24.01.2015

2014 ° Platz 14 ° Fatima - Yellow Memories



FATIMA - YELLOW MEMORIES


Den ersten Kontakt mit der Musik Fatimas hatte ich vor einigen Jahren, als mich eine ihrer frühen Arbeiten, es war die "Follow You EP", im Dickicht aus Boomkat, A-Musik und HHV-Merkzetteln anstupste. In meiner Erinnerung war und ist das zaghaft avantgardistischer R'n'B, der, mit Elektro- und Hip Hop-Beats unterlegt, futuristischer, brüchiger und damit interessanter klang als das, was vom Restgenre üblicherweise präsentiert wird. Darüber hinaus hält sich Fatima erfreulich weit vom allgegenwärtigen Pastiche-Hype auf die Blues und Soulmusik der 1960er Jahre fern und wählt einen deutlich offeneren, variableren Ansatz. Das kann natürlich auch schön in die Hose gehen und die Grenze zur Unhörbarkeit überschreiten, wenn man den Beats'n'Clicks-Fummlern zuviel Zeit im Studio einräumt und statt zeitgemäßem Soul plötzlich ein hyperexperimenteller Grime-Verschnitt durch Londons Garagen stürmt.

Ausgehend von dieser Erfahrung hatte ich "Yellow Memories" zwar zunächst, logo, auf allen Wunschzetteln verteilt, war aber skeptisch, ob ich das wirklich hören wollte - eine weitere Version bemüht innovativ in Szene gesetztem Elektrosoul wollte ich auf keinen Fall im Schrank stehen haben. Erst Anfang November traute ich mich an einen Song des Albums heran, es war die wunderbare Ballade "Talk", und nachdem ich die langen und einsamen Autofahrten nach Lübeck mit diesem Song im Wiederholungsmodus hinter mich brachte, lösten sich meine Bedenken in Luft auf. "Yellow Memories" ist ein kuschliges, optimal in die Schnittstelle zwischen Moderne und Klassik produziertes Soulalbum geworden, das sich in den letzten fünf Wochen des Jahres ganz locker in die Top 20 gespielt hat. Unter dem Dach von erstklassigen Produzenten wie Floating Points, Computer Jay oder Flako, brodelt ein wärmendes und einnehmendes Süppchen feinster Schokolade durch die Ohrmuschel. Kann problemlos über Stunden auf Repeat laufen. Ich hab's getestet.

Erschienen auf Eglo, 2014.

18.01.2015

2014 ° Platz 15 ° Tumi Mogorosi - Project ELO



TUMI MOGOROSI - PROJECT ELO

Sollte es noch einen Beweis dafür benötigen, dass Coverartworks im Jahr 2014 im Hause Dreikommaviernull, bedingt durch das beinahe vollständige Fernhalten von Erzeugnissen der Musikjournaille, so wichtig wie selten zuvor sind, dann liegt mit dem Debut des 26-jährigen südafrikanischen Schlagzeugers Tumi Mogorosi ein solcher Beweis vor. Nicht der erste und ganz bestimmt nicht der letzte. Ich wäre ohne dieses herausragende Cover wohl nicht auf "Project ELO" aufmerksam geworden, da das Label aber auch noch Jazzman Records heißt, und ich aus der Erfahrung weiß, dass hier in erster Linie Qualitätsstoff auf die Musikjunkies wartet, war die Kaufentscheidung auch ohne vorangehendes und ödes Testhören sehr einfach.

Ich habe es - natürlich - nicht bereut. 

Aufgenommen an zwei Tagen in Johannesburg mit Mogorosis Band Sibusile Xaba (Gitarre), Malcolm Jiyane (Posaune), Mthunzi Mvubu (Alto Sax), Nhlanhla Mahlangu (Tenor Sax) und Bassist Thembinkosi Mavimbela, in erster Linie von den Ersparnissen des Schlagzeugers finanziert und nun mit Jazzman im Rücken mit einem weltweiten Vertrieb (und erwähntem neuen Cover) ausgestattet. Als Chor holte man sich außerdem noch Themba Maseko, Ntombi Sibeko, Mary Moyo und Motuba ins Studio und hat ein hymnenhaftes, modernes und spirituelles Jazzalbum eingespielt, das sowohl seine Betonung als auch seine Bedeutung auf dem Rythmus und dem Gefühl Mogorosis wachsen lässt. 

“The goal or the philosophy is about liberating the drum from the usual role of just keeping time.” (Tumi Mogorosi)

Aus diesem Ansatz heraus sind die fünf Stücke folgerichtig arrangiert, sie leben von dem Puls Mogorosis; die Band sorgt währenddessen für die Luft zum Atmen: weite, ausladende Melodien und Solopassagen (vor allem erwähnenswert ist Jiyanes Posaune in "Princess Gabi"), die mal an wilde Natur und ungezähmte Tiere erinnern, mal an einen Sonnenuntergang in den Bergen Südafrikas.  

Erschienen auf Jazzman Records, 2014.

14.01.2015

2014 ° Platz 16 ° Thievery Corporation - Saudade



THIEVERY CORPORATION - SAUDADE


"Saudade" war eine große Überraschung des Jahres 2014 - was bei einem Projekt wie der Thievery Corporation, das nicht unbedingt dafür bekannt ist, mit klanglicher Innovation oder auch nur Weiterentwicklung allzu verschwenderisch umzugehen, glatt als gewagte These durchgeht. Nichtsdestotrotz war mit einem mehr oder minder reinen Bossa Nova-Album des Duos Rob Garza und Eric Hilton nicht zu rechnen. Waren ihre letzten Werke vor allem mit viel politischer Kraft aufgeladen, die zwischen den geläufigen Dub- und Downbeat-Spielereien mit den Muskeln spielte, lassen die beiden Musiker auf "Saudade" im Grunde alles in sich zusammenfallen, um mit melancholischem Blick in den Sommerregen zu schauen. Ein Album zwischen Introspektion und Zurückgezogenheit auf der einen, und Romantik und Liebe für die Menschen und das Leben auf der anderen Seite. 

In seiner Tiefe ist "Saudade" für mich mittlerweile meilenweit von den Soundtrack-Klischees der Lounge-Bars entfernt, es liefert viel mehr die Musik in einer Strohhütte im Regenwald bei Nacht, in der das letzte noch atmende Feuer in seinen letzten Zügen noch für einen Schatten sorgt. 

Ich glaube, hier geht es um Liebe. 

Erschienen auf ESL Music, 2014.

13.01.2015

2014 ° Platz 17 ° Adrian Younge Presents: Souls Of Mischief - There Is Only Now



ADRIAN YOUNGE PRESENTS: 
SOULS OF MISCHIEF - THERE IS ONLY NOW


Das war alles ganz anders gedacht. 2015 begann mit einer Magen-Darm-Grippe, an deren Ausläufern ich immer noch herumstolpere. Deshalb geht es leider erst jetzt weiter, während mir immer noch - im übertragenen Sinne - ein Bein in der Kloschüssel herumhängt. Guten Appetit.

Nach der Rückkehr von De La Soul hat 2014 auch Produzent Adrian Younge die Souls Of Mischief wiederbelebt und eines der meist gehörten Alben im Hause Dreikommaviernull produziert. Der Multiinstrumentalist, der nicht nur die Musik komponierte, sondern die musikalischen Basics auf "There Is Only Now" im Alleingang einspielte, hat dabei sein Wort gehalten: das sechste Studioalbum der Truppe solle den Spirit der Frühneunziger Native Tongue/DAISY-Age-Clique heraufbeschwören, ließ sich Younge im Vorfeld der Veröffentlichung zitieren und erwähnte in diesem Zusammenhang A Tribe Called Quests "Low End Theory", "De La Soul Is Dead" und das legendäre Debut der Mischiefs "93 'Til Infinity" als mögliche Fixpunkte. Das Ergebnis ist genau das. Ein hochmusikalisches und pulsierendes Hip Hop Album mit viel Text, viel Jazz, viel Soul, viel Staub und vielen Ideen. Sehr überlegt, dabei aber nicht perfekt. Sehr detailreich, aber nicht chaotisch. Samples gibt es auf Younges Produktionen traditionell nicht und auch hier spielt der Wahnsinnige praktisch alles selbst: Schlagzeug, Bass, Piano, Orgel, Flöte, Gitarre, Vibraphon, Glockenspiel, Saxofon und sogar eine verdammte Sitar. 

Stilistisch ist diese Rückschau in die Welt von 1993 wie auch schon bei den Jungs von den Jazz Spastiks nicht so irre innovativ, und tatsächlich frage ich mich während mein Kopf im Takt mitwippt, ob im Hip Hop dieselben Unzulänglichkeiten wie in der Rockmusik herrschen, dass also der immer noch grassierende und nicht tot zu kriegende Retrohype jeden frischen Ansatz neuer Entwicklungen im Ansatz sabotiert. Selbst die Idee der Mischiefs, das Albumkonzept, eine Gangstergeschichte, die - logisch - auch in den Neunzigern spielt und dabei auch die Philosophie streift, im Rahmen einer Radiosendung zu präsentieren, dürfte dem ein oder anderen mit Hip Hop Affinität schon früher untergekommen sein. Ist das schon eine Schippe zuviel Rückschau? Persönlich gefällt mir der organische, warme und staubige Sound des Albums, und ich mag auch seine Musikalität, die kilometerweit über dem allgegenwärtigen dumpfen Beatgeschrubbe steht, das in heutigen Zeiten die Kanäle hipper Radiostationen verstopft. Ich lebe die letzten vier Monate mit "There Is Only Now" und entdecke bei jedem Durchgang etwas Neues - es könnte wirklich schlimmer sein. Außerdem: The past is an illusion, there is only now. 

Erschienen auf Linear Labs, 2014

05.01.2015

2014 ° Platz 18 ° Spain - Sargent Place



SPAIN - SARGENT PLACE


Im April 2014 beendete ich die Review zu Spains neuen Album mit dem Satz "Könnte eine der Platten des Jahres werden." und - tätätätätäääää - hier sind wir auch schon wieder. "Sargent Place" ist in den letzten acht Monaten kein Nanopünktchen schwächer geworden, viel mehr hat sich meine Faszination für ihren Sound noch vergrößert. Das liegt sicher auch daran, dass ich weite Teile des nächtlichen Sommers am offenen Fenster und im in Rotlicht getauchten Wohnzimmer mit eben jener Platte verbracht habe. Sowas prägt - und was bitte soll zu einem solchen Szenario besser passen als der glühende, romantische Schleicherblues von "The Fighter"? 

Aber Spain bewegen sich auf "Sargent Place" nicht durchgehend im Schneckentempo. Tatsächlich strecken die vielleicht schönsten Indie-Pop-Perlen des Jahres ihren Stecknadelkopf aus dem Samt & Seide-Musiktempel: "It Could Be Heaven" und "Sunday Morning" sind ungewohntes Terrain für die Band, die aber so wunderbar perlend und melancholisch durch die Nacht gleiten, dass man sie einfangen und nie wieder loslassen möchte. Weiteres Highlight ist das Liebeslied "You And I", ein leises und subtiles Kammer-Indie-Freudentränen-Monstrum. 

Und das Vinyl klingt außerdem einfach überragend. 

Erschienen auf Glitterhouse Records, 2014.


03.01.2015

2014 ° Platz 19 ° Jazz Spastiks - The Product



JAZZ SPASTIKS - THE PRODUCT

Den Wirbel und die damit einhergehende Begeisterung um das neue Album dieses britischen Hip Hop Duos habe ich tatsächlich etwas unterschätzt. Die Folge: Ich war zu spät - viel zu spät - für die Vinylversion und angesichts der Qualität von "The Product" könnte ich mich deswegen glatt an einer al dente gekochten Spaghetti am geschimmelten Duschvorhang aufknüpfen - wenn ich denn einen Duschvorhang hätte, einen geschimmelten zumal. Jetzt habe ich nur die uncoole MP3-Version. Tse.

"The Product" ist erst spät in DIE_LISTE gerutscht, aber ich war am Ende des Tages (=des Jahres) einfach ein willenloses Stück. Ein positives, rundherum wie lockerer Frischkäse groovendes Hip Hop Album der alten Schule mit klassischen jazzy vibes und diesigen, verhuschten Beats. Als hätten wir das Jahr 1993 niemals verlassen. Dazu große MCs des Hip Hop Untergrunds: Moka Only, Apani B Fly, Sach, Count Bass D, Ladybug Mecca und Yesh. Der Kopf bewegt sich wie von selbst, der Fuß geht jeden Snareschlag mit. Es ist zum Heulen schön. Und gut. Auf "The Product" gibt es keinen doppelten Boden, keine Gangsta-Allüren, keine Goldkettchen, keine Bitches. Nur Beats, Beats, Beats und Jazz, Jazz, Jazz. Es macht einen riesigen Spaß, das zu hören. Enjoy with a cup of coffee. 

Erschienen auf Dusty Platter, 2014.

01.01.2015

2014 ° Platz 20 ° Mark McGuire - Along The Way



MARK MCGUIRE - ALONG THE WAY


Nach dem großartigen Livekonzert in Mainz im August 2013, und der gleichfalls fantastischen "The Instinct"-EP aus dem November des gleichen Jahres, hätte ich die Hand beinahe für eine kleine Vorentscheidung für die Top-Platzierung der 2014 erschienenen Alben ins prasselnde Kaminfeuer im Westflügel meines Anwesens gelegt; "Along The Way", das dritte Soloalbum McGuires, war aber bis vor wenigen Tagen der große Wackelkandidat für die diesjährige Hall Of Fame. Der Gitarrist der mittlerweile verblichenen Emeralds hat so ziemlich alles was er hat in diese Platte gelegt, die "Magnum Opus" zu nennen ein unzulässiger Euphemismus wäre. Das knapp 80-minütige Album zeigt die Arbeit eines Mannes, der sich im Vergleich zu seinen früheren über 100 Veröffentlichungen stilistisch freigeschwommen und dem Drone und dem Ambient weitgehend Adieu gesagt hat. McGuire hat auf "Along The Way" eine Art Progressive New Age Rock entwickelt. Es gibt mehr Gitarrensoli, melodisch nicht selten asiatisch inspirierte, sich auftürmende und mit Mantren und Chören ausgestattete Stücke. All dies ist mit einem spirituellen Überbau versehen, den der Musiker auf dem Inlay der LP sehr ausführlich, fast schon mit dem Format und der Tiefe einer wissenschaftlichen Arbeit erläutert. "Along The Way" ist ein spirituelles Konzeptalbum über die eigene Existenz, über universelles Lernen, über Natur und Philosophie. Ein großer, schwerer Brocken. Beeindruckend und fordernd. Es fällt mir manchmal schwer, sowohl den Gedanken, als auch der Musik zu folgen, aber das sagt wohl mehr über mich aus, als über "Along The Way". Ich kam trotzdem immer wieder auf diese Platte zurück, als hätte sie mich magisch angezogen (grüne Socken, blaue Hosen - "Grün und blau schmückt die Sau."-Mutti).

Die Arbeit, die Mark McGuire hier investiert hat, gehört gewürdigt. Und seine Musik gehört gehört. 


Erschienen auf Dead Oceans, 2014.

30.12.2014

Endlich geschafft: 2014 im Rückspiegel


"Machen wir das Beste daraus." (Meine Oma, 1924 - 2005)

Könnte ich einen kleinen Nanofunken (was soll das sein? - die Redaktion) in die Zukunft blicken, und könnte ich als Ergebnis dessen erkennen, dass mir das kommende Jahr weniger infernalischen Scheißdreck auf die Türmatte legen wird, als das nun beinahe abgelaufene 2014, dann könnte ich wiederum an Silvester so ausgelassen die Korken knallen lassen, dass jene erst über der Antarktis wieder in die Erdatmosphäre eintreten und dort umweltfreundlich verglühen, bevor sie etwa einen armen Pinguin treffen, der mit Silvester und Jahreswechsel und meinem ins virtuelle und doch so vertraute Netz herauskrakeelten Wohlstandsschrott so gar nix an der "Frisur" (H.Rether) hat. Man erkennt es an dem satte drei Mal erwähnten "könnte", dass ich's eben nicht kann, neben so vielem; als Transferleistung wäre es wohl auch zumutbar, daraus eine gewisse Skepsis beziehungsweise Angst für das Jahr 2015 abzuleiten, denn es gilt das Gesetz der Serie - wenn sie denn ordentlich gefüttert wird. Der FC Bayern München beispielsweise hält sich seit Jahrzehnten mit den Gehirnen seiner Fans über Wasser und das Ergebnis, zwar abhängig vom Ernteerfolg, aber sagen wir's frei raus: 3 Millionen Mini-Sojaböhnchen ergeben am Ende eben auch einen Tofubraten, mit dem man halb Indien sattbekommen würde, jedenfalls: Deutscher Backpfeifenmeister werden sie so oder so in fast jedem Jahr. Deutscher Fußballmeister leider auch.

Ich hab's außer im Fall der halbspaßig gemeinten musikalischen Bewertung für gewöhnlich nicht mit den ubiquitären Einlassungen zum Jahresende, das abgelaufene Jahr sei das schönste, beste, tollste, oder im weniger positiven Fall das granatenbeschissenste gewesen, weil das Jahr an sich ja kaum etwas für die Erfüllung des Klassikers "Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh." kann. Zumal ich auch nicht in Jahreskategorien denke und ich mich außerdem, wenn man es ganz genau nimmt, nicht grundlegend beklagen kann. Man baut sich den ganzen Schmarrn am Ende eben selbst zusammen, und dafür, dass ich nicht 24/7 mit einem grell leuchtenden Heiligenschein herumlaufe, sondern das Lebensglas eher halbleer anstatt halbvoll ist, wäre mehr Optmismus und Lebensfreude ja fast nicht auszuhalten. Gutfried-Wurst ist gut für mich, oh yeah, schubidua - aber auch ohne Wurst gilt: Danke, es geht mir gut.

Für 2014 muss ich eine Ausnahme machen, denn niemals zuvor, vielleicht abgesehen von körperlichen Seuchenjahr 2002 mit Chemotherapie und retroperitonealer Lymphadenektomie (ich kann es auswendig aufsagen) gab es ein derart von Zombies  zerfressenes, halb- und ekelhaft schleimig verdautes und in ein mit tödlichen Baktieren vollgesprotztes, selbst dem Deibel höchstnöterlich persönlich zu heikel zugerichtetes, direkt aus der Justizvollzugsanstalt Stadelheim geliefertes und von Uli Hoeneß selbstarschig vollgestrulltes und beflecktes Plumpsklo, pardon: GESCHISSENES Jahr wie - Tadaaa: 2014. Der Spaß begann am 1.1.2015, als hätte ein mental derangierter Pastinakenarsch pünktlich zum letzten gezündeten Böller den Schalter umgelegt, mit einer toten Katze in unserem Mikro-Blumenbeet auf der Terasse, ging über in zwei Monate andauernde Angstzustände, weil man neuerdings etwas in seinem Körper vermutete, was da absolut nicht und unter keinen Umständen hingehört, und kaum, als ich die Entwarnung dafür präsentiert bekam, also eine Blutdruckmessung den wunderbaren 270/160 Wert ergab, der, natürlich wie bestellt, laut schulmedizinischer und zwischen Kassenpatient und Kaffeemaschine hin und hergerissener Nulldiagnose keinerlei körperliche Ursache hat, denn: "Wie kommt Kuhscheiße aufs Dach?".

"Können wir das nicht, äh, irgendwie testen?"
"Überlegen sie mal, was wir dafür bräuchten - 1000 Veganer, die seit 12 Jahren 40mg Esomeprazol täglich nehmen und Bluthochdruck haben! Viel Spaß beim Suchen, Herr Besserwisser."

Stattdessen gab es, bedingt durch parallele Einnahme von den wirklich vollständig wirkungslosen und gefährlichen Killer-Globulis, die endlich mal verboten gehören, weil sie so teuer und so nutzlos und so esoterisch sind, dass anderen Menschen deswegen leise die Gehirne wegschmelzen und sie für das selbsternannte "Realismusportal" Psiram schreiben müssen, um die Welt oder immerhin ihren Schrebergarten im Obergeschoss zu retten, eine schöne Depression, und, weil es halt nur im ganzen funktionieren kann, den plötzlichen Tod des Schwiegervaters.

Zwischendrin kreuzen die üblichen Verdächtigen den Weg: eine bestenfalls anstrengende Familie, einen Job, der mich mehr als einmal am Rand geistiger Gesundheit entlangschlittern lässt und eine Welt im Allgmeinen, die auch 2014 nicht den Anschein machte, als seien wenigstens ihre Bewohner noch zu retten. Hauptache wir haben den Spiegel Online-Liveticker zum verschwundenen Passagierflugzeug MH370, Qualitätsjournalismus aus dem Hause Claus "Uhu" Kleber und gepresste Holzfleischbriketts für den Toaster. Oh, und Parfumwerbung mit Musik von Led Zeppelin.


Positives soll nicht verschwiegen werden: ich bin immer noch mit der tollsten Frau der Welt verheiratet, und wäre ich nicht ab und an ein geradeheraus "idiotic idiot" (Bill Maher), der sich von seiner Umwelt und seinem Alltag im Hirn so auf doof umkrempeln lässt, könnte ich darauf fast ein bisschen Stolz sein. Ich liebe unseren Hund Fabbi und unsere beiden Katzen Kleini und Schnuffel, meine Band Blank When Zero exisitiert weiterhin und läuft zumindest in unserem Proberaum und unter erschwerten, weil familiär bedingten Bedingungen so gut wie vielleicht nie zuvor. Und auch wenn man uns außerhalb des Proberaums dieses Jahr nur vier Mal auf einer Bühne sehen konnte, waren alle vier Konzerte unter dem Strich immer positiv und machten riesigen Spaß. Vor allem auch deshalb, weil die anderen beiden Typen - Simon und Marek - die angenehmsten Bandkumpels und Freunde sind, die man sich vorstellen kann. Wir spielten in Solingen auf dem Ox-Festival, in unserem Mainzer Wohnzimmer Haus Mainusch, in Münster und in Hanau. Nicht zu vergessen sind außerdem die mit Freund Jens verbrachten Stunden in den Stuttgarter Plattenläden und indischen Restaurants. Und dass mich die Arbeit sehr regelmäßig in die Schwabenmetropole schickt, sei an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang gleichfalls als äußerst positiv vermerkt.


Was die zu hörende Musik des Jahres betrifft, und hier sind wir mal ausnahmsweise redundant: war es noch nie so geil wie 2014. Es war zugegebenermaßen etwas schwierig, in oben erwähntem Sumpfschlamm die "Spirits" (Gil Scott Heron) so weit aufrecht zu halten, um immer die eigene Stimme zu hören, die einem die Bedürfnisse zuflüstert, aber über weite Strecken lief's ganz flüssig. Mir fällt spontan wirklich nur eine furchtbare Enttäuschung ein, der Rest war und ist super. Über den besten Rest werde ich hier traditionell in den kommenden Wochen referieren.

Beim Überfliegen der Jahresbestenlisten der professionellen Musikzeitschriften oder Webzines gab es, auch das ist mittlerweile Tradition, große Fragezeichen. Das ist unabhängig von den Genres alles soviel Pose und Image, und in der Hauptsache derart gestreamlineter medialer (!) Konsens, dass man gar nicht weiß, worüber man zuerst diskutieren müsste, um den ganzen Zirkus wieder auf stabile und vor allem ehrliche Beine zu stellen. Andererseits scheint sich der Abgrenzungsprozess in der Hörerschaft auch 2014 weiter verschärft zu haben. Wie ich anderer Stelle schon mal schrub: die Menschen hören heute vermutlich so viel Musik wie niemals zuvor - der Streamingtempel Spotify berichtet wie Twitter-Spam von 8 Milliarden gestreamter Songs in den letzten 12 Monaten - sie hören halt nur nicht mehr richtig hin, sondern lassen sich von multinationalen Medienkonzernen und Wirtschaftsunternehmen diktieren, was sie zwischen Tür und Angel hören sollten. Ich werde vielleicht 2015, auch als Nichtstreamer, ein paar Konsequenzen daraus ziehen. Als Stichworte: Entschleunigung. Auseinandersetzung. Wertschätzung. Abtauchen. Mal gucken, ob sich das mit meiner schweren und manischen Neugier umsetzen und durchhalten lässt.

Hier geht es jedenfalls auch im Jahr 2015 weiter. Ich wünsche weiterhin viel Spaß beim Lesen und beim Leben und danke ernsthaft und sehr aufrichtig jedem einzelnen Gast und Leser und KÖNIG, der sich diese endlosen Bandwurmsätze wirklich noch durchliest - wo Blogs doch mittlerweile so öde und out sind wie Cola mit Ketchup, die Lindenstraße oder, ähem. U2. Ich weiß es zu schätzen. Ganz in echt.

Untertänigst immer der Ihre,

F

25.12.2014

Dies ist ein Protestsong



Clogged Arteries:
Songs and Spoken Word in Support of Front​-​line Pipeline Resistance

Und schon singt ihr wieder von Ende der Welt
nur weil irgendwo ein Sack Reis umfällt
lasst mich endlich mit euerm Genöle in Ruh',
wenn ich Lust dazu hab, scheiß' ich die Nordsee zu.
Danach zieh' ich mir ein Robbensteak rein, auf einem Teller aus Elfenbein.
Und dann leg' ich die Schlampen von Greenpeace flach,
eine nach der anderen,
die ganze Nacht...
Die Ärzte

Kanada ist ein paar Handvoll Kilometer entfernt, aber zum einen sucht man sich ja immer noch selbst aus, was man unterstützenswert findet, zum anderen sind die Schweinereien, die auf der kanadischen Seite aktuell Menschen, Tiere, Umwelt und Klima bedrohen, wenigstens dem kritischen Teil der Gesellschaft in Old Europe mehr als nur geläufig. Tatsächlich wurden die Weichen auch auf unserer Seite des Atlantiks schon längst in Richtung, Achtung, Tautologie: profitable Umweltzerstörung gestellt und vor gerade mal vier Wochen heimlich still und leise nochmal sauber poliert, vermutlich mit den ausgeleierten und heraushängenden Enddärmen der deutschen Bundesregierung : "Die Bundesregierung weicht ihre Pläne für ein Fracking-Verbot auf."(FAZ 20.11.2014) .

Hüben wie drüben sitzt man angesichts der sich in neue korrupte Höhen katapultierenden und gewählter Sackgesichter Abgeordneter ohnmächtig im Ohrensessel herum, aber glücklicherweise gibt's wunderbare Menschen, die dem Angreifer die Stirn bieten.

Konkret geht es um die Ölsandindustrie, die aktuell große Projekte zur Gewinnung und zum Transport verwirklicht sehen will und mittels gewaltiger Lobbyarbeit auf dem aufsteigenden Ast ist.

Greenpeace Canada schreibt dazu: 

The tar sands are huge deposits of bitumen, a tar-like substance that’s turned into oil through complex and energy-intensive processes that cause widespread environmental damage. These processes pollute the Athabasca River, lace the air with toxins and convert farmland into wasteland. Large areas of the Boreal forest are clearcut to make way for development in the tar sands, the fastest growing source of greenhouse gas emissions in Canada.




Als Reaktion haben 18 kanadische Künstler einen Protestsampler auf die Beine gestellt, der bei Bandcamp für mindestens 10 Kanadische Dollar als Download erhältlich ist. Ich finde die Beiträge zu meiner eigenen Überraschung überwiegend überdurchschnittlich. Außerdem, und so kam ich überhaupt erst darauf, steuert der großartige Lee Reed mit Mother Tareka unter dem Namen Flowtilla den besten Track der Zusammenstellung bei. Über Lee Reed hatte ich hier schon mal ein paar Zeilen zwei links, zwei recht, einen fallen lassen: Lee Reed Or Fuck Off  .

"Clogged Arteries: Songs and Spoken Word in Support of Front-line Pipeline Resistance" is a compilation CD featuring 18 tracks from 18 different artists spanning a huge range of musical styles. In response to proposed projects to increase the flow of tar sands oil and fracked gas to the west coast of Turtle Island, artists on the compilation address the blatant disregard for communities, ecosystems and democracy, for the sake of profit and power. They show many sides of the human response to the threat of these projects, such as the Enbridge Northern Gateway Project, the Kinder Morgan Trans Mountain Expansion Project, the Pacific Trails Pipeline, and the tar sands themselves. The songs call for support for the struggles of original inhabitants on unceded lands, and for action in response to injustices. 


Reinhören könnt ihr hier, kaufen könnt Ihr da.  



22.12.2014

The Incredible Lewis


I'm too stoned to handle that right now. - nosebleeds, 20.7.2014

Nichts ist so spannend und faszinierend wie eine gute Geschichte mit einer Tonne Mythos und Esoterik. Das hatten sich vielleicht auch die Mitarbeiter des in Seattle, USA ansässigen Labels Light In The Attic gedacht, als ihnen diese wahrhaft unglaublichen Erlebnisse widerfahren sind.




LEWIS - L'AMOUR

Die Geschichte geht so: im Jahr 2007 findet der Plattensammler Jon Murphy auf einem Flohmarkt in kanadischen Edmonton eine interessant aussehende Privatpressung, die er sogleich an den fanatischen Sammler Aaron Levin weiterreicht. Die im Jahr 1983 aufgenommene und auf dem Label R.A.W. (es gibt immerhin einen Hinweis auf ein Postfach in Beverly Hills) veröffentlichte Platte wird in den Randbereichen der Randbereiche der Randbereiche des Internets über Jahre hinweg heiß diskutiert und in Sammlerkreisen als lange vergessene Perle gefeiert. Die Informationen auf dem Plattencover sind allerdings rar: der Künstler nennt sich Lewis, seine Platte heißt "L'Amour". Als Engineer wird Bob Kinsey erwähnt, an den Synthies saß Philip Lees, dazu gibt es den Hinweis auf den Fotografen Ed Colver (ein Punkrock-Fotograf aus Los Angeles) und eine Widmung für das Sports Illustrated-Model Christie Brinkley. Zu diesem Zeitpunkt ist Lewis ein Geist. Niemand weiß etwas über diesen Mann, niemand kennt seinen richtigen, vollständigen Namen, und ob er noch weitere Platten veröffentlichte, ist ebenfalls unbekannt. 

"L'Amour" ist eine surreale und für das Jahr 1983 völlig untypische Platte, stilistisch vielleicht keine Jahre, sondern gleich ganze Jahrzehnte seiner Zeit voraus. Ein leise getupftes Piano. Eine Akustikgitarre, die undefiniert durch die wabernden Synthieteppiche stakst. Eine Stimme, die murmelt, haucht, sich leise überschlägt und kaum verständlich ist. Walzer-Rhytmus. Als würde sich David Lynch einen Albtraum im heißen, schaumigen, romantisch beleuchteten Whirpools eines 5-Sterne-Hotels ausdenken. Es ist schwer, sowas im Jahr 2014 zu finden. Im Jahr 1983 erscheint es als völlig undenkbar.


Über Umwege landet die Story auf den Schreibtischen von Light In The Attic. Dort ist man von "L'Amour" so begeistert, dass sich das Personal auf die Suche nach Lewis macht, um das Mysterium zu entschlüsseln. Das Ergebnis wirft aber zunächst mehr Fragen auf, als dass es Antworten bietet. Das Postfach des R.A.W.-Labels in Beverly Hills ist schon lange aufgelöst, der Produzent der damaligen Session kann sich nur noch daran erinnern, Lewis sei aus dem Nichts gekommen und direkt nach Ende der eintägigen Aufnahme wieder ins Nichts zurückgekehrt. Außerdem stand der Sänger offensichtlich unter Drogeneinfluss, fuhr ein weißes Mercedes-Cabriolet und hatte eine ebenso vernebelte, blonde und attraktive Frau als Begleitung im Schlepptau, die wie ein Model aussah. Ed Colver erinnerte sich immerhin an den mutmaßlich bürgerlichen Namen von Lewis: Randall Wulff. Er erinnert sich vor allem deshalb an den Mann, weil Wulff die 250$-Rechnung für die Fotosession mit einem nicht gedeckten Scheck bezahlte.

Musikjournalist Jack D. Fleischer und der Privatdetektiv Markus Armstrong machten sich auf den Weg nach Alberta, einer westlichen Provinz Kanadas, wo "L'Amour" zum ersten Mal gefunden wurde. Sie fanden dort einen Neffen Wulffs, der sich zwar dunkel an einen früheren Besuch im komplett in weiß gehaltenen Appartement des Sängers erinnern konnte, und der außerdem bestätigte, dass Randall ein Börsenmakler gewesen sei, aber seit Jahren keinen Kontakt mehr mit ihm hielt und auch nicht wusste, wo er sich gerade aufhielt. Dafür erinnert er sich an ein weiteres Pseudonym: Randy Duke. Später sollten Fleischer und Armstrong herausfinden, dass unter diesem Namen in den Fiasco Bros. Studios in Vancouver angeblich drei bis vier weitere Alben aufgenommen wurden. 

Lewis selbst bleibt weiterhin unauffindbar. 

Light In The Attic stellt die Suche vorerst ein und veröffentlicht "L'Amour" Anfang des Jahres 2014. Das Label friert die Einnahmen aus den Verkäufen ein. Vielleicht taucht Lewis doch noch irgendwann auf. Die Platten-Nerds, vor allem die US-amerikanischen, drehen zu diesem Zeitpunkt ganz dezent frei. 






LEWIS BALOUE - ROMANTIC TIMES


Nur wenig später sollten sie aufgrund eines Beitrags auf der Homepage des Labels allerdings auf Turbostufe rotieren: im Bestand des DJs und Sammlers Kevin “Sipreano” Howes wurde in Calgary ein Vinylexemplar dessen gefunden, was vielleicht ein zweites Lewis-Album sein konnte; ein Album von dem bislang niemand wusste, dass es überhaupt existiert. "L'Amour" kursierte schließlich schon seit Jahren in der Sammlerszene, "Romantic Times" war trotz Internet'scher Überverfügbarkeit von jeder Art von Musik, sei sie noch so obskur und rar, völlig unbekannt. Kein einziges Google-Ergebnis, kein Hinweis auf Youtube. Es war der viel zitierte Heilige Gral, nach dem Sammlerherzen manchmal ihr ganzes Leben lang suchen. 

Der Künstler nannte sich nun Lewis Baloue, aber sein Gesicht war unverkennbar. Lewis posiert mit Zigarillo in einem weißen Anzug vor dem bereits vorher bekannt gewordenenen und ebenfalls weißen Mercedes-Cabrio und einem Privatjet. "Romantic Times", aufgenommen und privat veröffentlicht im Jahr 1985, ist so rar, dass dieses Exemplar als die zu jenem Zeitpunkt einzige bisher aufgetauchte Originalversion gilt. Light In The Attic kauft Howes die Platte ab, zieht Kopien von dieser Scheibe für eine Wiederveröffentlichung, bevor eine weitere Originalpressung von "Romantic Times" plötzlich auf Ebay auftaucht. Der Underground-Hype bei den Sammlern explodiert nun förmlich. Er treibt den Auktionspreis für "Romantic Times" auf sagenhafte 1800 US-Dollar. 




Musikjournalist Jack Fleischer, der die Liner Notes für beide bislang veröffentlichten Lewis-Alben schrieb, wird zu wie folgt zitiert:

Ok. Well now that the cat is out of the bag, I will shed a little light to wet the tastebuds... A Canadian digger turned a copy of this up 2 months ago and sold it to Light in the Attic. In a great irony, it was the same guy who we asked to go to the studio in Vancouver to ask about the recordings done there in the mid '00s. In an even greater irony, he found the record in his storage unit just thumbing through the refuse of some old buys. Such is life. The copy currently on eBay landed at THE SAME record store that Aaron bought his copies from years ago. It has been confirmed as having been recorded in Calgary, despite the address on the back for R.A.W. Corp which is actually a PO Box at a mailboxes etcetera type place in Beverly Hills.

The label had me come in and I found the disc under the coffee table, while Matt was on the phone. I initially thought it was a total hoax, but they handed me a CD-R and listening to it on the ride home I was pretty blown away. It's a great follow-up to an incredible record, and is decidedly even more personal and strange. The unintentional nods to Badalamenti on the first disc take a plunge into deep red room turf on "Romantic Times" and in some ways he feels like a necromancer waiting to make an appearance on that vaunted show. 5 years before it aired. I'll save the rest for the liner notes. Suffice to say, it's a doozy, and for me a future big one in the real people / twilight zone camp.


Die Musik auf "Romantic Times" ist im Grundsatz mit jener auf "L'Amour" vergleichbar, wirkt aber noch brüchiger und dunkler als auf dem Debut. Das Album öffnet mit einer unerwähnten Coverversion von "Strangers In The Night" (hier: "We Danced All Night") und schunkelt sich im weiteren Verlauf sehr konsequent auf einer Schwebewolke durch die Nacht. Stilistisch ist die Musik von Lewis kaum dechiffrierbar; ich kann auch nicht sagen, dass ich mir vor Begeisterung die Klamotten vom Leib reißen möchte, aber es liegt eine große Faszination in dieser Musik vergraben, etwas Gespenstisches, Eindringliches - natürlich ordentlich aufgeladen mit viel Mythos und vielen Rätseln und Geheimnissen. Ich glaube, es hilft dabei, die beiden Platten zu mögen, oder sie auch nur zu verstehen.


Dabei gibt es natürlich einiges zu Spekulieren: passiert das hier wirklich, oder ist es nur eine sauber ausgedachte Geschichte von ein paar komischen Typen? Warum taucht "Romantic Times" ausgerechnet bei dem Mann auf, der vorher schon von Fleischer und Armstrong angespitzt wurde, sich in dem Studio in Vancouver nach den späteren Aufnahmen zu erkundigen? Und warum taucht plötzlich ein Exemplar auf Ebay auf? Ist es nur ein Zufall, dass "Romantic Times" im selben Plattenladen in Calgary auftaucht, in dem Jahre vorher noch versiegelte Exemplare des Debuts gefunden wurden? Und: gab es Lewis wirklich? Wenn ja: lebt er noch? Wenn nein: wer steckt hinter all diesem Irrsinn?


Befeuert von der Entdeckung von "Romantic Times", recherchieren die Damen und Herren von Light In The Attic weiter - sie versuchen mit weiteren vermeintlichen Familienmitgliedern Wulffs Kontakt aufzunehmen, reisen durch Kanada und die USA und führen weitere Interviews. Im August 2014, wenige Wochen nach dem Bekanntwerden eines zweiten Lewis-Albums, kommt der große Schlag. Lewis ist gefunden. Jack und Matt treffen den Musiker angeblich in Kanada. Gleichzeitig tauchen Gerüchte auf, Wulff lebe mittlerweile auf Hawaii. Das einzige Foto, dass die beiden von ihm veröffentlichen, zeigt ziemlich definitiv den mittlerweile fast 30 Jahre älteren Mann der "'L'Amour" und "Romantic Times"-Cover. Der Hintergrund wurde auf Wunsch von Lewis verfremdet, sodass keine Rückschlüsse auf seinen Aufenthaltsort möglich sind. 


Randy had no idea about the recent interest in his old records and didn’t seem to care in the slightest. We had a check for him but he wasn’t interested. We brought him CDs and LPs of L’Amour. He took a look, impressed (“nice”), and smiled, recalling a number of positive stories from back in the day. Then handed back the CD, saying it was for us and kindly declined keeping it. Randy simply wanted to look forward with both his life and music and had no interest in any celebrity or financial gain having to do with the albums. He told us over and over again, “That was a long time ago” and that we should “have a ball” with the reissues. When we mentioned that we’d been looking for him for years, he was surprised, responding that he’s been right there all along and shops for groceries at his neighborhood store.

After a half hour chatting about his musical past, he signed a couple copies of L’Amour (as “Lewis”) and said, “I wish you guys all the best. I’m not looking back. I’m doing stuff now that’s taken me forty, fifty years to write. I’m not looking into coin. I’m not looking into anything. I’m just strumming my guitar. I just wish you guys all the best in the world.”





Als Reaktion auf Lewis' Verzicht zur finanziellen Beteiligung an den Verkäufen entschieden Light In The Attic, die beiden Lewis-Alben nicht mehr nachzupressen, sollten sie ausverkauft sein. Die Einnahmen werden weiter eingefroren für den Fall, dass es sich Lewis doch nochmal anders überlegt. 

Und während die Herzallerliebste ob des entrückten Gemurmels von Lewis noch immer in sich hinein kichert und mittlerweile der Auffassung ist, die beiden Platten seien nicht 1983 und 1985 entstanden, sondern stattdessen mit 99,9%iger Wahrscheinlichkeit erst vor kurzem neu aufgenommen worden und die Community der Plattensammler sei damit einem gigantischen Hoax auf den Leim gegangen (eine Möglichkeit, die auch ich für absolut plausibel halte, während sie vom Label - natürlich - vehement bestritten wird), lege ich an diesem vorweihnachtlichen Montagmittag und bei Kerzenschein und Salbeitee nochmal "Romantic Times" auf den Plattenteller - denn eines ist auch klar: sollte das wirklich alles so passiert sein, wie es uns Light In The Attic seit Monaten erzählt, dann ist es aus allen erdenklichen Blickwinkeln nichts weniger als eine Sensation. Eine wunderbare, wahrhaftige Sensation. 

I Want To Believe.

Re-Issues erschienen auf Light In Attic, 2014

14.12.2014

"WE FOUND BAD BONN."



PTERODACTYL - PTERODACTYL


Ein etwas obskures Schätzchen noch kurz vor Weihnachten und dem ganzen unvermeidbaren Listenkram, der mich - und damit irgendwie auch Euch - sicherlich wieder bis März beschäftigen wird, und über den ich auch in diesem absoluten und verboten-armseligen Scheißjahr 2014 schon mindestens dreizehn bis achtzehn Sekunden nachgedacht habe. 

Pterodactyl stammten aus der Gegend um Brooklyn und veröffentlichten im Jahr 2007 mit ihrem selbstbetitelten Debut ein nervöses, aufkratzendes Album. Das Trio kommt, holzt - und ehe man sich versieht, ist es auch schon wieder weg. Die hysterischen, hellen und schrillen Organe der beiden Sänger Kurt Beals und Joe Kremer, letzterer ist im halbwegs seriösen Leben tatsächlich ein Physiklehrer, die hier und da mittels Sampler übereinander geschichtet wurden und damit eine dichte und unwirkliche Stimmung erzeugen, dominieren, während im Hintergrund die mal hektischen, mal swingenden Drums von Matt Marlin vorbeiwuseln. Die verspulten Gitarrenläufe und -melodien schrauben dabei die Extase der Band immer weiter nach oben. Das ist nicht besonders sexy, aber dafür frisch, spontan und wild.

Eine mehr als krude Mischung aus Noiserock, Hard- und Mathcore mit einem äußerst erfreulichen Spritzer Garagenrock oder auch, als Synonym: frühem Grunge. Kein Mainstream-Grunge von Anfang der neunziger Jahre, eher von dem holpernden und schrägen Herumgerocke und Rumgerotze, das Ende der Achtziger noch tief in der Ursuppe vor sich hin köchelte. Dreckiges Psycho-Riffing wie in "Rampage 1", fuzzige Bass- und Gitarren-Noiseorgien in der Fortsetzung "Rampage 2", an treibenden und abgefahrenen Postrock erinnernde Songfetzen wie in "Three Succeed" oder "Astross" und Hi-Speed-Wahnsinn in "Chx Bx" prägen eine verrückte Platte, die sich, man mag's erahnen, nicht abschließend beschreiben lässt. 

Die Songs sind sperrig und anstrengend, haben sicherlich die ein oder andere Schraube locker und überschreiten auch mal die Grenze zum unerträglichen Krach. Aber sie sind charmant. Eben weil sie sich nicht einordnen lassen, weil sie voller Ideen stecken, weil sie dich die Perspektive wechseln lassen. "Pterodactyl" will nicht ganz bestimmt nicht Dein Freund sein, ist kratzbürstig, manchmal unangenehm und unhöflich - und darauf muss man sich erst mal einstellen. Aber mal ehrlich: Kann man einer Band böse sein, die bei einem Label veröffentlicht, das "If it doesn't suck it's probably not on Brah" als Werbespruch benutzt? 

Eben.

Erschienen auf Brah Records, 2007.


30.11.2014

Chances With Wolves - Gil Scott Heron Memorial Show


Chances With Wolves ist der Name einer Radiosendung aus Brooklyn, die jeden Montag zwischen 18:00 und 20:00 auf dem zunächst eingestellten, nun aber wiederbelebten East Village Radio läuft.





Ich bin kürzlich über ihre Gil Scott Heron Memorial Show gestolpert, die im Juni 2011 und damit kurz nach Scott-Herons Tod ausgestrahlt wurde und die man entweder via Soundcloud streamen, oder aber unter dem Blog der Macher sogar herunterladen kann. Die anderen Sets, die auf jenem Blog zu finden sind, sind darüber hinaus auch sehr zu empfehlen.

Knapp zwei Stunden der besten Musik vom großen Poeten und Rebellen Gil Scott-Heron. Am End' könnte euch das gefallen.

Enjoy.

28.11.2014

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MY MORNING JACKET - Z


Sie würde nun vehement protestieren, säße sie denn neben mir, aber dass die Herzallerliebste neuer Musik des Herrn Florian im besten Fall eher ambivalent gegenübersteht und sie in aller Regel stillschweigend erträgt, beziehungsweise sie im weniger guten Fall mit einigen Unmutsbekundungen überzieht – die Band, die sich diesbezüglich die meisten Ohrlaschen abholen darf heißt übrigens Leatherface; ich darf zitieren:“Da bekomm‘ ICH Halsschmerzen, wenn ich den Typen singen höre!“ – ist meinetwegen ganz dezent übertrieben, in der Sache aber auch nicht so irre falsch. Weit liegen wir in unseren musikalischen Vorlieben gar nicht auseinander, ich glaube aber, dass ich einfach ein gutes Schippchen weniger wählerisch bin. Eine Einlassung, zu der mir auch wieder eine Handvoll Menschen einfielen, die jetzt ihrerseits vehement protestieren würden. Beim vierten Album dieses Quintetts aus Kentucky um Sänger und Mastermind Jim James indes sind sich Frau P und meine Wenigkeit einig: das ist eine tolle Platte. 

Die Band , die in den Vereinigten Staaten sogar den Madison Square Garden in New York mit 18000 Menschen locker ausverkauft bekommt, pendelt auf „Z“ zwischen Folkrock und leisem, aber vor allem sehr sphärischem und psychedelischem Indiegewürmel umher, manchmal zaghaft von Reggae-beeinflusstem Geschunkel wie in „Off The Record“ oder, wie im vergleichsweise fast schon stürmischen „What A Wonderful Man“ mit soulig angehauchter rockiger Strohballennote unterbrochen. Highlight von „Z“ ist ganz bestimmt der Rausschmeißer „Dondante“, ein sich bis zur Extase hochschraubender Siebenminüter mit ausuferndem Gesang und peitschendem Crescendo, der auf dem Höhepunkt abbricht und sich dann mittels ungewöhnlich langer Ausblendphase ins Nirwana kreiselt. Danach kommt Stille.

„Z“ ist sicher ein leicht kauziges, aber überaus charmantes Werk, auch weil es, im Wortsinn, mitfühlt. Die Band ist immer ganz nah an mir dran, als könnten diese Songs mein Innenleben mit all den Zweifeln und all der Lebenslust lesen und sich zu einem Zuhörer und Begleiter entlang amorpheln. Verwurzelt in den siebziger Jahren, mit erstaunlicher Tiefe und brillianten Melodien ausgestattet. Dafür zu keiner Sekunde kitschig oder ironisch. Kein Indiegezappel, kein Clubgehopse. Nur Musik von einer Band, die es mit dieser Platte unbedingt wissen wollte. Und die über sich selbst hinausgewachsen ist. 

Musik, die in den besten Momenten zu Tränen rühren kann, weil man erkennt, dass das Leben so schlecht gar nicht ist. 

Erschienen auf ATO, 2006.