SACRED REICH - LIVE IN ASCHAFFENBURG
21.7.2016
Seit drei Monaten habe ich mich auf diesen Abend gefreut. Eine meiner allerliebsten Bands des Thrash Metal spielen eine Clubshow im schönen und außerdem schön gelegenen Aschaffenburger Colos-Saal, und dann auch noch im Sommer. Hinzu kommt, dass die Herzallerliebste, als ich sie wie immer vor Konzerten fragte, ob sie denn mitkommen möchte, dieses Mal nicht - wie sonst - umgehend in schallendes Gelächter ausbrach, sondern tatsächlich gegen ein kleines...äh..."Entgegegenkommen" meinerseits zusagte und also mit mir in ein Thrash Metal-Konzert ging und nicht nur das: auch noch über die gesamte Spielzeit am Rande des Moshpits stand.
Now, how fucking cool is that?
Alles, also so wirklich alles daran schreit nach einem legendären Abend.
Einen solch erlebte ich auch schon im Sommer 2009, als ich extra für die Band nach München fuhr, um sie nach 1991 zum zweiten Mal live zu sehen. Sacred Reich und vor allem ihr Album "The American Way" aus dem Jahr 1990 waren in meiner Blütezeit als Thrash Metal-Fan eine der wichtigsten Bands überhaupt für mich: sie hatten schlaue, gesellschafts- und staatskritische Texte, sangen gegen Umweltverschmutzung, Ignoranz, Rassismus und vor allem gegen den Tunnelblick auch in ihrer eigenen Komfortzone, der Metalszene. Und sie gaben keinen Fick auf das Geheul der Betonköpfe, die entweder keinerlei Politik in ihrem "unpolitischen Metal" duldeten, oder die alles, was keine Doublebass und langen Haare hatte, am liebsten unter den nächsten vorbeifahrenden Bus geschmissen hätten. Sacred Reich waren immer die etwas andere Metal Band.
Das bewiesen sie auch beim Aschaffenburger Konzert am vergangenen Donnerstag. Das Quartett aus dem US-amerikanischen Backofenstaat Arizona, übrigens seit fast dreißig Jahren im gleichen Line-Up zusammen (ausgenommen ein vergleichsweise kurzes Intermezzo mit dem heutigen Machine Head-Trommler Dave McClain, der Originaldrummer Greg Hall kurzzeitig ersetzte), hat längst die Souveränität und Gelassenheit einer Band, die niemandem mehr etwas beweisen muss - und der man das nicht nur anhört, sondern auch ansieht. Vor allem Sympathiebolzen Phil Rind hat über die kompletten knapp 80 Minuten Spielzeit ein Grinsen ins Gesicht getackert, Gitarrist Wiley ist spätestens nach seinen tiefen Zügen aus einem angereichten Joint endgültig ultramegaokay, Jason gibt hauptamtlich den "grumpy Gartenzwerg" auf der rechten Bühnenseite, lässt sich aber hier und da von den euphorischen Reaktionen der 300 Zuschauer zu einem Lächeln hinreißen. Keine aufgesetzte Härte, kein Machoscheißdreck, keine gespielte Bösartigkeit - die vier Typen, die seit ihrer Reunion etwa alle zwei Jahre nach Europa reisen, um ein paar Sommerfestivals und einige handverlesene Clubshows zu spielen, haben ehrlichen und aufrichtigen Spaß an dem, was sie tun. Phil kommt aus den Lobpreisungen und Danksagungen ans Publikum dann auch gar nicht mehr heraus, und just als man sich beim Gedanken ertappt, dass er es jetzt aber wirklich übertreibt, merkt man, dass ihm das unmöglich anzulasten ist: der meint das wirklich genau so.
"We flew from the fucking desert in Arizona to a place like fucking Aschaffenburg und you guys show up to our show and you are just fucking awesome. Do you realize how crazy that is? Wow."
Nach den ersten vier Songs "The American Way", als Opener immer noch unschlagbar, "Administrative Decisions" und "Death Squad" vom Debut "Ignorance" und dem überraschend in der Setlist auftauchenden "Free" vom 1993er "Independent"-Album, nimmt sich Phil zum ersten Mal fünf Minuten für eine längere Ansage, die darin gipfelt, dass wir alle mehr Liebe und Umarmungen brauchen - also fordert er die Zuschauer dazu auf, sich gegenseitig in die Arme zu nehmen. Und es klappt: der mit bösen, bösen Metallern vollgepackte Colos-Saal liegt sich kollektiv in den Armen und moshte sich direkt im Anschluss mit "One Nation" wieder zurück in den Gig. Sowas habe ich auch noch nicht erlebt.
Die Setlist überraschte darüber hinaus mit zwei Tracks des von so manchen Fans völlig unberechtigterweise verschmähten "Heal"-Albums aus dem Jahr 1995 - der Opener "Blue Suit, Brown Shirt" und der alles weggroovende und außerdem total fantastische Titeltrack, bot ansonsten das bekannte Programm aus den vielen Klassikern der Truppe: "Crimes Against Humanity", "Ignorance", "Who's To Blame", "Independent", "Love...Hate", das unvermeidliche "Surf Nicaragua" und natürlich "War Pigs", allesamt arschtight und mit viel Spielfreude auf Champions League-Niveau runtergeholzt.
Ein brillianter Gig einer der angenehmsten und immer noch besten Livebands aller Zeiten, die übrigens alle Anfragen nach einer neuen Platte seit ihrer Reunion im Jahr 2007 gelassen abblockt. Phil Rind sagt dazu, dass er einerseits nicht daran glaubt, die Truppe könne qualitativ an ihr Klassikererbe anknüpfen, und er es andererseits auch bezweifelt, dass die Fans _WIRKLICH_ neue Musik von ihnen hören wollten; die Frage danach erscheine ihm eher als üblicher Reflex, weil es sich eben so gehöre - aber die Welt habe die letzten 21 Jahre auch ohne ein neues Album von Sacred Reich überstanden. Ich empfinde diese Ehrlichkeit auch in dieser Frage als ausgesprochen wohltuend.
Ich hoffe, dass sie ihr Programm so noch für eine lange Zeit durchziehen können. Eine Metalszene ohne Sacred Reich möchte ich mir nicht vorstellen.