13.12.2012

We Are Warrior Soul. We Are The Government - VII



WARRIOR SOUL - CLASSICS


"Die Frage, ob ein einmal gefasster, prinzipieller Beschluss, in jeder konkreten Situation eingehalten werden kann, muss differenziert betrachtet werden."(Gerhard Schröder)

Ich habe sicherlich schon hunderte, ach was: tausende Male, wenn nicht gar vier Mal auf diesem Blog erwähnt, das mir Reunions ziemlich grundlegend schön den Schuh aufblasen können, aber manchmal mach' ich Euch auch gerne den Schröder und sage "Es geht um Arbeitsplätze!", beziehungsweise "Ja scheißrein, warum eigentlich nicht?". Gute vier Jahre hatte ich mich von der Annahme ärgern lassen, ich käme niemals auf ein Warrior Soul Konzert und könnte also niemals diese meine Lieblingssongs live hören. Niemals meinen Helden in Lebensgröße sehen. Und plötzlich schreibt Ende 1999 einer "Warrior Soul! Reunion!" ins noch fast finstere Internet. Es war wie im Märchen.

"Classics" ist eine seltsame, wenn auch immerhin passend betitelte Platte. Ich mag sie und sie ist mir wichtig, weil ich spätestens hier der Band zuliebe selbst von der Aussichtsplattform eines Wolkenkratzers oder wenigstens einer Gartenlaube gehopst wäre - tatsächlich ist sie sogar dafür verantwortlich, dass ich endlich "Chill Pill" verstand. Als ich "Classics" tage-, wochen- und monatelang aufsaugte, war alles Euphorie: ich konnte kurz zuvor alte Fesseln sprengen, ich war frisch in meine Seelenverwandte verliebt, ich hatte meine erste eigene Wohnung und ich lebte, genau: von in Butter geschwenkten Nudeln, Reibekäse, Instant-Eistee und der ein oder anderen lustigen Schokotorte. An dieser Stelle Glückwunsch für den "Das habe ich doch schonmal irgendwo gelesen?!"-Gedanken, der sich gerade hinter Deiner Stirn auf den weiten Weg in Deine Augenbrauen begibt. Ich war derart außer Rand und Band, dass ich die vor meiner Wohnung herumfrömmelnde Fronleichnamsprozession mit der Warrior Soul Hymne "Let's Get Wasted", aus dem Fenster gehaltenen Lautsprechern und einem Lautstärkepegel von circa 8,3 Millionen störte, und das damals für eine total gute Idee hielt. Ehrlich gesagt halte ich es selbst heute noch für eine total gute Idee. Und wenn kein Geld aufzutreiben war, und Geld war praktisch nie aufzutreiben, durchwühlte ich die Hosen und Jacken nach vergessenen Reichtümern, und wenn ich tatsächlich mal einen 10 Mark-Schein fand, kaufte ich davon nicht etwa behutsam und bedacht beim Billig-Lidl die notwendigsten Lebensmittel und vielleicht eine Rolle Klopapier ein, nein, ich flanierte wie Graf Koks über die Straße und kaufte für 9 Euro eine Jumbopizza mit Safran oder Spinat oder Saumagen drauf. Heute lacht man drüber, aber das schönste ist: damals habe ich auch schon gelacht. Und jetzt bin ich "abgeschwiffen" (Priol).

Die Band hatte sich also im Original-Lineup Clarke, Ricco, McClanahan und Evans wieder zusammengerauft und auch wenn man schon beim ersten Gedanken an diese Konstellation den Glauben hätte aufgeben können, wenn nicht müssen, dass dieser Irrsinn von vier Irrsinnigen auf keinen Fall gutgehen kann, und lange schon gleich gar nicht, hatte "Classics" eine Handvoll Argumente zum Aufhorchen anzubieten. Die Band packte keine Sammlung der bekannten Großtaten ihrer alten Platten zusammen, sondern spielte die bekannten Großtaten ihrer alten Platten nochmal komplett neu ein. Nahezu originalgetreu hinsichtlich der Arrangements, aber im Klang natürlich schwer auf die dicke Hose setzend. Oder das, was im Jahr 2000 und mit einem Kindergeburtstagsbudget eben die dicke Hose war. Kämpfte man damals eigentlich schon den "Loudness War"? "Classics" ist der Beweis: Ja. Tat man.

Jetzt könnte ich natürlich frohlocken und sagen "Oh super, endlich gibt's den ganzen alten Scheiß mit moderner und fetter Produktion!", ich könnte allerdings auch sagen, dass im direkten Vergleich mit den ersten vier Platten (warum's keine fünf sind, erkläre ich gleich) der Sound von "Classics" gnadenlos gegen die Wand rauscht. Das fällt einem nicht so stark bis überhaupt nicht auf, wenn das Pendant der Originalproduktion fehlt, aber im direkten Vergleich mit den Frühwerken klingt "Classics" blechern, hohl und dare I say it: dünn. Eine Spur größer wird das Problem allerdings im Zusammenspiel mit den Songs. Der Schwerpunkt der Titelauswahl liegt auf den punkigen, dreckigen, geradlinigen Rockern wie "Downtown", "The Wasteland", "Punk & Belligerent" oder "Superpower Dreamland" und dazu passt der rauhe und unprätentiöse Charme des Sounds durchaus. Geteilter Meinung darf man bei jenen Tracks sein, die im Original von ihrer Stimmung und Atmosphäre leben, von vernebelten, komplexen, ja beinahe klaustrosophischen Elementen, die die dargestellte Trostlosigkeit spielend leicht veranschaulichen. Es fällt einem wie Rosinen vom Hefeteigklumpen wie vielschichtig und mit welcherm Weitblick die alten Alben produziert wurden. "Song In Your Mind" und der Hidden Track "Blown" sind Beispiele, die verdeutlichen, wieviel hier abseits der Lautstärke auf der Strecke bleibt.

Des Weiteren beinhaltet "Classics" einen Umstand, der zu den großen Mysterien dieser Band gehört. Ich schrub weiter oben von den ersten vier Alben, nicht derer fünf - denn obwohl es Songs von "Space Age Playboys" zu hören gibt, blieben sie in der Originalfassung bestehen. Ich frage mich seit 12 Jahren, warum "The Drug", "Let's Get Wasted", "Rotten Soul" und "I Wanna Get Some" unangetastet blieben, und auch wenn es wirklich wichtigere Fragen gäbe - "Warum gibt's die SPD noch?" und "Heißt der Mann im Mond wirklich Karl Napp?": es macht mich kirre. Wollten Evans und Ricco sie nicht spielen? Konnten sie sie nicht spielen? Haben sie es versucht und es klang gar nicht mal so gut? Wollte Clarke nicht? Oder war man gar der Auffassung, dass sie mit dem "Classics" Sound nicht funktionieren würden? Ich hätte Clarke bei meinem Interview mit ihm im Jahr 2006 natürlich fragen können. Aber hey! Viel zu einfach.

Ein knappes Jahr später waren Warrior Soul zum zweiten Mal Geschichte. Nach einem vielumjubelten Gig im Londoner Astoria im Jahr 2000 und dem Release von "Classics" war es schon wieder vorbei. Für die nächsten sieben Jahre.

"The words and music will always be forward-thinking and the concepts modern and rebellious in their stance against hypocrisy and tyranny."(Kory Clarke)

Erschienen auf Dream Catcher, 2000.


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