11.10.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 1)




I'm just thinking aloud
Isn't thinking allowed?


Das sichere Anzeichen, dass die Anzahl der Jahresringe unter den Augen exponentiell zur eigenen Hirnverschrumpelung wächst, ist im Hause Dreikommaviernull mit der gleichfalls wachsenden Affinität zu jener Musik zu erklären, die mich in meiner Adoleszenz und Pubertät begleitet hat. Ich habe es nicht erst ein Mal mit einer gewissen Romantik zu erklären versucht, auch mit der ubiquitären Verklärung der damaligen Zeiten, die mit Sicherheitsabstand und im zwanzig Jahre alten Rückspiegel betrachtet eben doch immer noch und wieder aus reinem Gold, purem Glück und happy Happiness bestanden. Das ist in meinem Buch weder besonders hässlich noch ungewöhnlich, solange ich das Hier und Jetzt nicht bewusst ignoriere. Aber zu den Typen, die 1991 zu "Nevermind" nur ein müdes Mundwinkelzucken hevorbrachten und stattdessen lieber "Sgt.Pepper" auflegten, wollte ich nie gehören - in voller Anerkennung, dass ich es heute längst geworden bin und den jugendlichen Puls der Zeit weder fühlen kann noch will. Tatsächlich bin ich ganz froh, dass ich mit dem heutigen Trash von Taylor Swift und der unterbelichteten deutschen Hip Hop-Bagage nicht aufwachsen muss. Dass der Rock tot ist, wusste hingegen Billy Corgan schon im Sommer 1996 - und wo ich damals vor Wut schäumte, dass der glattgeschorene Mini-Napoleon mit näselnder Nervstimme meinen schönen Heavy Metal durch den Kakao schleifte, weiß ich heute: der Mann hatte nicht nur "irgendwie" recht, der hatte volles Rohr recht. Aber das sieht man in seiner jugendlichen Vollverbretterung natürlich nicht, und wenn man sich gerade völlig unironisch eine Stratovarius CD gekauft hat ohnehin nicht. Ein paar weitere Leichen sind seitdem auch noch hinzugekommen, es werden tatsächlich täglich mehr. 

Als Reaktion auf die Leichenstarre des Rock setze ich mich überwiegend mit neuer Musik auseinander. Mir ist das sehr wichtig, tatsächlich ist es sogar wichtiger, als immer und immer wieder die erwähnte Romantik zu bemühen - was schön und gut sein kann, angenehm und gemütlich sowieso. Aber es fühlt sich auch immer ein bisschen so an, als würde man mit unter die Ellenbogen geschnallten Kissen am Fenster sitzen und mit dem Luftgewehr auf vor dem Haus spielende Kinder schießen. Seit einigen Jahren bemerke ich andererseits, dass die Tendenz, sich genüsslich in dem "Party like it's 1994"-Gefühl zu suhlen, zwar stetig abnimmt, aber die endgültige Anerkennung jener Rockmusik in den Vordergrund rückt, die ich zwar schon immer mochte, deren heller Schein mich aber heute noch mehr fesselt als früher. Denn wenn die Sonne tief steht, werfen Riesen eben noch längere Schatten. Unter diesem Einfluss erscheinen mir heute Bands wie King's X, Voivod, Spock's Beard, Tool, die frühen (!) Monster Magnet oder auch die ganze 80er Hardrock-Clique als wenigstens Halbgötter - musikalisch virtuos, zeitlos und echt - wohlwissend, dass wenigstens letztgenanntes Merkmal eine Chimäre ist. Vor allem im Rock'n'Roll, der in erster Linie vom Mythos des rebellischen Aussteigers lebt, von "Kopp ab und Hirn raus" (Kalkofe), von der "Entfremdung" (de Maiziere).


Youth of our nation - A lost generation
Like lepers we march to the chimes of Big Ben.
Exiled and rejected by powers elected
Our cries from the gutter don't reach number ten.
Give us this day our daily bread
Before the headlines read "bring out your dead."
Chip-wrapper flowers are blown onto this cardboard grave
My spray paint epitaph upon the wall it says...
"Here lies the bones of some poor homeless vagrant
He died as he lived, in the shit on the pavement.
(aus "Cardboard City", 1994)


Der geschriebene Halbmarathon war notwendig, um die Kurve zu der Band zu bekommen, die in der obigen Aufzählung ihren Platz längst im oberen Drittel eingenommen hat, und die ich besonders in den letzten Jahren nicht nur nach langer Abstinenz wiederentdeckte, sondern mittlerweile als eine der wichtigsten, originellsten und stilprägendsten Metalbands der neunziger Jahre betrachte: Skyclad. 

Nun stehe ich nicht unbedingt in Verdacht, Mittelaltermärkte zu besuchen, Met zu saufen und an Tagen mit ungerader Stundenzahl bei rechtsdrehendem Vollmond auf einer Waldlichtung Wotan anzuheulen. Wir müssen gleichzeitig aber auch festhalten, dass die fünf Briten nicht für den gigantischen Scheißhaufen verantwortlich gemacht werden dürfen, der sich seit einigen Jahren allgemein unter dem Banner des Folk Metal durch die Nervenzellen energetisch minimal ausgeleuchteter Hirnstämme dampfen darf, und der zu meiner großen Metalphase - Achtung, jetzt spricht Oppa wieder vom "Kriech" (Heinz Erhardt) - vom wilden Mob mit Mistgabeln und brennenden Fackeln von jeder Bühne getrieben worden wäre. Wir waren auch irgendwie bekloppte Assos, aber wir hatten immerhin genug Stil und Geschmack, um diese musikalischen Weichsemmeln gerechtermaßen auszulachen.

Ich weiß, dass das ganz schnell in eine Rechtfertigungsorgie kippen kann, aber es ist für die Bewertung wichtig, um es richtig einzuordnen: Skyclad entstanden Anfang der 1990er Jahre aus den Überresten der englischen Thrashbands Satan (Bassist Graeme English und Gitarrist Steve Ramsey) und Sabbat (Sänger Martin Walkyier) und obwohl die Truppe schon auf dem Debut "The Wayward Sons Of Mother Earth" hinsichtlich der Instrumentierung und Melodik mit Elementen des Folk arbeitete, spielten Skyclad zu Beginn ihrer Karriere zweifellos harten Thrash Metal mit durchaus räudig klingenden Vocals von Walykier; die Band sollte sich allerdings in den kommenden Jahren stetig weiterentwickeln und auf den späteren Werken dem Folk immer mehr Platz einräumen. Doch egal, welche Richtung das Quintett einschlagen sollte, es gibt praktisch kein Skyclad-Album, das wie der Vorgänger klingt, und ich habe ganz offensichtlich eine Schwäche für Bands, die stets versuchen, diesen einen berühmten Schritt weiterzugehen, ohne dabei ihren ureigenen Stil zu verlieren. 

Skyclad ist dieses Kunststück selbst dann gelungen, als sie aus ihrer sehr folkigen und ruhigen Phase der Jahre 1997/1998 mit dem 1999 erschienenen "Vintage Whine"-Album wieder den Weg nach Metalkuttenhausen einschlugen und sie sich trotzdem nicht wiederholten. Trotzdem weiß man nach drei Sekunden ihrer Songs, wer hier am Werke ist. Und dabei ist es egal, ob ich dafür eine Platte von 1991, 1997 oder 2000 auf den Teller lege.

Hell is where the heart lies - in Purgatory's borders.
The great thing 'bout eternity - they never call last orders!
(aus "The Sinful Ensemble", 1996)

Meine Liebesbeziehung begann erst relativ spät mit ihrem fünften Album "The Silent Whales Of Lunar Sea" im Jahr 1995, und weil ich besonders vom Cover, den gesellschaftskritischen, politischen und mit Wortspielen gespickten Texten und von der herb-melancholischen Atmosphäre so angetan war, besuchte ich im Herbst desselben Jahres auch zum ersten Mal eines ihrer Konzerte in der Frankfurt Batschkapp (als Vorbands dabei: China Beach und Cancer), von dem es völlig unglaublicherweise mittlerweile sogar einen kurzen Videomitschnitt gibt. Ich war damals über das gesamte Konzert im Moshpit und irgendwo da vorne vor der Bühne hampelt der gerade 18 gewordene Florian herum. Zum Heulen schön.




Der Abend sollte in den kommenden Jahren der Grund dafür sein, zum devoten Fan-Boy zu mutieren: Bis zum Ende der Neunziger sah ich die Band praktisch jedes Jahr mindestens ein Mal, ihre Platten wurde allesamt am ersten Tag der Veröffentlichung aus dem Plattenladen entführt und kein T-Shirt war mir kitschig und rollenspielnerdig genug, um es eben nicht doch zu kaufen. Auf dem Foto im damaligen Studentenausweis trug ich neben der Eric AK-Gedächtnisfrise (der junge Mann ganz rechts im Bild) ein gelbes (!) Batikshirt (!!) von Skyclad, dessen Rückendruck im Dunkeln leuchtete (!!!). 

Noch Fragen?

Wenn ja: Fortsetzung folgt!



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