärten Dickinson versöhnte - und die Kulissen der "Truman-Show" wieder in die Szenerie rollen konnte.

Dazu gibt es mehr in der zweiten Folge zu lesen. 

17.10.2014

Karmanacht



SEVERENCE - HIDDEN CEILINGS



Wer sich an der Schnittmenge von Dub Techno und Ambient erfreut, musste im Jahr 2013 früher oder später über dieses Album stolpern. In meinem Falle war es spektakulärerweise und völlig unvorhersehbar eher später, denn als ich, wie ich meinem last.fm-Profil entnehmen kann - es ist schon alles ein verrückter Scheiß - am 18.Oktober, also praktisch fast genau vor einem Jahr, "Hidden Ceilings" zum ersten Mal hörte, konnte ich mich bis zum Jahresende schlicht nicht entscheiden, ob es Bestandteil der Jahresendabrechnung werden soll, oder nicht. Die aufmerksamen Leser werden es jetzt in die Welt, oder zumindest in die Kloschüssel herausschreien:"NEIN! ES WAR NICHT BESTANDTEIL DEINER BEKNACKTEN TOP 20-LISTE, WIEHER!". Was einwandfrei richtig ist. 

Ich entschied mich schlussendlich gegen das Werk von Eliot Denmark, und es kann nur ein kurzer Tagesaus-, beziehungsweise unfall gewesen sein, der mich dazu zwang, vielleicht war es auch die starke Konkurrenz oder ein langjähriges Frisurenleiden, ich weiß es nicht. Dabei wäre eine Platzierung locker, Achtung, ein Plusquamperfekt: zu vertreten gewesen; eine Bewertung, die jetzt im neuerlichen Herbst, also in dem des Folgejahres, mehr Sinn denn je macht. Denn Denmarks Musik ist keine für den Sommer oder den Frühling, sie ist keine seichte Untermalung von im Sonnenwind wehenden Kleidern, Haaren und Pimmeln, es ist keine entspannende Hintergrundberieselung für Studenten-WGs nachts um 4. "Hidden Ceilings" ist nicht cool - denn Denmark vermeidet jedes Klischee. Dunkel, lebensfeindlich, manchmal bedrohlich. Keine Bange, das passiert nur, wenn sich die falschen Bilder im Kopf ausrollen. Außerirdische, fremde Planeten, tödliche Strahlung, Alufolienhut, Markus Lanz. Oder ein verlassendes Hallenbad auf dem Saturn. Die öffentlichen Mittel haben halt auch dort gefehlt. Die Bibliothek ist auch geschlossen, sagt man.

Der gebürtige Londoner, den es im Jahr 2001 ins spanische Murcia verschlagen hat, hat mit seinem Debut auf dem deutschen Bine-Label ein bemerkenswertes, weil mit ästhetischer Balance komponiertes Album produziert, das sowohl die Stille, die Dunkelheit und das Introvertierte, als auch die subtile Gefahr, das Lauern und den Schmutz auf eine impulsive, dringliche Art herausarbeitet. 

Wo auch immer wir uns hier in diesen 72 Minuten befinden, es ist stets die süße, zerstörerische Realität.




Erschienen auf Bine Music. 2013. 

12.10.2014

Spanish Venus



ROB MAZUREK PULSAR QUARTET - STELLAR PULSATIONS

Es gibt locker drei Handvoll Jazzplatten in meinem frisch sortierten Plattenschrank, die teils seit Jahren auf einige wohlwollende Worte in diesem virtuellen Raum warten. Damit sind sie nicht alleine, denn auch Platten anderer Genres stehen schon längst in der Warteschlange. So viel wunderbare Musik, so wenig Zeit. Heute will ich dennoch ein ganz besonderes Album hervorheben, nicht zuletzt, weil es mir im neulichen regalistischen Alphabetisierungswahn wieder in die Hände fiel, nachdem es für eine verblüffend lange Zeit immer griffbereit in der Nähe des Plattenspielers zu finden war und erst vor wenigen Monden in die Schrankwand wanderte.

Über das Pulsar Quartet von Kornettist Rob Mazurek wollte ich schon nach den ersten Durchgängen schreiben. Die Ausflüge Mazureks mit Bill Dixons Exploding Star Orchestra hatte ich früher genauso gelobt wie jene Werke, die er gemeinsam mit Schlagzeuger Chad Taylor unter dem Banner des Chicago Underground Duos aufnahm. Ich verstand Mazurek bis dato immer als einen Avantgardisten, der selbst in freier, komplexer und chaotischer Umwelt den Fokus auf strukturgebende Melodie setzt: Das Chicago Underground Duo werkelt  bisweilen in einem windschiefen und nur von wenigen brüchigen Stützpfeilern zusammen gehaltenen Musikkosmos herum, in dem Mazurek es immer wieder versteht, an exponierter Stelle gegen das Spröde und Zerfaserte anzuspielen und somit als Bindeglied zwischen Phantasie und Erzählung zu dienen. Das tosende Meer des Exploding Star Orchestras hingegen braucht keinen Halt mehr - es reicht, ein paar ordnende Bojen im Ohr zu behalten, die zappelnd und sisyphosgleich versuchen, Grenzen zu ziehen. 

Für sein Pulsar Quartet holte sich der Komponist Tortoise-Drummer John Herndon und Bassist Matthew Lux ins Boot, am Piano sitzt Angelica Sanchez, die bereits ebenfalls mit dem Exploding Star Orchestra und außerdem mit Wadada Leo Smith und Chad Taylor spielte. "Stellar Pulsations", dessen Liner Notes übrigens von Tortoise-Gitarrist Jeff Parker verfasst wurden, ist für mich deswegen so besonders, weil es wie eine langerwartete Weiterentwicklung des Hard Bops erscheint, dem sich Mazurek ja besonders zu Beginn seiner Karriere annahm. Expressiven und energischen Ausbrüchen, in denen die vier Musiker wie sprühender Goldregen die Umgebung erkunden und sich als Kollektiv immer weiter von der Komfortzone entfernen, stehen geerdeten Momenten mit enormer lyrischer Kraft gegenüber. Dazwischen sind die Grenzen beinahe völlig verschwommen und das ist beeindruckend: wie vor allem Angelica Sanchez in der fantastischen Ballade "Magic Saturn" mit Mazureks Kornett so wunderbar harmoniert und damit eine bemerkenswerte Weite erschafft, oder wie sich im brodelnden "Twister Uranus" die Rhythmusabteilung gegenseitig antreibt und hochschaukelt, während Mazurek die Käfigtür von außen zuschließt, bevor sie allesamt im abschließenden, fast meditativen "Folk Song Neptune" gemeinsam abkühlen, ist das Eine. Das Andere ist die Fähigkeit der vier Musiker, "Stellar Pulsations" in einer Art Zwischenwelt zu halten, um es an kaum hörbaren Fäden hängend zu erforschen, es durchgehend von immer unterschiedlichen Blickwinkeln zu beobachten und damit zu spielen. Kompositorisch ist das Werk mit dem im Detail kaum wahrnehmbaren Pendeln zwischen Tradition und Innovation eine kleine Sensation, im Kollektiv eine besonders anschauliche Darstellung von modernem, einheitlichem Improvisationstalent. 

Erschienen auf Delmark Records, 2012.



07.10.2014

Wärmflasche



SECRET PYRAMID - MOVEMENTS OF NIGHT

Es ist Freitag der 26.September 2014. Ich habe seit vier Tagen Urlaub und das ist der erste Moment, in dem ich ihn wirklich spüren kann. Ich sitze mit einer Kanne Jasmintee auf der Couch, neben mir liegen Schnuffel und Kleini, zwei unserer Mitbewohner. Meine Welt ist ruhig. Ein Sandelholz-Räucherstäbchen nebelt das Wohnzimmer und die 3,40qm große Ecke aus Luft, Liebe und Musik ein, aus der ich seit über sieben Jahren geschwungene Wortklumpen herausstampfe, und ich höre mich endlich durch den Stapel der seit Tagen noch verschweißten LPs. Sortiere die nächsten Blogposts. Räume die digitale und analoge Musikbibliothek auf. Recherchiere. 

Lege "Movements Of Night" auf den Plattenteller. 

Und alles ist Herbst. Und salzig, erdig, rot-braun. Elementar. 

Es folgt der sich nur selten bahnbrechende Reflex, zu dieser Musik sofort etwas zu schreiben. Bevor der Alltagssturm wieder kommt und ich wieder den Halt verliere. 

"Movements Of Night" ist gleichermaßen subtil und kraftvoll, überlegt, mit großer Weite und Tiefe. Eine dieser Platten, die mich schon nach den ersten Sekunden in ihren Bann ziehen, weil Ihr Klang, ihre Töne so einzigartig sind. Und weil hier etwas im Subklang zu hören ist, das nur ich hören kann. Das ist kein elitäres Geschwätz, aber dafür  universell für jeden, der zuhört und sich erinnern kann. Denn es sind die eigenen Bilder, die eigenen Erinnerungen, die eigenen Erfahrungen, die sich wie die Rose von Jericho entfalten können, weil sie von dieser Musik getränkt und damit wiederbelebt werden.

All das, was hier gerade ist, auf der Couch mit Jasmintee, Katzen, Räucherstäbchen und Kerze, fühlt sich wie 37 Jahre Leben an. Das Getöse vor der Tür wird nicht verschwinden, aber es ist für den Moment einfach nicht wichtig. 

Erschienen auf Students Of Decay, 2013.



05.10.2014

Von der Freiheit...


Oder: wie sich der mündige, aufgeklärte Konsument, der einen fleischfreien Kantinentag als Einschränkung seiner Freiheit bewertet, ganz mündig und aufgeklärt: verarschen lässt.










Full disclosure: The speaker in this video is actually an actress named Kate Miles, but the facts about produce and its marketing are 100% real. The audience is also real, and thus the looks of disgust are totally real too.

Original video by Catsnake Film

Mehr gibt's hier.

03.10.2014

The Life And Times - Lost Bees



THE LIFE AND TIMES - LOST BEES

Völlig überraschend hat eine meiner erklärten Lieblingsbands - und darüber jetzt noch mehr Worte zu verlieren würde wirklich bedeuten, die vielzitierten Eulen nach Athen oder Hannover zu tragen - im vergangenen August ihr viertes vollständiges Album veröffentlicht. "Völlig überraschend" ist in diesem Zusammenhang natürlich nur die halbe Wahrheit, denn das Trio aus Kansas City weilte, qua Berichterstattung via Twitter, bekanntermaßen Anfang des Jahres im Studio. Die tatsächliche Veröffentlichung  lief allerdings komplett an mir vorbei. Was der erste Skandal ist.

"Lost Bees" erscheint dabei erstmals in der Bandkarriere nicht als Schallplatte, was, tätätätäerää, der zweite Skandal ist, bietet darüber hinaus aber schon wieder den besten Indierock, im weitesten Sinne, den ich mir vorstellen kann. Die Band klingt auch neun Jahre nach ihrem Debut "Suburban Hymns" nicht nur immer noch völlig einzigartig, sie verfeinert diese Exklusivität sogar mit jeder weiteren Platte auf einem nur selten erlebten Niveau. Die Songs auf "Lost Bees" erscheinen im Vergleich zum arg blickdichten Vorgänger "No One Loves You Like I Do" in der Gesamtanlage etwas entstrüppt, gleichzeitig wirken Kompositionen wie "Bored To Death", das fantastische "Ice Cream Eyes" und die Single "Passion Pit" (höre unten) zugleich kompakter als auch vielschichtiger. Die unnachahmliche Mischung aus dem nach wie vor tollultramgealschönstklingenden Schlagzeug des Rock, einem Bass, der sich lieber über das definiert, was er weglässt, einer effektbeladenen Gitarre, die sich mit jeder gespielten Note tiefer und tiefer in den Klang und das Leben eindreht und den nochmals verbesserten Gesangsarrangements von Meisterphilosoph Allen Epley, wird ganz bestimmt zu einem ziemlich unschönen Hauen und Stechen bei der Jahresendabrechnung führen.

Es gibt kaum bessere Musik für den anstehenden Herbst. Für Waldspaziergänge. Oder auch nur den Blick aus dem Wohnzimmerfenster auf eine feuchte, neblige Hofeinfahrt an einem Sonntagmorgen um halb neun.




P.S.: Wenn der vierte Track auf der Scheibe, "Maserati", keine bewusste Verbeugung vor der gleichnamigen Post-Postrock-Psychedelic-Kapelle ist, fress' ich einen Besen (mit veganer Mayo).

30.09.2014

Slow Magic - How To Run Away



SLOW MAGIC - HOW TO RUN AWAY


"Keine Posts stimmen mit Suchanfrage Slow Magic überein."
Angesichts des 2012 erschienenen Debuts und der damit ausgelösten Begeisterung im Hause Dreikommaviernull, ist das schon ein kleines bisschen überraschend. Denn "Triangle" gehört für mich zu den erfreulicheren Alben der 10er Jahre: diese kleine, feine Platte hat dabei nicht sensationell viel Staub aufgewirbelt, eher ist es die Langzeitwirkung und die Nachhaltigkeit ihrer Stimmung und ihrer Aura, die mich jubeln lassen. 

"Triangle" war und ist wärmendes Licht, durch und durch. Sonnendurchfluteter, futuristischer, schwüler, mit positiver Kraft aufgeladener, leicht swingender und eskapistischer Elektropop. 




Das neue Album der Figur Slow Magic heißt "How To Run Away" und erscheint dieser Tage auf Downtown Records. Der Albumstream findet sich hier:






Die ersten Durchgänge zeigen die Musik der stets mit einer indianisch anmutenden Maske auftretenden Person (über die man folgerichtig auch nichts bis fast nichts weiß) im Vergleich zum Debut etwas weniger verträumt, dafür etwas schmissiger und clubtauglicher. Geblieben ist indes die großartige klangliche Nähe zu allem, was unsereins zum Sommer einfällt. "How To Run Away" ist hell, relaxed und poppig - und dennoch introvertiert genug, um nicht als Soundtrack für die Promille-Horden am Ballermann zu enden. 

Erschienen auf Downtown Records, 2014.