30.03.2013

Don Johnson, 1983



GOLDEN DONNA - GOLDEN DONNA

Der Herzallerliebsten zerrte das Debut des Synthie-Wizards Joel Shanahan hier und da ordentlich an den Nerven. Meine Verblüffung darüber war mir wohl deutlich anzusehen, denn ich hätte Golden Donna nie als Stressmusik einsortiert, tatsächlich tat ich genau das Gegenteil. Für mich war dieser funkelnde, musikgewordene Sonnenuntergang von Beginn an ein durchaus besinnlicher Ort. Das ist womöglich so eine Jean Michel Jarre-Reminiszenz, denn für mich ist der scheinbar niemals abbrechende Fluss an Melodien, Formen und Farben schon fast unter Ambient abgespeichert. Selbst wenn der dezent unruhige, slickende Beat vom Highlight "Shifter" einen ja sogar auf die Tanzfläche schleudern kann. Wenn nicht gar muss.

Was darüber hinaus über dieser Musik schwebt, ist ein bemerkenswertes Selbstbewusstsein, aus dem sich eine leuchtende Aura von Kraft und Kontrolle emporschlängelt. "Golden Donna" klingt wie in Stein gemeißelt, zusätzlich konserviert mit dem absoluten Willen zur Umsetzung einer Vision. So eine Platte schraubt man nicht zusammen, wenn man sich nebenbei ein Leberwurstbrot schmiert. "Infinite Earth" kratzt an spirituellen New Age-Wolkenladschaften, "Paulding Light" schreit nach ausgefransten Jeansshorts, braun getönter Pornobrille, Oberlippenbart und San Francisco im Jahr 1983. Niemals beliebig, immer aufmerksam. 30 Minuten Drachenfliegen auf der Couch. Oder im Bett. Oder in der Badewanne.

"Just try it man, just try."(Phil Rind).

Erschienen auf NotNotFun, 2012.

29.03.2013

Verstolpert

Es geht mich nichts an und ich möchte das alles nicht überbewertet wissen, obwohl ja doch schon so irgendwie, zumal die Frage durchaus mal gestellt gehört, weil also: Stifte raus, aufpassen:

Pearl Jam!

Was GENAU ist eigentlich zwischen 1992 und 2000 mit dieser Band passiert?

Derselbe Song, dieselbe Bühne, dasselbe Land - aber eine komplett andere Band. Obwohl's (fast) die gleiche ist.

1992: Feuer!!! Da hat die Erde gebebt. Und Vedder auch.

2000: Blasenkatheter!!! Diese Drogen. Dieser Alkohol.  Oder dieses Geld. Diese alten Knochen. Diese Bocklosigkeit. Und dieses Mitwippen von McCready. Dieses Sologewichse.








Bevor jemand motzt: Roskilde war nach Pinkpop 2000. Nur so.

26.03.2013

The Idiot Whisperer



"If it wasn't about race, y'know, if it was really about what the Tea Party says their issue is – deficits – who ran up all that debt? Bush! Where was the Tea Party then? The two wars we put on the credit card, the prescription drug program that wasn't paid for, the tax cuts that weren't paid for, where were they then? *crickets!* But as soon as President Nosferatu took office, then, suddenly, debt is intolerable. I think there's just something they don't like about him... I cannot put my finger on what it is... Just some way he's not like them... Skinny! That's probably what it is. He's skinny, and that's why they hate him... Oh, and also that he's a Muslim socialist out to destroy America and wave his African wonder-schlong in your daughter's face."
(Bill Maher)

"In America, if a Democrat even thinks you’re calling him liberal he grabs an orange vest and a rifle and heads into the woods to kill something."(Bill Maher)

"It doesn't mean I always agree with him. I always find him funny, though."
(Fareed Zakaria)


Seit Wochen klicke ich mich nun schon durch das Youtube Universum von Bill Maher, einem US-amerikanischen Moderator, Film- und Fernsehproduzenten, Schriftsteller, Schauspieler und Comedian, der gerade in den vergangenen Monaten durch seine öffentlich ausgetragene Fehde mit Milliardär Donald Trump einige Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte. Trump, von der Wiederwahl Obamas mental noch geschwächter als jemals zuvor, besteht weiterhin darauf, den Präsidenten der Vereinigten Staaten solange nicht als US-amerikanischen Bürger zu akzeptieren, bis eben dieser nicht seine Geburtsurkunde veröffentlicht (was er de facto im April 2011 tat, man muss halt nicht alles verstehen). Maher teilte in seiner wöchentlichen Talkshow Realtime with Bill Maher seinem Publikum mit, Trump möge dann doch bitte ebenfalls beweisen, dass er nicht das uneheliche Kind eines Orang-Utan Paares sei. Die Haare, das Gesicht, das Ergebnis läge ja wohl eindeutig auf der Hand. Trump drohte anschließend damit, Maher auf 5 Millionen Dollar Schadensersatz oder Schmerzensgeld oder Pimmelvergrößerungszuschuss zu verklagen, sollte der linksliberale Stalinistenhitler Maher dem Gehirnbotoxopfer Trump keine Entschuldigung unter die orangefarbene Haarmütze schummeln. So kommt man halt in die Zeitung. Und zu Fox News. Und zu einem einstelligen IQ. Und wo wir gerade bei geistigen Unzulänglichkeiten sind: Maher verlor im Sommer 2002 seine damalige Sendung "Politically Incorrect", weil er in einer Episode den folgenden Kommentar zu den Vorkomnissen am 11.September 2001 abgab:"We have been the cowards. Lobbing cruise missiles from two thousand miles away. That's cowardly. Staying in the airplane when it hits the building. Say what you want about it. Not cowardly."

"Free speech, Baby."(Kory Clarke)

Ich dürfte es mir im Grunde gar nicht erlauben, die amerikanische Mentalität, Kultur, Lebensweise, Politik, Gesellschaft, Klospülung und die Farbe dieses Zeugs, das sie offensichtlich Käse nennen, zu kommentieren. Ich war noch nie da, ich will da auch nicht hin - da schau' her, hier blüht die Ignoranz! - im Prinzip dürfte mich das alles so kalt lassen wie angestrullten Löwenzahn zu lutschen. Und dennoch greift hier wohl das System "Autounfall": es gibt Sachen, die darf's gar nicht geben. Und die will man eigentlich auch nicht sehen, aber so ganz weggucken geht eben auch nicht. Ich bin zwar meinetwegen schwach, aber ich liebe es zu Lachen. Und der Mann bringt mich unentwegt zum Lachen. Bill Maher, inhaltlich insbesondere in seinem andauernden Kampf gegen die Religion mit dem leider verstorbenen George Carlin durchaus eng verbunden, decouvriert die größten Absurditäten eines gesellschaftlich und politisch gespaltenen Landes mit so viel Witz und so großer Klarheit, dass es mir hiermit ähnlich ergeht wie mit den großen einheimischen Beobachtern Georg Schramm oder Hagen Rether. Maher zieht in erster Linie und mit Vorliebe die republikanische Partei nebst ihrer Nebentischveranstaltung Tea Party durch einen ganzen Ozean aus Kakao. Ihr Rassismus, ihre Respektlosigkeiten, ihre Homophobie, ihre Clownsfiguren aus Texas und Alaska und deren Ignoranz sind fester Bestandteil seiner Auftritte. Und diese Religion! Er enttauft in seiner Talkshow Mitt Romneys toten Schwiegervater, zu seinen Lebzeiten ein glühender Wissenschaftler, der das Konzept von Religion zwar vehement ablehnte, 14 Monate nach seinem Ableben aber in einem mormonischen
Ritual postmortem getauft wurde ("They tried to do it sooner but he wouldn't stop spinning in his grave."). Er greift den alten Pro-Drogen-Appell des Comedy-Meisters Bill Hicks auf, nach dem wir den Drogen einiges zu verdanken haben, und alleine die Existenz von "Dark Side Of The Moon" sei "100 dead kids" wert, die dem "slippery slope" vom Haschrauchen zur Überdosis zum Opfer fielen. Maher ist selbst bekennender Pot-Raucher ("In the Old Testament more people were getting stoned than in my jacuzzi.") und erzählte erst kürzlich bei seinem Besuch der Talkshow von Conan o'Brian, wie er sich zum Jahreswechsel auf Hawaii zusammen mit seinem Kumpel Woody Harrelson den Vorhang zuzog. Einig werden sich die beiden Herren wohl auch beim gemeinsamen Mittagessen gewesen sein: Maher ist Vorstandsmitglied der Tierrechtsorganisation PETA und lebt nach roher und veganer Diät, beißt aber nach eigener Aussage auch mal in einen Hamburger, wenn es nicht anders geht, Harrelson ist ebenfalls Roh-Veganer.

Wer neugierig geworden ist, möge sich die beiden auf Youtube verfügbaren Programme anschauen:

I'm Swiss (aus dem Jahr 2005, zur Amtszeit von George "Larry, the cable guy" Bush):



Crazy Stupid Politics (aus dem Jahr 2012, mit einer Überraschung am Ende):




Leider sind die beiden großartigen Sets "The Decider"(2007) und "But I'm Not Wrong"(2010) von Youtube wegen Urheberrechtsverletzungsscheiß entfernt worden, hier muss also im Zweifel eine DVD helfen.

24.03.2013

Nach Oben Graben



REPETITION/DISTRACT - SALLES DES PERDUS

Der Trick ist, das ganz große Bild in den Blick zu bekommen. Und sich nicht ablenken zu lassen. Keine Rückschlüsse, keine Interpretation, und bitte keine Erläuterungen. Aber auch wenn die Versuchung groß ist, sich im Kleinen und Trivialen zu verlieren, der Fluss fließt immer weiter, so oder so. Beziehungsweise, er sucht sich gerade dann neue Wege, wenn sich die Gelassenheit gegen die Verbissenheit durchgesetzt hat. Daraus ergibt sich die wundersamste Entdeckung auf "Salles Des Perdus", die Erkenntnis, dass es da etwas gibt, das manchmal schlicht nicht sichtbar ist. Und manchmal liegt es ganz naiv vor den Ohren herum.

Ich erinnere mich meine Verwirrung, als ich "Salles Des Perdus" zum ersten Mal hörte. Während der ersten Minuten blieb ich immer an konkreten, vielleicht auch bekannten Geräuschen stecken, schreckte hoch, runzelte die Stirn. Was ich nicht identifizieren konnte, musste umgehend identifiziert werden - das ist ungewöhnlich, weil ich mir ansonsten weder Gedanken um das "Wie"?" noch um das "Was?" mache. Als dann bei späteren Hördurchgängen plötzlich zwischen der Weite und dem Raum tatsächlich die Welle durchbrach und einen tief liegenden, verschleierten Groove freilegte, wuchs mit einem Wimpernschlag die ganze Platte über sich hinaus.

"Salles Des Perdus" ist letzten Endes eine abstrakte, entgegengesetzte Konstruktion klassischer Musik. Der Weg, den es beschreitet ist dabei nicht der einfachste: die subtilen Verschiebungen in Stimmung und Ton sind hinter den zerkratzten Schaufenstern kahler und verlassener Ruinen fast nicht wahrnehmbar und stehen erst dann geradewegs monumental im Raum, wenn man den berühmten Schritt zur Seite geht und die Musik in Ruhe voranschreiten lässt. Zum Ausbreiten, zum Fließen, zum Atmen. Was ich hiermit folgerichtig auch ausdrücklich empfehle.

Erschienen auf Weevil Neighbourhood, 2012.

17.03.2013

Die Schallmauer Vol.1



Was das Wohnzimmer für die nächsten Wochen erleuchten wird...

"Engage!"



VOIVOD - TARGET EARTH

Zum vermeintlich letzten Voivod Album "Infini" aus dem Jahr 2009 schrub ich noch "Der Delta-Quadrant Macht Das Licht Aus", nun knipst der Voivod das Licht wieder an: knappe acht Jahre nach dem Tod ihres Gitarristen Piggy haben sich die drei verbliebenen Herren Away, Blacky und Snake mit ihrem Freund Chewy (Dan Mongrain) zusammengetan, um an eine der tragischsten Geschichten des Heavy Metal weiter zu stricken.

Das Offensichtlichste vorab: "Target Earth" hat ein wunderbares Cover, für das alleine sich die Vinylversion schon lohnt. Das zweitoffensichtlichste folgt umgehend: "Target Earth" orientiert sich erstmals seit der Wiedervereinigung mit Sänger Snake wirklich an der "Killing Technology" / "Dimension Hatröss" / "Nothingface" / "Angel Rat"-Phase der Kanadier; das steht also ab heute nicht mehr nur in den Notizblöcken von verwahrlosten Musikjournalisten, die sich die letzten drei Scheiben ganz offensichtlich gar nicht mehr angehört haben. Der Rock'n'Rollige Ansatz aus den letzten 10 Jahren ist damit weitgehend verschwunden. Was mir persönlich ja ganz gut gefällt. Das drittoffensichtlichste: der Voivod agiert aus nachvollziehbaren Gründen mit dem neuen Mann an der Gitarre deutlich inspirierter als zuletzt. Nicht nur, dass Mongrain auf der Bühne, also bei den alten Klassikern der Band, Piggy nahezu in Perfektion wieder auferstehen lässt, er hat auch für "Target Earth" das verschachtelte Spiel des "Master Of The Riff" überaus gekonnt adaptiert. "Target Earth" beweist damit, dass ein Voivod-Leben nach Piggy tatsächlich möglich ist. Und ganz ehrlich: ich hätte es nicht geglaubt. Was man schon bei seinen Liveauftritten in den letzten Jahren mit der Band erkennen konnte, ergänzt sich mit seinen Ideen für das neue Album: der Typ ist ein wahnsinnig guter Gitarrist.

An ihm liegt es also nicht, dass ich für den Moment übersichtlich euphorisch bin. So schön es auch ist, dass das Quartett wieder verspielter, meinetwegen auch härter, aber in erster Linie komplexer geworden ist, so auffällig ist einerseits der müde Nebel des Alters über den Kompositionen, die nicht immer und jederzeit so richtig taufrisch und auf den Punkt gespielt wirken. Zum anderen ist da immer noch das vielleicht größte Manko seit "Phobos": Voivod erfinden sich einfach nicht mehr neu. Ich kann ihnen das im Grunde gar nicht übelnehmen, die großen, wilden Zeiten, in denen man aus einem inneren Drang heraus Musik machen musste, weil man sonst innerlich verbrannt wäre, sind bei den meisten Musikern einfach vorbei, wenn man, wie die drei alten Hasen hier, die Schwelle der 50 Lebensjahre schon hinter sich gelassen hat. Und wenn ich so darüber nachdenke: wie verschissen arrogant und altklug kann man über eine seiner Lieblingsbands schreiben?

Dennoch ist die Phase ein für alle Mal vorbei, in der die Band volles Risiko ging und damit auch Gefahr lief, es sich mit ihren Fans so richtig grandios zu verscherzen. Das ist nun nach 15 Jahren echt nichts Neues mehr, aber ich komme irgendwie nicht so recht drüber weg. Ich alte Schachtel.

Da sich "Target Earth" zur Zeit aber ganz prima entwickelt und sich in den letzten Tagen, nach etwa 10, 12 Durchläufen, bedeutend besser schlägt als noch zu Beginn unserer gemeinsamen Beziehung, lassen wir also mal Fünfe gerade sein. Ist eigentlich ganz schön, dass die Platte das Licht der Welt erblickt hat.

Erschienen auf Century Media, 2013.

14.03.2013

Clive Burr - 8. März 1957 - 12. März 2013




Tschüss, Clive. Dein Schlagzeugeinsteig bei "The Prisoner" brachte mich zu Iron Maiden und zum Metal.

Und nach Deinem Ausstieg waren Maiden einfach eine andere Band.


13.03.2013

Dunkelstadt



STEVEN R. SMITH - CITIES

Das Dusted Magazin beschreibt Steven R. Smith als "one of America's great hidden artists", und die Tatsache, dass "Cities" trotz fast vierjähriger Familienzugehörigkeit im Plattenregal noch keine Erwähnung auf diesen Seiten gefunden hat, möchte die Aussage geradewegs raketenstramm bestätigen - wäre mein kleines Bloglein eben nicht so, Sie erraten es: klein. Nichtsdestotrotz gehört "Cities" seit seinem Erscheinen zur beliebten Rubrik "Ich lass' Dich niemals wieder los!", und ich verfalle seit Jahren in schmachtende Melancholia, wenn ich nur dieses großartige Coverartwork sehe.

Smith ist seit 1995 in der US-amerikanischen Songwriter/Ambient/Noise-Szene unter einer Armada an Pseudonymen aktiv, außerdem ein Mitglied des Jewelled Antler Kollektivs und seither auf grob geschätzten dreißig Aufnahmen zu finden. Der Mann ist Multiinstrumentalist und weiß also, was er tut - und Halleluja, das hört man. "Cities" ist aus mehreren Gründen eine sehr beeindruckende Platte. Zum einen balanciert sie zwischen den Naturbildern eines Dewey Mahood, zwischen einer rauhen, wilden Zügellosigkeit, und einer ungeheuer intimen, scheuen, fast ambivalent anonymen Verbindung zum Hörer. Ein Husarenritt auf der Rasierklinge, die die Extravaganz von der Introspektion trennt; weniger therapeutisch, sondern tatsächlich als "struktureller Ansatz" (Franz Beckenbauer) einer Musik, die in einem kleinen Häuschen im Moloch von Los Angeles erdacht wurde, und die erkennbar den Kopf aus der ubiquitären Plastiksuppe streckt und die Flügel schwingt. Zum anderen schälen sich aus dem Dickicht aus manchmal schroffem Schubbern von Holz, Stahl und Luft Melodieminiaturen von atemberaubender Schönheit heraus, die im Zeitraffer das wundersame Erwachen bis zur unausweichlichen Vergänglichkeit zeigen. Dass Smith hierbei sehr nuanciert und subtil vorgeht, gleichzeitig aber kräftige emotionale Motive entwirft, die von trüber Urbanität, von der Einsamkeit und gleichzeitig von der Liebe für das Leben erzählen, mildert den Einschlag in die Gefühlswelt etwas ab und lässt uns etwas mehr Luft zum Atmen. In der dunklen Plastiksuppe aus der Stadt der Engel.

Erschienen auf Immune Rcordings, 2009.

12.03.2013

Schöne Neue Welt



JOSÉ JAMES - NO BEGINNING NO END

Die Welt scheint gerade ein bisschen wegen des kleinen Kuschelsängers José James auszuflippen, und so gerne ich dabei mitmachen würde: ich kann es nicht. Wirklich nicht. Ich habe es jetzt sechs Wochen versucht, aber "No Beginning No End" ist eine Enttäuschung, gegen die sogar das letzte, selbst nicht ganz fehlerfreie Album "Blackmagic" dasteht wie in Grammy-Gold gegossen.

"No Beginning No End" fehlt das, was es per Genredefinition eigentlich haben sollte: Seele und Tiefgang. Erstens mag ich Josés Stimme wirklich gerne, sie ist smooth wie ein Mango-Lassi, der optimal temperiert durch dein Schallgesims tröpfelt. Aber eines ist sie nicht: variabel. James flüsternölt sich fast gänzlich ohne Abwechslung durch die quälend langen 65 Minuten seines dritten Albums, und dass einer wie sein Entdecker Gilles Peterson den Vergleich mit Gil Scott-Heron heranzieht, und die New York fucking Times dasselbe dann gleich nochmal vom Sticker, der links oben auf dem Album klebt, abschreibt, ist selbst diplomatisch am besten mit "bizarr" beschrieben. Von den Unterschieden in der textlichen Ausrichtung, hier Kuschelfummelbungabunga, da "The first time I heard them talking about trouble in the middle east, I thought they were talking about Pittsburgh.", mal ganz (GANZ!) abgesehen. Zweitens fehlt ebenjene Abwechslung in den Kompositionen, die "Blackmagic" dank Produzenten wie Flying Lotus oder Moodyman liefern konnte. Was auf "No Beginning No End" regiert ist der saloppe Laissez-Faire Schunkelschmuser für eine Nescafe-Latte to go (ganz weit weg) und das macht er gut und richtig und angenehm und säuselnd und wer schnellstmöglich zum Beischlaf mit irgendwem kommen möchte, der legt am besten diese Platte auf. Aber er regiert mit durchgelegenen Betten, verwelkten Rosensträußen und einem Karamell-Knoblauch-Tee, dieser Schunkelschmuser. Und ja, es ist wirklich genau die Soße, nach der es sich wegen meines Geschreibsels gerade anfühlt. Drittens: José ist jetzt bei Blue Note. Und wer auch immer dieses Album produziert hat, es ist so glatt wie eine Bowlingbahn. Vielleicht müssen Platten auf Blue Note glatt wie eine Bowlingbahn klingen, aber ich bekomme auf Bowlingbahnen immer Fußpilz. Also, nicht direkt. Aber dann später.

Vielleicht wird es ja in den hoffentlich sehr bald anstehenden lauen Sommernächten noch etwas mit mir und "No Beginning No End", ich will's nicht ausschließen, denn ich bin José James eigentlich sehr wohlgesonnen und ich mochte seine Platten. Bis dahin bleibt sein Debut "The Dreamer" aus dem Jahr 2008 nachwievor sein tiefstes und damit auch sein bestes Album.

Erschienen auf Blue Note, 2013.


P.S.: Hallo crazy-abgespacete Blue Note-Mitarbeiter: 2013, Downloadcode, anyone? Das ist nun wirklich keine Raketentechnik; das kann man doch mal in Betracht ziehen, kann man nicht? Oder sind die 20 Cent pro Scheibe, die es bei diesen Auflagenzahlen dann erwartbar kosten wird, wirklich und einfach: zuviel? Weil der Shareholdervalue so drückt? Weil es sonst einen Monat keinen Kaffee im Büro gibt? Weil der Chef sonst seine Frau verkaufen muss? Reißt Euch doch mal zusammen.

04.03.2013

Die Songs des Jahres 2012 (Vol.2)

Von Platz 5 bis Platz 1 - damit ihr ein bisschen Scrollen müsst, um zur TOTAL ÜBERRASCHENDEN Nummer 1 zu kommen.

Hurz!


05 Monophonics - There's A Riot Going On

Die erste Singleauskopplung ihres Debuts "In Your Brain" ist gleichzeitig auch der beste Track dieses kalifornischen Ensembles, das beim NeoSoul/Funk Label Ubiquity untergekommen ist. Anders als ihre Labelgenossen von Orgone sind die Monophonics psychedelischer, bluesiger und traditioneller unterwegs, und was sich auf der (zu langen) Platte etwas zieht, entwickelt sich spätestens auf der Bühne zu einem umwerfend intensiven Trip. "There's A Riot Going On" gibt's nur gegen Rezept und schlappe 6 Euro auf einer schicken 7-Inch.




04 Ayshay - Shaytan

Eine der großen Überraschungen 2012 war Fatima Al Qadiri aka Ayshay mit ihrer "Warn-U" EP auf Tri Angle, und tatsächlich hielt sich "Shaytan" lange Zeit an der Spitze meiner persönlichen Songjahrescharts. "Shaytan" ist beunruhigend, aufdringlich und tiefschwarz. Und so schön, dass ich manchmal keine Worte dafür finde.




03 Georgia Anne Muldrow - Seeds

Ich hatte es mit meinen Worten zum vollständigen Album bereits angedeutet: die Vorabsingle "Seeds" ist mittlerweile ein kleiner Klassiker, das Video sowieso, und ich sehe keinen Grund dafür, diesen supercoolen, deepen, spirituellen und von Madlib mit viel Fingerspitzengefühl produzierten Track nicht auf den dritten Platz rücken zu lassen.




02 Propagandhi - Status Update

Ich darf den Youtube-Mitinsassen GunjerSpinners zitieren:"took them less than a minute to clear my mind..wow." Womit dann eigentlich alles gesagt wäre.




01 De La Soul's Plug 1 & Plug 2 Presents First Serve  - Must B The Music

Wir kommen nicht drum herum, ihr nicht, und ich gleich gar nicht. Alles, was Spaß macht, ist hier in knappen vier Minuten verbratzt, aufgeschlagen, drappiert und als Geschenk verpackt. Ich möchte hierzu selbst bei Minustemperaturen nur mit einem Rüsselschlüpper bekleidet Straßenlaternen und Briefkastenschlitze unsittlich berühren. Ich möchte aus einem öffentlichen Urinal einen kräftigen Schluck mit einem rosafarbenen Ringelstrohhalm nehmen. Ich möchte Parkuhren und Polizisten ablecken. Lebt das Leben. Liebt die Liebe. Liebt das Leben.




Ich muss aber nun doch mal die Frage stellen, warum die Google-Bildersuche Fotos von Christiano Ronaldo ausspuckt, wenn ich nach "Rüsselunterhose" suche?!

03.03.2013

Die Songs des Jahres 2012 (Vol.1)

Listen, immer nur Listen. Ich könnte praktisch ein ganzes Blog-Jahr nur mit Listen füllen, mir würde bedauernswerterweise wohl immer ein absurder Mist einfallen.

Heute ist's allerdings erfrischend unabsurd, eine Liste mit den besten Songs des Jahres ist schließlich völlig legitim, ist es nicht? Wir machen das in zwei Etappen, sonst wird mir langweilig. Außerdem mit einem Novum, weil es dieses Jahr die entsprechenden Youtube-Video mit dazu gibt. Mein Service! Von mir, für Euch. "Ich liebe Dich, Mann!" (Wayne's World). Und die GEMA kann mir immer noch und äußerst ausgiebig mal schön den [zensiert]. Jedenfalls kann sie mich mal. Irgendwas. Verklagen. Ahahaha. Naja.


10 Lauer - Coppers

Man kann darüber diskutieren, ob das Album "Phillips" im Allgemeinen und der Track "Coppers" im Speziellen in den dunklen Wintermonaten Sinn machen, aber ich kann bestätigen, dass sich insbesondere "Coppers" im Sommer 2012 durch so manche Nacht auf der Überholspur Endlosschleife hielt. Für Zeiten, in denen Tumbleweed durch die hohle Rübe weht. Einfach, weil's Spaß macht.




09 Jacques Greene - Ready

Auch wenn Greenes "Another Girl" EP aus dem Jahr 2011 durchaus okay war, hatte ich ihn für einen solchen Kracher nicht auf der Rechnung. "Ready" platziert sich zwischen einer flotteren Burial-Nummer, Tri Angle-Sounds und einem ordentlichen Zug nach vorne mit einem sehr vielschichtigen und warmen Soundansatz. Außerdem sehr erfreulich: man hört Greenes Willen heraus, seinen Stil zu präzisieren. Das ist super.




08 Maserati - Abracadabracab

Maserati sind schwer gebeutelt und irgendwie hört man es "VII" auch an. Ihre neue Platte "VII" wäre um ein Haar in meine Top 20 hereingerutscht; ein wunderbar psychedelisches und kraftvolles Instrumentalrock Album von einer Band, die es tatsächlich geschafft hat, den Postrockrahmen nicht nur zu sprengen, sondern ihn  sogar zu erweitern. Es grüßen Pink Floyd, Kraftwerk und und Neu! "Abracadabracab" ist ein großartiges, über zehn Minuten langes Epos, für Tänzer genauso geeignet wie für Kopfnicker.




07 Holy Other - U Now

Holy Others "With U" EP aus dem Jahr 2011 war eine Sensation, auf dem vollständigen Debut "Held" zeigt sich aber, dass die Herausfroderung, ein abendfüllendes Album zu gestalten, vielleicht noch eine Nummer zu groß war. Die Zahl der anbetungswürdigen Momente ist zwar identisch mit der "With U"-Quote, aber eine EP ist eben auch kürzer. "U Now" ist das beste Beispiel, praktisch die Blaupause für seinen Sound: sofort zu identifizieren, sofort in die DNA eingebaut, sofort zum Leben erweckt.




06 Pinkish Black - Bodies In Tow

Der stärkste Track aus dem guten, selbstbetitelten Album des Weirdo-Duos aus Texas. Ein hymnischer Schlag mit dem Morgenstern, hochmelodisch und -dramatisch inszeniert, mit sehr charmanten und sympatischen Doom Metal Zitaten, die vor allem beim Gesang durchschimmern. Immer noch fantastisch.




25.02.2013

2012 ° Platz 1 ° Propagandhi - Failed States



PROPAGANDHI - FAILED STATES


Überraschungen sehen anders aus: wer sich wenigstens in der zweiten Jahreshälfte 2012 zitternd und erschöpft durch mein Geschreibsel kämpfte, dem dürfte die Nummer Eins des Flo-Universums 2012 irgendwie bekannt vorkommen. Auch wenn, und das muss gesagt werden, der Zweikampf an der Spitze ein verdammt ernster und mit harten Bandagen geführter Fight war, der buchstäblich erst in letzter Minute zugunsten der Kanadier entschieden wurde.

"Failed States" also. Da muss ich mal kurz durchatmen. *schnauf*

Ich muss zugeben: ich bin glücklich mit dieser Entscheidung, auch wenn ich nun mit der Herausforderung im Ring stehe, einstmals völlig richtiges nochmal zu wiederholen, ohne mich, naja,...zu wiederholen. Denn so irrsinnig viel ist mit dieser Platte in den zurückliegenden Monaten nicht passiert; es ist auch heute noch ein geradewegs erhebendes Gefühl, "Failed States" zu hören. Ein kraftstrotzendes, visionäres, zügelloses Monster aus Hardcore, Punk und Thrash Metal, das besonders viel Anziehungskraft auf mich ausübt, wenn das Oberstübchen nach einem Sorgenstaubsauger ruft. Wenn sich der werte Herr Autor also am Freitagabend aus dem ICE und in das Wochenende rollt, wenn das ganze ungeklärte Abwasser aus einer grotesk verkackten Arbeitswoche gefälligst das Weite suchen soll, dann gehört mir mit diesen 37 Minuten die Welt.

Propagandhi haben mit ihrem sechsten Studioalbum das vielleicht goldenste Händchen ihrer Karriere bewiesen: so fokussiert, so kompakt und gleichzeitig variabel war das Quartett noch niemals zuvor. Gleichzeitig ist die Zahl derer, die der Band nicht (mehr) folgen können und wollen offensichtlich nochmal angestiegen. Zu komplex, zu progressiv, zu laut, zu Metal, zu leise, zu Punk, zu Rush, zu ernst, zu anstrengend, all das verbunden mit den abstrusesten Vergleichen, den bizarrsten Begründungen, den fatalsten Schlussfolgerungen. Sie könnten alle nicht falscher liegen: "Failed States" präsentiert eine auf den Punkt durchtrainierte Band, sehnig und drahtig, stahlhart und makellos. Hier ist keine Sekunde verschenkt.

"Failed States" ist eine verdammte Lehrstunde und folgerichtig die kreative Speerspitze dessen, was in einem musikalisch längst redundanten, inhaltsleeren und mit banalen Plattitüden vollgestopften Genre permanent nur noch um sich selbst und die eigenen Befindlichkeiten kreist.

Erschienen auf Epitaph, 2012.

24.02.2013

2012 ° Platz 2 ° The Life And Times - No One Loves You Like I Do



THE LIFE AND TIMES - NO ONE LOVES YOU LIKE I DO

Als ich vor wenigen Tagen feststellte, es gäbe außer The Sea And Cake keine andere Band, die ich auf diesem Blog mit soviel Hingabe und Liebe überschüttet habe, dann war das wenn nicht glatt gelogen, dann zumindest nur die berühmte halbe Wahrheit. The Life And Times gehören seit ihrem Albumdebut "Suburban Hymns" zu meinen Lieblingsbands, was ich an der ein oder anderen Stelle bereits ebenfalls ausgiebig breittrat. Das Power Trio aus Kansas City hat praktisch noch keinen auch nur durchschnittlichen Ton auf eine Platte gepresst und kommt mit seinem psychedelischen, schweren und emotionalen Indienoiserock verdammt nahe an meine Idealvorstellung aktueller Rockmusik heran.

Allen Epley, Meister des verschrobenen Arrangements und außerdem Saitenhexer von kilometermeterdicken Noiselayern, die einen Kevin Shields wie einen blutigen (haha!) Anfänger aussehen lassen, hat aus der Asche seiner früheren Alternative/Grunge Truppe Shiner einen völlig einzigartigen Stil für The Life And Times geboren und mit seinen Kumpels Eric Abert am Bass und Chris Metcalf am Schlagzeug mittlerweile zur Perfektion veredelt: tonnenschwer, verzerrt, noisy, dabei aber zum Sterben romantisch, melancholisch, opulent und tiefrot glimmend. Es gibt keine Band, die auch nur im Ansatz so klingt wie diese drei Typen.

"No One Loves You Like I Do" ist in der Liste vergangener Klassiker keine Ausnahme, tatsächlich muss ich zugeben, dass ich im Grunde bereits vor Veröffentlichung "Na, dann muss ich mir dieses Jahr ja keine Gedanken um meine Nummer 1 machen!" jubelte. Jetzt steht ihr drittes Studioalbum also auf Platz zwei, und es liegt weißgott nicht an seiner Qualität, denn das Trio ist auf Albumlänge kompakter geworden, hat aber gleichzeitig an der Psychedelic-Schraube gedreht und einige ziemlich fiebrige Minuten aufgenommen, die den Kopf ganz schön weichkochen und ohne echte Auseinandersetzung wie Staub zerfallen können. Ich habe keine Ahnung, wie sie das angestellt haben, aber es gibt Momente im Verlauf der 46 Minuten, die das komplette Werk als großen Noise-Meteoriten aus purer, in Chloroform getränkter Watte erscheinen lassen. Und jeder Ton gräbt sich tief in die DNA jeder einzelnen Körperzelle ein.

It doesn't get much more intense than this.


Veröffentlicht auf Hawthorne Street Records, 2012.