05.12.2015

Scott Weiland (1967 - 2015)





The laughter's all gone 

but the memories are mine


Die Stone Temple Pilots hatten besonders zu Beginn ihrer Karriere keinen leichten Stand. Peal Jam, Nirvana, Soundgarden und Alice In Chains hatten das große Mainstreamfeld des Grunge bestellt, auf dem sich goldene Schallplatten im saloppen Vorbeigehen pflücken ließen, und als das Quartett aus San Diego 1992 mit ihrem Debut "Core" praktisch umgehenden großen Erfolg hatte, war die Angriffsfläche der Journaille riesig: eine Imitation des Grunge, Epigonen, Trittbrettfahrer, substanzlose Kopisten. Die Fans ließen sich davon nicht abhalten, die Kapelle bis an die Spitze zu spülen - "Core" ist alleine in den USA über 8 Millionen Mal verkauft worden, der Nachfolger "Purple" schaffte es bis auf die Nummer 1 der US-amerikanischen Billboardcharts, die Singles "Plush" und "Creep" sind in jeder Lebensdiskografie der damaligen Generation einbetoniert. Insgesamt stehen über vierzig Millionen verkaufte Tonträger auf dem Deckel - und Erfolg begünstigt eben Neid. Vor allem in Deutschland waren viele Schreiber, gerade aus der traditionell bestens unsortierten metallischen Ecke, besonders schlau und attackierten die Band wo sie nur konnten. Was die Truppe natürlich gerechtermaßen einen feuchten Dreck interessierte, zumal in Amerika die größten Konzerthallen ausverkauft waren und die Kassen über mehrere Jahre hinweg sehr konstant und in süßesten Tönen klingelten. Ebenfalls gerechtermaßen.

Mich hat die Kritik gleichfalls nie interessiert - es war MEINE Zeit und die Stone Temple Piots begleiteten mich durch die erste Liebe, durch die daraus entstehenden großen Enttäuschungen, durch die Pubertät, in der das Chaos im Schädel regiert, durch die vermeintliche Rebellion. Durch durchgequatschte Nächte mit Freunden, die einem wichtig waren, die Discoabende in der Frankfurter Batschkapp, den ersten Rauchrausch. Die Besetzung des elterlichen Wohnzimmers, das Verschütten eines eigenhändig zusammen gemischten schwarzen Cocktails auf dem cremefarbenen Perserteppich von Mutti, der anschließende Lachkrampf von 12 Freunden. Die Stone Temple Pilots gehörten zu meinem Leben in den neunziger Jahren, in denen im Rückblick alles noch einfacher, unverbrauchter, naiver und unbeschwerter war. Wie eben praktisch alles im Rückblick immer einfacher, unverbrauchter, naiver und unbeschwerter erscheint - nur dass die gelebte und damit vergangene Realität immer eine andere war: gar nicht so hell und fröhlich, nur manchmal bis sogar überaus selten unbeschwert.

Dass es Musik über 20 Jahre nach dieser so bemerkenswerten und prägenden Zeit gelingt, mir das Gefühl einer Unbeschwertheit zurück in die 90qm Businesskasperhausen zurückzuballern, bekommt heute Abend einen bitteren Beigeschmack.

Scott Weiland, Sänger der Stone Temple Pilots und später der Frontmann von Velvet Revolver, ist am vergangenen Donnerstag gestorben. Und wie es schon bei den Heimgängen von Kurt und Layne war, geht damit auch ein Teil meiner Erinnerungen.

Die Helden sterben aus.




29.11.2015

Bvdub - Safety In A Number



no label, no distro, no one in-between us.
these will never be re-pressed or re-issued.
there are no sound samples and no previews.
i ask you to trust me, as i trust you.
i hope we can return to music being a true and new experience.
the most involved, complete, and intense album i have ever made - over a two-year span, on two continents, this is, for me, the zenith of my ambient sound, and voice, to date. 
(Brock van Wey)

Man mag das als betuliches, überambitioniertes, exklusivitätserigiertes Künstlergewäsch halten. Man kann andererseits die Aufrichtigkeit eines sensiblen und emotionalen Menschen bewundern.

Es ist wie bei Lee Reed: die Guten sind die Verrückten. Dabei sind die Verrückten die Guten.

"Safety In A Number" läuft seit einer Woche auf Endlosschleife.






23.11.2015

Und die Moral von der Geschicht'....

Ich bin heute weitaus weniger versessen auf politisches Kabarett als noch vor ein paar Jahren - einerseits fiel der Umgang mit der nahtlos einsetzenden Ohnmacht nicht immer zum Vorteil meiner Mentalhygiene aus, andererseits überschnitten sich oft nicht nur die Themen, sondern auch die Arten des Vortrags - und beides entwickelte sich mit der Zeit und kerzengerade folgerichtig nicht gerade zu einem Thriller, dem man nicht mehr entkommen kann. Zusätzlich bekam der Vorwurf, politisches Kabarett hole in seiner ihm innewohnenden Selbstgerechtigkeit sowieso nur das aus systemisch felsenfest verankerten Wohlstandsschranzen bestehende Publikum ab, und arbeitet somit weiter in der Kostümierung als "Useful Idiot" fleißig an der Zementierung der Verhältnisse, dass also "oben" auch weiterhin oben und "unten" um Himmels Willen nicht nach da "oben" kommen soll, in dieser Zeit auch immer mehr Gewicht. Ich mag natürlich noch einige Protagonisten wie zum Beispiel Hagen Rether, dessen Auftritt im April 2014 im Wiesbadener Kurhaus mir noch in guter Erinnerung ist, weil ich mir nicht nur für fast vier Stunden (netto!) und in aller Seelenruhe verbal die - Pardon! - Fresse polieren ließ und dafür auch noch Geld bezahlte, sondern weil der Abend in seiner aufreizend ruhig vorgetragenen Gnadenlosigkeit etwas in mir veränderte und meine Sicht auf den ganzen Irrsinn da draußen verschob. Der Auftritt geriet beinahe zu einem Vertigo der Sinne; es gab praktisch niemanden der gut 1000 Besucher, der nach diesen vier Stunden und der gleich mehrfach ausgelösten Sprinkleranlage im Hirn noch klar bei Verstand gewesen wäre - mir erging es da nicht anders. Wir hatten alle nur noch Pudding im Hirn, so mancher möglicherweise schon bevor das Saallicht um 20 Uhr zum ersten Mal gedimmt wurde. Auf der Heimfahrt versuchten Al und ich zu ergründen, was das gerade war und wie es uns damit ging und vor allem: was künftig auf gar keinen Fall mehr gehen sollte. Wenn dieser Abend einen Fokus neu ausrichtete, dann den auf das eigene Sein, Denken und Handeln - und ganz besonders auf das Handeln. Es war uns klar, dass wir uns nicht mehr 4 Stunden lang im weichen Polstersessel die eigene Unzulänglichkeit diktieren lassen wollten, um am Ende auch noch herzhaft darüber zu lachen.

"Toller Abend, und die Schnittchen waren auch super. Und wie weich das Toilettenpapier war. Stößchen!"

Man kennt das alles, man weiß das alles und wenn man es nicht weiß, ist es mit zwei Klicks zu Hause - jetzt muss man auch endlich was tun. Sich entscheiden, zum Beispiel. Ich kann nicht sagen, dass ich immer und überall durchhalte - aus dem schlauen Gedanken in die schlaue Aktion zu kommen ist weder das Einfachste der Welt noch ganz grundsätzlich für Jedermann gedacht, während es komischerweise aus dem dummen Gedanken in die dumme Aktion immer und überall wie ein eingeöltes Zäpfchen auf die große Reise geht. Eine Reise, die selten gut endet - es sei denn, das Zäpfchen stillt Schmerzen und lässt Dich rosa Elefanten sehen.

Jedenfalls: Ich tat etwas, und das war die Glotze und das Internet immer öfter auszulassen. Mehr Musik, mehr Einkehr, mehr Reflektion, mehr Aktion. Klappt mal mehr, mal weniger - aber der Ausgangspunkt, und sei es nur der argumentative oder noch trivialer: der Abend im April 2014, der war immer im Kopf.


Nichtsdestotrotz habe die neue Inkarnation der Anstalt, angeführt von Claus von Wagner und Max Uthoff, bereits im Sommer 2014 lobend erwähnt, nachdem sie im Rahmen einer ihrer Sendungen auf den Korruptionssumpf der FIFA in Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft im Fußball 2014 aufmerksam machten, und das mitten im teutonischen Jubeltaumel. Weil "so gehen die Deutschen", und das tun sie am liebsten immer noch über Leichenberge, die sie in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten an- und also aufgehäuft haben.

Ab und an bekomme ich noch eine Ausgabe der Anstalt mit und immer, wenn ich sie sehe, bin ich beeindruckt von ihrem Bestreben, die Wut und die Ohnmacht, zwei der gefürchtesten Endgegner des real existierenden Chaos' in neue Bahnen zu lenken - vor allem in emotionale. Die Sendungen gleichen mehr und mehr künstlerischen Theateraufführungen mit sorgfältig inszenierter Dramatik, die den roten Faden bis zum emotionalen Höhepunkt zum Schluss begleitet. Weniger Klamauk als mit Urban Priol, weniger vom rasenden Zorn eines Georg Schramm, weniger vom lokalkolorierten Weichzeichner eines Frank-Markus Barwasser, dafür mehr dediziert und beharrlich vorgetragene Angriffslust, in der Ansprache etwas ruhiger als ihre Vorgänger, aber mit größerer inhaltlicher Wucht. Moralisch? Ganz bestimmt.

Ich schreibe diesen Text heute sehr spontan, weil ich die letzte Ausgabe vom 17.11.2015 anschaute und die letzten 5 Minuten praktisch durchheulte. Schon wieder. Ich finde, es ist sehr lohnenswert, diese Sendung zu sehen. Ich bin weder besonders wütend noch ohnmächtig als viel mehr im Herzen getroffen - und aus dieser Motivation heraus erscheint es für den Moment durchaus leichter zu sein, einen neuen Weg, eine neue Tür zu entdecken, als mit Schaum vorm Mund und mit 300 Puls "wie vernagelt" (Polt) zu sein. Ich bin nicht weniger empört, aber die Lust auf eine Veränderung, auf eine Entscheidung - die ist größer. Und apropos Empörung: in der Konkret erschien kürzlich ein sehr lesenswertes und inspirierendes Interview mit Anstaltsleiter Max Uthoff.







21.11.2015

Hanni und Nanni




DITZNER LÖMSCH DUO II


Ein Album, in das man sich wie in heißen Wüstensand eingraben möchte. Wenn nicht gar muss. Und woher jetzt ausgerechnet diese Assoziation kommt, weiß natürlich wieder kein Mensch. Also fast keiner. 

Humor, Intimität und Grenzenlosigkeit lassen sich nicht gerade mit links in Zusammenhang bringen, wenn die Geschwindigkeit unserer Welt nur Zeit lässt, um die schnelle Laugenbrezel und eine Art von Spülwasser mit Kaffeearoma auf einer Autobahnraststätte runterzuwürgen. Oder wenn hinter jedem Klick auf den Streamingangeboten dieses verrückten Internetzes um das nächste Single-Hypesoufflé gebettelt wird, weil die Aufmerksamkeitsspanne für ein komplettes Album nicht mehr ausreicht. Immer alles ganz wichtig, immer alles ganz schnell, immer alles on the edge, denn wer nicht auf der "Edge" (Steven Tyler) ist, der ist verloren und indifferent, der hat's halt nicht geschafft. Entschleunigung tut gut, in den meisten Fällen jedenfalls, und die Beschäftigung mit ebenjener, die Reflektion des eigenen Irrsinns zusammen mit dem im besten Fall eintretenden frischen Windzug im Dachgeschoss, erscheint immer öfter als lohnenswert. 

Das Stoßlüften hilft auch dabei, so manche Vorurteile mit der Kettensäge zu zerkleinern, um sie hernach in einen schönen Kamin zu feuern: Europäischer Jazz, deutscher zumal, steht für gewöhnlich nicht besonders hoch im Kurs im Hause Dreikommaviernull. Die biedere Aura von stocksteifen Musikkonservatoriumsstrebern und die strenge Disziplin von sich selbst viel zu ernst nehmenden Weltmeistern im Baumstammsitzen lässt mich für gewöhnlich nach wenigen Sekunden die Schublade mit den weniger gut gemeinten Worten öffnen, und wenn's nicht so ärgerlich wäre, könnte ich die gepflegte Langeweile auf all den gelackten Produktionen glatt als Substitut für meine Blutdrucksenker verwenden. Unzulässige Verallgemeinerung, geschenkt. Die Auseinandersetzung mit dem dritten Album des Ditzner Lömsch Duos lässt die Systole dagegen ganz nonchalant im Normbereich herumpendeln, dank der auftretenden freudigen Erregung (Hossa!) gibt es sogar zaghafte Ausflüge in Richtung Herzflattern - und es flattert schon ganz besonders hübsch beim bloßen Betrachten der Schallplatte: das Artwork, das aufklappbare Cover und die großartigen Bilder glänzen sowohl durch den geschmackvollen Zusammenhalt des Konzepts, als auch mit beeindruckenden Kontrapunkten zur Musik des Duos. 

Die ist, wie bereits angedeutet, in der Ausrichtung durchaus heterogen. Intim, verschachtelt, zurückgezogen und konzentriert wie in der Eigenkomposition "Isor" von Saxofonist Lömsch Lehmann, plötzlich humorvoll und frech wie beispielsweise in der Interpretation von Charlie Parkers "Chi-Chi", die Parkers sprühende Lebendigkeit in einen gefühlten Computerspielbeat (Atari!) einerseits und in kristallklare, an Ulrich Lasks "Polar Circles" Experiment erinnernde Saxofonlinien andererseits aufdividiert. In "Kupuri" geht ein anerkennendes (es ist doch anerkennend?!) Kopfnicken des Duos außerdem in die Richtung von Mittneunziger New Age/World Beat-Sounds von John Wilson und seines Tulku-Projekts, das später auf einigen Ausgaben des erfolgreichen Buddha-Bar Samplers zu finden war. 

Dabei ist es gar nicht so einfach, diese eingangs erwähnte Diskrepanz zwischen der Intimität und der Weite in ihrer Musik zu beschreiben, und wenn ich jetzt auch "Diskrepanz" geschrieben habe, dann ist's im Grunde schon wieder Quatsch, denn so eine "Widersprüchlichkeit", so eine "Uneinigkeit" - die gibt's doch gar nicht. Das ist alles Eins. 

Totaler Fokus - und Träumerei. Hochverdichtet - und schräg zerfasert. Aufmerksame Disziplin - und die Lust am Spiel. Spirituell - und antiautoritär. 

Erwin Ditzner (Drums, Percussion und elektrische Zither) und Lömsch Lehmann (Saxofon, Klarinette und Bontempi) bleiben in ihren musikalischen Abenteuern stets sehr eng miteinander verbunden; beinahe kammermusikalisch ihr Zusammenspiel, experimentell und intellektuell. Das ist nicht immer mit der eigenen Lebensrealität vereinbar, und es gab Momente, in denen es völlig undenkbar schien, nun ausgerechnet dieses Album aufzulegen; was dieser Platte indes auf wenngleich sehr subtile, aber dafür nachhallende Weise gelingt, ist die unterschiedlichen Fixpunkte ihres natürlichen musikalischen Lebensraums miteinander zu verbinden, ohne gleichzeitig die Erdung und die Kontrolle zu verlieren. Ein durchaus bemerkenswert abgedecktes Spektrum, das die Musik des Duos in seiner Ausprägung nicht zerreißt, sondern im Gegenteil: vereint. 

Für Fortgeschrittene.




(Ein Video aus dem Jahr 2010 - inklusive Headbangeinlage von Herrn Lehmann)


Erschienen auf Fixcel Records, 2015.


15.11.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 9)




SKYCLAD - FOLKÉMON


Without trepidation I sing in laudation
Vocal salute to all travelling tinkers
Vagabond nation joined in congregation
United free-thinkers cry from the bryony;
"Any old irony?!"



"Oh mein Gott, die haben ja wirklich eine ihrer Platten "Folkémon" genannt!"

Das letzte Album der klassischen und erfolgreichen Besetzung mit Sänger Martin Walkyier erschien im Jahr 2000 zum Höhepunkt der weltweiten Pokemon-Hysterie und wird trotz der bevorstehenden Ereignisse in der Gesamtbetrachtung der Band seltsamerweise gerne mal übersehen - was glatt als grober Unfug durchgeht. Auf der Härteskala hat man im Vergleich zu "Vintage Whine" wieder ein paar Handbremsen angezogen, klanglich agiert man dafür straffer und schärfer als zuletzt. Erneut lässt sich das Songmaterial auf "Folkémon" indes ein paar extragroße Originalitätspokale schnitzen, denn diese Band suchte auch im Jahr 2000 immer noch nach einem adäquaten Sparingspartner, der diesem einzigartigen Sound auch nur im Ansatz ebenbürtig ist.

Auch "Folkémon" ist ein brilliantes und eigenständiges Metal-Album, erneut herausragend komponiert und vor allem arrangiert ("The Disenchanted Forest"). Auffällig ist der noch größere Fokus auf eingängige Refrains und Melodien ("Crux Of The Message"), die vor allem in Verbindung mit der durchaus rasanten Geschwindigkeit und dem Drive ("Polkageist", "Any Old Irony?") ihre euphorisierende Wirkung nicht verfehlen. Einziges Ärgernis auf einer ansonsten fehlerfreien Platte ist der abschließende Bonustrack "Swords Of A Thousand Men", eine Coverversion eines Titels von der britischen Punkband Tenpole Tudor - ein Track, der bestenfalls als billiges Sauflied durchgeht, fatalerweise auch noch als Single ausgekoppelt wurde und auf einer Platte mit derart schlauen Texten völlig deplatziert ist. Als ob man den Besoffskis aus Metalhausen noch irgendwas zum Biertrinken hinschmeißen wollte, weil sie mit dem nachdenklichen Inhalt der übrigens zehn Songs eh überfordert sein werden.

Was sie ja dann auch - Überraschung - tatsächlich waren.

Und die Moral von der Geschicht? Jede Szene bekommt die Bands, die sie verdient. Dann mal weiter viel Spaß mit Sabaton, Leute. And then go fuck yourself.





Das war der letzte Teil der Skyclad-History. Ihr habt's geschafft. Und ich auch.


Erschienen auf Massacre Records, 2000.

08.11.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 8)




SKYCLAD - VINTAGE WHINE


To show compassion makes you weak
so don't dare turn the other cheek
Try hard to hide the fear you feel
with a heart of stone and nerves of steel
A naked-ape in the human zoo
you amaze me with the things you do 
I watch your pride before the falland realise I don t belong at all.

Skyclad hatten immer ein Faible für klanglich - sagen wir mal: originell ausstaffierte Alben und "Vintage Whine" beweist genau das: Zum einen war es nach zwei, drei ruhigeren und überwiegend akustischen Jahren die Rückkehr der Band zu brachialer Härte, zum anderen klang und klingt das achte Studioalbum so ungewöhnlich, dass ich selbst bis heute nicht sagen kann, woran das eigentlich genau liegt. "Vintage Whine" ist sehr räumlich inszeniert, dafür aber vor allem im Rhythmusbereich verwaschen, mit Gitarren, die fast schon zu arg im Vordergrund stehen und demnach alles überrollen, was sich ihnen in den Weg stellt - was auch ein Statement sein kann, wenn man den Schlüssel zu der Rumpelkammer wiedergefunden hat, in der die bratenden Verstärker und die Metalkutten seit einer halben Dekade vor sich hin schimmelten. Insgesamt werde ich das Gefühl nicht los, als wäre "Vintage Whine" überproduziert, obwohl sicherlich das genaue Gegenteil der Fall sein dürfte. Und hat hier eben gerade "Clipping" gesagt?

Tadellos hingegen das Zusammenspiel zwischen Produktion und Songwriting, denn ich wüsste nicht, wann der Fünfer jemals so rauh und wild in Szene gesetzt wurde - selbst in ihren frühen Tagen des Thrash Metals brodelte es nicht so irrsinnig wie auf "Vintage Whine", besonders gut nachzuhören auf rasanten Abfahrten wie "On With Their Heads!" oder "Something To Cling To". Stilistisch hat man sich darüber hinaus auf Albumlänge ein interessantes Plätzchen gesucht, denn auch wenn die bratenden E-Gitarren, der kräftige Punch am Schlagzeug und die rauhe Stimme von Frontzwerg Walkyier zurückkehrten, lassen sich die Songs von "Vintage Whine" mit keiner Bandphase direkt vergleichen. Es ist viel mehr das, was jeder Musikjournalist so gerne herbeischreiben möchte und womit er am Ende glorreich an der Realität scheitert: Skyclad haben tatsächlich alle unterschiedlichen stilistischen Ausprägungen ihrer damals neunjährigen Geschichte zusammengeführt, alle charismatischen Merkmale ihres einzigartigen Sounds zu einem großen Bündel gepackt und dazu einige große Songs mit fantastischen Hooklines geschrieben. "Bury Me", "Cancer Of The Heart", das würmelnde "A Well Beside The River" und die Akustiknummer "No Strings Attached" stehen mittlerweile längst im Klassiker-Kanon.

Die Fans hingegen waren unschlüssig, was sie mit dem Brocken anfangen sollten und näherten sich "Vintage Whine" mit einiger Skepsis. In meiner persönlichen Einschätzung war rückblickend die Zeit für Skyclad strenggenommen schon vorbei, da die Erfolge derweil von anderen Kapellen gefeiert werden konnten: Subway To Sally und In Extremo bildeten die Speerspitze der neuen Folk-Rock/Metal-Bewegung in Deutschland und Europa, während das Original aus Newcastle rechts überholt wurde. Außerdem hatten viele Metalfans die Band nach den beiden fast vollständigen Akustikalben schon abgeschrieben, und die Szene kann bekanntermaßen traditionell sehr unerbittlich sein, verlässt eine Band die "reine Lehre". Skyclads Rückkehr zu ihrer ursprünglichen Version von Heavy Metal wurde schlimmstenfalls mit dem zwar angesichts der (un)kommerziellen Realität völlig absurden, aber sich dennoch hartnäckig in den Frontlappen stockkonservativer Metaller eingenisteten Gedanken quittiert, die Band habe mit ihrem Folksound eben keinen Erfolg mehr gehabt und kehre nun, für immer als "Wendehälse" gebrandmarkt, reu- und demütig in den metallischen Heimathafen zurück, damit der neue Geldspeicher eben doch noch gebaut werden kann.

Damit ist die Glaubwürdigkeit einer Band am sprichwörtlichen Arsch aufgehängt, und wenn es mal soweit ist: werde Bäcker. 





Erschienen auf Massacre Records, 1999. 


Anmerkung: Formatierungsoptionen  von Blogger schlimmer als Hitler. 300 Puls. 

07.11.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 7)




SKYCLAD - THE ANSWER MACHINE?


Rich and poor divide the classes, instigate two types of law
Making nineteen nineties Heaven feel like 1984
Your finger on the trigger of a 12-bore in the dark
When justice knocks upon your door
Send for the Eirenarch, send for the Eirenarch


Die mit "Irrational Anthems" begonnene und auf dem reinen Akustikalbum "Oui Avant-Garde À Chance" (Wortspiel revisited: "We haven't got a chance") fortgesetzte Entwicklung, den Metal mehr und mehr gegen Elemente des Folk auszutauschen, wird auf dem siebten Studioalbum abgeschlossen und gleichzeitig perfektioniert. "The Answer Machine?" ist ein Meisterwerk der neunziger Jahre mit der ungeschlagenen Atmosphäre eines Waldspaziergang in der Herbstdämmerung nach drei Tagen Regenwetter: es duftet nach nassem, modrigem Waldboden, das Laub raschelt unter den Füßen, es ist leicht grau-neblig, unberührt, ruhig und ein Zwergendorf weiter spielt die Band der Hobbits auf Banjos, Mandolinen, Flöten und Akkordeons. 

Skyclad haben hier einige ihrer beeindruckendsten Momente mit unsterblichen Melodien versehen und Songs für die Ewigkeit geschrieben. Ganz besonders muss mein Lieblingslied "Single Phial" heraus gehoben werden: ein ruhiges, melancholisches und inspirierendes Stück voller Wärme und Sehnsucht. 

"The Answer Machine?" wurde vor einigen Jahren sogar von intellektuellen Schriftstellerinnen aus Augsburg goutiert und als tolle Herbstmusik gefeiert. Der Beweis dafür wird mittlerweile aus den Weiten des Internets entfernt worden sein, und lesen wird sie das hier aller Voraussicht nach ebenso wenig - falls aber doch: ich bin bereit für die Unterlassungserklärung. 

"The Answer Machine?" ist das ungewöhnlichste, aber in meinem Buch auch das beste Album der Band. Seit 1997 unantastbar. 





Erschienen auf Massacre Records, 1997.


01.11.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 6)




SKYCLAD - IRRATIONAL ANTHEMS

I'm a founding member of the Pessimist Society, 
I talk to my reflection 'cause I trust it not to lie to me.

Nachdem der Fünfer kurzfristig Black Sabbath auf deren "Forbidden"-Tour in England als Support begleitete, erschien Skyclads erfolgreichstes Album "Irrational Anthems" im Mai 1996 und schlug plötzlich ein wie die vielzitierte Bombe. Vor allem deutsche Metalmagazine überschlugen sich mit Lobeshymnen, weshalb als Folge erstmals ein größerer Teil der hiesigen Metalszene auf das Quintett aufmerksam wurde. Auch in Griechenland wurde mit "Irrational Anthems" ordentlich abgeräumt. Der mit einem frischen Führerschein ausgestattete Herr Dreikommaviernull war der Band spätestens hier hoffnungslos verfallen und  fuhr verbotenerweise nach den abendlichen Kneipenabenden mit Freunden noch ziellos, dafür mit heruntergelassenen Hosen Fenstern im schreiend orange lackierten Opel Corsa (aka "Das Spaßmobil") für Stunden durch Frankfurt, um diese neuen Hymnen in voller Lautstärke zu genießen. 

Der Metal-Anteil wurde im Vergleich mit den Vorgängern durchaus signifikant zurückgefahren, was sich in erster Linie am transparenteren Klang zeigte, der die Gitarren bei Weitem nicht mehr so präsent, und dafür das Schlagzeug tatsächlich folkiger und luftiger darstellte. Das Songwriting ließ derweil erste Schlüsse auf die künftige Entwicklung der Band zu: "Penny Dreadful" ist ein reinrassiger und eingängig arrangierter Folk-Song mit einprägsamer Melodie und angriffslustigem Text über das Musikgeschäft:

Forgive me if I'm out of order
This new music has no soul
It may be good for making money
Sadly that is not my goal

Integrity and honesty
Are words that you don't understand
But you're the best
It says so in the Penny Dreadful in your hand

I saw you in a magazine
They're calling you Messiah
They must be living in a dream
They couldn't be more wrong

"Oh, if we'd played this riff more punk
Than may be we'd have had a million-seller"
But this piper's tune is not for sale
I'm glad to say I'm not that kind of fella

DJ's, VJ's, pimps and trollops
Never mind music, this is bollocks

I saw you in a magazine
They're calling you Messiah
They must be living in a dream
They couldn't be more wrong

Turn on! Tune up!
Cash in! Sell out!

Stand your ground behind the times
And refuse to follow fashion
Write your poetry with anger
And then sing it with a passion

Painted faces in a circus
Images that spring to mind,
When I read my Penny Dreadful
Filled with pictures of your kind

I saw you in a magazine
They're calling you Messiah
They must be living in a dream
They couldn't be more wrong

Commercial suicide's appealing
After 10 years on this losing streak
'cause I'd rather be called sour and bitter
Than be deemed the flavour of the week

I saw you in a magazine
They're calling you Messiah
They must be living in a dream
They couldn't be more wrong

Extra, extra, read all about it!

I saw you in a magazine
They're calling you Messiah
They must be living in a dream
They couldn't be more wrong




Hinzu kamen mit "The Spiral Staircase" ein ruhiges Geigen-Intermezzo und mit "No Deposit, No Return" ein relaxt swingendes Folkstück, bei dem Sänger Walkyier seine oftmals gepresst und unwirsch klingende Metalstimme gegen einen Klargesang eintauschte. Nicht zu vergessen das mittlerweile zur Tradition gewordene, ruhige, dafür sehr intensive Abschlussstück eines Skyclad-Albums: dieses Mal schnürt es einen bei "Quantity Time" die Kehle zu. 

"Irrational Anthems" ist bei Licht betrachtet ein fantastisches Album einer mit tollen Ideen vollgestopften Band auf ihrem kreativen Zenit und hat nach fast 20 Jahren eigentlich nur den Makel, dass es als einziges Skyclad-Album in meinem Buch nicht so irre gut gealtert ist. Ich kann den Finger nicht genau auf den Grund der Wunde legen - vielleicht habe ich es damals auch einfach nur zu oft und damit überhört, oder aber es steht in meinem Kopf sehr abgegrenzt für einen ganz bestimmten Abschnitt meines Lebens, der gleichfalls von meinem Restleben sehr stark abgegrenzt ist und der "Irrational Anthems" in dieser Hinsicht schlicht mitschleift. 

Ich lege das Album heutzutage praktisch nicht mehr auf. Wenn ich es aber tue, so wie für diesen Text, finde ich praktisch keine Schwachstelle. 

Erschienen auf Massacre Records, 1996.

31.10.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 5)




SKYCLAD - THE SILENT WHALES OF LUNAR SEA


I've been to a prison - one of my own making, 

I sent myself there when I signed on the line. 

A pact with the Devil so legally binding - 

Now he owns my soul 'til the end of time.

Wie in den vorangegangenen Postings schon erwähnt, war "The Silent Whales Of Lunar Sea" (ein Wortspiel aus The Silent Wails Of Lunacy, also "Die leisen Klagen des Wahnsinns") mein Einstieg in die Welt von Skyclad und hat alleine deshalb einen Sonderstatus.

Der Sound war etwas schlechter, weil dumpfer und verwaschener als auf dem exzellent klingenden Vorgänger, das Songwriting wurde indes erneut verbessert. Aber vor allem atmosphärisch ist das Album eine echte (Nebel)Bank: wie ein kalter, diesiger Novemberabend mit Nieselregen, dunkel, ein bisschen gespenstisch und mystisch.

Die Songs, gleichzeitig durchdachter als auch weniger hitkompatibel, erscheinen ebenfalls gedrückter und frustrierter. Die Band wurde vor Veröffentlichung des Albums auch schwer gebeutelt: zum einen stiegen Einbrecher in ihren Proberaum/Studiokomplex ein und klauten alles, was nicht niet- und nagelfest war, insgesamt Elektronik und Instrumente im Wert von über 30.000 Britischen Pfund. Zum anderen musste sich Gitarrist Steve Ramsey einen Herzschrittmacher einsetzen lassen.

Die Highlights des Albums: das eingängige "Art Nazi", das wundervoll verzauberte "Stranger In The Garden", die intensive Ballade "The Present Imperfect" sowie die beiden prima arrangierten, gar leicht progressiv klingenden Rocker "Another Fine Mess" und "Halo Of Flies". Außerdem ist das Coverartwork eine Sensation.





Erschienen auf Noise, 1995.

29.10.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 4)




SKYCLAD - PRINCE OF THE POVERTY LINE


The "whether man" says that the outlook's not great 
A few outbreaks of murder with some isolated rape
I ask my doctor his advice, this is what he says, 
"Get yourself some cancer boy, before you die of aids."


Nach drei LPs und einer EP machte der Fünfer mit "Prince Of The Poverty Line" ernst. Der Sound - vor allem von den Gitarren - war ultraheavy, dick und zähflüssig wie Sirup, Sänger Martin Walkyier entdeckte ab und an Melodiebögen in seinen Vokalarrangements, die Songs wurden entzerrt und erschienen in ihrer Gesamtanlage runder, dabei aber nicht glatter. Zudem spielten Violine und Keyboards in den Kompositionen eine größere Rolle als zuvor - und das nicht nur im größten Hit von "Prince Of The Poverty Line": "Land Of The Rising Slum", textlich ein Rundumschlag gegen ein verlogenes System, das die Reichen reicher und die Armen - und seien's nur die geist'gen - ärmer macht und das die eigene Heilung schon lange das Klo heruntergespült und mit "Wachstum, Wachstum, Wachstum" (Schorsch Ackermann) ersetzt hat, musikalisch hingegen eine blitzsaubere Hitparade von viereinhalb Minuten mit Melodie, Drive und Groove mit einem hübschen Orgelsolo zur Mitte. Prachtvoll.

Zwischen Stakkatobrechern wie "Sins Of Emmision" oder "Gammadion Seed", Hymnen ("The Truth Famine"), der Beinahe-Ballade "The One Piece Puzzle" und zähem Metalgewürmel wie im fantastischen "Womb In The Worm" fanden sich mit dem erwähnten "Land Of The Rising Slum" und dem treibenden "Cardboard City" auch die typischen Skyclad-Hits wieder. Einige eingeschworene Fans bezeichnen das vierte Studioalbum der Band aus Newcastle als ihr Magnum Opus, und es gibt verdammt viele Momente auf "Prince Of The Poverty Line", die mich manchmal ähnliches vermuten lassen.





Erschienen auf Noise, 1994.

24.10.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 3)



There's still plenty of poisonous fish in the sea
Rich with more complexes than vitamin B
If trawling for assholes you'll net a fine catch
With skulls full of sawdust, well I've got the match


Walkyier verließ "seine" Band völlig überraschend nach dem 2000er Album "Folkémon" aufgrund finanzieller Differenzen. Auch nach jahrelangen Tourneen fast völlig ohne Ruhepause, sowie nach 15 Jahren im Musikbusiness, konnte der Sänger seine Rechnungen nicht bezahlen. Als Konsequenz wollte Walkyier die Band zur Mittelalter-Profiband umbauen, auch befeuert durch die Erfolge von deutschen Bands wie Subway To Sally und In Extremo, was die restlichen Mitglieder, die allesamt Nebenjobs hatten, allerdings ablehnten.

Seitdem wird es an beiden Fronten sehr dunkel und sehr traurig: die Band ersetzte Walkyier mit dem Gitarristen, Sänger und Freund Kevin Ridley, nahm in nunmehr 15 Jahren gerade mal zwei Studioalben auf und verlor auf diesem Weg jeden Funken Charisma. Musikalisch haben sich die beiden Songwriter English und Ramsey nicht viel vorzuwerfen, Ridley hingegen hat bereits auf Konserve die biedere Ausstrahlung einer alten in Bergkamen zusammengenähten Nachkriegskittelschürze. Keine Power, keine Leidenschaft, stattdessen generisches und sorgfältig geruhsam ausgeschnarchtes Herumgerocke, das in seiner Ödnis selbst in der Livesituation kaum zu ertragen ist. Stockfinster wird es bei Songs wie "Cardboard City" (aus dem Album "Prince Of The Poverty Line", 1994), die alleine gesanglich nach mehr Kraft und Schärfe schreien, und die Ridley nicht im Ansatz würdig interpretieren kann. Hier scheint auch der gesamten Band das Gespür dafür zu fehlen, was geht - und was vor allem nicht geht.

Die andere Seite, Martin Walkyier, hat sich unterdessen auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert: eine Handvoll Sabbat Reunionshows, mit The Clan Destined eine neue Band, mit deren Mitgliedern er sich schon vor der Aufnahme der ersten EP überwarf, und die seit mittlerweile knapp zehn Jahren auch wieder in der Versenkung verschwunden ist. Dazu kamen besonders in den letzten Jahren einige Liveshows unter dem Banner "Martin Walkyier's Skyclad" hinzu - das Spiel kennt man von anderen Beispielen, aber nur in ganz seltenen Ausnahmefällen kann sowas funktionieren - und dies ist kein solcher Ausnahmefall. Dass Walkyier zudem gerne mal verbal über die Stränge schlägt, auch in Richtung der alten Kollegen, ist ebenfalls nichts Neues mehr. Das Tischtuch scheint nach dem Schweigen Walkyiers zur Beerdigung seines ehemaligen und langjährigen Schlagzeugers Keith Baxter mittlerweile auch endgültig durchschnitten zu sein. Dazu hagelte es Tour- und Showabsagen, öffentlich ausgetragene Grabenkämpfe mit anderen, ehemals befreundeten Bands und aufgebrachte Fans. Die letzten 15 Jahre waren kein Ponyschlecken für den Mann.

Was hier in den nächsten Tagen und Wochen zu lesen sein wird: die für mich besten sechs Platten der Band. Weil ich sie wieder entdeckte. Weil ich sie immer noch großartig finde. Weil die damaligen Skyclad die legitimen Nachfolger Thin Lizzys waren. Weil sie etwas zu sagen hatten. Weil sie frisch und aufregend klangen. Weil sie immer versuchten, sich nicht zu wiederholen. Und man sieht's mir bitt'schön nach, aber es gab in den letzten 15 Jahren nur wenige Bands, deren Schaffen eine auch nur ähnliche Kombination aufwies.

"Solche Bands werden heute nicht mehr gemacht" (Andreas "Kanzler" Kohl über Jesus Lizard)

Und tatsächlich:

"Solche Bands werden heute nicht mehr gemacht." (Herr Dreikommaviernull über Skyclad)




...to be continued...


18.10.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 2)




A well cultured vulture feathers his nest
It's a chalet near Aix-en-Provence
The Porche he drives has been paid for with lives


Sänger und Texter Walkyier, der seine Lyrics auf so vielen Ebenen mit Anspielungen, obskuren Verweisen und kunstvollen Wortakrobatiken vollstopfte, so dass sie für einen, der Englisch nicht als Muttersprache im Lebenslauf führt, kaum in Gänze und Wort für Wort zu verstehen sind, hatte als Handicap ein deutlich hörbares Lispeln in der Aussprache, das er später als Stilmittel einsetzte, war kaum 1,65m klein und pflegte vermutlich nicht nur auf der Bühne seine Aura des Underdogs mit einiger Sturheit. Es war eben immer die große, böse Welt gegen den armen, kleinen Martin, aber als Backfisch, der zu spät zu seiner eigenen Pubertät gekommen ist, war ich empfänglich für die sich zeitweise aus der Deckung trauende Opferrhetorik - immerhin war sie schlau, geistreich und mit Humor vorgetragen, und ich hatte außerdem keinen Funken eines Zweifels an Walkyiers Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit. Die komplette Band war darüber hinaus fast schon schmerzhaft sympathisch und mischte sich nach ihren Auftritten regelmäßig unter die Besucher, hing an der Bar oder am Merchandise-Stand ab und plauderte mit den Fans. Herausragend natürlich Geigerin Georgina Biddle, die für die 1995er Platte "The Silent Whales Of Lunar Sea" zur Band stieß und deren Badewasser der oben genannte Backfisch aus Frankfurt ohne mit dem Herpesbläschen zu zucken glatt mit einem Strohhalm ausgetrunken hätte: eine humorvolle, intelligente, charmante Frau, die mit ihrer unter das Kinn geklemmten Geige und der Frisur von Tingeltangel Bob wie ein Derwisch über die Bühen tobte und dabei die schnellsten Läufe und wildesten Breaks mit links und mit einem großen Grinsen im Gesicht spielte.

Dass Skyclad nie der Durchbruch gelingen sollte, war im Prinzip von Anfang an klar, auch wenn sie mit ihrem Klassiker "Irrational Anthems" aus dem Jahr 1996 zumindest in Deutschland und vor allem in Griechenland zu einer etwas größeren Nummer wurden: mit derlei zu gleichen Teilen angriffslustigen und frustrierten Texten, die bei aller ebenfalls durchscheinenden Selbstironie immer mit dem Finger auf die zeigten, die es aus der Sicht Walkyiers für alle anderen und ihn selbst ruinierten, war kein Mainstream-Staat zu machen. Kory Clarke von Warrior Soul kann darüber auch das ein oder andere Liedchen singen. Es gehört allerdings zur Grundausstattung Walkyiers, dass er es erstens immer weiter versuchte und zweitens nicht müde wurde, das Musikbusiness als Grundübel dieser Welt zu bezeichnen - dass Noise-Labelchef Karl-Uwe Walterbach den kleinen Mann auf Platz 4 seiner "Die schwierigsten Musiker, mit denen ich je zusammenarbeitete"-Liste führt und mit dem Zusatz "Heulsuse" versieht, ist sicher nicht der Tatsache geschuldet, dass Walkyier immer so ein umgänglicher und einsichtiger Typ war.

"You better ask Andy Sneap (ex-Sabbat Gitarrist) here and he knows best what was wrong with Martin. The break-up of the very talented Sabbat with Andy Sneap as songwriter had to do with this unreliable character Martin Walkyier. And it continued later with Skyclad. I'm not a Psychiatrist, I can't explain mad people and their bizarre stories you journalists produce a forum for." (Walterbach)

Aber das sieht der Backfisch a.D. eben mit einer Verspätung von fast 20 Jahren so. Man wächst mental doch noch so ein kleines bisschen, wenn sich das Hirnklima von den allzu schlimmen Hormonverwüstungen erholt.

I'm so tired of living -
Too weary to cry,
Too stubborn to give in -
Curl up and die.
This whole situation has I must confess,
All the tell-tale signs of another fine mess.
(aus "Another Fine Mess", 1995)






....to be continued....

11.10.2015

Skyclad - They Were Building A Ruin (Teil 1)




I'm just thinking aloud
Isn't thinking allowed?


Das sichere Anzeichen, dass die Anzahl der Jahresringe unter den Augen exponentiell zur eigenen Hirnverschrumpelung wächst, ist im Hause Dreikommaviernull mit der gleichfalls wachsenden Affinität zu jener Musik zu erklären, die mich in meiner Adoleszenz und Pubertät begleitet hat. Ich habe es nicht erst ein Mal mit einer gewissen Romantik zu erklären versucht, auch mit der ubiquitären Verklärung der damaligen Zeiten, die mit Sicherheitsabstand und im zwanzig Jahre alten Rückspiegel betrachtet eben doch immer noch und wieder aus reinem Gold, purem Glück und happy Happiness bestanden. Das ist in meinem Buch weder besonders hässlich noch ungewöhnlich, solange ich das Hier und Jetzt nicht bewusst ignoriere. Aber zu den Typen, die 1991 zu "Nevermind" nur ein müdes Mundwinkelzucken hevorbrachten und stattdessen lieber "Sgt.Pepper" auflegten, wollte ich nie gehören - in voller Anerkennung, dass ich es heute längst geworden bin und den jugendlichen Puls der Zeit weder fühlen kann noch will. Tatsächlich bin ich ganz froh, dass ich mit dem heutigen Trash von Taylor Swift und der unterbelichteten deutschen Hip Hop-Bagage nicht aufwachsen muss. Dass der Rock tot ist, wusste hingegen Billy Corgan schon im Sommer 1996 - und wo ich damals vor Wut schäumte, dass der glattgeschorene Mini-Napoleon mit näselnder Nervstimme meinen schönen Heavy Metal durch den Kakao schleifte, weiß ich heute: der Mann hatte nicht nur "irgendwie" recht, der hatte volles Rohr recht. Aber das sieht man in seiner jugendlichen Vollverbretterung natürlich nicht, und wenn man sich gerade völlig unironisch eine Stratovarius CD gekauft hat ohnehin nicht. Ein paar weitere Leichen sind seitdem auch noch hinzugekommen, es werden tatsächlich täglich mehr. 

Als Reaktion auf die Leichenstarre des Rock setze ich mich überwiegend mit neuer Musik auseinander. Mir ist das sehr wichtig, tatsächlich ist es sogar wichtiger, als immer und immer wieder die erwähnte Romantik zu bemühen - was schön und gut sein kann, angenehm und gemütlich sowieso. Aber es fühlt sich auch immer ein bisschen so an, als würde man mit unter die Ellenbogen geschnallten Kissen am Fenster sitzen und mit dem Luftgewehr auf vor dem Haus spielende Kinder schießen. Seit einigen Jahren bemerke ich andererseits, dass die Tendenz, sich genüsslich in dem "Party like it's 1994"-Gefühl zu suhlen, zwar stetig abnimmt, aber die endgültige Anerkennung jener Rockmusik in den Vordergrund rückt, die ich zwar schon immer mochte, deren heller Schein mich aber heute noch mehr fesselt als früher. Denn wenn die Sonne tief steht, werfen Riesen eben noch längere Schatten. Unter diesem Einfluss erscheinen mir heute Bands wie King's X, Voivod, Spock's Beard, Tool, die frühen (!) Monster Magnet oder auch die ganze 80er Hardrock-Clique als wenigstens Halbgötter - musikalisch virtuos, zeitlos und echt - wohlwissend, dass wenigstens letztgenanntes Merkmal eine Chimäre ist. Vor allem im Rock'n'Roll, der in erster Linie vom Mythos des rebellischen Aussteigers lebt, von "Kopp ab und Hirn raus" (Kalkofe), von der "Entfremdung" (de Maiziere).


Youth of our nation - A lost generation
Like lepers we march to the chimes of Big Ben.
Exiled and rejected by powers elected
Our cries from the gutter don't reach number ten.
Give us this day our daily bread
Before the headlines read "bring out your dead."
Chip-wrapper flowers are blown onto this cardboard grave
My spray paint epitaph upon the wall it says...
"Here lies the bones of some poor homeless vagrant
He died as he lived, in the shit on the pavement.
(aus "Cardboard City", 1994)


Der geschriebene Halbmarathon war notwendig, um die Kurve zu der Band zu bekommen, die in der obigen Aufzählung ihren Platz längst im oberen Drittel eingenommen hat, und die ich besonders in den letzten Jahren nicht nur nach langer Abstinenz wiederentdeckte, sondern mittlerweile als eine der wichtigsten, originellsten und stilprägendsten Metalbands der neunziger Jahre betrachte: Skyclad. 

Nun stehe ich nicht unbedingt in Verdacht, Mittelaltermärkte zu besuchen, Met zu saufen und an Tagen mit ungerader Stundenzahl bei rechtsdrehendem Vollmond auf einer Waldlichtung Wotan anzuheulen. Wir müssen gleichzeitig aber auch festhalten, dass die fünf Briten nicht für den gigantischen Scheißhaufen verantwortlich gemacht werden dürfen, der sich seit einigen Jahren allgemein unter dem Banner des Folk Metal durch die Nervenzellen energetisch minimal ausgeleuchteter Hirnstämme dampfen darf, und der zu meiner großen Metalphase - Achtung, jetzt spricht Oppa wieder vom "Kriech" (Heinz Erhardt) - vom wilden Mob mit Mistgabeln und brennenden Fackeln von jeder Bühne getrieben worden wäre. Wir waren auch irgendwie bekloppte Assos, aber wir hatten immerhin genug Stil und Geschmack, um diese musikalischen Weichsemmeln gerechtermaßen auszulachen.

Ich weiß, dass das ganz schnell in eine Rechtfertigungsorgie kippen kann, aber es ist für die Bewertung wichtig, um es richtig einzuordnen: Skyclad entstanden Anfang der 1990er Jahre aus den Überresten der englischen Thrashbands Satan (Bassist Graeme English und Gitarrist Steve Ramsey) und Sabbat (Sänger Martin Walkyier) und obwohl die Truppe schon auf dem Debut "The Wayward Sons Of Mother Earth" hinsichtlich der Instrumentierung und Melodik mit Elementen des Folk arbeitete, spielten Skyclad zu Beginn ihrer Karriere zweifellos harten Thrash Metal mit durchaus räudig klingenden Vocals von Walykier; die Band sollte sich allerdings in den kommenden Jahren stetig weiterentwickeln und auf den späteren Werken dem Folk immer mehr Platz einräumen. Doch egal, welche Richtung das Quintett einschlagen sollte, es gibt praktisch kein Skyclad-Album, das wie der Vorgänger klingt, und ich habe ganz offensichtlich eine Schwäche für Bands, die stets versuchen, diesen einen berühmten Schritt weiterzugehen, ohne dabei ihren ureigenen Stil zu verlieren. 

Skyclad ist dieses Kunststück selbst dann gelungen, als sie aus ihrer sehr folkigen und ruhigen Phase der Jahre 1997/1998 mit dem 1999 erschienenen "Vintage Whine"-Album wieder den Weg nach Metalkuttenhausen einschlugen und sie sich trotzdem nicht wiederholten. Trotzdem weiß man nach drei Sekunden ihrer Songs, wer hier am Werke ist. Und dabei ist es egal, ob ich dafür eine Platte von 1991, 1997 oder 2000 auf den Teller lege.

Hell is where the heart lies - in Purgatory's borders.
The great thing 'bout eternity - they never call last orders!
(aus "The Sinful Ensemble", 1996)

Meine Liebesbeziehung begann erst relativ spät mit ihrem fünften Album "The Silent Whales Of Lunar Sea" im Jahr 1995, und weil ich besonders vom Cover, den gesellschaftskritischen, politischen und mit Wortspielen gespickten Texten und von der herb-melancholischen Atmosphäre so angetan war, besuchte ich im Herbst desselben Jahres auch zum ersten Mal eines ihrer Konzerte in der Frankfurt Batschkapp (als Vorbands dabei: China Beach und Cancer), von dem es völlig unglaublicherweise mittlerweile sogar einen kurzen Videomitschnitt gibt. Ich war damals über das gesamte Konzert im Moshpit und irgendwo da vorne vor der Bühne hampelt der gerade 18 gewordene Florian herum. Zum Heulen schön.




Der Abend sollte in den kommenden Jahren der Grund dafür sein, zum devoten Fan-Boy zu mutieren: Bis zum Ende der Neunziger sah ich die Band praktisch jedes Jahr mindestens ein Mal, ihre Platten wurde allesamt am ersten Tag der Veröffentlichung aus dem Plattenladen entführt und kein T-Shirt war mir kitschig und rollenspielnerdig genug, um es eben nicht doch zu kaufen. Auf dem Foto im damaligen Studentenausweis trug ich neben der Eric AK-Gedächtnisfrise (der junge Mann ganz rechts im Bild) ein gelbes (!) Batikshirt (!!) von Skyclad, dessen Rückendruck im Dunkeln leuchtete (!!!). 

Noch Fragen?

Wenn ja: Fortsetzung folgt!