24.02.2017

2016 ° Platz 10 ° Brazzaville - The Oceans Of Ganymede




Mein musikalisches 2016 war ein bemerkenswertes Jahr. Dass sich die virtuell mit mir herumgeschleppte Liste mit den besten Platten über das Jahr lässig und beinahe wie von selbst füllte, ist dabei nicht der außergewöhnlichste Punkt; dass sich indes unter den 20 Gewinnern des letzten Jahres eine gar nicht so kleine Anzahl von Alben tummeln, die einen so großen Eindruck auf mich und meinen Alltag der vergangenen Monate machten, die mir so ans Herz gewachsen sind, dass sie aus meinem Leben gar nicht mehr wirklich wegzudenken sind, ist hingegen beispiellos. 

"The Oceans Of Ganymede" ist eines dieser Alben. Meinen Sommer 2016 erlebte ich vor allem mit dieser Musik, und es gibt so viele Bilder, die mit ihr verbunden sind: als ich wegen des plötzlich in den Song kriechenden Saxofons in "Fanny" in der heißen Badewanne lag und trotzdem Gänsehaut bekam. Der brütend warme und daher auf der faulen Haut und in eiskaltem Gin Tonic verbrachte Samstagnachmittag, an dem sich die Sonne zwischen den heruntergelassenen Jalousien (und Hosen) ins Wohnzimmer erbrach und der Reggaebeat und die frech geklimperten Klavierspitzen von "Rockaway Beach" das Fernweh an die Sonnenseite New Yorks beinahe unerträglich werden ließ - und dabei war ich weder jemals in New York, noch an der Rockaway Beach:

Tiny sand dunes 
In the midday sun 
Tattooed young Dominicans 
A gentle breeze from New York City 
Salt and diesel fumes 
And life seemed not so out of reach 
That day on Rockaway Beach 

She seemed so serious 
And so debonnaire 
Salt water dryin' in her hair 
Her eyes closed tight against the glare 
Life's hard at 23 
But life seemed not so out of reach 
That day on Rockaway Beach 

Candy wrappers 
In the sand 
Old men strollin' down the strand 
Airplanes off to distant lands 
Full of hopes and dreams 
And life seemed not so out of reach 
That day on Rockaway Beach




Oder die morgendlichen Fahrten ins Büro durch den Frankfurter Downtown-Sommer mit "Happy Man" und "Aurelia", die mit ihrem Drive gleichzeitig Sorgenglätter und aurale Vitamin-D-Spender waren. 

Noch heute höre ich "The Oceans Of Ganymede" sehr regelmäßig. Und weil ich bei unseren Bandproben wohl derart blind und naiv ins grenzenlose Schwärmen geriet, und die beiden Blank When Zero-Jungs komplett wahnsinnig und außerdem komplett toll und großartig sind, kann ich jetzt sogar die komplette Brazzaville-Diskografie, erhältlich bei Bandcamp, ebenfalls sehr regelmäßig hören - was ich, nehme ich die Nerd-Statistiken meines Last.fm Kontos für bahre Münze, auch tatsächlich und immer noch tue. 

Es gibt "keine Note auf dieser Platte, die nicht den Geist Barcelonas zwischen urbaner Freiheit, Ausgelassenheit und Melancholie mit dem bittersüßen Fotofilter aus dem Sommer 1976 einfängt. Es gibt keine Note auf dieser Platte, die ohne herzergreifende Wärme, Liebe und Hingabe gespielt ist, keine Note, der nicht die Sehnsucht nach Frieden und Schönheit innewohnt." - das schrieb ich im Mai 2016 in meinem ersten Text zu "The Oceans Of Ganymede". 

"Mehr habe ich nicht hinzuzufügen." (Polt)




Erschienen im Eigenvertrieb Brazzaville, 2016.

18.02.2017

2016 ° Platz 11 ° Young Magic - Still Life



"Still Life" ist urbaner Next-Level-Shit für das Großstadtgeflacker. Für nächtliche Taxifahrten durch Downtown. Für kalten Toast mit einem Glas warmer Reismilch zum Abendessen. Für melancholisch auf der Fensterbank sitzen und rauchend in den Regen gucken, während eine Leuchtreklame für die abgerissene Cocktailbar im Erdgeschoss zwei aufgespießte Oliven in Neonrosa tanzen lässt. In Manhattan, versteht sich. Wenn es dort noch abgerissene Cocktailbars gäbe, versteht sich. Dabei sind die wohl alle...abgerissen. Pun intended.

Ein tiefenromantisches Album über die Suche nach sich selbst. Ich habe über die Auseinandersetzung mit "Still Life" in den vergangenen Monaten mit einiger Verblüffung gelernt, wie sehr es seine Entstehungsgeschichte reflektiert und wie stark mich diese Musik nicht zuletzt deswegen in ihren Bann zieht. Denn was oftmals als beiläufiges Hören begann, entwickelte sich nicht nur zu einem beinahe aktiven Austausch mit Sängerin Melati Malay und den mystisch aufgeladenen Geschichten der Erlebnisse Ihrer Weltreisen, der Selbstsuche auf den Spuren des verstorbenen Vaters. Auch das kaskadierende Soundgetröpfel von Isaac Emmanuel ist in seinem Wechselspiel zwischen perkussiver Stimulanz und nebliger Zurückhaltung eine reine Wohltat; in einer Gegenwart zumal, in der es kaum bellender, galliger und schriller zugehen könnte. 

Eintauchen & Abtauchen. Am Ende ist es wahrscheinlich nur Popmusik. Und ich bin echt froh darüber, sie erleben zu dürfen.




Erschienen auf Carpark, 2016.


Noch mehr über "Still Life" lesen? Hier geht's weiter.


11.02.2017

2016 ° Platz 12 ° Oliver Schories - Relatively Definitely



"But honestly, since I make music I never heard any DJ play one of my original tracks." (Oliver Schories)

Ich kann nicht mehr genau sagen, warum das letzte Album des "Bremeners" (Thomas Berthold) lediglich in meiner 2015er Nachzügler-Liste und nicht etwa unter den nominell 20 besten Scheiben des Jahres auftauchte - da hätte es gar nicht mal so irre streng genommen nämlich hingehört. Der Sommersoundtrack 2015 wurde zweifellos zu einem ziemlich guten Stück von "Fields Without Fences" bestritten, einem schwül-flirrenden Gemisch aus Techno und wärmenden Downbeatsounds, das die Sonne immer nochmal ein bisschen heller und heißer machte. Jedenfalls: das passiert mir nicht nochmal! 

Nur ein knappes Jahr nach "Fields Without Fences" erschien mit "Relatively Definitely" gleich die nächste Zusammenstellung von Songs, die Schories als persönliches "Best Of" betrachtet, und erneut bin ich total verschossen. Seine Tracks sind nicht für die Tanzfläche, sondern für Abende vor dem Plattenspieler oder für lange und nächtliche Autofahrten gemacht - also genau das, was neben Lohnarbeit, Katzenklo und Decke anstarren mein Leben zu einem Großteil ausmacht. Und wäre Herr Dreikommaviernull nicht ganz so unfähig gewesen und hätte er also die MP3s von "Relatively Definitely" ordentlich getaggt, wäre das Album sicherlich in den Top 5 der meist gehörten Platten auf meinem überraschenderweise immer noch existenten Last.Fm-Profil  aufgetaucht. Die größte Stärke von Schories ist sein Spiel mit eingängigen Melodien, dieser unwiderstehlichen Straight-Forward-Attitüde der stoisch durchgebummsten (Huch!) Bassdrum und vor allem den daraus entstehenden Stimmungen der Tracks. Melancholisch? Ja, aber irgendwie nicht so richtig. Happy Frohsinn-Feuerwerk? Dafür sind andere zuständig. Drive? Aber Hallo! Positive und relaxte Vibes? Wie ein Abend mit stundenlangem Oralsex auf der zwei mal zwei Meter großen Partypizza. Und der Mann hat im Jahr 2016 ein paar ganz dicke Parties gefeiert: 108 Shows und 146 Reisetage auf vier Kontinenten. 

"Quality will find its way" lautet das Motto. Was ja auch ein Grund dafür ist, warum ihr das hier gerade lest. 





Und für die nächste Gartenparty im Sommer 2017 sein Set beim letzjährigen Bespoke Musik Sunset Boat Festival in New York:




Erschienen auf SoSo Records, 2016.

04.02.2017

2016 ° Platz 13 ° Bvdub - Yours Are Stories Of Sadness




"Yours Are Stories Of Sadness" ist ein hochverdichtetes Konzentrat aus dem bisherigen Schaffen des Kaliforniers Brock van Wey. Waren seine Alben aus den vergangenen Jahren meist bis auf die letzte Sekunde mit epischen, jeweils zwanzig bis dreißig Minuten dauernden Ambient-Operetten vollgepackt, in denen er seine - und wenn er schon dabei war: Deine auch! - Gefühlswelten ausbreitete und in diesem Rahmen jeden Augenblick mit überschäumenden Melancholiefontänen bis zum beinahe physisch erfahrbaren Zusammenbruch auskostete, ist das im Oktober 2016 erschienene Werk ein Bruch mit dieser Tradition. Zwar reizt "Yours Are Stories Of Sadness" mit einer Spielzeit von über 78 Minuten das alte CD-Format noch fast bis zum letzten Byte aus, benötigt dafür aber nicht weniger als 19 Tracks. Den Hintergrund für das Konzept beschreibt Brock so:

"In 2012, I was singing karaoke in the lavish VIP suite of the most opulent bar of Shaoxing. Hours in, at the height of drunken revelry, suddenly, literally out of nowhere, one of the hired girls walked over to me from the other end of the room, and whispered in my ear: 

"When I saw you walk in, I knew yours was a story of sadness." 

These are flashes of memories from that time... broken fragments, and spaces in-between... each a portrait of instances I have remembered that moment, each its own place and time. Every time I remembered that moment in the years that followed, I made a brief tribute to the beginnings of that realization, and the starting point for my mental wanderings that followed... putting that initial realization to sound, before going the rest of the journey in my own head.(...)

4 years later, these were the 19 times I remembered that moment... they will surely not be the last."

Es ist ungewohnt, diesen sonst so passionierten Langstreckenläufer plötzlich auf der Kurzstrecke zu begleiten - und das ist weniger eine wertende, als eine emotionale Feststellung. Über sechs Jahre hatte ich mich an ausdauerndes Suhlen im bittersüßen Weltschmerz-Bällebad mit seinen Alben als Soundtrack gewöhnt, nun ist manchmal schon nach dreieinhalb Minuten alles vorbei. Melancholicus interruptus, wie der Schwachkopf Lateiner sagt. Außerdem ist's auch nur die halbe Wahrheit: die typischen Kennzeichen seiner Musik lassen sich sowohl in Aufbau als auch Textur seiner Sounds immer noch dechiffrieren, und selbst in der Melodieführung ist es nicht völlig unmöglich, seine Signatur zu erkennen - der Unterschied zu seinen zwanzigminütigen Brocken ist auch nicht die ausbleibende, sondern die deutlich zügiger ablaufende Entwicklung seiner Motive im Rahmen dieser Tracks. Tatsächlich habe ich nie das Gefühl des Unfertigen oder des Unerfüllten, wohl aber den Eindruck, nicht in explizite Momente dieser Platte komplett eintauchen zu können, und ich vermute nach monatelanger Auseinandersetzung mit diesem Gedanken den Grund dafür in der Zusammenstellung dieser Momentaufnahmen: Brock hat sicher nicht ohne Grund erstmals auf Songtitel verzichtet. Der eigentliche Star des Albums ist das Album als solches, dessen Spannungsbogen weniger innerhalb der vierminütigen Grenzen einzelner musikalischer Mosaiksteinchen, sondern in den kompletten 78 Minuten von "Yours Are Stories Of Sadness" liegt. 

Das Resultat hat schlussendlich Parallelen zu den Ergebnissen seiner gewohnten Arbeitsweise: ich höre "Yours Are Stories Of Sadness" oft in einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen, mit den Gedanken auf Weltreise in die eigene Vergangenheit zur Selbstbeobachtung, schwebend, etwa zwei Meter über dem Erdboden.





Erschienen in Eigenregie, 2016.


Noch mehr über "Your Are Stories Of Sadness" lesen? Dann: KLICK!

29.01.2017

2016 ° Platz 14 ° Tortoise - The Catastrophist



Die großen alten Männer des Postrocks schlagen zurück. Mit Krautrockstampfern, Synthieklingen, Hypnoseflüchen, Jazztreibsand und ganze zwei Mal sogar mit laszivem Gesangslasso. Eines davon schwingt die astreine Coverversion des David Essex Hits "Rock On", in dem Todd Rittmann von US Maple stimmlich herumtorkelt wie Vince Neil mit 18 Promille und erektiler Dysfunktion. 

Denn wer niemals an ihnen zweifelte, der werfe die erste Kesselpauke: dass sie sich sieben Jahre nach dem etwas verstrubbelten Vorgänger "Beacon Of Ancestorship" so konzentriert und beschwingt zurückmelden, meinetwegen ein bisschen milder und gar melodischer als sonst üblich und "The Catastrophist" in dieser Hinsicht am ehesten an das eklektische "It's All Around You" aus dem Jahr 2004 erinnert, hätte ich nicht für möglich gehalten. 

Ich habe für diesen Text ein paar zusätzliche Wintertage mit "The Catastrophist" verbracht und war überrascht, dass ich immer noch genau so entzückt bin wie damals im Mai. Selbst die Herzallerliebste sagt, dass "Rock On" ein herausragender Song sei - um direkt danach anzumerken, der Beat erinnere sie an Metallicas "Sad But True". Was sagt man dazu?





Erschienen auf Thrill Jockey, 2016.

22.01.2017

2016 ° Platz 15 ° Shaded Explorer - Empatia




Erneut ein Dauerbrenner in meinem CD-Player vom kanadischen Dub Techno Spezialistenlabel Silent Season - das immer noch beweisen muss, einen auch nur halb durchschnittlichen Ton veröffentlichen zu können. Die gute Nachricht zu Beginn: wer immer noch CDs kaufen möchte, anstatt sich die schnöde MP3-Version runterzuladen oder Streamingdienste zu nutzen, und wer in der Vergangenheit aufgrund der limitierten Stückzahlen, in denen es CDs von Silent Season ausschließlich gibt und/oder gab, immer wieder in die Röhre gucken musste, darf sich nun freuen: "Empatia" ist wenigstens in Einzelfällen und auch ein gutes dreiviertel Jahr nach der Veröffentlichung noch zu halbwegs erträglichen Preisen via Discogs aus dem benachbarten europäischen Ausland zu beziehen. Und die guten Nachrichten gehen weiter: für "Empatia" wäre es auch angemessen, ungnädigen Blutsaugern seine kompletten Ersparnisse zukommen zu lassen, denn dem Italiener Emanuele Pertoldi ist ein großer Wurf gelungen. 




Was zunächst auffällt: "Empatia" ist höllisch laut gemastert und die klangliche Fülle, die selbst bei einem signifikant in Richtung der Null zurückgedrehten Lautstärkeregler in mein Wohnzimmer gedrückt wird, ist beeindruckend und beinahe ein bisschen einschüchternd. Das alleine ist schon ein Statement, wenn sich eine derart zurückgezogene, intime Musik auf die ganz große Bühne stellt. Bei näherer Betrachtung ergibt das aber durchaus Sinn: Pertoldi knüpft mit "Empatia" ein filigranes Brückensystem zwischen Ambient, Dub Techno und elektronischer Avantgarde zusammen, und wo insgesamt mit ätherischen Schwebepartikeln, einem ruhigen Fluss von geschmackvoll austarierten Sounds und dem dramatischen Unterbau aus Naturverbundenheit, Selbstreflektion, Einkehr und dem steten Malmen an der eigenen Vergänglichkeit nicht gegeizt wird, zeigt sich die kreative Knöpfchendrehermasse besonders in den rhythmisch zumindest in dieser klanglichen Konstellation nicht alltäglichen Beats und Ideen, die dem Werk nicht nur eine ganz persönliche Aura, sondern zugleich einige, wenn auch nur kurz wahrzunehmende tanzbare Momente verleihen - und mich, wie beispielsweise bei "L'Aura Marina" (siehe das unten eingebettete Video), die Stroboskop-Anlage anknipsen lassen. "Empatia" lässt sich damit im Vergleich mit stilistisch ähnlichen Alben in den freien Raum fallen. Keine Gegenspieler. Keine natürlichen Feinde. 

Nur Musik.




Erschienen auf Silent Season, 2016.


P.S.: "Man muss im Kabarett ja immer wahnsinnig aktuell bleiben - ich kann den ersten Teil meines Programms bis zur Pause praktisch komplett wegschmeißen, wenn eines Tages die Berliner Mauer fällt."(Harald Schmidt, 1995) - das weiter oben und vor wenigen Tagen niedergeschriebene Frohlocken über die vermeintlich "halbwegs erträglichen" Preise aus dem "europäischen Ausland", die ich auf dem Plattensammler-Phantasia Discogs halluzinierte, sind für den Moment und bis auf eine Ausnahme Geschichte; wer also nach diesen warmen Worte aus Dreikommaviernullhausen nicht an sich halten kann und "Empatia" auf einer silbernen Plastikscheibe mit ein bisschen Pappe drumherum in den heimischen CD-Schrank stellen möchte, sollte sich entweder beeilen oder isst am Monatsende nur noch frische Schlachtabfälle mit rohen Zwiebeln. You decide. 

17.01.2017

2016 ° Platz 16 ° Merrin Karras - Apex




Als hätte Jean-Michel Jarre im Jahr 1978 mit Lachgas und Valium herumexperimentiert, während er im Spiegelsaal die Stroboskopanlage testete: "Apex" ist ein futuristisches Sedativum im Breitbandkinoformat, dramatisch auf die ganz große Bühne gezaubert und bis ins letzte Byte durchchoreografiert.

Die acht experimentellen Kompositionen des Wahlberliners Brendan Gregoriy bilden dabei ein perfektes Bindeglied zwischen der Berliner Schule um Künstler und Pioniere wie beispielsweise Klaus Schulze oder Manuel Göttsching und einem visionären, melodisch versierteren Ambient-Entwurf, dessen Ausprägungen im Sounddesign und in seinen Arrangements sowohl komplexer als auch bildhafter sind. "Apex" baut die Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Und darüber hinaus sieht es mit dem wunderbar gestalteten Coverartwork und den beiden türkisfarbenen Vinylscheiben auch noch ganz ausgezeichnet aus.





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Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2016.

14.01.2017

2016 ° Platz 17 ° De La Soul - ...And The Anonymous Nobody




Das neue Album der alten, weisen Männer von De La Soul ist gleichzeitig das erste, das ich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht nur bewusst wahrnehme, sondern dem ich auch erstmals aktiv entgegenfieberte. Es ist daher auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich meine Hörgewohnheiten und mein Musikgeschmack in den letzten 15 Jahren veränderten. Als "The Grind Date" im Jahr 2004 erschien, war ich noch zu sehr damit beschäftigt, mir den vor sich hin schimmelnden Rock'n'Roll aus den Klamotten zu klopfen, vornehmlich mit der damals aufkommenden neuen Welle der britischen Indiebands wie Hard-Fi, Franz Ferdinand oder den Dead 60's oder auch mit den Postrockern wie Mono, Tarentel und Explosions In The Sky. In Sachen Hip Hop war ich noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, weil mich Vorurteile und die eigenen Erfahrungen aus vergangenen Zeiten einen größtmöglichen Abstand einnehmen ließen. Noch heute könnte ich angesichts der Niggaz'n'Bitches-Kultur aus dem US Hip Hop-Mainstream einerseits und ganz besonders der deutschen Hip Hop-Szene meilenweit alles vollkotzen, aber ich habe gleichfalls wegen dieser Extreme gelernt zu differenzieren. Und das hat ganz gut geklappt. De La Soul haben trotz ihrer zwölfjährigen Abwesenheit kräftig dabei mitgeholfen, die Tür zu öffnen: ihr intelligenter, manchmal provokanter Ansatz, die eigene Komfortzone nebst deren Bewohnern herauszufordern, ganz besonders in Verbindung mit ungeahnter Musikalität und Kreativität, haben mich dazu gebracht, die Ohren zu spitzen und die eigene Bewertungsmatrix neu zu justieren. Vielleicht sind sie deshalb für mich die wichtigste Hip Hop Band aller Zeiten.

Ihr mit einer überaus erfolgreichen Kickstarter-Kampagne zum Leben erwecktes Comeback mit "...And The Anonymous Nobody" ist in seiner ruhigen, überlegten Gestaltung, sowohl musikalisch als auch textlich, eine Überraschung - und betrachtet man ihre Karriere etwas genauer, ist es paradoxerweise genau das, was zu erwarten war. De La Soul haben sich niemals wiederholt, sie sind nie den einfachen Weg gegangen, sie haben sich immer wieder neu erfunden. Und sie hatten in jeder Phase immer ein außerordentliches Gespür für die zu ihnen passende Ästhetik: nie plump, immer durchdacht, immer geschmackvoll und mit einem Augenzwinkern, nicht zuletzt für und über sich selbst. 

Die Rhythm Roots Allstars aus Los Angeles sind die "Fleisch & Blut" Backing Band auf "...And The Anonymous Nobody", die in voller Liveband-Orchestrierung mit echten Drums, echtem Bass und echter Gitarre für einen perfekt austarierten Klang sorgt, Gaststars wie David Byrne, Usher, Jill Scott, Snoop Dogg, Damon Albarn, Pete Rock und Justin Hawkins (ja, DER Justin Hawkins) fächern die Klangpalette für Ihre Songs weiter auf und rotieren zwischen R'n'B Slowmo-Fegern ("Greyhounds"), poppigen Dancefloor-Moves ("Pain"), Weirdo-Indie ("Snoopies") und oh fuck, es stimmt wirklich: orchestraler Rockoper in "Lord Intended" - und PoS und Plug 1 halten mit ihren Raps den Laden im größtmöglichen und weitläufigsten Hip Hop-Korsett. Das beeindruckendste Statement von "...And The Anonymous Nobody" ist indes seine überdeutliche Elder-Statesman-Aura, die sich nicht in ausgeflippt funkelnden Gaspedalorgien, sondern in Stimmung, Eleganz und Stil zeigt: wie man im Hip Hop in Würde altert, und dabei immer noch relevant ist, weil man auch nach der x-ten künstlerischen Häutung und folgender Neuausrichtung Glaubwürdigkeit, Anspruch und Überzeugung miteinander vereint. 

Nicht nur, aber vor allem vor diesem Hintergrund, ist das eine große Platte. 






Erschienen auf AOI Records, 2016.


10.01.2017

2016 ° Platz 18 ° Qluster - Echtzeit




Manchmal erlebe ich mit diesem Blog echte Überraschungen. Seit über neun Jahren schreibe ich hier über den Kessel Buntes in meiner Plattensammlung, der so kohärent wie der Inhalt eines explodierten Aktenvernichters ist, und wenn der weltbeste Leser aus dieser Einlassung eine gewisse Zufriedenheit herauslesen mag, dann liest er richtig: erstens sind neun Jahre eine ganz schön lange Zeit, und es gab dennoch nur ganz wenige Momente, in denen ich den Sinn hinter all dem mit einem Achselzucken und dem Gedanken an eine Liquidierung des Blogs hinterfragen und quittieren wollte. Zweitens ist es einer wie auch immer gearteten, aber zumindest engeren Leserbindung ziemlich bis sehr abträglich, an einem Tag etwas über Justin Timberlake zu lesen und vierundzwanzig Stunden später den virtuellen Kniefall vor einer asozialen Thrash Metal Band mit Texten wie "I teach you a lesson in violence" zu bestaunen - und trotzdem sehe ich keinen Grund, daran etwas zu ändern. Hier ist mein musikalisches Leben zu finden, und ich genieße auch heute immer noch die enge Auseinandersetzung mit den vorgestellten Platten - vor allem, weil es mich vor dem endgültigen Versumpfen in Lohnarbeit und der damit verbundenen Aufzucht eines veritablen Burn-Out-Syndroms bewahrt. Weshalb es mich gleichfalls und nach wie vor nicht über Gebühr belastet, dass die Leserschaft auch nach neun Jahren sehr übersichtlich ist. 

Und doch gibt es Momente, die jene sorgfältig konstruierte und eben erklärte Luftblase, dass also sowieso niemand den Krempel liest und ich fröhlich, unaufgeregt und vor allem: vermeintlich unbeobachtet meine Kreise ziehen darf, zum Platzen bringen. 

Kurz nachdem ich meinen ersten Erfahrungsbericht zu Qlusters neuem Album "Echtzeit" veröffentlichte und mich darin über die nicht ganz perfekt gelungene, weil an manchen Stellen kratzende Vinylversion beklagte, erreichte mich tatsächlich eine Email von Qluster-Mitglied Onnen Bock, in der er sich einerseits für die warmen Worte bedankte, andererseits aber auch sein Bedauern über den Zustand meiner Schallplatte ausdrückte - und mir anbot, ein neues Exemplar aus der zweiten Auflage auf den Weg Richtung Last Exit Sossenheim zu schicken. Ich war zunächst für vier Tage "star struck" und beinahe in Schockstarre, bevor ich mich traute, zu antworten. Konnte ich das annehmen? Dass der Mann mir kleinem Blog-Pimpf einfach eine neue Platte zuschickt? Auch noch geschenkt? Soll ich sie ihm bezahlen? Oder wenigstens des Versand übernehmen? Das geht doch so nicht, der kann doch nicht einfach.....doch, er konnte: eine Woche später hielt ich das neue Exemplar in meinen Händen. Das Exemplar einer Platte, deren Musik so kontemplativ, überlegt, suchend und vor allem in den scheuen, aber dennoch kräftig auftrumpfenden melodischen Momentaufnahmen so prägnant ist, dass sie zu den meist gehörten Alben des Jahres zählt. Und zu den besten sowieso.

Vielen Dank, Qluster.
Vielen Dank, Onnen.
Und die neue Platte klingt wirklich besser. 




Erschienen auf Bureau B, 2016.


07.01.2017

2016 ° Platz 19 ° Marsen Jules - Shadows In Time




"Shadows In Time" ist eines der inspirierendsten Alben des Jahres. Ein Spiel mit Raum und Zeit, mit Vergänglichkeit, mit dem Hier und Jetzt. Es ist gleichzeitig ein Versuch, sich der Unendlichkeit zu nähern, indem es die Utopie ihrer Darstellung ankratzt. Die Sichtbarkeit des Unsichtbaren.

Über dreihundert unterschiedliche Versionen existieren von "Shadows In Time", und jede Verschiebung und Veränderung im Millisekundenbereich erschafft ein neues Bild, eine neue Zeit, ein neues Leben. Ein mächtiger Illusionist, der, dem Licht nicht unähnlich, jene Räume auf- und erschließt, deren Existenz vielleicht nur in mathematischen und physikalischen Formeln bestehen, die sich hier aber plötzlich materialisieren - und das in jedem einzelnen Moment. Diese Idee des Ganzen, der Verbundenheit mit dem Kosmos, fesselte mich immer wieder an diese Musik.

Ich schrieb vor wenigen Wochen über "Shadows In Time", dass die Vorstellung der kosmischen Verbundenheit ein befreiender und tröstender Gedanke sei, und die teils über Stunden und in Endlosschleife andauernde Auseinandersetzung mit "Shadows In Time", sei es das bewusste Erleben eines Moments im aktiven Hören oder auch die Gedanken und die Reflektion um das eigene Leben und darüber hinaus, war ganz besonders in den nachdenklichen Stunden eine große Stütze für mich.





Erschienen auf Oktaf, 2016.

05.01.2017

2016 ° Platz 20 ° Docetism - Secondary Succession



Wie an anderer Stelle dieses Blogs schon mehrfach betont, sollten wirklich herausragende Dub Techno Alben mit Leidenschaft und Euphorie gefeiert werden, denn sie sind selten. Neben den bekannten großen Namen der Szene, beispielsweise das kanadische Label Silent Season oder die Echospace-Gruppe um Rod Modell und Stephen Hitchell, ist das Angebot zwar nicht gerade klein - um Momente endloser Glückseligkeit zu finden, bedarf es einiger Ausdauer sowie ein gut ausgeprägtes Gespür für das Besondere. 

Docetism ist mit seinem introvertierten "Secondary Succession" ein solch besonderes Werk gelungen. Es sind die romantischen Bilder, die mein Herz öffnen wie ein Tröpfchen Wasser die Rose von Jericho: Tiefe Wälder, unberührte Flüsse, Vogelgezwitscher, das Knacken von heruntergefallenen Ästen, der aufsteigende Dunst nach einem Regenguss. Wie sich Natur das Leben zurückholt und -erobert. Und es ist das Gefühl, an die Hand genommen zu werden, um Schönheit, Ruhe und das Wunder des Lebens zu erfahren. Das war, in a nutshell, der rote Faden meines Lebens in den letzten zwölf Monaten. Ein Versuch der selbstbewussten Reflektion auf das eigene Ich. 

Wer bin ich eigentlich? Was mache ich hier? Und warum ist alles viel zu schnell vorbei? 


Bäume sind Heiligtümer. Wer mit ihnen zu sprechen, wer ihnen zuzuhören weiß, der erfährt die Wahrheit. (Hermann Hesse) 




Erschienen auf Nichts, 2016.

02.01.2017

2016 - Music Heals Eben Doch



Das vermutlich als "Superscheißjahr" (Herr Dreikommaviernull) in die Menschheitsgeschichte eingehende Jahr 2016 war tatsächlich in vielen Bereichen jener Bewertung durchaus gewachsen; die vielen verstorbenen Prominenten haben andere schon trillionenfach aufgezählt und mir damit die Arbeit und Euch die Langeweile abgenommen - wobei: Roger war echt hart -, die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, der Ausstieg des Vereinten Königreichs aus der Europäischen Union, die vielen sackgesichtigen deutschen Kartoffeln, die sowohl physisch als auch psychisch Jagd auf Flüchtlinge machen, der europäische Rechtsruck, Mineralöl im Veggieschnitzel, die SPD ist immer noch nicht aufgelöst und Bill Hicks ist immer noch tot - ich könnte locker bis in den Frühling weitermachen.

Aus persönlicher Sicht ist sicherlich der plötzliche Tod unserer Katze "Kleini" im August als DER Tiefpunkt des Jahres zu erwähnen. Mit den Auswirkungen haben die Herzallerliebste und ich immer noch zu tun, und sei es nur, nahezu jeden Tag von unserem Kater daran erinnert zu werden, dass er sie ganz schrecklich vermisst und sein Leben nun ein anderes ist. Kleinis Tochter Tiffy, seit dem Jahr 2000 in der Obhut meiner Mutter, ging einen Tag vor Silvester und beschloss damit 2016 und wenigstens in dieser Hinsicht würdig i.S.v. "Fuck You!".



Kleini (links, 1999 - 2016) und Schnuffel


Abgesehen von all dem oben ausgebreiteten Quatsch, der einem den Kopf verklebt, war 2016 vor allem vollgestopft mit wunderbaren Momenten und tollen Erlebnissen. Und erstaunlicherweise mit der Erkenntnis, vielleicht endlich in der Arbeitswelt angekommen zu sein. Das kann im Normalfall nach 18 Jahren auch fast erwartet werden, aber ich fürchte, ich bin kein Normalfall: noch immer schaue ich mit dreiviertel Skepsis und vierviertel Überraschung auf das, was andere Karriere nennen und was mir diesbezüglich vor allem in den letzten 13 Jahren passiert ist. Seit meinem im Jahr 2015 vollzogenen Wechsel fühle ich mich im nun nicht mehr ganz so neuen Job indes so wohl wie vermutlich an noch keiner Stelle zuvor. Das ist wirklich ein ganz merkwürdiges Gefühl - ein gutes zwar, aber auch in Teilen ein überwältigendes.

Überwältigend waren auch die im Jahr 2016 besuchten Konzerte. Es waren nicht viele, zugegeben, und ich bin mittlerweile auch alles andere als ein Freund von Liveshows, aber Chris Cornell in Hamburg, Sacred Reich in Aschaffenburg, Monophonics in Wiesbaden, Gogo Penguin in Offenbach und New Model Army in Stuttgart sorgten allesamt für eine körperlich spürbare Überdosis Endorphine im Blutkreislauf. In diesen Momenten war wirklich und ausnahmsweise mal einfach alles gut und meine Lebenslust-Skala war nicht zuletzt wegen dieser Erlebnisse auch außerhalb des Konzertsaals immer öfter im sattgrünen Bereich. Music heals eben doch.

Wenn sie dann auch noch selbst erdacht und gespielt wird, gibt's manchmal sogar noch einen Nachschlag: unsere immer noch ziemlich kleine und nur sehr langsam wachsende Lieblingspunkband Blank When Zero hat eine neue Platte gemacht, dafür fast ein ganzes Jahr benötigt und ist nach sieben Jahren gemeinsamen Musikzierens doch tatsächlich im Keep It A Secret Labelhafen eingelaufen. Was es über "Taped!" zu sagen gab, könnt ihr hier nochmal nachlesen.

Kommen wir abschließend zu dem, was hier in den nächsten Monaten (sic!) zu lesen sein wird: die zwanzig besten Platten des Jahres 2016. Um sicher zu gehen, dass ich auch in diesem Jahr die bewährte Jammerei über zu viele tolle Musik unterbringe, habe ich extra nochmal in dem entsprechenden Intro zur Listenwahn-Sause des vergangenen Jahres reingeschaut:

2015 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.


Was man auch schaffen muss: es für's Jahr 2016 exakt genau so nochmal in den Blog wuchten:

2016 war darüber hinaus an musikalischer Front erneut ein großer Spaß - was die Auswahl der nachkommenden besten 20 Alben des Jahres zu einem bösen Drama werden ließ. Was auch immer wieder die alte Leier ist, je sais, mais non: DIESES MAL war's WIRKLICH UNERTRÄGLICH und die SCHMERZEN, die ein oder andere Platte draußen VOR DER TÜR, IM KALTEN Großstadtdschungel Sossenheims (SOSSENHEIM!) stehen zu lassen, waren größer ALS "sonst". Immerhin war die Top5 schon ab Juni in Stein gemeißelt. Muss man auch erstmal schaffen.

Um es mit Mutti zu sagen: Wir schaffen das jetzt gemeinsam.

Ich danke allen fürs Lesen und die Aufmerksamkeit.

25.12.2016

All Hail The Wünschelrute




TARA JANE ONEIL - WHERE SHINE NEW LIGHTS


Das glimmende Räucherstäbchen in meinem Wohnzimmer, der auf das Terassenvordach prasselnde Regen, der in der "Morgenmuffel"-Tasse vor sich hin dampfende Kräutertee, die gelb gefärbten Blätter des kranken Kirschlorbeerbaums, die schamanischen Verbiegungen des Frontallappens: es ist Zeit für "Where Shine New Lights". Ein Album, mit dem sich problemlos ein kompletter verregneter Samstag vor dem Plattenspieler verbringen lässt. Ein subtil arrangiertes, sich um ausgedehnte Melodien würmelndes Werk voller großer Ruhe. Introspektiv wäre eine Untertreibung. Jede Note am richtigen Fleck zur richtigen Zeit. Kilometertiefes Plüschfutter zum ganz tiefen Einsinken in Deine Welt, Deine Gedanken und Deine Liebe.

Tara ist vielen Post- und Noiserock-Aficionados älteren Semesters möglicherweise noch aus ihrer Zeit mit Rodan bekannt, einer in kleinem Rahmen durchaus einflussreichen, wenngleich weitgehend obskur gebliebenen Band, die sich nach dem ersten und einzigen Album "Rusty" aus dem Jahr 1994 auflöste und stilistisch zwischen Slint, frühen Tarentel und June Of '44 agierte. Seitdem ist die Multiinstrumentalistin weit gereist: Konzeptkunst, Malerei, Soloprojekte, Soundtracks, Theater. Sieben Soloalben stehen seit dem im Jahr 2000 erschienenen Soloalbum "Peregrine" auf der Agenda, und "Where Shine New Lights" ist möglicherweise die vollkommenste Verbindung ihrer experimentellen, bisweilen launischen Kunst und ihrem klassischen, in Blues und Folk verwurzelten Singer/Songwriter-Ansatz. 

Besonders eindrücklich sind jene Momente, die das Album urplötzlich als Einheit präsentieren, wenn sich also aus geheimnisvollen Minuten tiefer Pulsschläge, aus ätherischer Weite und dissonanter Gesangsarrangements völlig unverhofft die große Melodie unter der ganz großen Bühne zeigt - ganz kurz, wie ein in Sekundenbruchteilen erhaschtes Blinzeln auf den Reichtum des Grand Canyon: gerade lang genug, um die Ahnung zu füttern, was es hier alles zu Entdecken gibt. Und ebenso lange genug, um zu verstehen, dass diese Ahnung ohne das Vorspiel, die Hinführung durch tiefrot geklöppeltes Buschland nicht möglich gewesen wäre. Herausragende Beispiele hierfür sind "Glow Now" und ganz besonders "Elemental Finding", das es auch unten als Video zu bestaunen gibt: immer wieder durch kurze und intime Instrumentalpassagen unterbrochen, steht am Ende ein zurückgezogener Folkschunkler mit violett pumpender Aura mitten in der Natur, im Innern, im Licht.




Erschienen auf Kranky, 2014.