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21.03.2022

A Walk in My Atomic Garden - Platz 1: Bad Religion - Generator




BAD RELIGION - GENERATOR


Werte Leserschaft, es ist soweit - das Martyrium ist beendet! 

"Generator" ist die Nummer 1. Und das ist es zurecht, na klar. Dennoch...

...bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich mein Leben drauf verwetten tät', und so genau kann ich mich auch wirklich nicht mehr erinnern, es ist schließlich ziemlich exakte 30 Jahre her, aber ich glaube, dass der Titeltrack des im März 1992 erschienenen sechsten Albums für mich tatsächlich das erste gehörte Musikstück der sehr guten Gruppe Bad Religion war. Mein Bruder hatte sich die CD gekauft und es ist vollkommen im Bereich des Möglichen, dass ich, angefixt von meiner Klassenkameradin Nathalie und ihrer auf dem Schulhof herumgezeigten Kopie von "Against The Grain", Dirk anbettelte, mir die CD doch mal bitte auszuleihen. WENN es denn so war, DANN überrascht einen ja gar nichts mehr. "Generator" ist bis heute einer der allerhellsten Songwritingmomente von Gitarrist Brett Gurewitz; und dass da einer, der mit seinen vierzehn Jahren im Frankfurter Westen zwischen Pubertät (Iron Maiden) und Rebellion (Nirvana) auf diese aberwitzige, abgefahrene, alles abholzende und mit äußerst attraktiven Harmonien jonglierende kalifornische Wunderwaffe trifft, die den Hypothalamus mit einem vulkanisch-eruptiven Endorphinblitzkrieg ("Darf man das in diesen Zeiten überhaupt noch sagen?" - Schmidt) traktiert, sofort und ohne Umschweife lichterloh in Flammen steht, ist so überraschend nicht. Will sagen: sollte das wirklich mein Einstieg in ihre Welt gewesen sein, bon - keine weiteren Fragen euer Ehren. Und dennoch...

...kam "Generator" zur Nummer 1 wie "Die Linke" (Poschardt) zum Durchwinken des imperialistischen Kapitalismus oder des kapitalistischen Imperialismus, oder auch: wie kommt Kuhscheiße aufs Dach? Denn strenggenommen hatte ich nie so richtig darüber nachgedacht, was denn nun mein allerliebstes Bad Religion Album ist. Freilich erstelle ich seit nun drei Jahrzehnten geradezu unentwegt, ja geradzu manisch, Bestenlisten in meinem Kopf, und mit der Zeit kommt für jede DIE_LISTE auch immer eine Art Manifestation ins Spiel; wenn sich also die Reihenfolge und damit auch die Nummer 1 mal etabliert haben, dann bete ich ein paar Jahre später dreizehn Rosenkränze und mach' den Deckel drauf - und warte anschließend bräsig-dampfend auf die Gelegenheit, all das so schön über mehrere Schlaganfälle hindurch ausgeknobelte wieder aufzubrechen, umzuschmeißen, neu zu ordnen. Im Falle unserer Helden aus Kalifornien erschien mir das nie als so recht lohnenswert (schreibt's hin wie Oma Meume und macht dann einen halbjährigen Superscheißcountdown auf seinem Blog, völlig klar), was wohl in erster Linie dem bereits mehrfach herbeigeschriebenen Gedanken geschuldet ist, aus dem, was gemeinhin als Klassikerkanon ihrer Diskografie gilt, schlicht keine Reihenfolge stricken zu können (schreibt's hin wie Doofie Doofmann und macht dann einen halbjährigen Superschei...hmnja). Und dennoch...

...steht, liegt und tänzelt "Generator" nun am Platz an der Sonne, und die Frage, ob ich denn mit dem Küren des Erstkontakts nur wieder einmal die einfachste, anschmiegsamste und offensichtlichste Option wählte, hängt mal wieder quer im Raum herum. Die absolut endgültige Antwort lautet: vielleicht! Auf "Generator" stehen andererseits mit seinen insgesamt gerade mal elf Tracks (Trivialwissen von mir für mich: auf keinem anderen ihrer Alben stehen weniger) die meisten Lieblingssongs, allen voran "Only Entertainment": sowohl textlich als auch musikalisch vielleicht das Beste, was die Band jemals geschrieben hat. Es gab über Jahre, ach was: Jahrzehnte kein Mixtape, auf dem sich nicht irgendwo "Only Entertainment" tummeln sollte. Auf der Bad Religion-Nerdseite thebrpages.net findet sich folgende (mögliche) Interpretation des Texts, die mir sehr passend zu sein scheint:

Forms of media that inform us of worldly events such as 'The News', newspapers and now the electronic form of news; 'e-papers' are what this song is based upon. The organizations that produce these forms of media pick and choose what they feel is what people want to see. They create a window of our world where we see what they want us to see. Thus, this is not reality but only what the media chooses to show, that will draw the most ratings and therefore make them the most income. Two important lines that show this are 'a medium upon which you build reality' and 'they've planted the seed, that sprouts into your picture of the world.' Furthermore, this 'news' we see everyday becomes less about the real world and the important issues at hand but more of a form of entertainment. This is why people are intrigued to see the pain and suffering of third world countries or the deaths of war then to actually be educated on the causes of this pain and suffering or war. Another important point made in this song is seen in the line 'they control two worlds, power and disease, and you cannot suppress your curiosity.' This line shows that it is only power (major corporations, US government, war updates) and disease (hunger, famine, outbreaks of disease) that the media portray of our world as thus control what we can see and interpret of that specific situation, but this is what we are curious to see because all this is only entertainment."

Und wo wir gerade bei Lieblingssongs sind: mit "Fertile Crescent" steht mein liebster "vergessener/untergegangener/unterbewerteter" Bad Religion Song ebenfalls auf "Generator", neben "Chimaera" der einzige Track des Albums, der tatsächlich noch nie live gespielt wurde. Und was ich beim leicht verschnarcht wirkenden "Chimaera" noch so ein kleines bisschen verstehen kann, ist das vermutlich unter den Eindrücken des zweiten Golfkriegs von Papa Bush entstandene "Fertile Crescent" mit seiner genialen Gitarren-Hookline und klassischem Drive eine echte Sternstunde, die es endlich einmal auf die Bühne schaffen sollte. 

Und sonst? Nur Hits. Übermenschliche Hits. Es lohnt nicht, die Songs alle aufzählen, das ist im Prinzip eh alles 11/10. Aber hier, komm  einer noch: "Heaven Is Falling", ebenfalls aus Gurewitz' spitzer Feder, hat diesen Kniff, unter das Highspeed-Getrümmer dieses feine, akzentuierte Riff zu schummeln, mit all seiner offenen Dissonanz und funkelnden Zwischen-, Ober- und Untertönen. Und wenn man es erkannt hat, schreit man hysterisch. Vor Freude. Und Pardon, aber: das kann so kein anderer. 

Und all das kann auch keine andere Band. Selbst wenn ich in den letzten Einträgen manches Mal den Eindruck erweckt haben könnte, nicht so irre glücklich mit dieser "Worst To Best"-Serie zu sein, 's is' ja eh alles Koketterie und Drama, Chérie! - Dieser (unendlich lange und sich unfassbar ziehende) Streifzug durch ihre Diskografie war ganz entgegen früherer Einlassungen äußerst gewinnbringend. Wie bei jeder besonderen Serie über ganz besondere Bands auf diesem Blog, wie damals bei King's X, Warrior Soul, Skyclad oder auch Tribe After Tribe, schließe ich nach der detaillierten Auseinandersetzung und innigen Umarmung das Kapitel jedes Mal mit der Gewissheit, diese eine spezielle Saite angeschlagen zu haben, die mein Herz zunächst vibrieren und erzittern und anschließend schmelzen lässt. Ich bin hinterher immer schlauer und auch irgendwie noch verliebter als vorher. 

Mehr kann ich ich mir nicht wünschen. 

"They're one of the best. They're still one of the best." (Noel Gallagher, Zitat ähnlich)


 


Erschienen auf Epitaph, 1992.

29.02.2020

Warrior Soul - Live In London 2000




Endlich! Endlich, endlich, endlich! FUCKING ENDLICH!

Ich frage mich seit 20 Jahren, warum von der sagenumwobenen Reunionshow der besten Rockband des Planeten im herbstlichen London des Jahres 2000 bislang weder etwas zu sehen, noch zu hören war. Die Antwort auf diese Frage bleibt auch die heutige Entdeckung schuldig, aber immerhin ist hiermit nun die bild- und tonlose Zeit endlich vorüber.

Bereits im April des vergangenen Jahres erbarmte sich Gerry Gillan und lud die komplette Show auf Youtube hoch: Warrior Soul - Live In London.

Etwa zwei Monate nach diesem Gig veröffentlichte die Band das "Classics"-Album, eine Zusammenstellung ihrer größten Hits (in weiten Teilen sogar neu eingespielt) und wären diese vier Bekloppten jemals halbwegs bei Trost gewesen, hätten wir vielleicht sogar ein neues Studioalbum in der Originalbesetzung hören dürfen - aber es kam, wie es wohl kommen musste, und die Band, in dieser Besetzung traditionell ein einziges Pulverfass, brach erneut auseinander. Dieses Mal für immer: Schlagzeuger Mark Evans wurde 2005 in England ermordet. Mit ihm wurde auch das Original-Lineup begraben. 

Dieses Video ist pures Gold, ein heiliger Gral für die mittlerweile äußerst überschaubare Fangemeinde. 

Und wer nochmal nachlesen möchte, was ich vor über acht Jahren (fucking hell!) über Warrior Soul zu denken, sagen und schreiben hatte, nimmt sich einen halben Tag frei und macht schon mal die Hose auf:







10.06.2018

Tout Nouveau Tout Beau (20)




SUBMOTION ORCHESTRA - KITES

Das Septett des Submotion Orchestras fliegt schon eine ganze Weile auf meinem Radar umher, aber außer einem Track-Download aus ihrem Album "Color Theory" aus dem Jahr 2016 fand bislang nichts aus ihrem Oevre den Weg in die Sammlung. Dabei ist ihre Musik im Prinzip wie gemacht für mich: großartige Stimmen, die sich auf einem Bett aus organischer Elektronik, Jazz, Trip Hop und Downtempo entfalten können wie die Rose von Jericho beim Wasserkontakt, Tiefgang, Emotionalität - what's not to like? Das gilt freilich in erster Linie für lauschiges Klönen auf der Sommerterrasse oder für den einsamen Winterabend unter dem Kopfhörer, will sagen: für die Einkehr, die Introspektion, die Melancholie, die Theatralik. Clubabende bei Biermixgetränk und dem Willen zur größten Party der Welt dürften mit "Kites" nicht so supergut laufen. Andererseits: aus dem Alter bin ich ja eh raus, manch einer wird sagen, ich war nie drin. Ich bin eher der Typ, der sich um halb elf am Abend mit einem starken Kaffee auf die Terrasse setzt und die Gedanken an der langen Leine ins Gebüsch pinkeln lässt.

Ein Wort der Warnung für Anhänger von Vinyl: die LP-Version ist zwar für heutige Verhältnisse relativ günstig in der Anschaffung, aber dann wegen einer nicht optimalen Pressung (Schleifgeräusche und Pops), die auch nach einer eindringlichen und mit allerlei verbalen Schmähungen durchgeführten Plattenwäsche mit einer Okki Nokki nicht signifikant besser wird und einer Nullaufmachung (dünne Pappe, schäbiges Standardinlay, keine Credits, keine Texte, keine Fotos) leider doch sehr enttäuschend.










ANGOPHORA - SCENES

Kann sich noch jemand an das großartige Debutalbum von Tornado Wallace aus dem letzten Jahr erinnern? Ich schrieb zu "Lonely Planet" zu Jahresbeginn:"Knappe 40 Minuten pure Schönheit, Eleganz und Lushness: "Lonely Planet" ist ein mystisch-vernebelter Soundtrack für die Entdeckungsreise auf einer unbewohnten und halb versunkenen Insel im Indischen Ozean". Der Ansatz vom ebenfalls aus Australien stammenden Produzentenduo Angophora ist sehr ähnlich, aber weniger opulent als jener von Lewis Day, der für sein Debut das volle Stil- und Ästhetikregister der 1980er Jahre zieht und es sogar schaffte, Erinnerungen an die immer noch unerträglichen Dire Straits zu wecken. Angophora sind etwas weniger verspielt und stattdessen kühler unterwegs, lassen mich aber immer noch um die volle Breitseite Schulterpolster und rosa Neonröhrenlicht betteln. Und die bekomme ich auch. "Scenes" ist naturverbunden, schwül, deep. Der Soundtrack zum Ficken im Urwald.

Sehr gute Pressung, sehr guter Sound, schönes Artwork - Abzüge gibt es aufgrund der sehr dürren Ausstattung (weißes Standardinlay, sonst nichts) nur in der B-Note. On the bright side: "Scenes" ist schön günstig.









WARRIOR SOUL - BACK ON THE LASH (AMERICAN IDOL)

Ich habe auf diesem Blog ungefähr 8 Millionen Mal über eine meiner erklärten Lieblingsbands sowie einen meiner erklärten Lieblingssänger und -texter, Warrior Soul und Kory Clarke, geschrieben - und ich habe es mir angesichts der im letzten Winter veröffentlichten neuen Platte "Back On The Lash" verkneifen können, den vorangegangenen acht Millionen Artikeln einen weiteren folgen zu lassen. Mit Verrissen habe ich es nach wie vor nicht so richtig dicke, und das schreibe ich in voller Anerkennung des Verrisses zum Album "Stiff Middle Finger" aus dem Jahr 2012, aber manchmal geht es einfach nicht anders. Für "Back on The Lash" war eigentlich nichts dergleichen vorgesehen, schließlich kann bereits ein zweiminütiges Testhören eine genügende Auskunft darüber geben, ob Kory nochmal die Kurve bekommen hat. Und weil er es ganz offensichtlich nicht geschafft hat, blieb es also bei ebenjenen zwei Minuten. Das war eigentlich alles, was über diese Platte geschrieben werden muss.

Nun hat mir Livewire/Cargo allerdings eine Karotte in Form einer Vinylversion vor die Nase gehängt und die auch noch mit allerlei bells & whistles aufgehübscht: ein alternatives Coverartwork mit dem neuen US-amerikanischen Superhelden "Orange Sphincter", ein neuer Titel, goldenes Vinyl, limitierte Auflage von 500 Stück. Und so wurden aus den 2 Minuten Testhören gleich zwei Komplettumdrehungen auf dem Plattenteller. Mein Eindruck hat sich trotz der etwas eingehenderen Beschäftigung nicht signifikant geändert: Clarke's Mojo ist nach dem immer noch großartigen "Chinese Democracy/Destroy The War Machine" ziemlich von der Bahn gerutscht: Die Backing Band hat nur noch Kreisliganiveau, was für einen alten Fan vor allem live ganz besonders hart werden kann, der Sound ist uncool unfertig (es gibt auch cool unfertig, aber das passt hier nicht), die Musik lässt jeden Hauch von Tiefgang auf dem Trockendock und die Texte sind selbst für US-Amerikanische Die Hard-Fans nur durch aktive Ignoranz aushaltbar. Die Herzallerliebste bezeichnet "American Idol" als "alkoholischen Assopunk" und die einzig vorstellbare Situation, dieser Platte doch noch mit geraisten Fists'n'Pimmels zu begegnen, wäre folgerichtig ein Alkoholpegel von mindestens 2 Promille - da ich mittlerweile und mangels Übung schon nach zwei Gläsern Gin Tonic die weiße Flagge schwenken muss: not going to happen. Es bleibt in erster Linie: Ratlosigkeit.

Pressung und Ausstattung dieser Vinylausgabe sind allerdings top.




25.09.2016

Sounds Like Shit - Deja Vu




WARRIOR SOUL - DESTROY THE WAR MACHINE 
(Vinyl Edition)


Was sich auf den ersten Blick wie ein Sympton einsetzender Demenz von Herrn Dreikommaviernull liest, "zumindestens" (Bruno Labbadia) für diejenigen Leserinnen und Leser, denen dieses Schicksal bislang erspart blieb, ist auf den zweiten Blick gar keine schnöde Wiederholung alter Fanboy-Herrlichkeit, sondern viel eher ein kurzes, vor Enttäuschungen warnendes Signalfeuer aus allen schreiberischen Rohren des Autors. Naja, aus fast allen.

Dass "Destroy The War Machine" (oder "Chinese Democracy", wie das Werk in der Originalversion hieß) ein extragutes, mächtig Drive und Seele versprühendes Warrior Soul Album war und ist, eingespielt von einer perfekten Rock'n'Roll Band und also der besten Begeitband, die Kory Clarke seit dem Ende jenes Line-Ups um sich versammelte, das die legendäre "Space Age Playboys" Platte einspielte, wissen wir hier alle - und wer es nicht weiß, soll nun um Himmels Willen nicht den Fehler machen, sich die auf 333 Stück limitierte und handnummerierte Version der Scheibe auf weißem Vinyl zu besorgen, die dieser Tage via der italienischen Wiederveröffentlichungsspezialisten Night Of The Vinyl Dead erscheint. Es sei denn, du hast einen ebenso monumentalen (sic!) Dachschaden wie ich und findest Gefallen an lediglich schön anzuschauenden Gimmicks. 




Denn außer sich an dem blütenweißen, von der jornalistischen Integrität einer Ilona Christen frisch durchgebimsten, hell funkelnden Vinyl zu erfreuen, bleibt hier von der ersten Begeisterung nicht mehr viel übrig - und ich rede dabei gar nicht in erster Linie von dem Fehldruck auf dem Inlay, auf dem die Texte von "Motor City" und "Don't Believe" gleich zwei Mal aufs Papier gezaubert wurden. 





Spätestens, wenn sich die Nadel ab der Plattenmitte jeder abspielbaren Seite unaufhörlich in Richtung Auslaufrille bewegt und von dem vollen, satten voluminösen Sound der Originalversion nur noch ein scheppernder, kratzender, verzerrter und übersteuert klingender Klangscheißdreck übrig bleibt, der sich also aus den Lautsprechern in Gehör, Gehirn und Geherz fräst, macht sich Enttäuschung breit.

Immerhin eine solch große Enttäuschung, dass ich entgegen meiner sonstigen Gepflogenheiten via Twitter mit den Machern des Labels Kontakt aufnahm, um zu fragen, ob das denn eine offizielle Night Of The Vinyl Dead-Version sei. Vielleicht hat auch ein...sagen wir...ein Eichhörnchen in einem Hinterhof die Platten auf zwei plattgdrückten und vom letzten Winterschlaf noch gehorteten Walnussschalen gepresst und illegal den Namen des eigentlich durchaus renommierten italienischen Labels aufs Cover gestempelt, weiß man's denn? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten - das sei alles 100% authentisch und von Warrior Soul-Chef Kory Clarke höchstpersönlich abgesegnet; was wie auf Kommando nach ein paar Tagen sogar via eines in die Twitterspähre hinaustrompeteten Fotos gezeigt wurde, auf dem Clarke, wahrscheinlich direkt nach dem Aussaufen eines Fasses von Gerhard Polts "Schwedischen Kaffee" abgelichtet, zusammen mit den beiden Labelchefs und einem Exemplar von "Destroy The War Machine" zu sehen ist. 




Eine Nachfrage beim Mailorder meines Vertrauens ergab, dass ich nicht der erste sei, der sich über die Pressqualität beschwert, Zitat:"Da hat der Cutter wohl total versagt."

Das hat er wohl.

Dabei ist "Destroy The War Machine" in Sachen unterirdischer Klang- und Pressqualität natürlich nicht alleine - vor allem die zur Plattenmitte zunehmende Verzerrung erlebe ich in schätzungsweise drei von zehn Fällen und ausschließlich bei Neuware, mal mehr, mal weniger schlimm. Freund Jens beklagt sich beispielsweise in erster Linie über die steigende Anzahl von Scheiben mit signifikantem Höhenschlag - und das auch nicht erst seit gestern. Dazu kommen klassische Pressfehler wie das unangenehme und so gar nicht charmante und "warme" Knistern. Der Vinylhype bringt also nicht nur Gutes wie schön gemachte und super klingende Schallplatten an die Oberfläche, er zeigt auch, wie Presswerke funktionieren (müssen), um der immer noch steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Die alten Könner, die Gurus des Schnitts und der Galvanisierung, die Mitte der 1980er Jahre auch mal dreißig Minuten pro Seite auf fast schon durchsichtiges Butterbrotvinyl knisterfrei zum Strahlen und Klingen brachten, sind in Rente, die jungen Nachfolger sind vielleicht noch nicht soweit, stehen dazu unter ständigem Stress - und verkacken es immer öfter. Warum die Anzahl der Rückläufer nicht bedeutend höher ist, beantworte ich im Prinzip in diesem Text an anderer Stelle, und es ist kein schmeichelhaftes Urteil mir gegenüber: ich bin eben zu doof. Anstatt den Krempel mit geharnischten Worten und einem geknödelten "Retuuuurn To Sendeeeer" auf den Lippen zurückzuschicken, freue ich mir trotzdem einen Ast, dass ich jetzt dieses weitgehend unhörbare Ding im Schrank stehen habe. Verrückterweise werde ich es auch künftig immer wieder mal auflegen, und wahrscheinlich immer noch öfter als die CD-Version. Ich bin eben einfach zu doof. 

Für die anderen kann ich im Prinzip nicht sprechen - aber der Grapevine bestätigt zumindest in Teilen meine Vermutung: die meisten Platten werden wohl einfach gar nicht gehört. Die Leute kaufen sich den Krempel als Gimmick, Wertanlange oder was auch immer, gehört wird aber gefälligst bequem über AldiLife (das gibt's ja tatsächlich?!) - mobil, Sound eh scheißegal, weil es die 400 Euro Kopfhörer ja wieder rausreißen - Stichwort Dachschaden, Einsendeschluss: der Tag, an dem Dein Lieblingsplattenladen schließt. Jedenfalls: die Preise steigen, die Qualität nimmt ab, das Exklusivitätsgewichse nimmt zu. Und die Ignoranz gleichermaßen. Was Night Of The Vinyl Dead mir zur Pressqualität von "Destroy The War Machine" sagten? 


Schade isses schon. 

Erschienen auf Night Of The Vinyl Dead, 2016.


17.09.2016

Tout Nouveau Tout Beau (18) - Schwanzrock Revisited



CYCLE SLUTS FROM HELL - CYCLE SLUTS FROM HELL


Die Cycle Sluts From Hell aus New York erhielten zu Beginn der neunziger Jahre sogar über die Grenzen ihrer Heimatstadt New York hinaus eine gewisse Aufmerksamkeit. Zum einen ging man mit Motörhead auf große Europatournee, zum anderen schloss sich der frisch bei Overkill ausgestiegene Bobby Gustafson der Frauenband an. Und weil die Cycle Sluts durch unzählige Konzerte im Großraum New York sich bereits ein großes Following erspielt hatten, wurde mit der Epic gar ein Majorlabel auf die Truppe aufmerksam - was nebenbei die Videosingle "I Wish You Were A Beer" mit entsprechender Heavy Rotation auf MTV zum kleinen Gassenhauer machte. Vielleicht war die Band mit Künstlernamen wie Venus Penis Crusher und Honey 1%er und Texten wie im erwähnten "I Wish You Were A Beer" oder "By The Balls" die erste richtige feministische Metalband. Als Begleitmusiker spielten übrigens mit Scott Duboys und Chris Moffett zwei Typen bei den Cycle Sluts, die später Warrior Soul in deren "Space Age Playboys"-Phase am Schlagzeug und an der Gitarre unterstützen sollten. Musikalisch ist das leider einzige Album der Cycle Sluts From Hell eine solide, punkige, straighte und teils rotzige Heavy Metal Platte. Macht Bock.




Erschienen auf Epic Records, 1990.








DOKKEN - UNDER LOCK AND KEY


Für viele das kompletteste und beste Dokken-Album aus einer ganzen Reihe starker Werke aus den 1980er Jahren und tatsächlich: "Under Lock And Key" ist bestes Hardrockfutter und selbst heute ist das Songwriting, ignoriert man die dezente Staubschicht, die bei solcher Musik eben auch dann anfällt, wenn man den Plattenschrank täglich aussaugt und abstaubt, in Sachen Dynamik und Melodik immer noch state of the art und ganz bestimmt auf einer Stufe mit den besten Alben der Konkurrenten von damals. Dabei macht es Sinn, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dokken hatten alleine wegen des Spiels von Gitarrenheld George Lynch, ähnlich wie beispielsweise Mark Kendall bei Great White, einen bluesigeren Ansatz und waren ganz besonders exzellent darin, starke Hooklines mit einem relaxten Sonnenuntergansdrive zu verbinden. Dokken waren nicht überdreht wie Poison oder Mötley Crüe, die die zumindest am Beginn der Karriere fehlende musikalische Substanz mit allerlei Schabernack auf und abseits der Bühne kompensieren mussten. Die Kehrseite der Medaille ist in diesem Zusammenhang eine dezent wahrzunehmende Spießigkeit der Band, aber 31 Jahre später bleibt eigentlich nur die herausragende Qualität dieser Songs übrig. Und apropos Great White: deren Genie Michael Lardie war am Mix von "Under Lock And Key" beteiligt und es ist daher auch nur ein bisschen seltsam, dass "The Hunter" ziemlich exakt nach Great White klingt. 




Erschienen auf Elektra, 1985.







L.A. GUNS - L.A. GUNS



Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten - das Debutalbum der L.A. Guns ist eigentlich keine große Sache: ein knappes Dutzend drei- bis vierminütige Hardrocksongs von der Stange, guter Drive, leicht rebellisch angehaucht. Eine jener Platten, wie sie zur damaligen Zeit an den Bäumen wuchsen. Angesichts der heutigen Ödnis im klassischen Hardrock, der Peinlichkeit von Ganzkörpervollidioten wie Steel Panther, Airbourne oder fucking Volbeat, erscheint "L.A. Guns" indes als beinahe lebensnotwendiges Gegengift. Dabei hatten die Jungs damals auch nicht mehr alle Latten am Zaun (und damit waren sie ganz sicher nicht alleine), bei Texten wie "Sex Action" windet sich der halbwegs mit wachem Geist ausgestattete Mensch gar vor schlimmen Schmerzen, trotzdem hat das alles viel mehr Charme als der heutige - Pardon! - Scheißdreck, und mit dreißig Jahren Abstand außerdem ein angemessenes Augenzwinkern. Ich hatte die Truppe um Tracii Guns schon im letzten Jahr wegen ihres "Hollywood Vampires" Albums in höchsten Tönen gelobt und bin versucht, es für das Debut schon wieder zu tun. Ich laufe hier wirklich nicht vor Begeisterung die Wände hoch, aber mit ein paar Gläsern Gin Tonic lässt sich ein Sommerabend mit der Platte ganz prima bestreiten. Again: no small mercies these days.

Am Wegesrande: ich habe die US-amerikanische Pressung auf ziemlich dünnem Labbervinyl und die klingt immer noch drölf Mal besser als so mancher 180g Repress aus 2016. Ich wollt's nur mal gesagt haben.




Erschienen auf Vertigo, 1988.



18.10.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 2)




A well cultured vulture feathers his nest
It's a chalet near Aix-en-Provence
The Porche he drives has been paid for with lives


Sänger und Texter Walkyier, der seine Lyrics auf so vielen Ebenen mit Anspielungen, obskuren Verweisen und kunstvollen Wortakrobatiken vollstopfte, so dass sie für einen, der Englisch nicht als Muttersprache im Lebenslauf führt, kaum in Gänze und Wort für Wort zu verstehen sind, hatte als Handicap ein deutlich hörbares Lispeln in der Aussprache, das er später als Stilmittel einsetzte, war kaum 1,65m klein und pflegte vermutlich nicht nur auf der Bühne seine Aura des Underdogs mit einiger Sturheit. Es war eben immer die große, böse Welt gegen den armen, kleinen Martin, aber als Backfisch, der zu spät zu seiner eigenen Pubertät gekommen ist, war ich empfänglich für die sich zeitweise aus der Deckung trauende Opferrhetorik - immerhin war sie schlau, geistreich und mit Humor vorgetragen, und ich hatte außerdem keinen Funken eines Zweifels an Walkyiers Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit. Die komplette Band war darüber hinaus fast schon schmerzhaft sympathisch und mischte sich nach ihren Auftritten regelmäßig unter die Besucher, hing an der Bar oder am Merchandise-Stand ab und plauderte mit den Fans. Herausragend natürlich Geigerin Georgina Biddle, die für die 1995er Platte "The Silent Whales Of Lunar Sea" zur Band stieß und deren Badewasser der oben genannte Backfisch aus Frankfurt ohne mit dem Herpesbläschen zu zucken glatt mit einem Strohhalm ausgetrunken hätte: eine humorvolle, intelligente, charmante Frau, die mit ihrer unter das Kinn geklemmten Geige und der Frisur von Tingeltangel Bob wie ein Derwisch über die Bühen tobte und dabei die schnellsten Läufe und wildesten Breaks mit links und mit einem großen Grinsen im Gesicht spielte.

Dass Skyclad nie der Durchbruch gelingen sollte, war im Prinzip von Anfang an klar, auch wenn sie mit ihrem Klassiker "Irrational Anthems" aus dem Jahr 1996 zumindest in Deutschland und vor allem in Griechenland zu einer etwas größeren Nummer wurden: mit derlei zu gleichen Teilen angriffslustigen und frustrierten Texten, die bei aller ebenfalls durchscheinenden Selbstironie immer mit dem Finger auf die zeigten, die es aus der Sicht Walkyiers für alle anderen und ihn selbst ruinierten, war kein Mainstream-Staat zu machen. Kory Clarke von Warrior Soul kann darüber auch das ein oder andere Liedchen singen. Es gehört allerdings zur Grundausstattung Walkyiers, dass er es erstens immer weiter versuchte und zweitens nicht müde wurde, das Musikbusiness als Grundübel dieser Welt zu bezeichnen - dass Noise-Labelchef Karl-Uwe Walterbach den kleinen Mann auf Platz 4 seiner "Die schwierigsten Musiker, mit denen ich je zusammenarbeitete"-Liste führt und mit dem Zusatz "Heulsuse" versieht, ist sicher nicht der Tatsache geschuldet, dass Walkyier immer so ein umgänglicher und einsichtiger Typ war.

"You better ask Andy Sneap (ex-Sabbat Gitarrist) here and he knows best what was wrong with Martin. The break-up of the very talented Sabbat with Andy Sneap as songwriter had to do with this unreliable character Martin Walkyier. And it continued later with Skyclad. I'm not a Psychiatrist, I can't explain mad people and their bizarre stories you journalists produce a forum for." (Walterbach)

Aber das sieht der Backfisch a.D. eben mit einer Verspätung von fast 20 Jahren so. Man wächst mental doch noch so ein kleines bisschen, wenn sich das Hirnklima von den allzu schlimmen Hormonverwüstungen erholt.

I'm so tired of living -
Too weary to cry,
Too stubborn to give in -
Curl up and die.
This whole situation has I must confess,
All the tell-tale signs of another fine mess.
(aus "Another Fine Mess", 1995)






....to be continued....

16.12.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government - VIII



Nachdem das klassische Warrior Soul Lineup nach der Veröffentlichung von "Classics" zum zweiten Mal auseinanderbrach, war das erste Lebenszeichen von Stehaufmännchen Kory Clarke sein obskures, drogenvernebeltes "Opium Hotel"-Album aus dem Jahr 2003, das ich an anderer Stelle dieses Blogs schonmal mehr oder minder ausführlich vorstellte. Zwei Jahre später schloss er sich den Redneckrockern von Dirty Rig an, hatte große Pläne, nahm ein unterdurchschnittliches Album mit ihnen auf - und verschwand wieder. Mit dem mittlerweile verstorbenen Bassisten Paul Raven (Killing Joke, Prong), Mark Gemini Thwaite und Nick Lucero arbeitete er 2007 an der Projektband Mob Research, deren Platte "Holy City Zoo" wie ein vergessenes Industrialrelikt aus den neunziger Jahren klingt. 2008 ersetzte er überraschenderweise Sänger Eric Wagener bei den Christendoomern von Trouble und nahm vier Jahre später mit einer geradewegs herausgekotzten Hasstirade gegen die (danach definitiv) ehemaligen Bandkollegen wieder seinen Hut. Die Liste erscheint endlos. Und das hier Aufgeführte ist nur eine Auswahl.

Nun könnte man angesichts der überwiegend kurzlebigen übrigen Engagements Clarkes rückblickend ja durchaus auf den Gedanken kommen, dass mit dem Mann nicht gut Kirschen essen ist, was ich übrigens ohne mit der Wimper zu zucken unterschreibe: Drogen und Alkohol, gemischt mit Verbitterung, Egozentrik, einem Hauch Größenwahn und den offensichtlich unüberwindbaren Drang, sein Gesicht mit Karacho in jede sich irgendwo herumtreibende Faust laufen zu lassen, um danach einen Song darüber schreiben zu können, üben auch auf mich keine überragende Anziehungskraft aus. Und um das zu wissen, muss ich mir mit Kory keine Wohnung und keinen Bandbus teilen. Bei aller völlig zweifelsfrei nachweisbarer Vollverblendung meinerseits, habe ich dennoch von Zeit zu Zeit die Differenzierungsbrille auf. Nicht dass mir noch jemand mangelnde Professionalität vorwirft. Das wäre ja wirklich...schlimm.

Was ich eigentlich sagen wollte: ein bisschen ernst wurde es für Warrior Soul Fans um das Jahr 2006/2007 herum. Clarke remasterte die ersten fünf Soul-Alben und warf sie mit einer Handvoll Livebonustracks, allesamt wie bestellt in unterirdischer Soundqualität, auf den Markt. In meinem Interview (von dem ich übrigens dachte, ich könnte es hier als Gimmick nochmal posten, aber ich bekam Schüttelfrost beim Lesen, also lass ich das schön bleiben, sonst wirft man mir noch Professionalität vor und das wäre ja wirklich...furchtbar) erzählte Kory davon, wie er Anfang 2002 Warrior Soul wieder zusammenbringen wollte, disste wegen des Scheiterns nochmal seinen alten Buddy Johnny Ricco ("And he fucked it up. Und weißt du auch warum? Weil er ein Idiot ist!" - Soll ich das wirklich schreiben, Kory? -"Natürlich! Natürlich sollst Du das schreiben!") und ein halbes Jahr nach unserem Telefonat war es dann soweit: Kory Clarke hat Warrior Soul reformiert. Mit irgendwelchen Schweden. Oder Portugiesen. Oder Schotten. Oder Fozzy Bär. Damit waren bei mir die, haha, Schotten dicht: der holt doch bitte Pete und Ricco zurück und sucht sich einen geilen Drummer, aber er macht doch nicht so eine halbsteife und peinliche Warrior Soul Coverband auf?! Nicht mit mir.



WARRIOR SOUL - LIVE IN ENGLAND

Die Liveplatte "Live In England" bestätigte zunächst all meine Befüchtungen, auch wenn ich fairerweise sagen muss, dass meine Erwartungen natürlich strunzdoof überzogen und völlig realitätsfern waren. Ich war auf diese Inkarnation der Lieblingsband einfach nicht mal im Ansatz vorbereitet. Nicht nur, dass Clarke stimmlich mittlerweile wie ein grippegeschwächter Motörhead-Lemmy klang, was insbesondere die schwierig zu singenden "Space Age Playboys" songs zum mittelschweren Debakel werden ließ, auch die Begleitband reichte zu keinem Zeitpunkt an die Qualitäten des klassischen Lineups heran. Darüberhinaus war der Sound zu gleichen Teilen verwaschen und staubtrocken, womit es einfach überhaupt keinen Spaß machte, sich das alles anzuhören. Zum Schönhören hat's auch nicht gereicht. Zu was es allerdings taugte: Warrior Soul waren zunächst mal wieder zurück. Ich hatte das Signal verstanden - ob ich das allerdings wirklich wollte, stand und steht auf einem anderen Blatt.





WARRIOR SOUL - DESTROY THE WAR MACHINE

Mit der semiguten Livescheibe im Hinterkopf (nicht wörtlich nehmen, bitte) konnte die Ankündigung über ein neues Studioalbum nicht allzu viel Eindruck bei mir hinterlassen. Trotzdem: ich kann aus meiner Fan-Haut nicht heraus, also musste ich das Album in der ursprünglichen "Chinese Democracy"-Version natürlich vorab und direkt bei der Band bestellen. Ich sollte es nicht bereuen. "Destroy The War Machine" ist ein durch und durch echtes Warrior Soul Album, und es ist ein großartiges noch dazu. Wütend protestierende Punkmonster mit unerhörtem Drive wie "Fuck The Pigs", "Motor City" und das überragende "(Bad News) Rock'n'Roll Boyfriend" stehen neben an alte Klassiker erinnernde, mit leicht psychedelischer Note gewürzten Atmosphärentracks "The Fourth Reich" und "Never Believe". Qualitativ ist das bis auf die beiden guten, aber etwas banalen Rocker "Burning Bridges" und "She's Glaswegian", auch Dank des drückenden, lauten und breitbeinigen Schnauzbartsounds, auf überraschend hohem Niveau. "Destroy The War Machine" reiht sich formvollendet in die frühen Alben der Band ein und ich bin insgeheim selbst heute noch baff, wie sie das hinbekommen haben.

(HIER geht's übrigens zum damaligen Post über das Album)



WARRIOR SOUL - STIFF MIDDLE FINGER

Der Fluch eines guten Albums: der Nachfolger wird daran gemessen und die Erwartungen wachsen in fast unerreichbare Höhen. Ich habe "Stiff Middle Finger" vor wenigen Wochen, und das passiert hier sehr selten, ziemlich verrissen, und ich kann nicht sagen, dass ich meinen damaligen Worten etwas hinzufügen kann. Selbst mit der allerallerrosafarbensten Fanbrille bleibt das Album in der allerallerpositivsten Betrachtung weit unter Durchschnitt - und von den Erwartungen wollen wir gar nicht reden. Dabei ist "Stiff Middle Finger" exakt die Platte, die ich eigentlich an Stelle von "Destroy The War Machine" vermutet hatte: ein Abziehbild der alten, eigenen Größe und erstmals mit dem bitteren Beigeschmack, dass hier einer die Kurve nicht mehr bekommen hat. So wie das eben bei neun von zehn Reunions läuft.

Und damit schließt sich dann doch wieder der Kreis zum Eingangsposting dieser Warrior Soul-Reihe: Reunions können mich mal. Ausnahmen bestätigen, wie immer, nur die Regel.



Und jetzt bereiten wir uns alle mal schön auf das alljährliche Ritual der Jahresbestenliste vor. Es gibt noch ein bisschen was zu tun.

Wir lesen uns.

13.12.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government - VII



WARRIOR SOUL - CLASSICS


"Die Frage, ob ein einmal gefasster, prinzipieller Beschluss, in jeder konkreten Situation eingehalten werden kann, muss differenziert betrachtet werden."(Gerhard Schröder)

Ich habe sicherlich schon hunderte, ach was: tausende Male, wenn nicht gar vier Mal auf diesem Blog erwähnt, das mir Reunions ziemlich grundlegend schön den Schuh aufblasen können, aber manchmal mach' ich Euch auch gerne den Schröder und sage "Es geht um Arbeitsplätze!", beziehungsweise "Ja scheißrein, warum eigentlich nicht?". Gute vier Jahre hatte ich mich von der Annahme ärgern lassen, ich käme niemals auf ein Warrior Soul Konzert und könnte also niemals diese meine Lieblingssongs live hören. Niemals meinen Helden in Lebensgröße sehen. Und plötzlich schreibt Ende 1999 einer "Warrior Soul! Reunion!" ins noch fast finstere Internet. Es war wie im Märchen.

"Classics" ist eine seltsame, wenn auch immerhin passend betitelte Platte. Ich mag sie und sie ist mir wichtig, weil ich spätestens hier der Band zuliebe selbst von der Aussichtsplattform eines Wolkenkratzers oder wenigstens einer Gartenlaube gehopst wäre - tatsächlich ist sie sogar dafür verantwortlich, dass ich endlich "Chill Pill" verstand. Als ich "Classics" tage-, wochen- und monatelang aufsaugte, war alles Euphorie: ich konnte kurz zuvor alte Fesseln sprengen, ich war frisch in meine Seelenverwandte verliebt, ich hatte meine erste eigene Wohnung und ich lebte, genau: von in Butter geschwenkten Nudeln, Reibekäse, Instant-Eistee und der ein oder anderen lustigen Schokotorte. An dieser Stelle Glückwunsch für den "Das habe ich doch schonmal irgendwo gelesen?!"-Gedanken, der sich gerade hinter Deiner Stirn auf den weiten Weg in Deine Augenbrauen begibt. Ich war derart außer Rand und Band, dass ich die vor meiner Wohnung herumfrömmelnde Fronleichnamsprozession mit der Warrior Soul Hymne "Let's Get Wasted", aus dem Fenster gehaltenen Lautsprechern und einem Lautstärkepegel von circa 8,3 Millionen störte, und das damals für eine total gute Idee hielt. Ehrlich gesagt halte ich es selbst heute noch für eine total gute Idee. Und wenn kein Geld aufzutreiben war, und Geld war praktisch nie aufzutreiben, durchwühlte ich die Hosen und Jacken nach vergessenen Reichtümern, und wenn ich tatsächlich mal einen 10 Mark-Schein fand, kaufte ich davon nicht etwa behutsam und bedacht beim Billig-Lidl die notwendigsten Lebensmittel und vielleicht eine Rolle Klopapier ein, nein, ich flanierte wie Graf Koks über die Straße und kaufte für 9 Euro eine Jumbopizza mit Safran oder Spinat oder Saumagen drauf. Heute lacht man drüber, aber das schönste ist: damals habe ich auch schon gelacht. Und jetzt bin ich "abgeschwiffen" (Priol).

Die Band hatte sich also im Original-Lineup Clarke, Ricco, McClanahan und Evans wieder zusammengerauft und auch wenn man schon beim ersten Gedanken an diese Konstellation den Glauben hätte aufgeben können, wenn nicht müssen, dass dieser Irrsinn von vier Irrsinnigen auf keinen Fall gutgehen kann, und lange schon gleich gar nicht, hatte "Classics" eine Handvoll Argumente zum Aufhorchen anzubieten. Die Band packte keine Sammlung der bekannten Großtaten ihrer alten Platten zusammen, sondern spielte die bekannten Großtaten ihrer alten Platten nochmal komplett neu ein. Nahezu originalgetreu hinsichtlich der Arrangements, aber im Klang natürlich schwer auf die dicke Hose setzend. Oder das, was im Jahr 2000 und mit einem Kindergeburtstagsbudget eben die dicke Hose war. Kämpfte man damals eigentlich schon den "Loudness War"? "Classics" ist der Beweis: Ja. Tat man.

Jetzt könnte ich natürlich frohlocken und sagen "Oh super, endlich gibt's den ganzen alten Scheiß mit moderner und fetter Produktion!", ich könnte allerdings auch sagen, dass im direkten Vergleich mit den ersten vier Platten (warum's keine fünf sind, erkläre ich gleich) der Sound von "Classics" gnadenlos gegen die Wand rauscht. Das fällt einem nicht so stark bis überhaupt nicht auf, wenn das Pendant der Originalproduktion fehlt, aber im direkten Vergleich mit den Frühwerken klingt "Classics" blechern, hohl und dare I say it: dünn. Eine Spur größer wird das Problem allerdings im Zusammenspiel mit den Songs. Der Schwerpunkt der Titelauswahl liegt auf den punkigen, dreckigen, geradlinigen Rockern wie "Downtown", "The Wasteland", "Punk & Belligerent" oder "Superpower Dreamland" und dazu passt der rauhe und unprätentiöse Charme des Sounds durchaus. Geteilter Meinung darf man bei jenen Tracks sein, die im Original von ihrer Stimmung und Atmosphäre leben, von vernebelten, komplexen, ja beinahe klaustrosophischen Elementen, die die dargestellte Trostlosigkeit spielend leicht veranschaulichen. Es fällt einem wie Rosinen vom Hefeteigklumpen wie vielschichtig und mit welcherm Weitblick die alten Alben produziert wurden. "Song In Your Mind" und der Hidden Track "Blown" sind Beispiele, die verdeutlichen, wieviel hier abseits der Lautstärke auf der Strecke bleibt.

Des Weiteren beinhaltet "Classics" einen Umstand, der zu den großen Mysterien dieser Band gehört. Ich schrub weiter oben von den ersten vier Alben, nicht derer fünf - denn obwohl es Songs von "Space Age Playboys" zu hören gibt, blieben sie in der Originalfassung bestehen. Ich frage mich seit 12 Jahren, warum "The Drug", "Let's Get Wasted", "Rotten Soul" und "I Wanna Get Some" unangetastet blieben, und auch wenn es wirklich wichtigere Fragen gäbe - "Warum gibt's die SPD noch?" und "Heißt der Mann im Mond wirklich Karl Napp?": es macht mich kirre. Wollten Evans und Ricco sie nicht spielen? Konnten sie sie nicht spielen? Haben sie es versucht und es klang gar nicht mal so gut? Wollte Clarke nicht? Oder war man gar der Auffassung, dass sie mit dem "Classics" Sound nicht funktionieren würden? Ich hätte Clarke bei meinem Interview mit ihm im Jahr 2006 natürlich fragen können. Aber hey! Viel zu einfach.

Ein knappes Jahr später waren Warrior Soul zum zweiten Mal Geschichte. Nach einem vielumjubelten Gig im Londoner Astoria im Jahr 2000 und dem Release von "Classics" war es schon wieder vorbei. Für die nächsten sieben Jahre.

"The words and music will always be forward-thinking and the concepts modern and rebellious in their stance against hypocrisy and tyranny."(Kory Clarke)

Erschienen auf Dream Catcher, 2000.


09.12.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government - VI



WARRIOR SOUL - FUCKER

The band that fought America, fought the system... and ultimately lost.

Zusammenstellungen von Demos und Outtakes üben auf mich eine ähnlich große Faszination aus wie ein ausgiebiges Wellness-Bad im Klärschlammbecken von Lagos, und "unter strengen Maßstäben" (Wolfgang Schäuble) kann die Relevanz von "Fucker" mit drei hingerotzten Sätzen locker wegargumentiert werden - das funktioniert allerdings nur solange man sich mit den 17 (+ 2 Hidden Tracks) Stücken dieser Platte nicht auseinandergesetzt hat. Ich prognostiziere, dass selbst die größeren Skeptiker unter meinen Lesern nach dem Drücken der Wiedergabetaste nur schwerlich den Weg zu den ursprünglichen Ansichten wiederfinden können. Ja, "Fucker" (in den USA übrigens unter dem Titel "Odds And Ends" und mit anderem Artwork erschienen) liefert nur Demos und Outtakes aus unterschiedlichen Recordings-Sessions der Band, und ja, der Sound ist angesichts der rohen 8-, 16- und 24-Spur Aufnahmen zu keiner Sekunde einem offiziellen Warrior Soul Studioalbum auch nur im Ansatz ebenbürtig, aber - und natürlich musste an dieser Stelle ein "aber" kommen: es sind die immer noch und immer wieder fantastischen Songs, die mir bei jedem Hören die Kinnlade heruntersausen lassen.

Anhänger des "Space Age Playboys" Line-Ups dürfen sich beispielsweise über sechs "neue" Songs freuen und dabei zwei alte Bekannte entdecken: das hier vertretene "Punk Rock'n'Roll" wurde später zum Hit "Rotten Soul" und "5 Ways To The Gutter" transformierte sich zur späteren "I Wanna Get Some"-Single. "My Sky" und "Makin' It Holy" klingen nicht nur verdächtig nach den sagenumwobenen "Chill Pill"-Sessions - von Clarke mit den Worten "our most enjoyable sessions ever and some of the band's brightest moments" geadelt - sie wurden tatsächlich zu jener Zeit, also im Januar und Februar 1993 geschrieben . Besonders "Makin' It Holy" ist ein absolutes Highlight der Bandkarriere. Diese Atmosphäre, großer Gott. Außerdem anbetungswürdig: die heruntergedimmte Akustiknummer "American", die umwerfende Halbballade "Kiss Me" (könnte das Rennen gegen "The Fallen" und "The Golden Shore" für das 1992er "Salutations From The Ghetto Nation" verloren haben), das postpunkige "Raised On Riots" (vermutlich ursprünglich für "Drugs, God & The New Republic" geschrieben) und der verlorengegangene Titelsong des Debuts, der auf "Fucker" erstmalig veröffentlicht wurde, weil er laut Clarke nie so richtig auf ein Album gepasst hätte. Ich möchte andererseits nicht verschweigen, dass auch offensichtlich unfertiges und leicht orientierungsloses Material wie "Can't Fix A Broken Heart" oder "Come To Me" den Weg auf "Fucker" fanden. Und trotzdem: was wäre wohl aus diesen Songs geworden, wären sie  im Studio ausgearbeitet worden?

Wir werden es nicht mehr erfahren, denn an dieser Stelle war also das Kapitel Warrior Soul fürs Erste beendet. Kory Clarke sollte in den kommenden Jahren die durchwachsene Glamrock-Combo Space Age Playboys gründen, während sich die Wege von John Ricco, Mark Evans und Pete McClanahan schon einige Jahre früher trennten. Was aus den beiden Gitarristen und dem Drummer des letzten Warrior Soul Line-Ups wurde, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Gitarrist Alexander Arundel aka "X-Factor" soll sich angeblich in Nashville niedergelassen haben, aber er ist nach meinen Informationen musikalisch nicht mehr in Erscheinung getreten. Ich freue mich in diesem Fall allerdings über Belehrungen. Ich bin Fan. Bring it on.

Bis zum Jahr 2000 herrschte also Funkstille. Was dann passierte, lest ihr hier im nächsten Eintrag.

Erschienen auf Music For Nations, 1996.





P.S.: Schöner Youtube-Kommentar übrigens:
"Sounds like it was written yesterday. We should have listened. Oh, wait, I? did!!! Best band, all centuries"

03.12.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government - V



WARRIOR SOUL - SPACE AGE PLAYBOYS

Supershine For Ever.

Das vorerst letzte offizielle Warrior Soul Studioalbum "Space Age Playboys" holte dann im mehrfacher Hinsicht zum endgültigen Schlag des Wahnsinns aus. Nach dem Verlust des Geffen-Deals und dem Weggang von Drummer Mark Evans und Gitarrist Johnny Ricco, letzterer wurde von Clarke während der Songwritings-Sessions um ein Haar mit einer Gartenhacke gelyncht, bevor er Clarke mit einem Paar Nunchakus vermöbelte - die Jungs müssen damals verdammt viel Spaß gehabt haben - entschied sich Kory für eine komplette Frischzellenkur: Die Haare waren weg, der Wave-Einfluss wich weitgehend einem schnellen, schrillen Punkrock, das Cover war knallbunt. Die Band sah nicht nur äußerlich so aus, als sei sie in ein mit Amphetaminen gefülltes Schwimmbecken gesprungen, sie machte auch die passende Musik dazu und präsentierte einen völlig überdrehten, schnellen, hochmelodischen Acid Punk, übrigens eine von der Truppe selbst gewählte Bezeichnung. Das Gaspedal bis zum Boden durchgedrückt, hyperventilierten sich die Burschen durch 13 vertonte Ecstasy-Pillen, die mit zum Besten zählen, was in den Neunzigern das Licht der Welt erblickte. Einen nicht kleinen Anteil daran hatte Clarkes neue Begleitband: Originalbassist Pete McClanahan blieb an Bord (wenn auch nachwievor mit einer veritablen Heroinabhängigkeit kämpfend), neu hinzu kamen ex-Nuclear Assault Trommler Scott DuBois und mit Chris Moffet und X-Factor gleich zwei Gitarristen, die die satten Riffs mit ungeheurer Wucht in den Sound peitschten. 

Doch auch "Space Age Playboys" ging leider ziemlich unter und erreichte lediglich unter einer Handvoll Musikverrückter echten Kultstatus; es waren vor allem die britischen Anhänger, die mit der leichten Richtungsänderung die wenigsten Probleme haben sollten. Viele Warrior Soul-Fans der ersten Stunde wandten sich indes sogar von der Band ab, weil ihnen einerseits die politische Auseinandersetzung fehlte, die bislang auf jedem Soul-Album zu finden war und somit zu einem Aushängeschild der Band wurde, zudem bewerteten die damaligen Rockfans die abgeschnittenen Haare Clarkes bereits als Verrat am Metal und dem Vaterland oder an Rasierschaum aus der Dose - ich weiß es nicht. Metallica, übrigens selbst Warrior Soul-Fans, konnten immerhin über diese Sache einige Jahre später selbst ein Liedchen singen.

Aber zurück zum Wesentlichen: Clarke verließ mit "Space Age Playboys" mitnichten den politischen, rebellischen Weg der früheren Platten, im Gegenteil: nie war er aufmüpfiger als hier. Was sich sehr wohl veränderte war der Blickwinkel. Wo frühere Inhalte durchaus als schwarzmalerisch interpretierbar waren, als Underdog-Lyrik mit Opfertenor, zog Clarke den Regler ab 1994 auf totale Freiheit, totale Extase und totale Anarchie hoch. Warrior Soul waren auf "Space Age Playboys" entfesselte Freigeister, die die sozialen und politischen Missstände unserer Welt immer noch genau im Fokus hatten, ihnen aber nun mit unkontrolliertem Widerstand, mit Grenzenlosigkeit und mächtigem Freiheitsdrang gegenübertraten.

"Space Age Playboys" ist bis heute das rebellischste Manifest des Kory Clarke. Gefährlich, anarchistisch, grenzenauflösend und-verschiebend. 


Erschienen auf Music For Nations, 1994.




01.12.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government - IV



WARRIOR SOUL - CHILL PILL

Ha Ha Ha

Vorhang auf für die große "Chill Pill"-Farce. Nachdem der Streit mit Geffen nach dem Disaster des Vorgängers völlig eskalierte, wollten Warrior Soul lieber heute als morgen aus den Verträgen heraus. Geffen indes bestand auf Vertragserfüllung und schickte die Band mit einem (vertraglich festgelegten) hübschen Sümmchen als Vorschuss ins Studio. Warrior Soul lösten das "Problem" auf ihre Art: innerhalb von nur zwei Wochen rotzten sie zehn rohe, unproduzierte Songs gegen die Studiowand, steckten sich den Batzen Restkohle in die Bandtasche und finanzierten davon eine Europatournee.

Das Ergebnis schockierte nicht nur viele Fans, ich hätte auch gerne mal die Gesichter der Geffen Mitarbeiter bei der ersten Listening Session gesehen. "Chill Pill" ist abgefahren, sperrig, laut und nervenaufreibend, vielleicht das "In Utero" von Warrior Soul. So zerrissen und kaputt es sich präsentiert, enthält es dennoch einige der besten Songs, die diese Band je geschrieben hat. "Song In Your Mind", "Cargos Of Doom", "Shock 'Um Down", das zynische "HaHaHa" ("We enjoy kickin' heads / We enjoy knockin' ya dead / We enjoy everything honey / We enjoy takin' your money / We enjoy rockin' this city / We enjoy, we enjoy"), und die beiden Unglaublichkeiten "Concrete Frontiers" und "Soft" sind verkannte Meilensteine, die erst in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewannen. Was auch immer sich die Burschen während der Songwriting Sessions eingefahren haben: ich hätte gerne auch etwas davon, wenn's recht ist.

Unter den Fans war und ist "Chill Pill" ausgesprochen umstritten und ich kenne praktisch niemanden, der ein gutes Haar an dem Album lässt - andererseits kenne ich praktisch grundsätzlich niemanden, deswegen macht die These jetzt auch nicht so irrsinnig viel Sinn. Ich selbst habe einige Jahre benötigt, um "Chill Pill" ins Herz zu schließen, aber in leicht vernebelten und äußerst bewegenden Zeiten rund um das Jahr 2000 hatte ich trotzdem noch den ein oder anderen wachen Moment. Ich wohnte damals in einer Mietbutze im Frankfurter Stadtteil Rödelheim (lustige Kommentare bitte in 3...2...1...) und lebte von in Butter geschwenkten Nudeln, Reibekäse, Instant-Eistee und der ein oder anderen lustigen Schokotorte. An den Wänden hingen Bambusmatten (die waren eigentlich total super, aber meine Katzen fanden sie dummerweise auch nicht schlecht - und ihr denkt euch jetzt bitte euren Teil) und vier strategisch im Raum verteilte Lavalampen. Die Herzallerliebste und meine Wenigkeit hatten in einem, nennen wir es mal "kreativen Ausbruch" außerdem den Pinsel und die Spraydose geschwungen und allerhand Parolen wie "Make Love Not Woar[sic!]" an den Wänden verewigt und es dürfte spätestens jetzt niemanden mehr überraschen, dass ich eines Nachts, vermutlich nach der dritten Instant-Eistee-Pulle, in bester John Belushi-Manier der felsenfesten Überzeugung war, das Licht gesehen zu haben.



So habe ich also die "Chill Pill" geknackt und auch, wenn's sich jetzt wieder mal nach pathetischem Mist anhört, aber die Platte hat schon ordentlich an meinem Lebensrad gedreht.

Erschienen auf Geffen Records, 1993.




30.11.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government - III



WARRIOR SOUL - SALUTATIONS FROM THE GHETTO NATION

But when the times are hard, take a look, remember how much I love you.

Warrior Souls drittes Album "Salutations From The Ghetto Nation" war dann der bereits angedeutete große Wurf für die Band. Der Sound war ungemein fett, das Songwriting endgültig unschlagbar. "Salutations From The Ghetto Nation" ist von der ersten Sekunde des Openers "Love Destruction" bis zum überragenden Finale des Titelsongs ein kompaktes, psychedelisches Rockjuwel mit großartigem Drumming des mittlerweile leider verstorbenen Mark Evans und Kory Clarkes bester Gesangsleistung. Von hymnischen und rotzigen Punkrockkrachern ("Punk And Belligerent", "Ass-Kickin'") bis zu psychedelischen Megasongs wie dem unglaublichen "Shine Like It", oder den beiden Sternstunden "The Golden Shore" und "The Fallen" kommt man aus der Dauererektion gar nicht mehr heraus. Trotz eines Starmanagements (Q-Prime), das auch für Größen wie Rush und Metallica zuständig war, lief die Band in kommerzieller Hinsicht völlig gegen die Wand. 

Natürlich waren diese bösartigen Texte und ein irrer Rebell wie Clarke als Frontmann nicht einfach zu vermarkten und mehr als nur einmal wurde er seitens des Labels und des Managements aufgefordert, seine politischen Auseinandersetzungen ruhen zu lassen. Auch innerhalb der Band war seine Art nicht unumstritten. Immer häufiger kam es zu heftigen Streitereien, wenn Clarke auf der Bühne minutenlang "Fuck Bush"-Sprechchöre anstimmte und dafür vom Publikum mit allem beworfen wurde, was der Konzertsaal hergab. Dass er dies wie selbstverständlich im Vorprogramm der US-Stadionrocker Queensryche tat, die zu jenem Zeitpunkt gerade mit ihrem "Silent Lucidity"-Schmachtfetzen die Charts stürmten und die im Begriff waren, das im besten Fall unpolitische, im weniger guten Fall rechtskonservative Mainstreampublikum Nordamerikas zu knacken, zeigt, dass es Clarke immer egal war, welche Reaktionen er mit seinen Aktionen provozierte. Dieser immerwährende interne Konflikt zermürbte die Band über die Jahre immer mehr und man muss heute feststellen, dass sie letzlich daran zerbrach. 

Hinzu kam eine Plattenfirma, die das gigantische kommerzielle Potential von "Salutations From The Ghetto Nation" gänzlich ignorierte, oder angesichts der unberechenbaren, oftmals in Drogeneskapaden versackenden Band schlicht komplett überfordert war und deshalb spätestens zur Produktion zum nächsten Album auf offene Konfrontation ging. Nichtsdestotrotz: Die Frische und Power dieser Scheibe wird selbst in 30 Jahren noch state-of-the-art sein. 

Ein unantastbares Meisterwerk. 

Erschienen auf Geffen Records, 1992.



We Are Warrior Soul. We Are The Government - II



WARRIOR SOUL - DRUGS, GOD AND THE NEW REPUBLIC

Jump For Joy, Jump For Joy, World's End

Nur ein Jahr nach "Last Decade Dead Century" ging es mit "Drugs, God And The New Republic" in Runde zwei. Das Album ist einen Tick härter, dunkler und atmosphärischer als das Debut und bietet mit dem Joy Division-Cover "Interzone", "Hero", "The Wasteland", "Jump For Joy", "Children Of The Winter" und dem grandiosen Titelsong unsterbliche Klassiker. Die Band fährt dabei im Grunde eine ähnliche stilistische Mischung aus wave-beeinflusstem Punk- und Heavy Rock wie bereits beim Debut und bleibt auch im Soundbereich im Rahmen dessen, was "Last Decade Dead Century" vorgegeben hat.

Was die Band allerdings hier prägnanter als noch auf dem Debut herausarbeitet ist der Weg, auf dem sich Warrior Soul 1991 befanden: harte, rotzige und breitbeinige Rocker vermischen sich mit psychedelischen, ungemein stimmungsvollen und gräulich schimmernden Post-Punkern. Es deutet sich an, dass besonders Clarke, auf dem Debut immerhin als Co-Produzent genannt, einen Plan in der Tasche hatte, den er erst mit der nächsten Platte in die Tat umsetzen sollte, dann aber mit geradewegs raubtierhafter Konsequenz. 

Auf "Drugs, God And The New Republic" sind darüber hinaus erneut seine zynische Betrachtungen über den sozialen und kulturellen Zerfall Amerikas unter der Bush-Regierung aufrüttelnd, rebellisch und höchst spannend zu lesen. Sowas nannte man zu jener Zeit ernsthaft "sozialkritisch", bevor Mittelklasse-Wannabe's "inhaltlich zynische Forderungen" (S.Gärtner) daraus formten. Aus heutiger Sicht kann man die Texte der Band als ruhigen Gewissens als prophetisch bezeichnen. Dass mir heute, über zwanzig Jahre später, nur noch die Beobachtungen der kanadischen Thrashpunker von Propagandhi in ihrer Kraft und Weitsicht wenigstens als ebenbürtig erscheinen, spricht Bände.

Erschienen auf Geffen Records, 1991.


29.11.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government.


WE ARE THE GOVERNMENT 

Willkommen zu den Warrior Soul Wochen auf 3,40qm. Nach Betätigung der Suchfunktion oben links fand ich heraus, dass bislang lediglich sechs Einträge zur eventuell allerbesten Rockband aller Zeiten auf diesem Blog erschienen sind; und nachdem mich Kory Clarke, das zerzauste Whiskeyfass auf zwei Beinen, vor gut einer Woche im Rahmen des Auftritts im Frankfurter Nachtleben erneut daran erinnerte, warum Warrior Soul eine der Top-Favoriten auf den Titel "Lieblingsband" sind, fasste ich den Entschluss, ein paar Worte über die einzelnen Alben der Truppe zu verlieren. 

Wer weiß schon, wofür's gut sein mag, aber für mich ist es der längst überfällige Kniefall vor einer Band, der ich nun seit 1992 nahezu auf Schritt und Tritt folge. Bis ich mich also zum obligatorischen Jahresrückblick aufschwinge, um die besten 20 Alben des Jahres 2012 mit allerhand Lobhudeleien zu überschütten, halte ich achteinhalb Sternstunden rebellischer, visionärer und intelligenter Rockmusik im Klammergriff. 

Seien Sie dabei, ich wart' solange.




WARRIOR SOUL - LAST DECADE DEAD CENTURY


A lullaby makes you feel better.

Den Anfang macht das Debut "Last Decade Dead Century", das im Jahr 1990 bei Eingeweihten wie eine Bombe einschlug. In einer Zeit, in der Guns'n'Roses und die verfluchten Mötley Crüe gerade mit Suff, Nutten und Koks die Kulturhoheit über Moral und Intellekt innehielten, sang Kory Clarke der Welt ein Gute Nacht-Lied. Seine zynischen, bitteren und poetischen Texte sollten in den nächsten Jahren sowohl Markenzeichen als auch Boomerang für die Band werden. Die einen liebten Warrior Soul genau wegen ihrem Anspruch und ihrer Ernsthaftigkeit, die eine Verbindung mit hartem, klischeefreiem Rock eingingen, während die anderen den politischen Anstrich verteufelten und der Band Schwarzmalerei vorwarfen.

"Last Decade Dead Century" ist auch 22 Jahre nach der Erstveröffentlichung immer noch ein mächtiger Brocken. Im Spoken Word-Track "Four More Years" haucht, kreischt, flüstert Clarke "Our need flows on, but we feel nothing / While emotion kills with no remorseful deathblow from Jesus / Only you can turn the key / to unlock the tortured riches inside your soul / And find the reason we live" und präsentiert nicht nur damit seine ungeheuere lyrische Kraft, die die Schlinge um den Hals mit jedem Wort immer fester zuzieht.

Musikalisch gibt es überaus eigenständigen Gitarrenrock mit Punk-, Wave- und Psychedelic-Rock Einflüssen und überlebensgroße Songs wie die traumhaften Halbballaden "The Losers" und "Lullaby", wave-trippiges ( "Trippin' On Ecstacy" ) oder simple Hits wie "I Saw The Ruins". Warrior Soul waren bereits auf ihrem Debut der restlichen Musikwelt eine Nasenspitze voraus, und es gehört zu den tragischsten Momenten der Musikgeschichte, dass sie diesen Vorsprung nicht nur nicht nutzen konnten, sondern dass er ihnen letztlich sogar Schaden zufügte.

Erschienen auf Geffen Records, 1990.