Sommer 2015, August. Urlaub in Lübeck. Die über sechsstündige Autofahrt wird versüßt von George Fitzgeralds neuem Album "Fading Love". Selbst die Herzallerliebste ist Feuer und Flamme.
Mit Fabbi am Hundestrand in Scharbeutz. Es ist warm, die Luft schmeckt nach Meer, salzig. Immer mit dabei: "Fading Love", auf jedem gefahrenen und gelaufenen Meter. Selbst Fabbi könnte die Melodien mittlerweile wohl mitpfeifen. Wenn Hunde pfeifen könnten.
"Fading Love" war der Soundtrack unseres Sommers und wird für immer mit dieser Zeit verknüpft sein. Die letzte Platte, die das ähnlich eindrücklich schaffte, was "Menos El Oso" von Minus The Bear. Und wermeine irrationalen Huldigungen zu jenem Album kennt, weiß ungefähr, wie super und super und außerdem: total super "Fading Love" ist.
Fernsehen in den frühen neunziger Jahren bestand für mich zu einem großen Teil aus dem unverschlüsselt gesendeten Programm des damaligen Bezahlsenders Premiere. Der Night Talk mit Bettina Rust, Showbiz und Acht mit Susan Atwell, Oliver Kalkofes Mattscheibe und natürlich Roger Willemsens Talkshow 0137. Willemsen gefiel mir vor allem aufgrund seiner und der für einen pubertierenden völlig absurd erscheinenden zwei Gesichter: er war schlau, smart, vielleicht ein bisschen kokett, baute seine Fragen und Geschichten aus formvollendet formulierten, druckreifen Monologen und war andererseits erfrischend respektlos und unprätentiös; ein Schlacks, der zweifellos aus gutem Hause kam, aber der es verstand auf dieser dünnen Linie entschlangzuschlendern, die Autorität von Anarchie trennt, und der außerdem Krawall für vornehm hielt, wenn er absolut wahrhaftig und sowieso unumgänglich erschien. Ein Helmut Markwort wüsste selbst nach den nächsten 1000 kalten Wintern ganz bestimmt noch sofort, was ich damit meine.
Roger Willemsen ist am gestrigen Sonntagabend in Hamburg an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben, und ich bin wirklich getroffen von dieser Nachricht. Er war mir besonders in den letzten Jahren ans Herz gewachsen, sein strahlender Intellekt, sein Ausdruck, sein Humor, seine Begeisterung, seine Wahrhaftigkeit und die Nachricht, die ebenjene aussandte: Folge Deiner Leidenschaft, folge dem, was Dir Freude bringt - aber auch ganz besonders beeindruckend seine zweifellos vorhandene Albernheit, das kindlich naive und der Mut, seine intime und emotionale Seite zu zeigen und sie mit einem Trommelfeuer an Formulierungen zu vertreten; Formulierungen zumal, die mir in ihrer Brillianz ein ums andere Mal ins selbstverschuldete Subtext-Exil zuriefen, die Schreiberei, und sei sie noch so trivial und privat und wirklich völlig egal, an den Nagel zu hängen, weil so gut und so frei ich wohl niemals schreiben könnte.... - Dabei spornten sie mich aber eigentlich an, jeden Text gleich besser zehn oder wenn nötig gar zwanzig Mal zu redigieren, Formulierungen zu überprüfen, mich selbst die ganze Zeit zu hinterfragen: "Für diesen Satzbau hätte er mich doch ausgelacht, Mann!"
Egal, welches Videointerview man auf Youtube auch auswählt, sein Auftritt und seine Worte werden immer inspirierend sein. Ich lege mir heute Abend noch sein mit dem gleichfalls mittlerweile verstorbenen Dieter Hildebrandt entwickeltes und aufgeführtes Bühnenprogramm "Ich gebe ihnen mein Ehrenwort - Die Weltgeschichte der Lüge" in den CD Player und erinnere mich an einen großen, wichtigen, schreiend komischen und schrecklich schlauen Menschen.
Tschüss Roger. Du fehlst.
P.S.: Man verzeiht mir bitte die Unterbrechung der musikalischen Dauerwerbesendung, aber das war mir wichtig.
Na, wo warst Du, als Du zum ersten Mal "The Epic" gehört hast? Ich weiß noch, wie und wo ich es zum ersten Mal hörte; für gewöhnlich brennt sich so ein Erlebnis ja nur dann ins Gedächtnis ein, wenn das Gefühl neben den Lauschern entlang spaziert, etwas Wichtiges oder Großes zu hören - jedenfalls geht mir das so. Ich kann mich schließlich auch noch an mein erstes Mal mit "Smells Like Teen Spirit" erinnern.
"(...) es war im Wohnzimmer der frisch verkabelten elterlichen Wohnung, dunkelbraune Auslegeware, braunes Noppensofa (Mutmaßungen, was ein Noppensofa ist gerne in die Kommentarspalte), ein schwerer, gleichfalls dunkelbrauner Raumteiler so groß und schwer wie die verfickten Alpen. Halbgrauer Herbstnachmittag, MTV. Ich hatte noch nie einen Ton von dieser Band gehört, aber mir knallte alles durch. Ich sprang über die Noppen im Sofa abwechselnd auf den Sessel, auf die 2er- und 3er-Couch, setzte zum Torjubel eines Fußballspielers an und bremste auf dem krausen Teppich mit den Knien direkt vor dem Fernseher. Es tat nicht weh, das Adrenalin unterdrückte jeden Schmerz."
Ich hörte "The Epic" zum ersten Mal an einem Sonntagnachmittag im Mai 2015, während ich mein Plattenregal sortierte. Es war ein Tweet, der mich auf eine Seite mit dem kompletten Albumstream leitete, und als ich das dreistündige Mammutwerk erstmals hinter mir gelassen hatte, drückte ich umgehend erneut die Play-Taste. Ich stand in Flammen. Ich war wirklich aufgeregt, immerhin so aufgeregt, dass ich noch am selben Tag eines meiner frühen Instagram-Post absetzte, mit einem Screenshot der Labelseite von Ninja Tune und mit aus heutiger Sicht immer noch nachvollziehbarer "You got to hear this!"-Übertreibung im Text:
Ein paar Tage später verfasste ich sogar einen Blogpost zu "The Epic" - sogar drei Tage vor einem entsprechenden Artikel in der ZEIT, dem "knalligen Jugendmagazin aus Hamburg" (Harald Schmidt) - remember, where you read it first!
Das Album wirbelte in den kommenden Wochen und Monaten ganz schön viel Staub auf: Das Feuilleton feierte wie von Sinnen die Rückkehr des Jazz (und außerdem die Rückkehr der Leser), Qualitätsmedien wie der Spiegel bezahlten Qualitätsschreiber wie Andreas Borcholte für das Abschreiben des Pressetexts - weil: wer kann, der kann - und selbst Fans von breitbeiniger Rockmusik, die Jazz bis dahin als spaßfeindlich, intellektuell, elitär - kurz: "Schwuuul!" (Matussek) ablehnten, entdeckten plötzlich das Saxophon für sich. "The Epic" sahnte in Deutschland sogar eine goldene Schallplatte ab. Das muss man sich alles mal auf der Netzhaut zergehen lassen: ein 180-minütiges Jazzalbum auf einem Indielabel im Jahr 2015 gewinnt eine goldene Schallplatte in Deutschland. Wo wenn nicht hier, wäre ein besserer Moment, die Sackgesichter der für die RWE arbeitende Werbeagentur und ihre Scheißhausparole "Sind wir Deutschen denn eigentlich verrückt geworden?" zu erwähnen?
Nun ist's aber so: die Jazzszene ist in weiten Teilen tatsächlich spaßfeindlich, intellektuell und ganz besonders elitär - das ist zwar nicht "Schwuuul!" (Hans-Peter, 58, Kegelclub "Alle Neune"), führt aber zu einer teils bizarren Ablehnung von allem, was ihre heiligen Hallen mit unreinem und unheiligem Unrat verschmutzt. Unrein und unheilig wird es vor allem dann, wenn der Scheinwerfer allzu hell und grell die dunklen Ecken der ollen verstaubten Jazzbar ausleuchtet und dadurch also Gäste kommen, von denen man sich in jahrzehntelanger und harter Detailarbeit so schön abgrenzte. Das ist wie in der kleinen Stadtteilspelunke um die Ecke: jahrzehntelang sitzen hier die Schwerstarbeiter aus den umliegenden Fabriken unbehelligt von der modernen Welt beim ruhigen und tranigen Feierabendbesäufnis, und plötzlich stürmt eine Horde 16-jähriger Teenies die Kneipe, lässt Skillex und Taylor Swift über die Handylautsprecher deren "abominations unto the Lord" (John Oliver) hinausplärren, alles riecht nach Axe "Uganda", sie bestellen KiBa-Weizen - da fühlt man sich einfach nicht wohl. Das kratzt, das wird ungemütlich, man will die respektlose Brut am liebsten einfach rausschmeißen. Genau so geht's der halbwegs eingeschworenen Jazzgemeinde, und nichts belegt das schöner als das Webforum einer größeren deutschen Musikzeitschrift von "den Wichsern von Springer" (Blank When Zero):
"Klingt für mich nach Coltrane ( ca 1964) mit Chorsätzen des "It's Time"-Albums von Roach - und das alles auf mäßigem Niveau. (...) Ich höre durchschnittlichen Post Bop."
"Was für ein substanzloses Gedudel. (...) Süßliche Endsiebziger-Radiojazz-Melodik, schmalzige Chöre, ein Saxophonist, der Übungspatterns sinnlos aneinanderreiht, und bei jedem Solo hört man, dass er nicht weiß, was er als Nächstes spielen soll. (...) Wieso darf der ein Album machen? Grausig."
"Mich hat dieser quasi schon vorab feststehende Meisterwerk-Status auch gestört. Nur weil sich jemand 30 Tage einschließt und ein 3 Stunden-Machwerk rausbringt, ists kein neues Bitches Brew."
"Ach, und Thundercat ist nun auch nicht gerade der herausragende Bassist."
"Es langweilt mich. Das Schlagzeug hört sich nach schlechtestem Pop an, überhaupt scheinen die alle an einer Jazzakademie studiert zu haben. (...) Das Chorgeplänkel ist aber wirklich albern und das Streicherzeugs auch."
Orthografie- und Satzzeichenfehler wurden aus Gründen der Authentizität selbstverständlich übernommen.
Nun arbeite ich seit Jahren daran, mein Toleranzlevel in schwindelnde Höhen zu schieben und natürlich respektiere ich als Vorsitzender der "Sossenheimer Akademie für freie Meinungsäußerung - es sei denn die von Arschlöchern e.V." jede Meinung, aber come on: that's just a fuckin' pile of fuckin' bullshit.
Freilich ist immer ein bisschen Vorsicht angebracht, wenn vor allem genrefremde Musikfreunde plötzlich zu Jazzern werden - zu leicht blendet der Hype die Sinnesorgane und man muss heute mehr denn je aufpassen, mit welchen Wölfen man heult. Aber total egal ist's dann eben trotzdem: "The Epic" hat auch nach knapp acht Monaten nichts von seiner Faszination eingebüßt. Natürlich hat das nicht die politisch und sozialkulturell aufgeladene Wucht der 1960er Jahre, natürlich ist das Panorama von "The Epic" mit Edelweichspüler bearbeitet, natürlich ist das in der Ansprache sanfter und bedachter - das ändert aber nichts an meiner Wahrnehmung:
"The Epic" ist ein opulentes, tiefes, spirituelles, herausragend komponiertes, brillant gespieltes, mitreißend arrangiertes und modernes Crossover Jazz-Album, das sowohl das freie Spiel eines mittelalten John Coltrane als auch die modalen Post Bop-Spirituals der 1970er Jahr von Pharoah Sanders oder auch Alice Coltrane streift und sie mit Soul- und sogar Pop-Elementen umrankt, aufhübscht, garniert - und nicht zukleistert.
Donato Dozzy und Guiseppe Tillieci haben für ihre Performance im MAXXI Kunstmuseum in Rom die vom Debut bekannten Dubtechno-Beats in der großen Kiste mit den vielen Ideen gelassen und als Ersatz die noch größere Kiste mit den noch viel, äh, vieleren Ideen geöffnet - eine Schatzkammer des Sounds. "Live At MAXXI" klingt unverschämt gut, so weit und klar, so breit und tief. Ich glaube nicht, dass ich im Jahr 2015 besser klingende Musik gehört habe.
Ich kann nur erahnen, was es benötigt, um als Musiker an einen solchen Punkt zu gelangen. Dozzy und Tillieci sind für ihre akribische Auseinandersetzung mit Sound und -Design bekannt, was sich sowohl auf ihrer selbstbetitelten ersten Platte als auch auf den Arbeiten ihrer anderen Projekte abseits von Voices From The Lake hören lässt. Mit "Live At MAXXI" geht das Duo gleich mehrere Schritte weiter. Auch deshalb, weil sie bis auf wenige, im Gesamtbild des Werks beinahe untergehenden, Momente auf die klassischen Beats verzichteten - das verärgert die Peer Group, die von ihren Helden doch bitteschön immer und immer wieder dieselbe Suppe vorgesetzt bekommen möchte. Aber wer Ohren hat, der höre, denn diese Platte ist ein Meisterwerk des hypnotischen Ambients: jedes noch so kurze Rascheln, jedes Zucken, jede Fläche, jedes Funkeln, jedes Gluckern hat seinen Platz in diesem Universum, flüstert ins Ohr, reibt sich, fließt, schaukelt, und arbeitet nur auf diesen einen großen Moment hin, auf den "Live At MAXXI" ab der ersten Sekunde ausgerichtet ist. Die abschließende Coverversion "Max" von Paolo Conte ist der himmel-, seelen- und herzaufreißende Höhepunkt.
Das australische Minimal Jazz-Trio hat die Leichtigkeit eingebüßt. Was nicht als qualitative Wertung verstanden werden soll, eher als Beschreibung dessen, was sich auf dem mittlerweile 18. Album als kleine musikalische Polverschiebung äußert. Es wird schwerer, dunkler, dröhnender, und das ist gleichfalls neu: praktisch ab der ersten Sekunde. Wolkenbrüche, Donnergrollen aus der Ferne - und direkt in deine vier Wände. Verwirrung und Orientierungslosigkeit, vielleicht gar ein bisschen Verzweiflung, jedoch immer unüberhörbar autark und erlöst. Das ist ihr Spiel mit der unbedingten Freiheit, nicht nur in der Instrumentierung dieser knapp 44 Minuten, sondern im wesentlichen Mindset, und der Klaustrophobie, der Ohnmacht. Der eigenen Irrelevanz.
Die Auflösungen solcher Ambivalenz sind selten, aber sie sind natürlich ungemein effektiv. Und es sind genau diese Momente auf "Vertigo", die, obwohl grundsätzlich nur mühsam zu dechiffrieren und klanglich mindestens so diffizil und dunkel wie die über- und durcheinander gelegten perkussiven Gewitter, mir fast die Tränen in die Augen treiben, weil sie unvermittelt die Türen zu einer Idee, einem Gefühl der vermeintlich universellen Klarheit und Wahrhaftigkeit öffnen.
Es hat sehr lange gedauert, das zu erkennen, aber ich empfinde die Artikulation ihrer Ansprache bislang noch auf keiner ihrer Platten so deutlich wie auf "Vertigo".
Nach dem eher durchschnittlichen Vorgänger "In Your Brain" aus dem Jahr 2012, das zwar eine Handvoll Hits aufbot, dabei aber viel zu lang geriet und besonders ab der zweiten Albumhälfte deutlich schwächelte, wusste ich zunächst nicht, was ich von "Sound Of Sinning" zu erwarten hatte. Dass die Monophonics eine fantastische Liveband sind, lässt sich via der hochgeladenen Videos auf Youtube bestens nachverfolgen, der Nachweis, ob sie auch im Studio im Stande sind zur Hochform aufzulaufen, stand aber noch aus.
Um es ansatzweise kurz und schmerzlos zu machen: wir können den großen, grünen Haken rausholen, because they fuckin' can! "Sound Of Sinning" hat den offensichtlichsten Mangel von "In Your Brain" beseitigt und ist hinsichtlich der Spielzeit signifikant kürzer ausgefallen, was die Kompaktheit des Albums logischerweise ungemein unterstützt. Die Band läuft selbst in den ruhigeren Momenten ihres R'n'B-, Soul- und Funk-Gemischs auf allen Intensitätszylindern und hat jeden überflüssigen Ballast aus ihren Songs entfernt - was zwar ein bisschen auf Kosten der psychedelischen Elemente ihres Sounds geht, der Platte insgesamt aber zu mehr Fokus verhilft.
Mit "Sound Of Sinning" ist den überzeugten Analogisten, deren Instrumenten- und Equipmentfuhrpark fast ausschließlich aus alten Stücken der 60er und 70er Jahre besteht, das bemerkenswerte Kunststück gelungen, die ihrem Sound innewohnende Pastiche zu überdecken, oder besser: sie umzuwandeln. Mit sprühender Energie und trotz der kraftvollen Umsetzung mit viel Fingerspitzengefühl. Das ist keine alte, rückwärtsgewandte Musik, "Sound Of Sinning" ist zeitloser, deeper Soul.
Dexter Storys Debutalbum "Seasons" war eines der besten Alben des 2013er Jahrgangs: bunt, freundlich, spirituell, hoffnungsvoll und mit einer ganz besonderen Weisheit aufgeladen, die mir ganz gelassen "Alles wird gut" ins Ohr säuselte und danach an einem großen Joint zog. Kein Wunder also, dass ich mich sehr auf und über "Wondem" freute. Und da sind wir auch schon wieder - in der Jahresbestenliste des Jahres 2015, ein herzliches Willkommen.
Der fünfzigjährige Multiinstrumentalist hat für sein zweites Album als Bandleader den musikalischen Fokus aufgeteilt. Wo "Seasons" mitten im San Francisco des Jahres 1972 Seifenblasen über Strand und Hanfplantage pustete, hat Story nach einem Erweckungserlebnis als Gastdrummer in Trompeter Todd Simons Bandprojekt Ethio Cali (u.a. mit Kamasi Washington) die Wurzeln und den Spirit äthiopischer Musik untersucht und in sein künstlerisches Schaffen integriert.
"Wondem" ist ein Amalgam aus dem zur kalifornischen Sonne passenden, mit offenem Geist und offenem Herzen verwirklichtem Lebensgefühl und äthiopischem Jazz mit seinen traditionellen Melodien und Gesängen. Story hatte das ostafrikanische Land noch nie besucht und es dauerte tatsächlich bis kurz vor der Veröffentlichung von "Wondem", bis er durch Äthiopien zog, Land und Menschen kennenlernte und sich mit bekannten Musikern des Landes traf, um sich mit ihnen auszutauschen.
Wie schon auf "Seasons" ist es vor allem die Lebensfreude, die Ausgelassenheit und die kreative Lust am Spiel und an der Musik, die mich so begeistert. Je öfter ich "Wondem" höre, desto offensichtlicher wird die "beautiful soul" dieser Platte.
Es ist 2015 eine große Leistung, nicht zu einem Zyniker zu werden - Story hat es geschafft, dass selbst ich für ein paar Minuten keiner mehr bin.
Jazz aus dem vereinten Königreich lieferte sich in diesem letzten Jahr ein hartes Duell der Sexyness. Auf der einen Seite stand Matthew Halsall und sein Gondwana Orchestra mit der ausgesprochen entspannten "Into Forever"-LP, auf der anderen die Greg Foat Group mit "The Dancers At The Edge Of Time" und ich will ehrlich sein: ginge es nur nach dem Titel, wäre das Kollektiv rund um Greg Foat der haushohe Sieger.
Musikalisch ist er's nun auch, wenngleich nicht so überdeutlich. Das innerhalb von drei Tagen in der Saint Catherine's Church auf der Isle of Wight durchgängig analog aufgenommene Werk hatte letzten Endes wegen seiner hypnotischen, versunkenen Stimmung die Nase vorn, wegen seiner nicht religiösen Spiritualität, wegen seiner komplementären Konzepte in der Ansprache und Ausführung und natürlich wegen der zweitschönsten Auslaufrille des Jahres.
Moderner modaler Jazz kann eine trostlose, stocksteife Angelegenheit sein, dieses vom Pianisten Greg Foat angeführte Ensemble schwingt und swingt, es tänzelt, gräbt sich ein, bricht aus und igelt zusammen, was zusammengeigelt gehört. Fast scheint es, als sei die Geschichte der alten Kirchenmauern in die Köpfe, Hände und Herzen der Musiker gefahren und hätte dabei Zauberwesen vom Planeten Oz gechannelt. Weisheit, Liebe und Verbundenheit. Andächtig in Trance durch Zeit, Raum und Klang schwebend. Wer "Love Theme" gehört hat, weiß was ich meine - und ich würde "Love Theme" auch total gerne verlinken, aber mein Wuntanfall über die GEMA hat mich gerade total aus der Balance gerissen.
Gewöhnlicherweise haben die Herzallerliebste und meine Wenigkeit nur selten ernsthaftere Auseinandersetzungen über die getroffene Musikwahl. Selbst wenn Herr Dreikommaviernull einen seiner zwar seltenen, aber dafür eben nicht gerade leisen Thrash Metal-Anfälle bekommt, herrscht, sieht man von vereinzelten Giftpfeilen ab, wenn es ganz arg doll schlimm wird, meistens durchaus Verständnis im Wohnzimmer. Bei Felix Labands "Deaf Safari"-Album sieht die Sache überraschenderweise ganz anders aus, und dabei sind wir von Thrash Metal gleich ganze Universen entfernt. Bei Laband zeigten sich die Giftpfeile eher als die berüchtigten 16t Gewichte Monty Pythons.
Ich halte das für eine durchaus gesunde Reaktion auf Musik, jedenfalls ist mir kulturelle Reibung lieber als aalglattes Abnicken und windelweicher Konsum. Für beide letztgenannten Punkte ist der Südafrikaner Felix Laband zumindest auf "Deaf Safari" der falsche Ansprechpartner, aber das liegt weniger an seiner Musik, denn die ist so bunt, künstlerisch, melodisch, blumig und sogar sensibel wie auf dem mittlerweile zehn Jahre alten Vorgänger "Dark Days Exit". Vielleicht sind seine Tracks dieses Mal wegen der satten 4/4 Bassdrum tanzbarer und weniger ätherisch, wofür in erster Linie die verarbeiteten Einflüsse aus dem Kwaito-House verantwortlich sind, einem Musikstil, der sich in den 1990er Jahren entwickelte und zum Symbol für die Veränderungen zwischen den Apartheid- und Post-Apartheid-Generationen wurde. Vielleicht schlägt das die inhaltliche Brücke zu den Vocalloops, die "Deaf Safari" zum Leidwesen der Herzallerliebsten so dominieren und die der Platte soviel Kraft und Energie in die Plattenrillen ritzen: aggressives, schamanisches Gebrabbel und Geschrei, Gebete, Voodoo, Zauberei, Beschwörungen, Verfluchungen bis hin zum Vergewaltigungsbericht aus einer Nachrichtensendung. Es sind diese Gegensätze zwischen einer weitgehend entspannten Musik einerseits und provokanten Stimmen und Texten andererseits, die "Deaf Safari" zu einem inspirierenden und sehr intensiven, manchmal ziemlich unangenehm berührenden Album machen.
In diesem Zusammenhang empfehle ich den Griff zur im Vergleich mit der digitalen Ausgabe etwas gekürzten Vinylversion, die kompakter und ausgewogener erscheint und damit gegebenenfalls die Nerven etwas entlastet. Der Downloadcode liegt bei, daher geht auch nichts verloren.
Über Armored Saint zu schreiben ist einfach. Die Verkündung, dass "Win Hands Down" das beste Metal-Album des Jahres ist, und das sogar mit ziemlich weitem Abstand, ist völlig ausreichend. Alles gesagt, bitte anhören und dabei versuchen, die genderneutrale Erektion zu bändigen.
Klassisch-naturgeiles Songwriting "vom Fass" (Matthias Breusch), von gefühlsechten Monstermusikern gespielt, eine irre und unbekümmerte Energie, die das Quintett in beeindruckender Weise von der Bühne auf den Tonträger schaufeln konnte, als sei es das Einfachste der Welt, und eine traumhafte, weil unbedingt authentisch klingende Produktion ohne Plastik-Pomp und ohne künstlich aufgeblasene Masse. Außerdem: John Bush. Hey! John Bush!
Dazu kommt eine prima gemachte Vinylveröffentlichung als Gatefold-Doppel-LP auf 45rpm in brillianter Pressung mit Texten und Einlegern.
Auch wenn ich glaube, dass der Vorgänger "La Raza" noch ein ganz klitzekleines Eckchen geiler ist - viel besser kann man einen solchen Sound nicht spielen. Und wenn "Win Hands Down" eines sehr, sehr deutlich macht: wir werden uns alle noch ganz schön umgucken, wenn Bands wie Armored Saint irgendwann für immer das Licht ausknipsen.
Zwei Tracks, beide um die 20 Minuten lang. Irgendwas mit Biorhythmus. Eine Seite für den Morgen, eine Seite für den Abend. Riesenüberraschung, ich weiß. Indische Gesänge von der berühmten Sängerin Lata Mangeshkar, gleichzeitig expressiv und introspektiv. Es loopt und loopt und loopt.
Über beiden Tracks liegt eine spirituelle Aura, da ist etwas über und unter diesen Beats, Frieden und Sonne. Und eine tiefe innere Ruhe, selbst dann, wenn es mit Kieran Hebden und seinen Breakabfahrten durchgeht. Die Tracks alleine geben diese Balance und Ruhe im Grunde nicht her, das hier ist schließlich kein Ambientgeplucker, nein nein: die Bassdrum hält die heilige Sandale hoch und ich folge ihr zur größten Kaffeemaschine der Welt, denn das passt sogar zu einem Typen, der normalerweise am Morgen und vor der zweiten Tasse Kaffee den Zinedine Zidane beim WM-Finale 2006 macht - beziehungsweise: gerne in ruhigeren musikalischen Gewässern aus dem Bett paddelt. Trotz seines munteren Drives lief "Morning" im morgendlichen Home Office zur immerhin ersten Tasse mehr als nur einmal.
"Evening" bekommt unterdessen eine größere Schlagseite zur klassischen indischen Musik ab - immer noch mit einem Gesangsloop, aber die Bassdrum fehlt zunächst. Dafür funkelt's und blitzt's die ganze Zeit. Nach ein paar Minuten, eben verhallte das vermeintliche Ende des Tracks noch im Klangnirwana, kommt plötzlich die HiHat. Und die Bassdrum. Und alles tanzt.
Kieran Hebden ist einer der glaubwürdigsten und mutigsten Produzenten der elektronischen Musikszene. Diesen Mut in seinen Werken unterzubringen heißt manchmal auch, dass es mal nach hinten losgeht - aber das ist part of the deal. Ich kann damit leben. Hand aufs Herz, im Prinzip gibt es ja eigentlich gerade keinen Besseren.
Und weil ich das Album in meinem ersten Text bereits via Bandcamp hier einbettete, gibt's hier und heute Hebdens Set aus dem Boiler Room in London. Könnte Sinn machen, die Wohnzimmermöbel vielleicht etwas zur Seite zu rücken. Profitipp. Von mir. Für Dich und Euch.
Es gibt derzeit keine lustvollere und mehr Spaß verbreitende Hip Hop-Combo als die Jazz Spastiks. Schon ihr 2014er Album "The Product" zauberte mir ein extrabreites Grinsen ins Gesicht, und auch "Unkut Fresh" bekam ich über Wochen nicht vom Player heruntergezerrt. Das englische Produzentenduo hat sich mit der Truppe Rebels To The Grain aus Los Angeles verstärkt und wenn schon keine ultrahippen Club-Banger, dafür aber edelste jazzy-dusty-moody-deepy-good-oldschool-Vibes zusammengestrickt - alle sind hoffentlich schön druff, druff, druff und doofgekifft, Saxofone, Geklimper, Boom Bap, party like it's the golden age. Mir würde echt was fehlen, wenn ich nicht über "The Product" und "Unkut Fresh" gestolpert wäre. Und während ich mich in meinem Text über "The Product" noch derart darüber ärgerte, die Vinylausgabe schlicht verpennt zu haben, dass ich mich gar an einem geschimmelten Duschvorhang...naja. Wie dem auch sei:
Zusätzlich und in diesem Zusammenhang veröffentlicht: "Unkut Fresh - Instrumentals", ebenfalls auf Vinyl zu haben. Bitte auch hier ganz sorgenfrei zuschlagen.
Ich muss eine mir bislang weitgehend verborgene Vorliebe für australische Bands haben, zumindest für jene, die tief im Untergrund, im Halbschatten, unter dem Radar fliegen und zu warmgestrulltem Foster's einen schwülen, verhallten Shoegazerock mit geschlagener Magic Mushroom-Sahne spielen. Vor zwei Jahren hatte ich mich in die Absolute Boys verknallt, einem Trio, das mittlerweile und wie bereits befürchtet die Segel gestrichen hat, im Jahr 2015 war es "Jane's Lament" des Duos Au.Ra aus Sydney, das mich immer wieder magisch in Richtung Plattenteller zog.
Ihr schwelender und zugleich funkelnder Sound, wie ein nur noch vor sich hinglimmendes Lagerfeuer aus Klang, bewegt sich nicht nur musikalisch in den Zwischenwelten: zwischen perlenden Gitarren der Londoner Indiestars der achtziger Jahre wie in "You're On My Mind" mit halbwegs aufgeräumtem Laissez Faire-Gestus und verwuschelter Hipsterfrisur, und melodisch-monotonen Noisegroovern eines "Spare The Thought", das den Sex, die Drogen und das Rotlicht (pun intended!) vom frühen Black Rebel Motorcycle Club abbekommen hat, haben Tim Jenkins und Tom Crandles mit "Jane's Lament" aber auch ein Album für die Dämmerung geschrieben. Für die Momente zwischen Wachen und Schlafen, für das Zwielicht. Für einen diesigen Wintermorgen in verkrumpelten, noch schlafwarmen Bettdecken, mit Nichts zu tun - außer den Seelenpartner und eine heiße Tasse Kaffee zu umarmen.
“As the sun sets earlier, this is an album to savor with the dying light.”