13.04.2019

Best Of 2018 ° Platz 2 ° Wanderwelle - Gathering Of The Ancient Spirits




WANDERWELLE - GATHERING OF THE ANCIENT SPIRITS



Den härtesten Kampf mit der Leere auf dem virtuellen Blatt Papier und jener im eigenen Kopf musste ich für den aktuellen Jahresrückblick mit "Gathering Of The Ancient Spirits" austragen. Das hat zwei Gründe. Einerseits war ich sehr spät dran: ich schlief für die Erstpressung dieses Juwels den Schlaf der Gestörten und wachte erst auf, als erstens die Preise für das schön anzuschauende gelbe Vinyl in absurde Höhen kletterten, und ich mich zweitens auf den Repress - diesmal auf blauem Vinyl - freuen konnte. Meine anfänglich nur mit wenig Konfetti schmeißende Libido lässt sich indes auch mit dem ausbleibendem Kniefall vor Wanderwelles Debutalbum "Lost In A Seas Of Trees" erklären, das mich im Jahr 2017 offenbar auf einem falschen Fuß erwischt zu haben schien und letzten Endes an mir ähnlich folgenlos abprallte wie kognitives Leistungsvermögen an der substantia alba von Ulf Poschardt. Und bis ich mich unfallfrei dazu entschließen kann, vom falschen auf den richtigen Fuß umzutänzeln, braucht es hin und wieder ein Weilchen.

Andererseits ist da eine gewisse Furcht, in den ubiquitären Chor vom Ambient-Rezensionen einzustimmen, der wie auf Knopfdruck Begriffe wie "Kopfkino" (es wird tatsächlich immer fucking noch verwendet; vgl. "zeitnah") oder Flug-Analogien ausspuckt. Manches braucht nicht nur Zeit, sondern ab und zu tatsächlich auch mal sowas wie einen Gedanken, einen gescheiten noch dazu. Und es braucht die Basis aus beiden: Inspiration.

"Gathering Of The Ancient Spirits" liefert mir auf zu vielen Ebenen eher zu viel Inspiration - und daraus folgen unweigerliche Kapazitätsengpässe im Oberstübchen: wie fange ich an, über diese Musik zu schreiben? Ich habe sowas noch nicht gehört. Und eigentlich habe ich sowas auch noch nie gefühlt. Und hier könnte diese Rezension zu Ende sein.

Das Produzenten-Duo aus Amsterdam widmet sich auf diesem Konzeptalbum den letzten Jahren des Künstlers Paul Gauguin und seinen Reisen in die Südsee. Gauguin brach erstmals im Jahr 1891 in Richtung Tahiti auf, um das in seiner Fantasie ausgemalte unberührte Paradies zu finden, weit entfernt von seiner Heimat Frankreich, weit entfernt von den Sitten Europas. Er schuf dort Bilder und Holzskulpturen, die weniger ein tatsächliches Abbild dessen waren, was er dort sah und erlebte, als viel mehr die Projektionen seiner Vorstellungen und Hoffnungen eines solchen Lebens in Abgeschiedenheit. Als er zwei Jahre später nach Frankreich zurückkehrte und die dortige Bevölkerung seinen Arbeiten die kalte Schulter zeigte, verließ er seine Heimat ein zweites Mal. Dieses Mal sollte er nicht zurückkehren: er starb 1903 auf Hiva Oa, einer Insel des abgelegenen Marquesas-Archipels. Wanderwelle erzählen über das Leben und die Erlebnisse Gauguins in dieser Zeit.

Hier ist die Synopsis zum Album zu finden. http://silentseason.com/ssv13/

"Gathering Of The Ancient Spirits" ist geheimnisvoll. Getrieben. Unheimlich. Und es steht eigentlich ein paar Stufen über fast allem. Stilistisch, weil die Kombination aus Dubtechno, Ambient, Electronica und Tribal so einzigartig ist. Auf der Metaebene, weil die Musik in Verbindung mit den wortlosen Erzählungen über Natur, Kunst, Leben und Spiritualität und dem umwerfenden Coverartwork plötzlich mehr wird, als nur Klang.

Es ist ein Kunstwerk. Und ich bin ehrlicherweise davon überfordert.


Pressung: +++++ (Makellos)
Ausstattung: +++++ (Gelbes/Blaues Vinyl, Gatefold-Cover, ausführliche Liner Notes, großartiges  Art-Design)





Erschienen auf Silent Season, 2018.

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