“The things we love will one day disappear - first slow and then so quick.”(Matthew Ryan)
12.04.2021
Sonst noch was, 2020?! (4) - The Slow Dancing Society - The Disappearing Collective Vol. I
11.04.2021
Sonst noch was, 2020?! (3) - Huerta - Junipero
In the early, especially uncertain days of quarantine in NYC my roommate and I spent nights listening to this and watching the empty subway cars go by our window. such a comforting, transportive album.
09.04.2021
Sonst noch was, 2020?! (2) - Shabaka And The Ancestors - We Are Sent Here By History
"We are sent here by history/The lighter gave fire, and was present at the burning/The burning of the republic/Burnt the names, burnt the records, burnt the archive, burnt the bills, burnt the mortgage, burnt the student loans, burnt the life insurance/An act of destruction became creation."
"'We Are Sent Here by History’ is a meditation on the fact of our coming extinction as a species. It is a reflection from the ruins, from the burning; a questioning of the steps to be taken in preparation for our transition individually and societally if the end is to be seen as anything but a tragic defeat. For those lives lost and cultures dismantled by centuries of western expansionism, capitalist thought and white supremist structural hegemony the end days have long been heralded as present with this world experienced as an embodiment of a living purgatory."
08.04.2021
Sonst noch was, 2020?! (1) - Fates Warning - Long Day Good Night
Für den Top 20-Jahresrückblick blieben ein paar Alben auf der Strecke, manchmal unerwartet, manchmal einfach nur, weil ich sie zu spät kennenlernte. Um nicht wie in den fucking 13 Jahren zuvor immer wieder den selben Fehler zu machen und solche Kandidaten irgendwann einfach zu vergessen, werden wir also über die nächsten Wochen Monate öfter mal ein Wort über das verlieren, was sich abseits der vermeintlich besten Platten des Jahres noch so getan hat.
2020 wird uns also noch eine Weile beschäftigen - und das gilt vermutlich sogar über die Musik hinaus.
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04.04.2021
Best of 2020 ° Platz 1 ° Night Sea - Still
Das Album des Jahres kommt aus den tiefen Urwäldern British Columbias, von meinem neben A Strangely Isolated Place anderen, meinem also zweiten Lieblingslabel Silent Season. Labelchef Jamie sagt selbst, Silent Season hätte 2020 mit lediglich zwei physischen und drei digitalen Veröffentlichungen ein ziemliches "low-key"-Jahr gehabt (neben "Still" kam nur noch Tomas Jirkus "Touching The Sublime" auf Schallplatte heraus, ebenfalls ein sehr gutes Album), aber wenn solch ein Meisterwerk wie "Still" auf dem Radar ist, kann ich mit einem heruntergefahrenen Ausstoß an neuer Musik bestens leben.
Nach spätestens 2 Minuten und 53 Sekunden mit "Still" ist klar: das ist eine besondere Platte und das wird in den folgenden 48 Minuten ein besonderer Trip. Wenn sich durch den langsam aufziehenden diesigen Ambientschleier plötzlich ein Energieblitz aus den Schallplattenrillen über den Tonabnehmer, Tonarm, die Innereien des Plattenspielers über die Kabel in den Lautsprechermembran seinen Weg bahnt, unaufhaltsam und mächtig und beinahe physisch spürbar direkt in dein Herz schießt - Treffer, versenkt. Was für ein Einstieg. Eigentlich eine eiskalte Dusche nach dem 180°C Saunagang - danach folgt totale Entspannung: sanft fließende Dub-Variationen, aquatische Motive, Levitation im freien Raum.
Denn "Still" ist das beruhigendste und gleichzeitig betörendste Album des Jahres. Ich habe es im vergangenen Sommer tatsächlich in erster Linie in jenen Zeiten gehört, die nach aktiver Entspannung gerufen haben; wenn also Lohnarbeit, Leerdenker und Leben über das wucherten, was in normalen Zeiten noch geistige Gesundheit genannt wurde, war "Still" ein außerordentlich starkes Sedativum, das allerdings nicht die Sinne betäubte und dämpfte, sondern sie öffnete. In den vergangenen Texten über die Top 20 des vergangenen Jahres hatte ich mehrfach die Ambivalenz erwähnt, die ich in so mancher Musik entdeckt zu haben meinte - sei es aus Projektion und selektiver Wahrnehmung, 's is' eh schon alles egal - und die ich vermutlich deswegen so attraktiv finde, weil sie mich in der Notwendigkeit bestärkt, Grautöne wahrzunehmen, besser: wahrnehmen zu müssen, um die Welt und mich selbst zu verstehen. Denn das ist vielleicht immer noch der heilige Gral, den es im Leben zu finden gilt: Verständnis, Aufklärung, Bewusstheit. Alles, was mich diesem Kern näherbringt, hat Bedeutung und Wirkung.
Das bemerkenswerte an "Still" ist: da ist keine Ambivalenz. Da ist keine Projektion und keine selektive Wahrnehmung, da sind keine bohrenden Zweifel, kein Grau, da ist kein Zaudern. Stattdessen: Klarheit. Tiefe. Wärme. Natur. Verbundenheit. Empathie. Ursprünglichkeit. Und die Erkenntnis, dass es keinen Antagonismus benötigt, um auf die andere Ebene, die andere Seite zu kommen. Ganz im Gegenteil: Es braucht Einigung.
Viel näher kommt man an das Licht nicht heran.
Erschienen auf Silent Season, 2020.
03.04.2021
Best of 2020 ° Platz 2 ° War On Women - Wonderful Hell
"Wonderful Hell" ist nun auf jeder Ebene ein einziger Triumphzug für War On Women und der vorläufige Höhepunkt ihrer Karriere. Wenn ich beim letzten Album "Capture The Flag" darüber schrieb, die Band aus Baltimore könne es sich sogar erlauben, den besten Song "Anarcha" im hinteren Drittel zu verstecken, dann haben sie es sich jetzt erlaubt, gleich die ganze Platte bis unters Dach mit derlei Brechern vollzupacken. Hits. Hits, Hits, Hits. Überall Hits. Durchgängig. I'm not fucking kidding.
Shawnas erneut verbesserter Gesang (die Frau hat fucking pipes!), ein überragendes Melodieverständnis, ohne auch nur einen Hauch Durchschlagskraft und Drive zu verlieren, ein angenehm weites stilistisches Spektrum mit einigen herausragenden Ideen und Experimenten wie im rhythmisch vertrackten und abwechslungsreichen "Big Words" oder das zynische "Her?" mit großartigem Riffing und zornigem Text, der den allgegenwärtigen Frauenhass und die Doppelmoral einer von Männern konstruierten Welt offenlegt. Apropos Texte: auch auf "Wonderful Hell" stehen glasklare Kante zeigende und -einfordernde Texte, die in ihrer Geradlinigkeit so kraftvoll sind und damit selbst einem wie mir, der sich über den eigenen Status als Profiteur des patriacharlichen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems sehr genau im Klaren ist und über all die so sorgfältig aufgebauten protektiven Strukturen und ihre desaströsen Folgen besser Bescheid weiß als mir lieb sein kann, immer noch den Holzhammer auf die gleichfalls immer noch erschütternd leere Birne bommeln lassen und mich jedes Mal aufs Neue dazu zwingen, meine eigene Realität und Wahrnehmung zu hinterfragen.
Und dennoch haben sie es auch jetzt wieder geschafft, die beiden alles überstrahlenden Tracks ans Ende des Albums zu setzen. Zunächst entwickelt sich "The Ash Is Not The End" von einem recht unspektakulärem Beginn innerhalb von Sekunden zu einer mitreißenden Hymne mit bebendem Text:
So you wanna burn it all to the ground
Like there's no coming back from this?
You fucking quitter
The fire, the embers, the ash are not the end
If you want it, then you're gonna have to build it yourself
bevor "Demon", in guter Tradition als längstes und ungewöhnlichstes Stück am Ende des Albums platziert, dann mit bislang ungeahnter Intensität tatsächlich alles zu Staub zerbröseln lässt. Bedrohlich und düster - und so kraftvoll und mächtig.
Ein beeindruckender Abschluss für ein beeindruckendes Album einer beeindruckenden Band.
Wo soll das alles noch hinführen?
Erschienen auf Bridge Nine Records, 2020.
02.04.2021
Best of 2020 ° Platz 3 ° Soela - Genuine Silk
SOELA - GENUINE SILK
01.04.2021
Best of 2020 ° Platz 4 ° Aril Brikha - Dance Of A Trillion Stars
28.03.2021
Best of 2020 ° Platz 5 ° Shuta Yasukochi & Carlos Ferreira - Quiet Reminders
25.03.2021
Best of 2020 ° Platz 6 ° Recondite - Dwell
RECONDITE - DWELL
Here's Tom with the weather.
(Bill Hicks)
21.03.2021
Best of 2020 ° Platz 7 ° D.K. - Live At The Edge
17.03.2021
Best of 2020 ° Platz 8 ° Hum - Inlet
13.03.2021
Best of 2020 ° Platz 9 ° Purl - Renovatio
Im vergangenen Jahr beendete ich mein Review zu Purl's "Violante (Lost In A Dream)" mit der an den Erschaffer gerichteten und explizit anerkennenden Botschaft, er, Ludvig Cimbrelius (nebst seiner neun Aliasse, sind wir heute mal verschwenderisch), sei ein "fucking wizard". Seit 2015 kenne ich nun seine Musik, wenn auch nicht allumfassend, dafür ist das Volumen seines Oevres meinen Hör-Realitäten schlicht nicht angepasst, aber sie gehört mittlerweile sicherlich zu jener Musik, die aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken ist.
Niemand klingt so wie Purl. Niemand malt solche Bilder aus Klang. Niemand sonst kann mit Tönen Deine Haut streicheln; so als wehe eine warme Brise über den Körper hinweg und verstrubbelt Haare, Herz und Seele. Niemand sonst kann so viele Türen öffnen, so viele lichtdurchflutete Räume schaffen.
"Renovatio" schwebt wie eine weiße Feder in Richtung Sonne und man weiß nie so recht, ob sie angetrieben oder angezogen wird, von Licht, von Liebe, von Freiheit, einer Art Entgrenzung? Oder gar - vom Mangel von all dem? Wenn es ganz besonders dunkel wird, ist schließlich selbst der kleinste Funken, das kaum wahrnehmbare Flackern einer Reflektion, wortwörtlich jetzt: ein Hoffnungsschimmer. Das mag nun selbst für einen wie mich erschütternd trivial sein, aber die bloße Anerkennung eines Mangels, einer Lücke, setzt Mechanismen in Gang, damit diese Lücke geschlossen werden kann. Dafür (und daraus) ist "Renovatio" gemacht: für Einkehr, Entdeckung, Offenbarung, Nacktheit, Fülle, Schönheit, Schutzlosigkeit, Offenheit. Wer sich nicht nur mit dieser Platte, sondern im Grunde mit Ludvigs Gesamtwerk auseinandersetzt, findet all das im transzendentalen Bewusstsein seiner Musik, das so expansiv und verschwenderisch wie demütig und unschuldig ist.
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Dunkelheit ist einfach. Zynismus ist einfach. Profanität ist einfach. Sich aus diesem Kokon des Untergangs zu befreien und seinen stets so verlockenden Rufen zu widerstehen, die Fläche zu verlassen und stattdessen tiefer, in die Vertikalität zu gehen, zu suchen, die Introspektion umzukehren und sie expressiv ins Draußen zu tragen, ist eine Herkulesaufgabe. Ich kann nur erahnen, wie viel Kraft notwendig ist, um diesen süßen Duft dieser ultimativen Freiheit in Tönen zu manifestieren - die Glücksgefühle beim Hören sind dagegen äußerst gegenwärtig.
Erschienen auf Archives, 2020.