23.11.2015

Und die Moral von der Geschicht'....

Ich bin heute weitaus weniger versessen auf politisches Kabarett als noch vor ein paar Jahren - einerseits fiel der Umgang mit der nahtlos einsetzenden Ohnmacht nicht immer zum Vorteil meiner Mentalhygiene aus, andererseits überschnitten sich oft nicht nur die Themen, sondern auch die Arten des Vortrags - und beides entwickelte sich mit der Zeit und kerzengerade folgerichtig nicht gerade zu einem Thriller, dem man nicht mehr entkommen kann. Zusätzlich bekam der Vorwurf, politisches Kabarett hole in seiner ihm innewohnenden Selbstgerechtigkeit sowieso nur das aus systemisch felsenfest verankerten Wohlstandsschranzen bestehende Publikum ab, und arbeitet somit weiter in der Kostümierung als "Useful Idiot" fleißig an der Zementierung der Verhältnisse, dass also "oben" auch weiterhin oben und "unten" um Himmels Willen nicht nach da "oben" kommen soll, in dieser Zeit auch immer mehr Gewicht. Ich mag natürlich noch einige Protagonisten wie zum Beispiel Hagen Rether, dessen Auftritt im April 2014 im Wiesbadener Kurhaus mir noch in guter Erinnerung ist, weil ich mir nicht nur für fast vier Stunden (netto!) und in aller Seelenruhe verbal die - Pardon! - Fresse polieren ließ und dafür auch noch Geld bezahlte, sondern weil der Abend in seiner aufreizend ruhig vorgetragenen Gnadenlosigkeit etwas in mir veränderte und meine Sicht auf den ganzen Irrsinn da draußen verschob. Der Auftritt geriet beinahe zu einem Vertigo der Sinne; es gab praktisch niemanden der gut 1000 Besucher, der nach diesen vier Stunden und der gleich mehrfach ausgelösten Sprinkleranlage im Hirn noch klar bei Verstand gewesen wäre - mir erging es da nicht anders. Wir hatten alle nur noch Pudding im Hirn, so mancher möglicherweise schon bevor das Saallicht um 20 Uhr zum ersten Mal gedimmt wurde. Auf der Heimfahrt versuchten Al und ich zu ergründen, was das gerade war und wie es uns damit ging und vor allem: was künftig auf gar keinen Fall mehr gehen sollte. Wenn dieser Abend einen Fokus neu ausrichtete, dann den auf das eigene Sein, Denken und Handeln - und ganz besonders auf das Handeln. Es war uns klar, dass wir uns nicht mehr 4 Stunden lang im weichen Polstersessel die eigene Unzulänglichkeit diktieren lassen wollten, um am Ende auch noch herzhaft darüber zu lachen.

"Toller Abend, und die Schnittchen waren auch super. Und wie weich das Toilettenpapier war. Stößchen!"

Man kennt das alles, man weiß das alles und wenn man es nicht weiß, ist es mit zwei Klicks zu Hause - jetzt muss man auch endlich was tun. Sich entscheiden, zum Beispiel. Ich kann nicht sagen, dass ich immer und überall durchhalte - aus dem schlauen Gedanken in die schlaue Aktion zu kommen ist weder das Einfachste der Welt noch ganz grundsätzlich für Jedermann gedacht, während es komischerweise aus dem dummen Gedanken in die dumme Aktion immer und überall wie ein eingeöltes Zäpfchen auf die große Reise geht. Eine Reise, die selten gut endet - es sei denn, das Zäpfchen stillt Schmerzen und lässt Dich rosa Elefanten sehen.

Jedenfalls: Ich tat etwas, und das war die Glotze und das Internet immer öfter auszulassen. Mehr Musik, mehr Einkehr, mehr Reflektion, mehr Aktion. Klappt mal mehr, mal weniger - aber der Ausgangspunkt, und sei es nur der argumentative oder noch trivialer: der Abend im April 2014, der war immer im Kopf.


Nichtsdestotrotz habe die neue Inkarnation der Anstalt, angeführt von Claus von Wagner und Max Uthoff, bereits im Sommer 2014 lobend erwähnt, nachdem sie im Rahmen einer ihrer Sendungen auf den Korruptionssumpf der FIFA in Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft im Fußball 2014 aufmerksam machten, und das mitten im teutonischen Jubeltaumel. Weil "so gehen die Deutschen", und das tun sie am liebsten immer noch über Leichenberge, die sie in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten an- und also aufgehäuft haben.

Ab und an bekomme ich noch eine Ausgabe der Anstalt mit und immer, wenn ich sie sehe, bin ich beeindruckt von ihrem Bestreben, die Wut und die Ohnmacht, zwei der gefürchtesten Endgegner des real existierenden Chaos' in neue Bahnen zu lenken - vor allem in emotionale. Die Sendungen gleichen mehr und mehr künstlerischen Theateraufführungen mit sorgfältig inszenierter Dramatik, die den roten Faden bis zum emotionalen Höhepunkt zum Schluss begleitet. Weniger Klamauk als mit Urban Priol, weniger vom rasenden Zorn eines Georg Schramm, weniger vom lokalkolorierten Weichzeichner eines Frank-Markus Barwasser, dafür mehr dediziert und beharrlich vorgetragene Angriffslust, in der Ansprache etwas ruhiger als ihre Vorgänger, aber mit größerer inhaltlicher Wucht. Moralisch? Ganz bestimmt.

Ich schreibe diesen Text heute sehr spontan, weil ich die letzte Ausgabe vom 17.11.2015 anschaute und die letzten 5 Minuten praktisch durchheulte. Schon wieder. Ich finde, es ist sehr lohnenswert, diese Sendung zu sehen. Ich bin weder besonders wütend noch ohnmächtig als viel mehr im Herzen getroffen - und aus dieser Motivation heraus erscheint es für den Moment durchaus leichter zu sein, einen neuen Weg, eine neue Tür zu entdecken, als mit Schaum vorm Mund und mit 300 Puls "wie vernagelt" (Polt) zu sein. Ich bin nicht weniger empört, aber die Lust auf eine Veränderung, auf eine Entscheidung - die ist größer. Und apropos Empörung: in der Konkret erschien kürzlich ein sehr lesenswertes und inspirierendes Interview mit Anstaltsleiter Max Uthoff.







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