Es ist kein Geheimnis, dass Harris und Dickinson allerhöchstens ein professionelles Verhältnis pflegen: auf der einen Seite der wilde, rastlose, kreative, neugierige Flummi Dickinson, auf der anderen Seite der konservative Sturkopf Harris - das wird keine Liebe mehr. Nach Dickinsons Rückkehr kittet allerdings der gigantische Erfolg wie schon vor 30 Jahren die Risse zwischen dem Sänger und dem Bassisten, weil man für ein paar Millionen Britische Pfund auch drei Monate im Jahr mal so tun kann, als sei man ganz dicke miteinander. Die restliche Band profitiert von der Geschäftsbeziehung des Trios Smallwood/Harris/ Dickinson, ist aber im Grunde mittlerweile nur noch schmückendes, wenngleich notwendiges Beiwerk - eine Änderung der Besetzung scheint mittlerweile völlig ausgeschlossen und würde neben dem Image der Band als starke Einheit in der Folge auch deren Erfolgsaussichten nachhaltig ramponieren.
Seit der 1999er Reunion mit Dickinson und Gitarrist Adrian Smith, dem die Kohle nach einigen gefloppten Projekten (A.S.A.P. und Psycho Motel) wohl auch so langsam ausging, hat die Band vier Studioalben, fünf Livealben (u.a. das legendär miese und kurz nach einer Halserkrankung Dickinsons aufgenommene "Death On The Road", das im Studio so grotesk schlecht nachbearbeitet wurde, dass man schon einen panierten Blumenkohl im Ohr haben muss, um sowas auch nur mitleidig abzunicken), vier Best Of-Zusammenstellungen, von denen eine, "Edward The Great", sogar nur drei Jahre nach der im Jahr 2002 erschienenen ersten Ausgabe in einer aktualisierten Version neu aufgelegt wurde, und 13 Singles, fast alle in unterschiedlichen Formaten, veröffentlicht.
Hinzu kamen außerdem noch insgesamt neun(!) DVDs, bei denen auch hier "Death On The Road" auf Jahrzehnte die rote Laterne behalten wird: wer angesichts des Bildschnitts alleine die ersten zehn Minuten ohne epileptischen Anfall aushält, steht sowieso schon unter permanenter Medikation. Maiden gingen im erwähnten Zeitraum mehrfach auf Tournee, und wenn es kein Album zu promoten gab, dann gab es Resteverwertung oller Kamellen à la carte: 2003 nahm man sich die ersten vier Alben vor, 2008 ließ man unter dem Banner "Somewhere Back In Time" die "Live After Death"-Ära wieder auferstehen und beschloss den Krempel im Jahr 2012 mit "Maiden England" und der "Seventh Son"-Phase. Zu der man natürlich, man kann es sich erlauben, auch das Titelstück der schwachen "Fear Of The Dark" Scheibe von 1992 zählte.
Nicht eingerechnet sind die Wiederveröffentlichung der alten Alben sowohl auf CD als auch auf Vinyl, aber genau das war tatsächlich der Ausgangspunkt meines, äh, Ausbruchs. So veröffentlichte man nicht nur jedes Studio-, Live- und Best Of-Album als sackteure und oftmals qualitativ minderwertige Picture Disc-Pressung (Höhepunkt: die völlig vergeigte erste Seite der "The Final Frontier"-Erstauflage), man nahm sich, befeuert durch den Vinyl-Hype auch den Backkatalog vor: 2012 und 2013 gab es Picture Discs der ersten sieben Studioalben, nun legt man im Herbst 2014 nach.
In diesen Tagen sind erneut (!!) die ersten sieben Studioalben plus die 1985er "Live After Death" Doppel-LP plus alle aus den Alben ausgekoppelten Singles als 7-inches (!) an der Reihe, dieses Mal indes auf schwarzem Vinyl. Gesammelt werden kann die Rohstoffverschwendung in einer LP-Box, die es mit dem ersten Wurf der ersten drei Alben zum Preis von knapp 60 Euro zu kaufen gibt. Die nachfolgenden Scheiben sind in der bewährten Salamitaktik bis zum Jahresende zu erstehen. Am Ende stehen also acht Platten im Schrank, Gesamtpreis mindestens 160 Euro, die Singles nicht mit eingerechnet. Angeblich ist jede Platte auf 2500 Stück "streng limitiert", aber das sieht man im Hause Maiden traditionell nicht ganz so eng: es wird seit Jahren gemunkelt, dass die auf 10000 Stück limitierte Erstpressung der "Best Of The Beast"-4LP-Box nochmal ganz streng nach oben limitiert wurde, nachdem der erste Schwung ausverkauft war.
Jetzt könnte man mir natürlich den üblichen "Du musst es ja nicht kaufen"-Reflex an den Kopf werfen, und läge damit grundlegend auch völlig richtig. Es dürfte auch kaum verwundern, dass ich mir die Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung nicht ins Regal stellen werde. Ich halte es allerdings immer öfter für tragisch, dass eine der ehemals besten Metal-Bands aller Zeiten so durchschaubar die immer wieder kolportierte Fan-Nähe torpediert - absurderweise in dem sie angebliche Fan-Nähe demonstriert.
Iron Maiden Platten sind mittlerweile die Musikentsprechung zu Klamotten von KiK oder Primark. Oder zum Essen von fucking McDonalds. Künstlerisch muss man schon lange keine Bäume mehr ausreißen oder sich mal wieder einen Funken anstrengen. Sie müssen niemanden mehr überzeugen, sie müssen nur noch regelmäßig Platten abliefern. Und Konzerte abspulen. In diesem Zusammenhang ist die immer wieder derart penetrant in den Vordergrund geschobene Exklusivität und die vermeintlich hohe, wertige Qualität und die unausweichliche "Fan-Nähe", dieser "Value For Money"-Gestus und dieses Underdog-Blabla noch perfider.
Wie hart mich dieser verlogene Konsumterrordreck mittlerweile am Arsch lecken kann.
Der Autor: Florian E., 37, verheiratet. Mit 9 Jahren zum Maiden-Anbeter geworden, nachdem er die letzten 15 Minuten des "Live After Death" Videos sah. Von 1986 bis 2006 ausdauernder und unterwürfiger Sammler von Maiden-Artikeln (Bootlegs, T-Shirts, Schweißbänder, Konzertkarten, LPs, CDs). Von 2006 bis 2009 im Status "Kritischer Fan" verweilend. Im Mai 2009 Empfänger einer Abmahnung seitens der von Iron Maiden Holdings beauftragten Anwaltskanzlei Sasse und Partner(*). Mit einer Zahlung von 1700 Euro freigekauft. Seitdem bisweilen harter Kritiker mit problematischem, ambivalentem Verhältnis zur Band, der der ganzen Blase in schwachen Momenten gerne eine Backpfeifenpolka (12-Inch, Extended Version, Repeat-Modus) vorspielen würde, sich allerdings ihre guten Momente immer noch mit großer Freude anhören kann. Zu Steve Harris' berühmter Bootlegsammlung sollte er indes niemals unbeaufsichtigt mit einer Kettensäge Zutritt erhalten. Und "Killers" ist ihre geilste Platte. So.
(*): Heise.de schloss den damaligen Artikel zur Abmahnwelle übrigens mit folgendem Absatz:
Weil dieser abmahnende Anwalt sowohl gegenüber Telepolis als auch gegenüber dem Spiegel darauf hinwies, dass jemand, der "sicher gehen" wolle, "im Zweifelsfall einfach gar keine alten Iron-Maiden-Produkte verkaufen" solle, vermutet der Ettlinger Heavy-Metal-Fan, dass die Abmahnungen auch dem Zweck dienen könnten, Personen, die ihre alten CDs verkaufen möchten, zu verunsichern, um so das Gebrauchtangebot an legalen Tonträgern zu verknappen, damit potentielle Käufer eher zu Neupressungen greifen, an denen die Band und die Rechteverwerterindustrie nochmals Geld verdienen.
"Mehr hab' ich nicht hinzuzufügen."(G.Polt)