FLYING LOTUS - Cosmogramma
Ich begreife es nicht. Ich begreife eigentlich gar nichts.
Da mal ein Fetzen, der vertraut erscheint, danach wieder into the void. Die Kombinationen sind's, die orientierungslos machen, wie Netzschwankungen beim örtlichen Stromdienstleister die Heliumlampe - quatsch - die Halogenlampen durcheinander wirbeln. "Cosmogramma" soll Steve Ellingtons "Space Opera" sein und die Aufsätze, die seit Erscheinen dieser Platte erschienen sind, dokumentieren natürlich genau jene Assoziationen, die ein solcher Begriff eben mit naturgemäß mit sich bringt - vor allem in der jungen, hippen, unangepassten Szene, die in der Spex die verlorengegangenene "bohemistische Geste" des Rauchens beklagen darf, wenn der Glimmstengel zwischen Mittel- und Ringfinger vor sich hin qualmt, beziehungsweise eben nicht (mehr). Wo raucht eigentlich Annett Louisan, wenn man sie mal braucht?
Herr, vergib' mir, denn ich trank White Russian und bin jetzt mindestens genauso unangepasst wie Karl Dall oder Kader Loth.
Okay, okay..."Cosmogramma" ist ein Koloss. Viel monumentaler als das Durchbruchsalbum "Los Angeles" aus dem Jahr 2007, das auch nicht gerade arm an monumentalen Entwürfen war - wenn auch viel futuristischer. "Cosmogramma" ist des Weiteren viel anspruchsvoller als der Erstling "1983", der, Sie ahnen es bereits, jetzt auch nicht so super anspruchslos war. Ich kann die Durchläufe mittlerweile nicht mal mehr erahnen und so langsam, so ganz langsam steckt Herr Sinn den Kopf aus den Lautsprechern und zeigt mir den ein oder anderen Weg. Wobei das nicht angemessen formuliert ist: er zeigt mir keinen Weg, er zeigt mir immer öfter das Große.
Das Ganze.
Wenn nach den gefühlten zwei Stunden die finale Auslaufrille erreicht ist, und ich zurückgelehnt und mit einem Gesichtsausdruck, der "Hatte ich eben einen Orgasmus, Baby?" fragt, versuche rückblickend und aus der hohen Ferne des Walsertals das saturngroße Zirkuszelt zu überblicken, das all diesen Irrsin einfängt und umspannt, luftdicht verpackt und dokumentieren will, dann wird mir immer öfter eine Idee geschenkt, die "Cosmogramma" zu etwas sehr Bedeutsamen und Epochalem werden lässt. Weil es da Nanofunken gibt, die mir aufgeregt und hektisch gestikulierend beweisen wollen, dass das alles tatsächlich zusammenhängt. Dass da eine Methode existiert, die nicht "Zufall" oder "Glück", sondern "Disziplin", "Märchen", "Respekt" oder "Demut" heißt. Vielleicht heißt sie auch "Rebellion" und "Aufruhr" - vielleicht erging es den Menschen 1960 ähnlich, als sie "Free Jazz" hörten und nicht wussten, was da gerade über sie hineinbricht. Wird "Cosmogramma" denn überhaupt von einer politischen oder gesellschaftlichen Message getragen, die mit den großen Meilensteinen des Jazz zu vergleichen ist? Natürlich nicht direkt, wir haben heute 2010 und die Welt wird von Tag zu Tag zynischer und obszöner - auch wenn wir gerne darüber diskutieren können, wie zynisch und obszön sie 1960 für Afro-Amerikaner in den USA ausgesehen haben mag.
Aber gibt es hier ein vergleichbares Brodeln, dass Dir ohne Worte zeigt, aus welchem Wahnsinn es sich speist? Oder ist es am Ende gar kein Brodeln, ist es nicht viel mehr eine Umarmung, ein sanftes und gütiges Lächeln, dass Dir im tiefstem Innern versichern will, dass alles gut ist und noch besser wird? Oder ist "Cosmogramma" doch eher ein simpler Hedonismus, der eitel und selbstgefällig alle vierzehn Sekunden nachschauen muss, ob die Frisur sitzt, weil er es sich leisten kann?
Und jetzt, wo ich all das schreibe, kommt mir das doch wieder alles viel zu groß und viel zu pathetisch vor - wir reden schließlich immer noch und nur von Musik. Andererseits - und das glaube ich wirklich: ich könnte mich "Cosmogramma" gar nicht anders nähern, als über die Frage nach der Vision und dem Motiv. Und ich könnte mir "Cosmogramma" nicht anders erklären, als über die Frage nach der Einheit und nach der Spritualität, der Erhabenheit und der Ergebenheit.
Das ist keine banale Sammlung von Noise und Beats, keine wahllose Aneinanderreihung und Überhäufung von Schichten und Ebenen. Das ist das große Lexikon der Musik, der Spiritualität und des Lebens. Im Zeitraffer und in Milliarden kleiner Splitterfragmente ausgebrütet und dargelegt von einem, der dieses ganze Scheißspiel offenbar verstanden hat.
Und ich darf zum Ende und in diesem Zusammenhang den unvergessenen Bill Hicks zitieren:
"How about a positive LSD story, that would be news-worthy. Don't you think...? Anybody think that...? Just once, to hear a positive LSD story...? Today a young man on acid realized that all matter is merely energy condensed to a slow vibration, that we are all one consciousness experiencing itself subjectively, there is no such thing as death, life is only a dream, and we are the imagination of ourselves... Here's Tom with the weather.
"
Kapitulation? Niemals!
Erschienen auf Warp, 2010
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