Früher undenkbar, heute Realität: neue Musik des kanadischen Quartetts ist nicht mehr die Nummer 1 auf meinem musikalischen Merkzettel. Seit der Veröffentlichung ihres Albums "Voivod" im Jahr 2003 hat mich keines der nachfolgenden Werke mehr nachhaltig begeistern können - in voller Anerkennung schwerwiegender Begleitumstände wie beispielsweise der Tod von Gitarrist Piggy. Die Luft ist zumindest auf der Mehrheit der Alben aus den letzten Jahren hörbar raus, auch wenn die letzte LP "Target Earth" aus dem Jahr 2013 immerhin ein Schritt in die wenigstens für mich richtige Richtung war: weniger Rock'n'Roll, mehr Science Fiction Metal. Und ich muss und kann damit leben, dass die Band stilistisch nicht mehr lichterloh brennt und Experimente der Vergangenheit angehören.
"Post Society" mit seinen vier neuen Songs und einer grässlichen Coverversion von Hawkwinds "Silver Machine" stellt mich vor das ein oder andere Rätsel. Einerseits hat der erstmals mit dem neuen Bassisten Rocky agierende Vierer im direkten Vergeich mit "Target Earth" ein paar Briketts nachgelegt und liefert zumindest bei drei neuen Kompositionen harten und typisch verdrehten Voivod-Metal ab, dessen nicht besonders einprägsame Arrangements ich mir härter erarbeiten musste als noch zuletzt. Das macht auch nach zehn Durchläufen immer noch Spaß - dass vor allem Gitarrist Chewy im teils erfreulich punkigen Titeltrack alle Register zieht und mit abgefahrenen Breaks glänzt, freut mich als Fan vertrackter Gitarrenarbeit gleich doppelt. Gleichfalls herausragend: der Chorus von "Forever Mountain" mit einer echten Hookline, sowie der Mittelteil von "We Are Connected", der mich zunächst sehnsüchtig an die für mich beste Voivod-Phase mit Sänger/Bassist E-Force, ihr zweifellos bestes Album "Phobos" und anschließend nahezu unvermeidbar an Pink Floyd denken lässt.
Andererseits wirkt ein Song wie "Fall" seltsam lahm und unfertig, und ich kann auch nicht sagen, dass die Band an anderen Stellen durchgängig von der Muße geknutscht wurde: immer wieder gibt es Riffs oder einzelne Songpassagen, über deren Motivation ich mir nicht vollständig im Klaren bin. Als ich kürzlich die Autoanlage auf 180dB drehte und mich durch die vier Eigenkompositionen kämpfte, musste ich die Platte gar schon vor dem Einstieg in "Silver Machine" ausmachen, weil die Buben mir so hart auf den Zeiger gingen. Da wirkte nichts stimmig, sondern viel mehr hilflos aneinandergeklatscht - was hier übertrieben und kokett ist, erscheint an anderer Stelle müde und ziellos. In Interviews zur EP macht die Band indes deutlich, die Songs seien eine Art Schnellschuss und zwischen Tourbus und Bühne flott aufgenommen. Was immerhin einiges erklärt.
Der erneute Durchlauf auf der heimischen Couch versöhnte mich dann wieder ein bisschen, wie mir die im Takt mitschwingende und in die Luft gereckte Faust verriet. "Post Society" präsentiert in guten Momenten das beste Voivod-Material seit 13 Jahren. Ein Album in der Qualität des Titeltracks, "Forever Mountain" und "We Are Connected" würde ich wohl nochmal nehmen. Ganz ehrlich.
FLORIAN PELLISSIER QUINTET - CAP DE BONNE ESPERANCE
Ein Werk der leisen Töne, und doch kein Balladenalbum. Meist dezenter, immer deeper und manchmal wachsweicher Jazz, strukturiert, groovebetont. Eine Melange aus einem brodelnden New Yorker Jazzclub der etwas späteren 1960er Jahre, in dem am frühen Morgen die Hausband in sich versunken einen dichten und kompakten Klangteppich knüpft, und dem reinen, aufgeräumten Jazz aus Europa, der wenigstens in meiner Wahrnehmung selbst in seinen freien Ausbrüchen immer von einem unsichtbaren Band im Zaun gehalten zu werden schien. Weil wir Europäer eben alle einen Baumstamm schräg im "Arsch" (Helmut "Menthol" Schmidt, 1977) haben und das alles so schrecklich ernst nehmen. Die "Amis" (Helmut "Grande Dame" Schmidt, 1979) sind die da ganz anders drauf, die wählen sich gerade mit Spaß inne Backen einen rassistischen Scheißdreck zusammen. Lachend in die Kreissäge. Europa lässt derweile Menschen ertrinken und verzieht dabei keine Miene - bis auf die moralisch verwertbaren Sorgenfalten, und selbst die können dank entsprechender Müllverordnung ins Altpapier. Starr und steif wie der tote Schmidt, der Helmut, der Kohl (bald).
Ich sprach in einem früheren Text über "The Catastrophist" vom meistgehörten Tortoise-Album, "Cap De Bonne Esperance" ist sicherlich eines der insgesamt meistgehörten Alben des Jahres 2016. Vor allem zur späten Stunde entfalten die Kompositionen des französischen Pianisten ihre warm glühende Intimität, wenn das Licht gedimmt, der Rotwein dekantiert die Kerze entzündet ist und die Seele den Alltagsschrott mit einer Planierraupe niederwalzt. Set & Setting, das wusste schon Timothy Leary, ist eben einfach nicht nur nicht zu unterschätzen, das Prinzip ist essentiell. Man vergisst das heute so leicht, Hektik, Hektik, busy, busy, busy. Und wo ist das Leben? Und wo ist eigentlich Timothy Leary? Und warum spricht man heute nicht mehr von ihm? Jedenfalls: das ist kein Mainstream. Der Mainstream würde über zerfaserte, in vollem Bewusstsein suchende Kompositionen wie "La Foret Des Biches Bleues", das sich die ersten Minuten durch ein Gestrüpp aus Bass und Bass durchzuzelt oder "Comete" die Wichsgriffel übereinander schlagen. Und doch ist der Weg zur Wahrheit ein schmaler, um nicht zu sagen: ein subtiler. Vor allem die zweite Albumhälfte ist offener, leuchtet eher die avantgardistische Seite eines Grachan Moncur III aus als die Till Brönner'sche "Die Message ist Zimtplätzchen mit heißer Milch, Alder!"-Aura, bevor der Klassiker "What A Difference A Day Makes" mit Leron Thomas am Stimmband das Cabriodach der Familienkutsche öffnet und als versöhnlicher Abschluss des Feiertagpicknicks mit Biokartoffeln (Ägypten) und Räuchersprossen herhalten muss. Ob sowas sein muss - darüber lässt sich, ganz besonders fünf Jahre nach EHEC, streiten.
"Cap De Bonne Esperance" erscheint übrigens beim Pariser Label Heavenly Sweetness, das in den vergangenen Jahren nicht nur mit herrlichen Vinyl-Reissues vergessener Blue Note Alben wie eben Grachan Moncurs "Some Other Stuff" oder"Portrait Of Sheila" von Sheila Jordan von sich Reden machte, sondern auch mit wunderbar designten Vinylen von Blundetto oder Guts sehr positiv auffiel. Was indes wirklich sackdoof ist: die Damen und Herren halten von Downloadcodes offensichtlich nicht ganz so viel. Was nicht erst im Jahr 2016, sondern schon ganz, ganz viel länger, beziehungsweise früher, ganz ehrlich: granatenbescheuert ist. Quelle honte!
Es wäre vermutlich etwas arg kühn, zählte ich Spain tatsächlich zu meinen Lieblingsbands - aber ich bin nicht nur immer ganz Ohr, wenn ein neues Album vor der Tür steht, ich freue mich auch immer darauf. So ganz ehrlich, wirklich und tatsächlich. Das sollte eigentlich für eine Qualifikation in die Hall Of Fame reichen, möchte ich meinen. Ihre einzigartige Soundmixtur aus, Achtung, neues Genre: Sonntagsschwackelslowmo und, Achtung, noch ein neues Genre: Indie Folk Doom zieht mich immer wieder zu ihren Platten wie die Motten zum Licht. "Careful, Icarus!" (Geoff Peterson)
Und es ist wieder mal soweit, aus purer Freude den Sack voller Schrauben aka meinen Körper in ein bebendes, äh, Beben zu versetzen. Anfang Juni, zur allerbesten Sommerzeit, erscheint mit "Carolina" das siebte Studioalbum der Band um Josh Haden. Es ist damit das erste Werk nach dem Tod dessen Vaters Charlie Haden im Jahr 2014 und seit dem 2014 erschienenen "Sargent Place".
Ganz offensichtlich habe ich eine große Schwäche für diese süße Schwermut in ihren Songs, das Wechselspiel aus Leichtfüßigkeit und Introvertiertheit das sich nie ganz voneinander trennen lässt.
Hier ein Vorgeschmack auf das, was zumindest meine Sommerabende auf der Terrasse versüßen wird. Mit viel Liebe gespielt und wie gewohnt subtil inszeniert: "Station 2" aus dem neuen Album "Carolina".
Fuck, die ging mir durch die Lappen. Nicht, dass es im Jahr 2015 noch mehr herausragende Musik hätte geben müssen, ich wurde schließlich bestens bedient und mit Klangdukaten aus reinem Gold zugeschissen. Aber "Elaenia", Mann. "ELAENIA"!
Sam Shepherd aka Floating Points hätte ich doch eigentlich auf dem Radar haben müssen. Auf seinem Eglo Label veröffentlichte Shepherd das hier geadelte Debut "Yellow Memories" der britischen Sängerin Fatima und seine zahlreichen EPs und Singles waren mir wenigstens zum Teil ein Begriff.
"Elaenia" ist nun sein erstes Album, erschienen im November 2015. Ein Amalgam aus Jazz, Ambient, Klassik und elektronischen Sounds der Berliner Schule, ätherisch wie die späten Talk Talk, diffus wie eine Nebelbank im November in Manchester, opulent und mehrdimensional wie ein Fresko von Giovanni Battista Tiepolo, strahlend wie tausend explodierende Sonnen. Fender Rhodes, Geklingel, Geklangel, Geklungel, dazu ein zumindest auf drei Songs aufspielendes echtes Musikerkollektiv mit Bassisten, Cellisten, Schlagzeugern, Chören, Violinisten aus Fleisch und Blut, das beim abschließenden Getöse von "Peroration Six" das Ensemble gar in Richtung Free Jazz führt.
Davor gibt es Experimente und Lektionen in Klang und dessen -Design, in der Darstellung von Ebenen, Fluchtpunkten und Dimensionen und einem geradezu manisch anmutenden Hang zur perfekten Detaillierung. Ganz besonders deutlich wird das in den den sehr leisen, beinahe nicht mal wahrnehmbaren Momenten dieser Platte, wie beispielsweise im atemberaubenden Titelsong, zu dem nur ein Stück Holz mit der Empathie eines Gullideckels mit den Schultern zucken würde.
Ich darf an dieser Stelle ausdrücklich die Vinylversion von "Elaenia" empfehlen, die mit extraguter Pressung, extragutem Sound und geschmackvollen Design glänzt.
Eigentlich schon jetzt ein Klassiker.
Das hier ist die für das Video stark editierte Version von "Silhouettes":
Die Postrocklegende aus Chicago hat es weit gebracht. Was bis zum 2004er Album "It's All Around You" in erster Linie nur den Underground interessierte, ist spätestens seit ihrem letzten Album "Beacons Of Ancestorship" aus dem Jahr 2009 auch im hiesigen Feuilleton angekommen, das bei einem Lebenszeichen aufmerksam wird und die spitzen Finger für allerhand schlaue und bekloppte Texte spreizt, die alle das Ziel zu haben scheinen, mindestens genauso verkopft zu sein wie die Musik der Band; unvergessen etwa der üble Verriss aus der Süddeutschen, den die beliebte Qualitätszeitung aus München zwischenzeitlich offenbar aus ihrem Netzrepertoire entfernt hat. Springers anerkanntes Idiotenfachblatt "Die Welt" stammelte 2009 hingegen mit verschwurbeltem Musikkritikerquatschdeutsch durch die letzten viereinhalb überlebenden Hirnzellen der Leserschaft, die die Texte von Ulf Poschardt überlebt haben:
"Mal imitiert der Sampler eine springende Schallplatte. Mal wirkt ein Stück allein durch umständliche Titel wie "Yinxianghechengqi". Über weite Strecken fehlen heute die verblüffenden Melodien, und wo früher Stille herrschte, hört man heute magenkrankes Blubbern."
- wovon mein Magen auch ein paar Geschichten erzählen kann, vor allem nach dem Lesen solcher Texte.
Die Zeiten haben sich in den letzten sieben Jahren geändert - heute liest man auch aus den deutschen Redaktionsstuben fast nur Wohlwollendes über "The Catastrophist"; Tortoise sind nunmehr die gesetzten Intellektuellen, künstlerisch anspruchsvoll, schwer zu durchschauen, unvorhersehbar. Und weil ich nicht immer nur schimpfen kann, sage ich: das ist richtig.
"The Catastrophist" ist schon heute, zwei Monate nach der Veröffentlichung, eine meiner meistgehörten Tortoise-Platten - und das sage ich im Angesicht meiner damaligen Sucht nach "TNT", "Standards" und vor allem "It's All Around You". Das Quintett, das seinen Sound über die Jahre hinweg immer wieder subtil veränderte und mit einem ganzen Sack voll unterschiedlicher Einflüsse, vom Krautrock über Jazz und Pop bis zum Noise, experimentierte, geht auf seinem siebten Studioalbum in der Gesamtanlage etwas gebremster und übersichtlicher zu Werke und ist dabei konsequenterweise stilistisch so kohärent wie vielleicht noch niemals zuvor. Etwas despiktierlich fielen mir möglicherweise "versöhnlich" und "Alterswerk" als beschreibende Attribute ein, aber das geht in die falsche Richtung: Tortoise sind alles andere als kreativ müde - und dafür muss ich nicht mal exklusiv die beiden Gesangspremieren auf einem ihrer Alben herausstellen: "Rock On", ein wunderbar ironisches und heruntergekommenes Cover des alten Hits von David Essex, herausragend interpretiert von Todd Rittman (U.S. Maple) und der Einsatz von Yo La Tengos Georgia Hubley auf "Yonder Blue", der erstmals einen Hauch von laszivem Sex auf einem Tortoise-Album platziert, setzen markante Duftmarken auf "The Catastrophist". Trotzdem drängen sich diese beiden Revolutionen nicht in den Vordergrund, um das restliche Material auf ihren Schultern tragen zu müssen. Tortoise wissen nicht erst seit gestern, was sie tun (und tun müssen). Von spannungsgeladenen Arrangements wie in "Shake Hands With Danger" bis zum vordergründigen Hängemattengedudel in "Hot Coffee", einem Überbleibsel aus den "It's All Around You"-Sessions, und dem luftigen, leicht an The Sea And Cake erinnernden Wolkenschmeichler "Tesseract", habe ich hier nur gute Gefühle, Spaß und Inspiration.
"The Catatrophist" marschiert gerade mit ziemlich großen Schritten in Richtung Jahres Top-Ten.
Hey, der November ist zurück. Mit etwas mehr Farbe an Baum, Busch und Rasen, zugegeben, aber die wärmenden Sonnenstrahlen von vergangener Woche sind nur noch müde Erinnerung. Es ist wieder arschkalt. Und ich habe mich von den Sonnentagen sauber verwirren lassen: die morgendliche Modeauswahl mit mintgrünem Hipsterschal, einem leichtem Leinensakko und Kurzarmhemd sind jetzt für den Popo, die sorgfältig zusammengestellte Parfumkollektion für den Frühling wandert zumindest vorübergehend wieder in den in einer abgedunkelten Ecke meiner 3,40qm stehenden Humidor (wegen der Duftmoleküle!) und wird mit den trübdiesigen Herbstdüften ausgetauscht, und auch die beschwingte Locker-Wie-Ein-Himbeer-Haferflocken-Brennessel-Smoothie-Musikauswahl, die mir in den letzten Jahren zur liebgewonnenen Tradition wurde und mich also jedes Mal aufs Neue in die scheue Frühlingssonne begleitete, um dem ollen Dreckspenner Winter mal zu zeigen, dass man auch als alternder und mürrischer Misanthrop noch sowas wie Lebensfreude, Leidenschaft und Begeisterung spüren kann, wenn die Quecksilbersäule die +15°C-Marke übersprungen hat, erscheint bei sagenhaften drei Grad plus, Starkregen und Noch-Stärker-Wind plötzlich schrecklich unangemessen.
Aber er kommt, der Frühling - und wenn's September wird: auch gut!!einself! Und zur Vorbereitung auf das, was da so kommen mag - also Sonnenbrand, Mückenstiche und halbnackte, tätowierte und schwitzende Stiernacken vor der nächsten in einer unschuldigen Fußgängerzone aufgestellten Latrine aus dem Hause Hollister - tut's auch ein frischer Winterabend im Beinahe-Mai.
Vor vier Jahren hat DJ Eric Cloutiereinen Mix seiner 12"-Sammlung des mittlerweile nicht mehr existierenden Labels Driftwood via Soundcloud veröffentlicht, im Jahr 2016 hat Placid_88 aka Paul Wise aus Bristol nachgelegt. Driftwood brachte zwischen 2000 und 2002 lediglich zehn 12"-Inches heraus, die mittlerweile nicht nur im Klassikerkanon des Deep und Tech House auf ewig festbetoniert sind und von einer eingeschworenen Fangemeinde geradezu kultisch verehrt werden, sondern deren physische Kopien darüber hinaus für schwindelerregend hohe Geldbeträge den Besitzer wechseln. Die normale Version eines solchen Exemplars, also ohne das Testpressungs- und Whitelabel-Promo-Klimbim, gibt es kaum für unter 75 Euro, während nach oben nur the sky the limit ist. Und auch wenn es nur zehn Releases sind: das läppert sich.
Der Mix von Placid lief folgerichtig letzte Woche bei 20°C, Acqua di Parmas "Colonia" und mit, äh, mitgrünem Hipsterschal auf Endlosschleife, auch und ganz besonders deswegen, weil ich gerade keinen Tausender übrig habe, um Discogs leer zu kaufen. In erster Linie aber, und das ist der springende Punkt: man kann schon verstehen, warum sich sowohl das tanzende Volk als auch die urbanen, vor sich hin dampfenden Intellektuellen darauf verständigt haben, Driftwood als eines der größten, besten, tollsten Labels der Szene zu adeln.
Die wahren, echten, treuen Metaller müssen jetzt sehr stark sein: für mich beginnt die große Zeit der US-amerikanischen Progressive Metal Band Fates Warning mit ihrem Album "Parallels" aus dem Jahr 1991 und endet mit dem 1997 veröffentlichten "A Pleasant Shade Of Grey" - das zwischen diesen beiden Scheiben liegende "Inside Out" ist sogar mein persönlicher Favorit, nicht zuletzt wegen immer noch vorhandener und positiver Erinnerungen an den Sommer des Jahres 1994, der mir von Vicious Rumors' "Word Of Mouth", Tiamats "Wildhoney" und eben "Inside Out" versüßt wurde. Und da weint er, der Kuttenmann: die Frühphase der Kapelle mit den Alben "The Spectre Within" und "Awaken The Guardian" und mit dem immer noch kultisch gefeierten Sänger John Arch hat mich einfach nie gepackt, ich kann's nicht ändern. Und wo wir schon bei den großen Beichten des Stahls sind: ich habe auch Mercyful Fate nie gerafft. So, jetzt ist's raus.
Mit dem Verständnis der Fates Warning-Werke nach 1997 hat es hingegen nicht gehapert, eher ist das Gegenteil der Fall: sowohl "Disconnected" als auch "FWX" sind keine besonders herausfordernden Alben. Komponist und Gitarrist Jim Matheos hat viel mehr die mit "A Pleasant Shade Of Grey" begonnene Generalüberholung des Bandsounds, also weg vom transparenten, melodischen und nicht zu technischen Progressive Metal zu einem melancholischen, dunklen und ganz besonders hinsichtlich des Riffings sich zaghaft in Alternative Rock-Bereiche der etwas früheren neunziger Jahre vorwagenden Metal-Entwurf auf den beiden Nachfolgern weiter entwickelt. Veränderungen finden nur noch in Nuancen statt, und auch wenn Fates Warning dank dieser 1997 eingeleiteten und doch sehr deutlichen Zäsur ein gutes Stück Einzigartigkeit hinzugewonnen haben, sorgt eben auch die beste Story spätestens bei der zweiten Wiederholung nicht mehr für Begeisterungsstürme. Vor allem Matheos' tiefergelegte und repetitive Gitarrenarbeit, die die ihr innewohnende tonale Beschränkung zum Stilmittel erhebt, ist mittlerweile der größte Stolperstein der Band. Knapp dahinter: es ist erschütternd, wie sehr dieser Band ihr langjähriger Drummer Mark Zonder und dessen federndes, mehrdimensionales Spiel fehlt. Sein Nachfolger Bobby Jarzombek klingt im direkten Vergleich wie ein auf dem Boden zementierter Amboss. Und natürlich stellt das etwas mit Matheos' Kompositionen an: sie werden unbeweglicher und ausdrucksloser.
Auch "Darkness In A Different Light" führt die Linie der drei Vorgänger fort: die Zeit der stilistischen Experimente ist offenbar endgültig vorbei. Was indes gelungen ist: die Songs sind ein Spürchen offener angelegt und damit weniger klaustrophobisch als auf den beiden Vorgängern. Am stärksten sind Fates Warning mittlerweile dann, wenn sie ihrem Händchen für große melancholische Momente und Melodien freien Lauf lassen und nicht auf Biegen und Brechen versuchen, "Metal" zu sein - das Eröffnungsriff des Openers "One Thousand Fires" ist beispielsweise in seiner bemühten Anbiederung wirklich ärgerlich, dasselbe ließe sich für einige Momente im 14-Minuten-Opus "And Yet It Moves" oder dem zugänglichen "Desire" sagen. Größter Nachteil am Festhalten der breitbeinigen Metal-Verbeugung ist die Tatsache, wie verschenkt der großartige Ray Alder in diesen Momenten ist. Alder ist aufgrund seiner Arbeiten in den letzten 25 Jahren für mich einer der zehn besten Sänger der kompletten Szene, und es gibt auch auf "Darkness In A Different Light" Gesangslinien, die in Verbindung mit den Texten eine intellektuelle Tiefe erreichen, die ich schon sehr lange nicht mehr auf einem Metalalbum gehört habe. Ich bin beinahe geneigt festzustellen, dass ihm, nachdem es plötzlich auch im Heavy Metal en vogue geworden ist, auf gute Sänger mit ausdrucksstarken Stimmen keinen gesteigerten Wert mehr zu legen, in kreativer und emotionaler Hinsicht praktisch niemand mehr das Wasser reichen kann - auf der Bühne sieht das bisweilen wegen seines Tabakkonsums etwas anders aus, und der Mann wird schließlich auch nicht jünger. Dennoch: eine Platte mit seiner Beteiligung sollte immer gehört werden. Heute mehr denn je, und sei es nur, damit man sich daran erinnert, wie wichtig, toll und fantastisch eine großartige Stimme auf einer Heavy Metal Platte klingen kann. Er ist der eigentliche Grund, warum ich hier einerseits überhaupt über Fates Warning schreibe und andererseits trotz all ihrer Unzulänglichkeiten immer wieder diese Platte hören will.
Höhepunkte auf "Darkness In A Different Light" sind dann auch folgerichtig die eingängigen, gräulich schimmernden Juwelen mit dezenter Mainstreamattacke: die Single "Firefly" steht in der Tradition des kleinen 1991er Überraschungserfolgs "Eye To Eye", ebenfalls hörenswert ist die eindeutige Verbeugung vor Psychotic Waltz "Into The Black" und das unter Beteiligung von von ex-Dream Theater-Keyboarder Kevin Moore komponierte "O Chloroform". Auch der bereits erwähnte Rausschmeißer "And Yet It Moves" kann über weite Strecke überzeugen.
Es gibt ehrlicherweise nicht allzu viele Platten, die ich auch nach knapp drei Jahren immer noch regelmäßig aus dem Regal ziehe und auflege - die Anzahl derer, die sich dabei dem Heavy Metal verschrieben haben, tendiert gar praktisch gegen Null. "Darkness In A Different Light" macht etwas mit mir und zieht mich trotz aller geäußerter Kritik immer noch an.
Und ich will außerdem ein rauchendes Kind von Ray Alder.
Eine kleine Ausgrabung aus meinem Archiv an einem lazy Sunday afternoon with German Gemütlichkeit, Fencheltee mit Honig und Duftkerzen (Amaretto-Kirsch-Schweinebraten) und, ganz wichtig, dem über der Krankencouch schwebenden Binge-Watching Geist von Agent Mulder und Agent Scully aus dem Hause Akte X, und ich hätte mindestens einen Extra-Sprühstoß aus dem Nasenschleimhautabschwellungsspray verwettet, dass ich hier, i.S.v. "hier" schon mal über "Tunnels" ein paar warme Worte zur Huldigung haben fallen lassen, aber: "So kann man sich täuschen" (Gerhard Schröder).
Discoverer ist das Projekt von Brandon Knocke aus dem US-amerikanischen Kansas und die namentliche Nähe zum Raumfahrtprogramm der NASA ist angesichts seines Sounds auf "Tunnels" sicher nur ein kleiner Zufall. "Tunnels" ist futuristischer Synthiepop, gleichzeitig eine Reminiszenz an die Vergangenheit als auch an die Zukunft, die wir uns in der Vergangenheit als Zukunft imaginierten. Skelettös, funky und tanzbar, aber mit mehr als einem Bein im Melancholie-Herbst des Uranus watend, zwischen öder Wüstenlandschaft mit Bayern 3-Telekolleg-Schachbrettästhetik und postmoderner Naivität, die mit einem Lächeln den richtigen Weg versucht zu finden. Das besondere Highlight in diesem Zusammenhang heißt "Personal Clone": Do the robot dance on a cold Wednesday morning. And be sure to wear flowers in your hair.
Die Herzallerliebste, an besagtem Sonntag ebenfalls im Rotzekoma gefangen, und Herr Dreikommaviernull waren sich einig: das ist eine wirklich schöne Platte - auch und gar in erster Linie deshalb, weil das hier irgendwie nach einer Lebensaufgabe klingt, die nun endlich abgehakt werden kann. Es wurde hart gearbeitet. Herzblut.
Und da stand er also vor mir. Keine 6 Meter entfernt, im wollweißen Schlabberstrickpulli, Zottelhaare, Jeans. Und ich war damit für einige Minuten komplett überfordert, während tosender Beifall der Zuschauer über meinen Kopf hinwegdonnerte wie eine haushohe Welle am Strand von Nazaré.
Chris Cornell. Seit 1989 und dem Cover des Soundgarden Albums "Louder Than Love" irgendwie immer an meiner Seite. Einer aus der Zeit, die mich sowohl musikalisch als auch charakterlich so sehr prägte, wie keine andere. Ich kann vermutlich sagen, dass in den ersten Minuten des Konzerts in der Hamburger Laeiszhalle, mein damaliges Leben an mir vorbeiziehen sah: die Karohemden, den 8-Tage-Bart, die zerrissenen Jeans, die Nirvana-Sammlung - denn wie sehr ich damals Fan war, so jung war ich eben auch, und so waren Konzertbesuche aufgrund fehlender Einflussmöglichkeiten in den elterlichen Entscheidungsprozessen (Erpressung, Bestechung, etc.) Mangelware. Kurz: ich sah von meinen damaligen Wegweisern, Leuchttürmen, Trostspendern und Krafttankern nicht einen einzigen auf der Bühne. Ich hatte zwar ein Ticket für das Konzert von Nirvana am 3.März 1994 in der Offenbacher Stadthalle, dummerweise sollte das Konzert in München am 1.3.1994 aber aus bekannten Gründen der letzte Auftritt der Band werden. Als ich endlich alt genug war, Konzerte alleine besuchen zu können, waren die Überlebenden wie Pearl Jam schon auf dem kreativen Nullpunkt angekommen, oder, wie im Falle Soundgarden, nur auf großen und furchtbaren Festivals zu sehen, während sich der Rest (u.a. Alice In Chains) schon aufgelöst hatte und sich für eine peinliche und unwürdige Reunionscheiße (u.a. Alice In Chains)(sic!) frisch machte.
Ich war an diesem lauen Frühlingsabend in Hamburg von so vielen Emotionen und Gedanken und Flashbacks einfach völlig überwältigt.
Und dass Chris Cornell für die Herzallerliebste und mich darüber hinaus eine ganz besondere Bedeutung hat, darüber hatte ich meine Leser schon Ende des vergangenen Jahres aufgeklärt - was für uns beide, wie wir dort mit großen Augen und Herzen in der vierten Reihe saßen und halb ungläubig, halb überglücklich auf die Bühne schauten, nicht zwangsläufig zur Entspannung beitrug.
Um es vorwegzunehmen: es sollte sich auch musikalisch und meinetwegen auch auf jeder anderen Ebene ein beeindruckendes, denkwürdiges Konzert entwickeln. Dabei stehe ich Cornells künstlerischem Output seit seinem Solodebut "Euphoria Mourning" aus dem Jahr 1999 nicht mal in vollem Ausmaß unkritisch gegenüber: sein drei Studioalben andauerndes Intermezzo mit drei Vierteln der Crossoverlegende Rage Against The Machine unter dem Audioslave-Banner, sein Ausflug in R'n'B Gefilde mit dem kolossal bodenlosen, von Timbaland produzierten Album "Scream", die in den letzten 15 Jahren deutlich angeschlagene Stimme und eine immanente Orientierungslosigkeit in seiner künstlerischen Ausrichtung, ließen alles in allem nicht unbedingt auf einen herausragenden Konzertabend schließen.
Er sollte uns alle Lügen strafen. Die Stimme? Wie eine Eins! Ich bin bei Sängern wirklich ein überkritisches Arschloch und hatte mich angesichts seiner früheren Gesangsleistungen schon mit verbalem Dauerfeuer für diesen Text bewaffnet, aber leckmichamarsch: das war perfekt. Die Songs? Gab es aus allen wichtigen Schaffensperioden: Temple Of The Dog, Soundgarden, Audioslave und von seinen Soloalben. Besonderes Bonbon: "Seasons" vom "Singles"-Soundtrack. Sein Sidekick? Bryan Gibson an Cello, Mandoline und Piano, durchweg nicht nur überirdisch gespielt, sondern bis auf die Ausnahme "Black Hole Sun", das in der Akustikversion immer leicht verstrahlt wirkt, auch kongenial arrangiert. Cornells Laune? Zwischen sonnig und souverän. Der Mann scheint nach jahrelanger Suche endlich in seiner Mitte angekommen zu sein - mit Auswirkungen sowohl auf seine Musik, als auch auf den Menschen dahinter. Was ich davon halte, dass er "ausgerechnet" (Kalle Rummenigge) mit den unglücklicherweise reformierten Soundgarden den breitbeinigen Rockopa gibt, kann sich der erfahrene Leser meines Blogs möglicherweise denken - warum so viele der alten Meister der Verweigerung, der Anti-Rebellion, der Introspektive und der Klischeeverdammung auf der Bühne plötzlich Mitsing- und Klatschspielchen starten, Konfettikanonen zünden und Fangesänge aus den bierseligen Fußballstadien dieser Welt anstimmen, wird mir mindestens in diesem Leben ein großes und ärgerliches Rätsel bleiben - an diesem Abend in Hamburg war davon nichts zu sehen, hören, spüren. Cornell ist redselig, so manche Ansage dauert gar länger als der darauffolgende Song, er ist aber ganze Universen davon entfernt, den Hampelmann zu geben. Das gibt andererseits das Setting auch nicht her: die Laeiszhalle ist ein altehrwürdiges Konzerthaus mit teurer und hoffentlich strapazierfähiger Auslegeware, komplett bestuhlt und mit aufwändigen Stuckarbeiten an Decke und Wänden ausreichend autoritär in der Wirkung. Das Publikum (Vollbartquote bei den Männern lag mit konservativer Schätzung bei ca. 98%, bei den Frauen nicht ganz so hoch) ist gleichfalls nicht mehr das jüngste und hat sich wohl wie Herr und Frau Dreikommadingsbums über den weichen Sitzplatz gefreut. Abschließend ist Cornells Auftritt nicht für die große Rockpose gemacht, denn es sind die leisen Töne, die hier regieren. So entsteht über die gut zwei Stunden Spielzeit eine intime Atmosphäre, ein unsichtbares Band zwischen den Zuschauern im Saal und Chris Cornell auf der Bühne - und ganz gleich, ob eine solche Stimmung für ihn nach abertausenden Shows noch etwas Besonderes ist: er genießt die gemeinsame Zeit mindestens so sehr wie das zum Abschluss erwartbar frenetisch klatschende Publikum.
Um ein Haar hätte man sich eine Konfettikanone gewünscht.
Eine schöne Beschäftigung, wenn schon eh alles scheißegal ist: die Verrückten von Everynoise.com haben eine riesige, interaktive Online-Tapete zusammengestellt und darauf nicht nur jedes denkbare und natürlich auch undenkbare Musikgenre gekritzelt, sondern zu allem irrsinnigen Irrsinn auch noch tatsächliche Musikbeispiele hinterlegt - manchmal verbergen sich dahinter gleich mehrere Ebenen und wer zudem auf die kleinen nach rechts gerichteten Pfeile klickt, erhält sogar einen ganzen Koffer mit entsprechenden Bands - ebenfalls inklusive Hörbeispielen - noch obendrauf.
Um mit Gerhard Polt zu sprechen: "Wenn ich eine Zeit übrig habe, geb' ich sie aus!" - und hier kann man sie gar mit beiden Händen aus jedem offenen und geschlossenen Fenster feuern: Wer Schubladendiskussionen entweder total beknackt oder für das allergeilste Ding seit der Erfindung von achtlagigem Klopapier hält, in den nächsten vier Wochen nicht aktiv am sozialen oder generell: Leben teilnehmen muss und mit ein paar Minuten Schlaf pro Monat auskommt, der kann bei der nächsten Runde Trivial Pursuit mit den Liebsten und Teuersten vielleicht damit protzen, Moombathon nicht für einen neuen Turnschuh der Firma Adidas, oder Bemani nicht für einen hippen Beauty-Blogger und Modedesigner aus Rambach an der Inn zu halten.
Dass die hinterlegten Hörbeispiele und/oder Zuordnungen von Bands manchmal etwas krude erscheinen, fällt wahrscheinlich nur bei den Giganerds negativ ins Gewicht, die sofort den erhobenen Zeigefinger rausholen. Vielleicht muss, darf, kann und soll man das ja auch alles gar nicht so eng sehen und stattdessen in erster Linie Spaß am Entdecken haben.
Ich weiß - ist ein krasser Ansatz in diesen Zeiten.
Eine Platte, die unter normalen Umständen und mindestens in der Aufstellung für die "Nachzügler 2015" gelandet wäre, unter "strengen Maßstäben" (Schäuble) hätte sie sich aber genauso gut gleich in den Top 20 platzieren können. Aber die Umstände sind eben nur selten normal und strenge Maßstäbe kommen mir per se nicht ins Haus.
Meinen ersten Kontakt mit Patrick Wurster aka Biodub hatte ich im Sommer 2011 mit seinem Debutalbum "Reisegefährte", einem verhältnismäßig straighten Dubtechno-Album, das bei Genrefreunden - und damit auch bei mir - einige Anerkennung erfuhr; die Platte lässt sich auch heute noch regelmäßig in meiner Playlist finden. Vier Jahre später erschien nun also im letzten Sommer das zweite abendfüllende Werk "Familiar Warmth" auf Tiefenrausch und die Weiterentwicklung seines Sounds ist bereits nach wenigen Minuten immanent: Mehr Ebenen, mehr Winkel, mehr Perspektiven. Die Hinzunahme des Reggaesängers Ray Darwin und des Gitarristen Chriz the Wiz öffnen das gesamte Bild des Albums, das stilistisch sowieso über das hinausgeht, was in diesem Genre viel zu oft als status quo anerkannt und protegiert wird. Ich schrieb neulich über Oliver Schories, dass ihm mit seinem aktuellen Werk "Fields Without Fences" ein tatsächliches Album im Sinne einer Story gelungen ist. Ich kann gleiches über "Familiar Warmth" sagen: immer kohärent in der Ausgestaltung des Kontextes zu einem zusammenhängenden Dickicht, dabei absolut konsequent und mutig außer der Reihe.
Biodub sagt über seine Musik, dass sie im besten Fall sowohl im Club als auch im heimischen Wohnzimmer funktionieren soll. Diesen Spagat, an dem so viele Produzenten in der elektronischen Musik scheitern, bekommt "Familiar Warmth" ohne sicht- und hörbare Strapazen auf die Reihe.
Dass ich großer Fan der Metal Church-Ära mit Mike Howe am Mikrofon war und bin, habe ichan anderer Stelle auf meinen 3,40qm schon mal ganz dezent erwähnt, und die Meldung, der sympathische Wunderknabe mit den goldenen Stimmbändern sei nach über 20 Jahren zur Band zurückgekehrt, ließ mich erwartungsgemäß das olle Metal Church-Shirt extrafein und -glatt bügeln. Für die frei Haus mitgelieferten Sorgenfalten auf meiner Stirn braucht's hingegen schon eher die Heißmangel, denn es gab in den letzten Jahren einfach zu viele Reunions, die an den Erwartungen einerseits und an der komplett veränderten Musiklandschaft andererseits scheiterten. Und natürlich an der ebenfalls immanenten Unfähigkeit so mancher alten Helden, immer noch packende, mitreißende Musik zu schreiben.
Metal Church haben in allen drei aufgezählten Kategorien ein denkbar schlechtes Blatt auf der Hand, besonders die Sache mit den mitreißenden Songs hat Hauptsongwriter Kurdt Vanderhoof in den letzten zwanzig Jahren nicht mehr so richtig gut auf die Kette bekommen, unvergessen etwa die brutale Bauchlandung des 1999er "Masterpeace"-Albums mit dem mittlerweile verstorbenen Mark 1-Sänger David Wayne. Aber auch die Nachfolgealben mit Sänger Ronny Munroe sind mit medioker ausreichend euphemistisch umschrieben, dazu gab es nicht nur unzählige Line-Up Wechsel, sondern auch gefühlt mehr als nur ein Mal das alte "Split/Reunion"-Spielchen. Das klassische Line-Up mit den Gitarristen Graig Wells und Jon Marshall, dem Bassisten Duke Erikson und Drummer Kirk Arrington hat sich derweil längst in Luft aufgelöst. Macht die Rückkehr mit Sänger Mike Howe unter diesen Voraussetzungen und der ramponierten Marke Metal Church überhaupt noch Sinn? Zumal: Auch wenn Vanderhoof der hauptverantwortliche Songwriter war und ist, sollten die Beiträge besonders von Wells und Marshall nicht unterschätzt werden, hier kann ein Blick auf die Songwritingcredits des 1989er "Blessing In Disguise"-Albums helfen. Was ist also mit der alten Magie dieser einst so außergewöhnlichen Band? Hat die Zusammenarbeit mit Mike Howe Vanderhoof vielleicht beflügelt? Ihm neue Kreativität eingehaucht?
Nach zwei Handvoll Durchgängen des neuen Werks "XI" bin ich in Teilen ganz zaghaft geneigt, einen mit dünnem Pinselstrich geschwungenen grünen Haken hinter diese Fragen zu kleben, denn es gibt einige positive Merkmale zu notieren, mit denen nicht zu rechnen war. Erstens: Der Sound ist modern und druckvoll, aber nicht künstlich aufgeblasen - das ist ein großer Pluspunkt, den man heute nicht hoch genug bewerten kann. Zumindest in dieser Hinsicht wurde hörbar keinen Mist gebaut, was man von den nicht optimal gemixten Backing-Vocals nicht immer behauten kann. Trotzdem: es hätte donzdorfiger und damit unechter werden können. Ist es aber nicht, und das ist gut. Zweitens: Die beiden leicht epischen Tracks "Signal Path" und "Sky Falls In" erinnern nicht nur wegen der Arrangements, sondern tatsächlich auch qualitativ an die legendären Longtracks "Little Boy" und "End Of The Age" vom "Hanging In The Balance" Meisterwerk. Drittens gefallen mir besonders die seltenen Momente, bei denen sich die Truppe etwas vom Standard entfernt und damit die klassischen Metal Church in die Gegenwart zerrt: "Needle & Suture" und "Shadow" sind apart zusammengefügte Metalsongs mit nicht ganz alltäglichem Riffing und erfreulich unverbrauchten Melodien und Harmonien.
Es ist indes nicht alles Gold was glänzt: zum einen ist "XI" viel zu lang geraten - mindestens vier Songs hätten ganz lässig gestrichen werden können, ohne der Qualität des Albums zu schaden. Spätestens ab dem letzten Drittel muss ich mich regelrecht durch "XI" kämpfen. Zum anderen fehlt mir persönlich ein Songwritingeinfluss außerhalb des Vanderhoof'schen Gedankenkosmos, denn der Mann hat mit seinen Riffs und Ideen nicht durchgängig ein glückliches Händchen - und seinen Ansatz für die Stimmung des Albums konservativ zu nennen, wäre eine echte Untertreibung: "Blow Your Mind" ist ein sechseinhalbminütiger Totalausfall aus dem Hause Doppel-Null, "Soul Eating Machine" klingt wie ein müdes Outtake aus der Sockenschublade von Running Wilds Rock'n'Olaf, angesichts der Keyboards in "It Waits" lass' ich mir mein Feldsalat-Birnen-Gorgonzola-Frühstück nochmal durch den Kopf gehen und für uninspirierte Refrains wie in "No Tomorrow" und "Killing Your Time" fehlt mir jedes Verständnis - dass zudem der typische Groove eines Kirk Arrington vom Biedermann Jeff Plate nicht im Ansatz reproduzierbar ist, war zwar zu erwarten, das macht es aber nicht besser.
Und was macht eigentlich Mike Howe? Der singt strenggenommen nur seinen Stiefel runter, was am Ende dann doch eine Leistung ist, für die er sich allerdings nicht mal anstrengen muss: er schafft es, Metal Church endlich wieder nach Metal Church klingen zu lassen; eine Bewertung, die zumindest für diejenigen Fans positiv besetzt ist, die Metal Church in erster Linie mit seiner Stimme und seinem Namen verknüpfen. Darüber hinaus ist mir die Beurteilung von im Aufnahmestudio hörbar zurechtgebogenen Gesangslinien mittlerweile sehr egal - aber ich wäre sehr gespannt, wie seine Stimmbänder nach über 20 Jahren Gesangspause auf der Bühne klingen. Gemäß der im Netz aufgetauchten neuen Livevideos (z.B. "Gods Of Second Chance" beim 2016er Monsters Of Rock Cruise, bei dem er hörbare Probleme hat) hängt zumindest mir noch das ein oder andere Fragezeichen im Gesicht. Dass sowohl die Band auf, als auch die Zuschauer vor der Bühne mittlerweile die Aura einer Urologentagung versprühen - mei, wir werden alle nicht jünger.
Für den Moment halte ich "XI" für ein zwar in der Ausstrahlung insgesamt biederes, aber trotzdem solides Metalalbum, das in seinen guten Momenten tatsächlich ein paar Strahlen der alten Magie durch den alten Schleier aus zwanzig Jahren Irrelevanz durchlässt. Ich muss mir selbst eingestehen, dass ich besonders nach den vorab veröffentlichten Songs weniger erwartet habe. Insofern geht das gerade echt in Ordnung. In den weniger guten Momenten ist da andererseits eine unangenehme "Laissez-Faire"-Haltung der Band zu erkennen - da fehlt einfach jeder Elan, jeder Drang, aus einer durchschnittlichen Nummer trotzdem etwas Großes zu machen. Der unbedingte Wille, sich hier nochmal zu zerreißen. Sich alleine auf die Stimme Mike Howes zu verlassen, dass er also für die musikalischen Unzulänglichkeiten die Kohlen aus dem Feuer holt, ist vielleicht zu wenig. Nicht, dass ich das nicht verstehen könnte - das Feuer im Hintern kommt in dem Alter eher durch zu scharf gewürztes chinesisches Essen als durch eine Extraportion Doppel-Herz. Aber muss man dann wirklich noch neue Platten aufnehmen?
Was abschließend die Frage provoziert, was Metal Church und besonders Kurdt Vanderhoof mit dieser Fünftel-Reunion wirklich wollen? Die Antwort darauf erhalten wir in der Auseinandersetzung mit "XI" nicht, vermutlich ist es erst in ein paar Jahren soweit. Aber es würde mich ernsthaft überraschen, wenn wir noch ein weiteres Album von Metal Church mit Mike Howe am Mikrofon hören würden.
Und so ist's am Ende womöglich dann eben doch noch nur die übliche Metal-Reunion-Masche aus dem Grenzgebiet Halbgarhausen/Romanzenheim, über die sich die alten Fans nochmal freuen dürfen, während deren Nachwuchs draußen vor dem Club in der finanzierten Yuppieschüssel genervt darauf wartet, den von soviel positiven Erinnerungen und drei Pullen Beck's Gold angetrunkenen Erzeuger nach Hause zu kutschieren. It's more than a feeling, you know?!
Erschienen auf Nuclear Blast, 2016.
P.S.: Profi-Tipp: "Blow Your Mind", "Soul Eating Machine" und "It Waits" aus der Playlist entfernen, et voila: ein kürzeres und besseres Album. Bitte, Danke, Rechnung folgt.