DITZNER LÖMSCH DUO II
Ein Album, in das man sich wie in heißen Wüstensand eingraben möchte. Wenn nicht gar muss. Und woher jetzt ausgerechnet diese Assoziation kommt, weiß natürlich wieder kein Mensch. Also fast keiner.
Humor, Intimität und Grenzenlosigkeit lassen sich nicht gerade mit links in Zusammenhang bringen, wenn die Geschwindigkeit unserer Welt nur Zeit lässt, um die schnelle Laugenbrezel und eine Art von Spülwasser mit Kaffeearoma auf einer Autobahnraststätte runterzuwürgen. Oder wenn hinter jedem Klick auf den Streamingangeboten dieses verrückten Internetzes um das nächste Single-Hypesoufflé gebettelt wird, weil die Aufmerksamkeitsspanne für ein komplettes Album nicht mehr ausreicht. Immer alles ganz wichtig, immer alles ganz schnell, immer alles on the edge, denn wer nicht auf der "Edge" (Steven Tyler) ist, der ist verloren und indifferent, der hat's halt nicht geschafft. Entschleunigung tut gut, in den meisten Fällen jedenfalls, und die Beschäftigung mit ebenjener, die Reflektion des eigenen Irrsinns zusammen mit dem im besten Fall eintretenden frischen Windzug im Dachgeschoss, erscheint immer öfter als lohnenswert.
Das Stoßlüften hilft auch dabei, so manche Vorurteile mit der Kettensäge zu zerkleinern, um sie hernach in einen schönen Kamin zu feuern: Europäischer Jazz, deutscher zumal, steht für gewöhnlich nicht besonders hoch im Kurs im Hause Dreikommaviernull. Die biedere Aura von stocksteifen Musikkonservatoriumsstrebern und die strenge Disziplin von sich selbst viel zu ernst nehmenden Weltmeistern im Baumstammsitzen lässt mich für gewöhnlich nach wenigen Sekunden die Schublade mit den weniger gut gemeinten Worten öffnen, und wenn's nicht so ärgerlich wäre, könnte ich die gepflegte Langeweile auf all den gelackten Produktionen glatt als Substitut für meine Blutdrucksenker verwenden. Unzulässige Verallgemeinerung, geschenkt. Die Auseinandersetzung mit dem dritten Album des Ditzner Lömsch Duos lässt die Systole dagegen ganz nonchalant im Normbereich herumpendeln, dank der auftretenden freudigen Erregung (Hossa!) gibt es sogar zaghafte Ausflüge in Richtung Herzflattern - und es flattert schon ganz besonders hübsch beim bloßen Betrachten der Schallplatte: das Artwork, das aufklappbare Cover und die großartigen Bilder glänzen sowohl durch den geschmackvollen Zusammenhalt des Konzepts, als auch mit beeindruckenden Kontrapunkten zur Musik des Duos.
Die ist, wie bereits angedeutet, in der Ausrichtung durchaus heterogen. Intim, verschachtelt, zurückgezogen und konzentriert wie in der Eigenkomposition "Isor" von Saxofonist Lömsch Lehmann, plötzlich humorvoll und frech wie beispielsweise in der Interpretation von Charlie Parkers "Chi-Chi", die Parkers sprühende Lebendigkeit in einen gefühlten Computerspielbeat (Atari!) einerseits und in kristallklare, an Ulrich Lasks "Polar Circles" Experiment erinnernde Saxofonlinien andererseits aufdividiert. In "Kupuri" geht ein anerkennendes (es ist doch anerkennend?!) Kopfnicken des Duos außerdem in die Richtung von Mittneunziger New Age/World Beat-Sounds von John Wilson und seines Tulku-Projekts, das später auf einigen Ausgaben des erfolgreichen Buddha-Bar Samplers zu finden war.
Dabei ist es gar nicht so einfach, diese eingangs erwähnte Diskrepanz zwischen der Intimität und der Weite in ihrer Musik zu beschreiben, und wenn ich jetzt auch "Diskrepanz" geschrieben habe, dann ist's im Grunde schon wieder Quatsch, denn so eine "Widersprüchlichkeit", so eine "Uneinigkeit" - die gibt's doch gar nicht. Das ist alles Eins.
Totaler Fokus - und Träumerei. Hochverdichtet - und schräg zerfasert. Aufmerksame Disziplin - und die Lust am Spiel. Spirituell - und antiautoritär.
Erwin Ditzner (Drums, Percussion und elektrische Zither) und Lömsch Lehmann (Saxofon, Klarinette und Bontempi) bleiben in ihren musikalischen Abenteuern stets sehr eng miteinander verbunden; beinahe kammermusikalisch ihr Zusammenspiel, experimentell und intellektuell. Das ist nicht immer mit der eigenen Lebensrealität vereinbar, und es gab Momente, in denen es völlig undenkbar schien, nun ausgerechnet dieses Album aufzulegen; was dieser Platte indes auf wenngleich sehr subtile, aber dafür nachhallende Weise gelingt, ist die unterschiedlichen Fixpunkte ihres natürlichen musikalischen Lebensraums miteinander zu verbinden, ohne gleichzeitig die Erdung und die Kontrolle zu verlieren. Ein durchaus bemerkenswert abgedecktes Spektrum, das die Musik des Duos in seiner Ausprägung nicht zerreißt, sondern im Gegenteil: vereint.
Für Fortgeschrittene.
(Ein Video aus dem Jahr 2010 - inklusive Headbangeinlage von Herrn Lehmann)
Erschienen auf Fixcel Records, 2015.
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