12.01.2019

Best Of 2018 ° Platz 20 ° Jazzanova - The Pool

Geht ja prima los - so spät war ich ja noch nie dran. Stellt Euch für die Nummer 1 besser mal auf Juli ein, es ist ein Trauerspiel. 

Um trotzdem wenigstens ganz kurz ganz positiv zu werden und wie außerdem bereits geschrubt: 2018 wird es wieder nur 20 Aufsätze zu meinen Top-Alben zu begähnen geben - und damit also zehn weniger als noch im letzten Jahr. Das liegt weder an der Qualität noch Quantität neuer Musik oder dem damit verbundenen Deppensatz "Das war ja nicht so ein starkes Jahr wie...", sondern in erster Linie daran, dass ich mich im vergangenen Jahr schon beim Schreiben beinahe selbst langweilte. Wie unerträglich muss das dann erst für meine Leser gewesen sein?! 

Außerdem gibt es eine kleine Neuerung: Dreikommaviernull bewertet jetzt auch die Pressungen und Aufmachungen/Ausstattungen von Schallplatten. Mir fiel auf, dass ich 2018 keine einzige CD und kein MP3 Album kaufte. Alles Schallplatten. Das ist Premiere. Und warum dann nicht aus Gründen der, "äh, consistency" (Andi Brehme) einfach noch mehr prätentiösen Scheißdreck schreiben? 

Frage ich Sie! 

Beziehungsweise nicht. 

Wir starten in 3...2...1......*puff*





JAZZANOVA - THE POOL


Das neue Album des Berliner Kollektivs Jazzanova hat mein Leben im vergangenen Jahr um einige lohnenswerte Gedanken und Erlebnisse bereichert. Ich habe die Platte oft gehört und es zog mich über Wochen, gar Monate immer öfter zu "The Pool" hin. Das passiert mir heute ehrlich gesagt nicht mehr all zu häufig - und erst recht nicht mit jeder dahergelaufenen Platte, die bei drei noch nicht im Regal verschwunden ist. Gerade vor diesem Hintergrund war es ungewöhnlich, trotz solch ausführlichen Begegnungen nur wenig im Hirnsieb auffangen zu können. Sogar Songs wie die mit künstlerisch feinem Video ins Rennen um Clicks geschickte erste Single "Rain Makes The River" mit der Sängerin Rachel Sermanni, besonders atmosphärisch eigentlich wie gemacht für eine tiefere Verinnerlichung, verweilten für diesen einen Moment mit allerlei ausgerufenen Lobeshymnen meinerseits in der Realität - und verschwanden danach flugs im Getöse des Alltags. Nur, warum ist das so? Nicht, dass ich diesen Umstand als besonders negativ betrachte, ganz im Gegenteil: Ich kenne dreikommavierfuckzillion Alben, die erst nach scheinbar unerträglich langer Zeit plötzlich zündeten. Die erst nach grotesk langem Eingraben, völligem Versinken gar, und der sich dazwischen immer wieder zeigenden Verzweiflung darüber, es wieder nicht geschafft zu haben, unverhofft zur prachtvollsten und wichtigsten Musik allen Lebens wurden. 

Was all jene Beispiele von Psychotic Waltz ("A Social Grace") bis Tool ("Aenima") und King's X ("Faith Hope Love") eint: irgendwas zog mich immer wieder zu ihnen hin und flüsterte mir "Bleib' dran!" zu. Womit wir wieder bei "The Pool" sind. 

Ein Album, in dem eine seltsame Ambivalenz ihr Unwesen treibt. Subtil, multidimensional, komplex - aber dabei sollte das alles hier doch Pop sein?! Das ganze Rudel von Gastsängerinnen und Gastsängern, mit Oddisee, Jamie Cullum und dem alten Bekannten Ben Westbeech! Den aufs erste Hören fluffigen Arrangements, der gewollten Eingängigkeit. Das beißt sich ja schon beim Lesen. Um das endgültig zu verstehen, brauchte es das Livekonzert der Band im Frankfurter Zoom, in dessen Verlauf diese Ambivalenz auf "The Pool" deutlich wurde. Ein wahnsinniger Groove, ungeschlagene Virtuosität, Hingabe, Leidenschaft, dicke Beats, Tanzerei, Hände zum Pimmel, Darmspiegelung mit Cocktailschirmchen. All das findet im leicht handgebremsten Pop-Kosmos statt, der in der Livesituation fast völlig ausgeblendet wird und sich erst dann wieder zeigte, als ich mich für das erneute Eintauchen in "The Pool" (ihr glaubt doch nicht, dass ich für eine Platte mit dem Titel "The Pool" auf die "Eintauchen"-Metapher verzichte; wer bin ich, Diederichsen?) auf dem Tigerfell vor dem prasselnden Kamin mit vor sich hin schmurgelnden Foo Fighters Platten räkelte. 

Ich glaube mittlerweile, die beiden Produzenten Axel Reinemer und Stefan Leisering wollten eigentlich ein reines Popalbum produzieren und haben mittendrin gemerkt, dass sie das gar nicht können. Herausgekommen ist ein Zwischenwesen mit überragenden, subtilen, emotionalen Kompositionen, begleitet von großen Stimmen, eingebettet in tiefgechillte Stimmung. Auf einem anderen Planeten im Vergleich zu ihren vorangegangenen Arbeiten ("The Pool" ist ihr erstes Studioalbum seit 2008), was die alte Fanbase reflexartig zu allerlei Online-Motzereien provozierte, aber es wird dadurch ja nicht weniger außergewöhnlich. 

Wenn mich Musik derart zum Nachdenken bringt, kann das nur ein gutes Zeichen sein. 

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Pressung: ++ (Der Klang ist einwandfrei, aber schon beim ersten Abspielen zeigte sich an leisen Stellen ein signifikantes Rauschen und Rascheln, immerhin keine non-fills. Die Angaben beziehen sich auf das schwarze Vinyl, die weiße Version kenne ich nicht)

Ausstattung: + (Der Preis für das bekloppteste Schallplattensleevedesign geht an das Sonarkollektiv für die Veröffentlichung einer Doppel-LP ein einem glossy Gatefold-Sleeve, bei dem nur eine Öffnung für dann auch nur eine Platte gegeben ist. Was man mit der anderen LP machen soll, weiß der Himmel. Oder mein Hund. Und eine Doppel-LP ist bei der Laufzeit auch Kappes. Kinnerskinnerkinners, srsly?)




Erschienen auf Sonarkollektiv, 2018.

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