LEE REED - THE BUTCHER, THE BANKER,
THE BITUMEN TANKER
Es ist alles so leise. Jeder Widerstand längst zum Selbstzweck verkommen. Rituale. Karneval.
Deine alten Lieblingsmusiker sind handzahme alte Männer geworden, die auf Werbeveranstaltungen von Großkonzernen auftreten. Die jungen Wilden sind so wild wie eine Schüssel Cornflakes und singen im in die neue Jeans gesteckten und oben geschlossenen Olymp-Hemd (lila) über Bienchen und Blümchen. Es bleibt alles so leise. Die für gewöhnlich nicht gerade für politische Kampfansagen bekannte Thievery Corporation sagte vor einigen Jahren, dass Du als Künstler nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Verantwortung dafür hast, deine Stimme zu erheben. "Und wann, wenn nicht jetzt?" - wenn die Kunst durch die erdrutschartigen Veränderungen im Konsumverhalten einer Gesellschaft in erster Linie ökonomischen Regeln folgen muss, und Ecken und Kanten nur dann legitim sind, wenn sie angemessen, und das heißt: gewinnbringend, vermarktet werden können, dann darf man sich über den aktuellen Zustand populärer Musik nicht wundern, sondern viel mehr fröhlich ihren Untergang mitverfolgen. Während man sich selbst endgültig in Richtung des Teils des Undergrounds verabschiedet, der sich nicht etwa von den Verlockungen des Mainstream korrumpieren lässt, sondern der existiert, weil er existieren muss.
Wer dieser Maxime folgt und im besten Fall integer ist, ist in der öffentlichen Wahrnehmung ein Außenseiter. Wer kerzengerade stehenbleibt und sich den schlimmsten Sauereien, die eine an Sauereien nicht gerade arme Branche bereithält, verweigert, ist whacky. Wer nicht mitspielt, darf eben nicht mehr mitspielen. Schon leise Kritik am Mainstream und die Abweichung von ebenjenem führt zu einer völlig unverhältnismäßigen sozialen Ablehnung und Ausgrenzung, während zeitgleich die immanente Rücksichts- und Gedankenlosigkeit und die Konsumsucht einer Erste-Welt-Generation, die so viel wie keine andere vor ihr auf Kosten der ärmsten Regionen dieser Welt lebt, unreflektiert und ohne jeden Widerspruch geduldet, gefördert und belohnt wird. Wann genau hat sich das alles so gedreht? Wann genau haben wir eigentlich den Moment verpasst, an dem alles in die falsche Richtung ging?
"Du hast so komische Gedanken. Ich habe heute Morgen in der Süddeutschen Zeitung gelesen, dass..."
Es ist unbequem, sich die ganze Zeit die Übel der Welt ins Gesicht schreien zu lassen. Und es ist in diesem Zusammenhang viel angenehmer, Max Herre zu hören, bei dem es im übertragenen Sinne um nicht viel mehr geht, ob der Spargelpreis am Wochenende unter 5 Euro pro Kilo fällt. Oder wir lassen den neuesten süßen Indieschmeichler unter die Bettdecke kriechen, lesen dabei die volkstümliche Unterhaltung im Spiegel und stricken weiter am Märchen von der demokratischen Agenda einer aufgeklärten Gesellschaft, der Trennung zwischen Kirche und Staat, extremer Männlichkeit durch 3 Kilo Rindersteak (auch prima für Frauen!) und der Illusion der eigenen Freiheit. Und wir grillen. Grillen ist ganz wichtig geworden.
"Das ist keine Fehlentwicklung, das Schiff ist auf Kurs." (Lothar Dombrowski)
Lee Reed hört glücklicherweise nicht damit auf, laut und unangenehm zu sein. Sein neues Album "The Butcher, The Banker, The Bitumen Tanker" klatscht mir jedes gerappte Wort mitten ins Gesicht, gnadenlos und mit Karacho, denn "my microphone is a weapon". Es ist eine große Anklage, zornig, wütend, angriffslustig, respektlos und ohne jede Scheu vor Autoritäten. Es hat mehr als jemals zuvor den Anschein, als sei die Musik lediglich das Vehikel für seine Message. Für mich treten die Beats und die spärlich gesäten Melodien und Jazz-Basslinien fast vollständig in den Hintergrund, sie helfen allenfalls dabei mit, das Album atmosphärisch entweder weiter zu verdunkeln oder in ein psychedelischeres Licht als früher zu tauchen - ein Licht, in dem manches Mal sogar ein (Sauer)Krautrocktopf an einem vorbei schwebt.
Kanadian HipHop's oldest and grumpiest radical-lefty loudmouth. 12 tracks of state-smashing, bank-crashing, boom-bapping, mic-wrecking insurgency.
Und es ist wichtig, dass es solche Typen noch gibt.
Support the underground, motherfucker!
Anhören und Downloaden:
Erschienen auf RHYMETHiNK, 2015