18.06.2013

Todeszungen aus Engelslava



VESTALS - FOREVER FALLING TOWARD THE SKY

Der eine nennt es "kreativen Ausbruch", der andere, also ich, "Rückkehr ins Leben mit kreativem Auswurf" - es flutscht heute obenrum ganz gut, mag an dem Kaffee gelegen haben - und deshalb nehmen wir nochmal flott die Abfahrt ins Shoegaze- und Dream Pop-Land: wer "Forever Falling Toward The Sky" zum ersten Mal hört, schwört Stein und Steißbein, dass sich da eine Band verträumt an den Genitalien herumspielt, aber falsch geschwört, drei Mal schwarzer Kater: Vestals ist das Soloprojekt von Lisa McGee, der einen Hälfte von Higuma. Die andere Hälfte hört am Wegesrande auf den Namen Evan Caminiti und ist meinen Lesern spätestens seit meinen Einlassungen zu dessen "Night Dust" Platte wenigstens namentlich geläufig.  Rämmpämmpämmpämm.

Die fünf Songs auf dieser ganz wunderbaren EP sind hochmelodische Shoegaze-Tortenheber, ungeschliffen und dabei trotzdem himmelhochjauchzend poppig. Selbst das Kratzen der im Hintergrund herumgrummelnden Noise-Gitarre wird von den traumhaft perlenden Gesangs- und Gitarrenarrangements gezähmt. Es regiert die schwüle Sommernacht, der leise Vulkanausbruch mit ausgespuckten und in Äther getauchten Wattebällchen, das glühende Rot hält das Zepter in der Hand, in der Ferne flirrt die Luft, die Augen schließen sich und wollen am liebsten nie wieder geöffnet werden. Genug Klischees und bescheuerte Bilder verbraten? So einen Mist liest man ja ansonsten nur in der Intro. Oder bei, haha: Plattentests. Ich hatte es eingangs erwähnt: Auswurf. Gelber Auswurf. Oder "Schmackes" (G.Knebel). Sei's drum. Was ich sagen wollte: wenn der Mojito gerade frisch durch das Glas schwappt, wenn es eine laue Sommernacht an einem Samstag ist, wenn Dir die Uhr in ihrer ohnmächtigen Kraft "ES IST HALB VIER MORGENS, DU PENNER!" entgegenbrüllt, dann ist das genau, aber mal sowas von GENAU die Platte, die den Abend ausknipsen und Dich ins Bett schicken wird.

Das Tolle daran: "Forever Falling Toward The Sky" funktioniert auch an winterlichen und schneeversunkenen Abenden im Dezember. In Embryonalstellung auf der Couch zusammengerollt, wenn der Wind da draußen die Leere im Innern spürbar und offensichtlich werden lässt, dann, lassen wir's gerade nochmal ernst werden, spenden diese unaufgeregten und umarmenden Kompositionen Trost und Licht.

Ist wirklich so. Ich hab's getestet.

Erschienen auf Root Strata, 2012.

16.06.2013

0,01%

Wenn einem schon am Frühstückstisch der Arsch platzt, zum einen, weil man den ganzen Mainstreamdreck aus unseren landaus, landein als Qualitätsmedien gefeierten und als Redaktionen getarnten Gehirnabsaugstationen eigentlich weit hinter sich und also unbeachtet am Rand der Klärgrube für toxische Vollverstrahlung liegen lassen wollte, und dann eben doch auf die Seite der Frankfurter Rundschau (Gott oder Timothy Leary oder sonstwer habe sie selig, bitt'schön) klickt, weil der Herr Gärtner in seinem kritischen Sonntagsfrühstück, das seit Beginn der Zeitrechnung oder wenigstens seit dem sonntäglichen Aufstehen so gegen zwölfe, zu meiner und unser aller Pflichtlektüre gehört und gehören sollte, gerade was von 1984, dem Freiheitsgauck, der Macht und dem gesamtgesellschaftlichen Murks aus Konsum, Konsum und äh, Konsum schrub und ich also der Meinung war, die Twitter'sche Ankündigung der Rundschau (bei der ich übrigens mal eine Ausbildung begann - an der Wortwahl merken Sie, dass ich nicht viel weiter kam, und angesichts dieser Bandwurmsätze ist's ja auch nur verständlich) "BND weitet Internet-Überwachung aus" passe dazu ja am End' total prima, zum anderen, weil das, was die alte Tante hier geschrieben hat, beziehungsweise sich von der symmetrisch gleichgeschalteten Presseagentur ins virtuelle Blatt hat wuchten lassen, an strahlender Doofheit kaum zu überbieten sein wird:

"2011 hatte der Bundesnachrichtendienst fast 2,9 Millionen E-Mails und SMS wegen des Verdachts auf Terrorismus, Waffen- oder Menschenhandel überprüft. Das geht aus einem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages hervor, der Anfang April bekanntwurde. Demnach stieß der Auslandsgeheimdienst bei seiner Suche aber nur in 290 Fällen auf „nachrichtendienstlich relevantes Material“."

Dieses "nur" da am Ende, es ist so klein, man sieht's fast nicht. Ich hab's schnell mal ausgrechnet: wir reden hier von 0,01% Erfolgsquote - quatsch, von Erfolg spricht ja niemand, nur von "nachrichtendienstlich relevantem Material" - ob damit jetzt der Bau einer Atombombe im Keller von Ubdallah Fischer in Greifswald-Wusterhusen gemeint ist, oder der Tipp, wo man in Berlin die beste Dönerbude mit Mittagstisch (Sauerkraut, frische Knorpel) findet, joa mei, da lassen sich die Schlapphirne nur ungern in die gezinkten Karten gucken; auch wenn man sich schon irgendwie fragt, wer die knapp 8000 Emails und SMS am Tag denn überprüft - sind's die quadratkilometergroßen Computer, die auf dem Grund der Ostsee von Spongebob Wasserkopf und dem Pflegerteam von Siegfried und Roy überwacht werden, und deren Suchalgorithmen auf jedes Bombe, Eisbombe, Uran, Ural und Urin (Tippfehler!) reagieren, oder sind's formvollendet Studenten, die früher von der Rundschau vom Uniklo ins Lektorat geschleift wurden, nachdem man feststellen musste, dass so richtig Deutsch keiner mehr sprechen, geschweige denn schreiben kann, der ursprünglich exakt dafür bezahlt werden sollte? Jedenfalls wäre es ja schon ganz lohnenswert zu erfahren, was aus diesen 290 Fällen geworden ist, und ob der Kreuzberger "BigMac-Döner" (Schramm) denn nun lecker war oder gar zur Selbstanzeige wegen unberechtigter Spesenabrechnung führte. Der gute Andrej Holm wird ein schönes Liedchen von dem ganzen Scheißdreck pfeifen können, nachdem ihm 2007 wegen Verwendung des Suchbegriffs "Gentrification" via Google mal flugs von einem Sonderkommando morgens um 7 die Tür eingetreten wurde. Von sowas spricht natürlich heute kein Mensch mehr, wie sowieso niemand mehr über irgendwas spricht, was so ein kleines bisschen zu eigenem Schmerz und Selbstdemontage führen könnte, weil wir ein Volk von starken Über-Hitlern sind, ach was, wir sind alle starke Typen, Erfolgstypen, knallhart, wir funktionieren immer, wir machen alles mit.


Und zuletzt tut man dann noch das, was man grundsätzlich niemals tun sollte, und liest die Kommentare. Der übersichtlich talentierte Leser, Dichter und Denker Tom A. schreibt:

"Unsre deutschen Sicherheitsbehöreden sind erbärmlich ausgestattet. Dieser schritt kann nur der erste sein . von mir aus können die alle meine Mails kontrolieren na und. Es gibt auch bei uns tausende ( Hunderttausende Greisteskranke die z.b den Mord an Lee Rigby gutheisen ohne diese Masnamen wird es solche vorfälle in 10 Jahren täglich geben in Europa. Das Us überwachungsprogramm hat tausende Menschenleben gerettet ( im Westen ) und tausende Terroristen in Pakistan Jemen usw haben eine Hellfiere Rakete im Arsch Weiter so."

Mal ganz abgesehen davon, dass der ins Lektorat der Rundschau fugenlos reinpassen würde - inhaltlich ist das eigentlich auch sehr fein beobachtet.

"Weit hammer's g'bracht. Gell?!" (G.Polt)

Ich brauche jetzt einen verflixt starken Kaffee. Ich hab' Kopf.

La-Di-Da-Du-Dödel-Di



DREAMSCAPE - LA-DI-DA RECORDINGS

Wenn das wie in den vergangenen Wochen so weitergeht, mit dieser Arbeit, diesem Geld verdienen, diesem Irrsinn, zugepackten Wochenenden und dem ganzen wabbeligen Rest, an den ich mich bezeichnenderweise auch gar nicht mal mehr erinnern kann, ist's mit meinem Ziel, auch in diesem Jahr die Postingzahlen über jenen des Vorjahres liegen zu lassen, irgendwie Essig. Es ist aber auch....glaubt mir das eigentlich jemand, wenn ich sage, dass ich im Grunde keine Erinnerung an den Mai habe? Und wenn ich nicht blogge und somit nicht wenigstens ein bisschen Struktur in das hereinbringe, was früher und irgendwann mal mein Privatleben war, dann ist der Ofen endgültig aus.

Ich entschied mich heute dazu, über eine Platte zu sprechen, wenn nicht gar zu schreiben, die ich schon länger auf dem langen Zettel mit potentiellen Blog-Gästen stehen hatte, und die mein romantisch-sensibles Pussyherz im Sturm genommen hat.

Es handelt sich um "La-Di-Da Recordings" von Dreamscape. Das Trio aus Bristol existierte zwischen 1989 und etwa 1993 und nahm in dieser Zeit zwei EPs auf, von denen allerdings nur eine auch tatsächlich veröffentlicht wurde. Die drei Songs ebenjener "Cradle EP" lassen sich auf diesem von Kranky gehobenen und zusammengestellten Schatz genauso finden wie die vier Tracks, die eigentlich auf dem 1993er Album mit dem Arbeitstitel "Greater Than God" hätten stehen sollen. Das Album wurde jedoch nie veröffentlicht, und die Band fiel kurze Zeit später auseinander. Als Bonus gibt es außerdem noch eine Aufnahme eines einzelnen Songs, der den Startschuss zu neuen Songwriting Sessions geben sollte, aber auch gleichzeitig der Sargnagel für die Truppe war. "No More But Thought" weist einige Unzulänglichkeiten im Sound auf, da man sich im Hause Kranky dazu entschied, die Aufnahmen im ursprünglichen Zustand zu belassen. Das Tape, von dem der Track gezogen wurde, war offensichtlich bereits etwas ramponiert.

Heute stehen wir zwanzig Jahre später da, liegen hier oder sitzen rum, und hören einen hypnotischen Indie-Shoegaze-Pop, genuin britisch, zu gleichen Teilen naiv und hymnisch. Deutlich flüssiger und vielschichtiger als die skelettierten Young Marble Giants, auch insgesamt musikalischer und lebendiger - wenngleich bei beiden Bands ein Schlagzeuger aus Fleisch und Blut fehlt, wofür stattdessen ein Drumcomputer durch den Sound tackert. Rebecca Rawlings singt distanzierte, wie in Watte und Schlaftabletten-Marinade eingelegte Melodien, die ähnlich außerweltlich wie die Ansätze einer Julia Holter erscheinen, während die beiden Multiinstrumentalisten Scott Purnell und Jamie Gingell die Songs im Hintergrund durch eine Art barocker Erhabenheit schweben lassen. So mancher jubiliert darüber, dass die Songs kaum etwas von ihrer Frische eingebüßt hätten, was stimmen mag - aber trotzdem ist diesen Werken durchaus deutlich anzuhören, wann sie entstanden sind. Was andererseits total super ist, denn damit wird man an die kurze Lebensdauer dieser Musik erinnert. Im Prinzip wardas Genre ab Mitte der neunziger Jahre erledigt, und heute ist's praktischerweise gleich ganz verschwunden. Es sei denn, man lüftet zu einer neuen My Bloody Valentine noch wirklich die Unterhose, aber wer macht das schon? So manches Elementarteilchen des Trios hallt in den unzähligen aktuellen Dream-Pop und Ambient-Alben dezent nach...diese leise Ahnung, wie das mal war, damals. Was indes bleibt ist der Gedanke, dass der Weg zurück keine Option ist.

Wenn ich "La-Di-Da Recordings" höre - was ich in den letzten Monaten sehr ausgiebig und überraschend regelmäßig tat - werde ich hier und da durchaus ein bisschen wehmütig. Der Sound ist beinahe vergessen, die Bands sind es eh und man fragt sich, was eigentlich passiert ist, dass wir uns heute durch das zahnlos maßgeschneiderte und aalglatt angepasste Indie- und Folk-Geschwerrl kämpfen müssen. It could have been so beautiful.

Erschienen auf Kranky, 2012.

07.06.2013

Bizarre Tribe - Access Denied

Vor etwa neun Monaten war es mir ein inneres Bedürfnis, auf eine wunderbare Platte aus dem Gummy Soul-Labelstall hinzuweisen: "Bizarre Tribe", ein Mashup aus Samples von A Tribe Called Quest und The Pharcyde, war und ist umwerfend oldschool und positiv, und es ist deshalb auch keine Überraschung, dass die Platte bis heute sehr regelmäßig auf meinen Kopfhörern landet. Viel überraschender ist's indes, dass mir "Bizzare Tribe" mittlerweile viel mehr ans Herz gewachen ist, als es zu erwarten gewesen wäre - meine Beziehung mit Hip Hop ist schließlich nach wie vor mit "ambivalent" (G.Polt) recht wohlwollend beschrieben.

Nun haben die Jungs von der mehr oder weniger One-Man-Independent-Show von Gummy Soul eine schöne Abmahnung von den Major-Arschgeigen von Sony unter der Tür durchgeschoben bekommen, woraufhin sich das Label gezwungen sah, den kostenlosen Download des Albums via Bandcamp zunächst zu stoppen. Die Betonung liegt auf "zunächst", denn der offene Brief Gummy Souls an die sechs (!) Anwälte des auf goliathischen Schwachsinn spezialisierten Unterhaltungsgiganten lässt darauf hoffen, dass die Sache ohne größere Verletzungen für den David ablaufen wird. Der Hintergrund des Major-Gewimmers liegt freilich irgendwo im Dickicht des Urheberrechts vergraben, weil auf "Bizarre Tribe" nach Aussage von Sony urheberrechtlich geschützte Samples verwendet werden, die dem Katalog der ehemaligen Schützlinge von A Tribe Called Quest zugeteilt sind. Dass die Wahrheit ganz anders aussieht, könnt ihr im unten stehenden Statement lesen.

Ich möchte den offenen Brief an Sony im Folgenden posten.

Und wenn mir noch eine persönliche Anmerkung erlaubt ist: geh' endlich sterben, Musikindustrie.

@ Gummy Soul: Keep It Up!


Dear Sony Music,

Thanks for reaching out. The fact that our small independent label warranted the resources of your legal team speaks to our work ethic and we appreciate the validation.

In response to your copyright infringement claim over Gummy Soul’s Bizarre Tribe; A Quest To The Pharcyde by Amerigo Gazaway (“Bizarre Tribe”), understand the vast majority of the samples used to create Bizarre Tribe were not taken from the catalog of A Tribe Called Quest (“ATCQ”). What your diligence failed to uncover is that Gummy Soul is not in the business of merging one artist’s instrumentals with vocals of another. Had one of the six Sony attorneys copied in your email deemed it necessary to listen to Bizarre Tribe before pursuing legal action, you would know that our projects are much more nuanced.

To be clear, the re-orchestrated instrumentals on Bizarre Tribe were sourced from the original jazz, soul, and funk recordings SAMPLED by ATCQ, allowing Amerigo to create his own, distinct production within a similar framework. Given the brief and limited use of ATCQ material on Bizarre Tribe (around 2 minutes of material out of a 55 minute album), and the method by which our reinterpretations are created, it is clear that Amerigo’s effort is protected under the fair use exception of copyright infringement.

We would further add that the presence of documentary style sound-bites, interviews, and news clips included on Bizarre Tribe to provide a narrative of the group’s history and commentary on their work only further protects us under the fair use exception, undermines your claim against us, and provides a clearer distinction as to the uniqueness of what we do at Gummy Soul. As you know, Sony is no stranger to the fair use exception as you have relied on it many times yourselves. Most recently when Sony Pictures was accused of copyright infringement by the Estate of William Faulkner, a member of the Sony legal team stated:

“This is a frivolous lawsuit and we are confident we will prevail in defending it. There is no question this brief reference (10 words) to a quote from a public speech Faulkner gave constitutes fair use and any claim to the contrary is without merit.” *The quote in question is actually a passage from Faulkner’s book, Requiem for a Nun.*

With the defense presented in your statement, either Gummy Soul and Sony Music are both protected under our shared interpretation of fair use, or you believe the law should apply differently to small, independent record labels than it does to giant, mega conglomerates like Sony Music.

As to your charge of offering this product for sale, we do not, and have never, sold the album in any capacity be it physical or digital. We bear no responsibility for the vinyl bootlegging of Bizarre Tribe, nor do we receive any monetary benefits from their sales. The majority of our digital products, including Bizarre Tribe, are offered free of cost and is stated as such on any platform for which we control and have made Bizarre Tribe available.

In that regard, it is worth noting that our tiny label, with limited budget and resources, has clearly demonstrated the existence of a market for our unique brand of deconstructed reinterpretations. As such, instead of repeating the industry’s history of perpetual catch-up while forward thinking start-ups like Gummy Soul find new and innovative ways to create art and leverage digital media to our advantage, take this opportunity to stop the war on artists like Amerigo and their pursuit of creative fulfillment by encouraging creative expression and alternative revenue streams for your artists.

If a shoestring label with no employees other than a label manager, the two artist co-founders and a part-time contributor were able to build a 60,000 person email list, earn over 100,000 in downloads, garner your attention and that of countless mainstream publications and marque music outlets with our unique projects, why not leverage our success to your benefit while helping to push a reasonable dialogue for copyright reform?

Gummy Soul would welcome the opportunity to work with Sony in a mutually beneficial capacity. In an effort to be proactive, we offer the following “everyone wins” model as a helpful starting place for you and the other industry powerhouses who repeatedly go after those that are shaping this industry’s future. Rather than wasting your resources on an expensive lawsuit, apply those resources to purchase the rights to Bizarre Tribe to distribute and promote the project yourselves. In doing so, you would effectively provide a solution where all parties, including Sony, the original sampled artist, and emerging artists like Amerigo would benefit.

While we have taken Bizarre Tribe down to avoid a merit-less and costly lawsuit, you should know that we have placed a copy of the album in the archives of the Center for Popular Music at Middle Tennessee State University. It will now be available indefinitely for research under “fair use” provisions, fully keeping with the Center’s mission “to promote research and scholarship on American vernacular music and to foster an understanding of the nation’s diverse musical culture and its global reach.”

- Gummy Soul


Wer Spenden will, kann das übrigens hier (unter "4.Contribute") tun.


20.05.2013

Pusherman


BEN WESTBEECH - WELCOME TO THE BEST YEARS OF YOUR LIFE

"Und wo wir schon mal da sind, dann bleiben wir auch hier." (Jürgen von der Lippe)

Was passiert, wenn man einen jungen Mann, der bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr klassischen Cello- und Pianounterricht erhielt auf Hip Hop, Dance Music und Soul loslässt? Richtig, Gilles Peterson hört sein Demo.

Und zwar im Autoradio eines gemeinsamen Freundes. Verzeihung, aber vielleicht benötigt irgendjemand mal diese Info beim Trivial Pursuit spielen. Peterson, längst lebende DJ-Legende und knietief in allen angesagten Sounds zwischen Dub, Soul, Jazz, Hip Hop, Latin und House präsent, signte den Newcomer Westbeech aus Bristol vom Fleck weg für sein Label Brownswood Recordings, schickte ihn in Roni Sizes Studio und ließ ihn sein Debut zusammen mit dem Drum'n'Bass-DJ Die zusammenzwirbeln. Herausgekommen ist ein megaleichtes, im freien Raum schwebendes und vielseitiges Album, das sein wahres Potential überraschenderweise erst im letzten Drittel offenbart. Wer dann aber noch stillsitzt, trinkt auch Biermixgetränke und uriniert auf offener Straße vorbeilaufende Senioren an.

Vor allem wenn man eben die Prachtstücke neun bis vierzehn betrachtet und von ihnen ganz arg durchgerüttelt wird. "Stop What You're Doing" ist eine klassische Verbeugung vor dem Funk der 60er Jahre, "Dance With Me" eine Art britische Version des Justin Timberlake-Pop, fresh, funky und sexy as fuck, "Get Closer" der perfekte Spagat zwiwschen D'n'B-beeinflussten Beats und Singer-Songwriter-Pop. Dazu gibt es mit dem ultracoolen, leicht angeschrägten "Pusherman" (der Basslauf, Leute! DER BASSLAUF!!!) und dem exotischen "In/Out" die beiden ungewöhnlichsten Stücke als Krönchen obendrauf, bevor "Beauty" mit leicht melancholischem Unterton eine Platte beschließt, die vor sechs Jahren unzulässigerwiese etwas untergegangen ist. Eigentlich auch eine prima Sommerplatte.

Erschienen auf V2 Records, 2007.




19.05.2013

Drinking Pure Sunshine



Lange herrschte Funkstille aus dem Lager der britischen Soul-Sängerin Andreya Triana. Nach ihrem immer noch beeindruckenden Debut "Lost Where I Belong" und der Zusammenarbeit mit Bonobo auf dessen "Black Sand"-Meilenstein aus dem Jahr 2010 wurde es etwas ruhig um die derzeit vielleicht schönste Stimme Englands. Via Twitter war indes ab der zweiten Jahreshälfte 2012 zu erfahren, dass sich Triana in einem Studio verschanzt hat. Das Ergebnis: eine EP mit drei neuen Songs, die im Laufe des Jahres noch veröffentlicht werden soll.

Im unten eingebetteten Video erzählt Triana von den Aufnahmen und weiteren Plänen, und präsentiert außerdem einen neuen Song:"Everything You Never Had".






Die eigentliche Überraschung ist aber der Remix des Tracks von einem alten Bekannten: Breach aka Ben Westbeech hat sich "Everything You Never Had" vorgeknöpft und es zu einem treibenden Clubsmasher umgestrickt.




Und ihr wisst jetzt ja dann alle, was ihr zu tun habt: nackig ausziehen, einölen, Lautsprecherboxen besteigen.

17.05.2013

Tout Nouveau Tout Beau (8)

Wir bleiben nochmal für fünf Minuten bei der härteren Gangart. Zwei Plattenläden meiner Wahl kauften in den letzten Wochen große Sammlungen alter Metalalben der achtziger und neunziger Jahre an, und in einem solchen Fall lasse ich bekanntermaßen gerne alle Hüllen fallen. Es gibt immer noch so irrsinnig viele unentdeckte Perlen - oder eben längst Vergessenes, das somit wieder auf den Schirm kommt, dass es einfach einen Riesenspaß macht, durch die scheinbar unendliche Flut neuer alter Musik zu tauchen.

Deswegen in der heutigen Ausgabe der "Neue Besen kehren gut"-Reihe: schweres Metall im Zeichen der Schaufel.




BURNT OFFERING - BURNT OFFERING

Eigentlich eine Unfassbarkeit, diese Platte überhaupt in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Speziellen zu finden, aber irgendein verrückter Thrashfreak muss sie sich Ende der achtziger Jahre als Import aus den USA besorgt und gut 24 Jahre später in der Second Hand Abteilung eines schwäbischen Plattenladens geparkt haben. Burnt Offering spielten sich aus der Underground Thrashszene Chicagos in einen Plattenvertrag mit Walkthrufyre Records und veröffentlichten dort 1989 ihr selbstbetiteltes Debutalbum. Logischerweise fernab von Majorproduktionen der damaligen Zeit, rumpelt sich das Quintett durch elf furiose und naive Thrashsongs, kaum einer länger als dreieinhalb Minuten, und es ist in erster Linie der Drummer, der mit völlig abstrusen Breaks und der ein oder anderen Timingschwankung für einen Hauch von Komik sorgt. Ich habe ja eine Vorliebe für diesen seltsamen Undergroundkram, sofern er das Feeling der Akteure widerspiegelt - dann sehe ich auch gerne über spielerische oder klangliche Unzulänglichkeiten hinweg. Streicht den letzten Halbsatz, im Prinzip ist's mir dann schlicht scheißegal. Wer auf rauhen, unpolierten Undergroundthrash abfährt, macht sich am besten auf in Richtung

http://burntofferingmetalband.com/CD.shtml

- dort lässt sich übrigens auch der knapp 10 Jahre später erschienene Nachfolger "Walk Of The Dead" für einen Fünfer runterladen.

Erschienen auf Walkthrufyre Records, 1989.




INCUBUS - BEYOND THE UNKNOWN

Die einzig wahren Incubus kommen aus Louisiana und waren bei einigen Typen, die Anfang der neunziger Jahre mit mir die Schulbank drückten, der heiße Scheiß schlechthin, was sich besonders an der Anzahl derer ablesen ließ, die mit entsprechend ausgiebig getragenen und spätestens nach drei Wochen sehr geruchsintensiven Bandshirts herumprovozierten. "Beyond The Unknown" ist das zweite Album des Trios und aufgrund des Gesangs strenggenommen eher dem Death Metal zuzuordnen, dabei waren Incubus ursprünglich eine lupenreine Thrashband. Ihr Debut "Serpent Temptation", möglicherweise auch ein Kandidat für meine Alltime Top 20 Liste des Thrash, ist eine tollwütige Thrashkeule, die in Blitzgeschwindigkeit alles zum Einsturz bringt und nur Staub und Asche hinterlässt. Aber auch auf "Beyond The Unknown" lassen sich die Wurzeln der Combo noch nachverfolgen: der Drive ihres Gehackes ist legendär, die Riffs sind gnadenlos exakt auf den Punkt gespielt, die Geschwindigkeit immer noch extrem hoch. Es ist lediglich die tiefe Röchelstimme, die "Beyond The Unknown" im Vergleich zum Debut ein bisschen an die Leine legt. Für die nun Interessierten ein Warnhinweis: die Band hat auf einem späteren Reissue von "Beyond The Unknown" auch das Debut mit auf die CD gepresst, allerdings mit neu aufgenommenen Vocals, die sich stilistisch eindeutig am Nachfolger orientieren. Das kann eine herbe Enttäuschung werden - sofern man das Original kennt. Und kennt man es nicht, ist das der eigentliche Fehler. Mit drei Klicks wird man auf Google fündig, aber das wisst ihr nicht von mir.

Erschienen auf Nuclear Blast, 1990.





DEMOLITION HAMMER - TIME BOMB

Ist die Rede von Demolition Hammer, kommt man nicht an der Erwähnung ihrer beiden Großtaten "Tortured Existence" (1990) und vor allem "Epidemic Of Violence" (1992) vorbei, die beide längst im Thrash Metal Kanon verankert sind. Die Band aus New York fiel jedoch nach dem 1992er Album zur Hälfte auseinander: Gitarrist James Reilly und Drummer Vinnie Daze verließen die Band, weil sie den angedachten musikalischen Kurswechsel der beiden verbliebenen Mitglieder Steve Reynolds und Derek Sykes nicht mitgehen wollten. Reynolds und Sykes wurden am Schlagzeug künftig von Drumtier Alex Marquez unterstützt, der folgerichtig auch "Time Bomb" aufnahm.

Tatsächlich ist vom ehemaligen Hochgeschwindigkeitsgebretter der Band nicht mehr viel übrig geblieben. Das Album, das der Aussage Reynolds zufolge unter einem neuen Bandnamen hätte veröffentlicht werden sollen und nur auf Initiative des Labels unter Demolition Hammer erschien, fiel bei der Anhängerschaft folgerichtig gnadenlos durch. Zum einen wäre zu diskutieren, ob es 1994 überhaupt noch ausreichend Thrash-Fans gab, zum anderen weicht "Time Bomb" signifikant von der wahren Thrashlehre ab - und Metalfans können in einem solchen Fall traditionell sehr ungemütlich werden. Die elf Tracks bewegen sich weitgehend im groovigen Midtempobereich, sind ultrakompakt, beschränken sich in der Hauptsache auf das Ausspielen von simplen, treibenden, fast schon hardcorigen Riffs und kommen bis auf eine zehnsekündige Ausnahme bei "Blowtorch" komplett ohne Gitarrensoli aus. Herausragend ist dafür nach wie vor die wahnsinnige Stimme von Frontmann Reynolds, der nicht für eine Nanosekunde daran denkt, stimmlich etwas auf die Bremse zu treten - und damit den Sound des Albums nachhaltig prägt: "Time Bomb" ist geradezu unanständig heavy. "Time Bomb" ist angepisst. "Time Bomb" ist räudig. Und damit steht es den beiden Vorgängern praktisch in Nichts nach.

Erschienen auf Century Media, 1994.

12.05.2013

Manifest für Seelenheil und Schokomuffins

It turns out procrastination is not typically a function of laziness, apathy or work ethic as it is often regarded to be. It’s a neurotic self-defense behavior that develops to protect a person’s sense of self-worth.

You see, procrastinators tend to be people who have, for whatever reason, developed to perceive an unusually strong association between their performance and their value as a person. This makes failure or criticism disproportionately painful, which leads naturally to hesitancy when it comes to the prospect of doing anything that reflects their ability — which is pretty much everything.

But in real life, you can’t avoid doing things. We have to earn a living, do our taxes, have difficult conversations sometimes. Human life requires confronting uncertainty and risk, so pressure mounts. Procrastination gives a person a temporary hit of relief from this pressure of “having to do” things, which is a self-rewarding behavior. So it continues and becomes the normal way to respond to these pressures.

Particularly prone to serious procrastination problems are children who grew up with unusually high expectations placed on them. Their older siblings may have been high achievers, leaving big shoes to fill, or their parents may have had neurotic and inhuman expectations of their own, or else they exhibited exceptional talents early on, and thereafter “average” performances were met with concern and suspicion from parents and teachers.


Irgendwie ist das alles eine große Erleichterung. 


Gefunden auf Cardiograms und Thoughtcatalog.

06.05.2013

Blank When Zero - Einerseits...



Vor noch einem Jahr war der Gedanke, unsere kleine Farm, quatsch: Punkband Blank When Zero könnte in gar nicht so irrwitzig ferner Zukunft sich erstmals einen fast schon fundamental zu nennenden Kindheitstraum erfüllen und also als Premiere für jeden einzelnen Krawallbruder unsererseits eine Platte veröffentlichen, so auf Vinyl, am besten noch bunt und rund und wunderbar klingend, ein echtes, handgemachtes Scheibchen aus schwarzem blauem Gold, mit tollem, weil einzigartigem Artwork, nahezu undenkbar, kaum zu machen, ein Himmelfahrtskommando, weil: wer will den Scheiß denn schon hören (außer uns). Und dann - haben wir's halt tatsächlich mal gemacht. Einfach so.

Einfach war daran natürlich fast gar nichts: wir haben zwischen Fulltimejobs und Elternfreuden acht Songs für dieses Album geschrieben und handverlesen ausgewählt, wir nahmen mit unserem Haus- und Hofproduzenten Jörg, literweise Kaffee, Karotten und Kakaocreme an einem Herbsttag im Oktober das Schlagzeug und den Bass in unserem Proberaumkomplex an der Nahe auf, wir verbrachten die nächsten beiden Wochenenden mit den Gitarren- und Gesangsaufnahmen und haben anschließend dem armen Klangknecht den ganzen Kladderadatsch aus falschen Noten, schiefem Geschrei und menschenverachtenden Texten in seinen Aufnahmebunker gesch(m)issen. Ende Januar waren der Endmix, das Mastering und Jörgs Nerven fertig. Unser liebes Presswerk erhielt Anfang März die Daten, wir erhielten Ende März im ersten Austausch mit einem schönen Geldbatzen die schwarze Testpressung, die wir irgendwann für drölf Trilliarden Euro bei Ebay verscherbeln können, und nun ist es soweit: sie ist da.






Die Platte beherbergt neben den erwähnten acht Songs in dreizehn Minuten einen Downloadcode und Ihr  bekommt sie für schlappe 10 Euro inklusive Versand- und Verpackungskosten nach Hause auf Euren Plattenteller gewuchtet.

Schreibt an kontakt [at] blankwhenzero [dot] de

oder nervt unseren Schlagzeuger auf Facebook


Und wo wir gerade bei den tollen Neuigkeiten sind: am 24.6.2013 stehen wir für unsere Release-Show im Mainzer Kulturcafe  mit den glorreichen Fights And Fires und den Aerobic Allstars auf der Bühne.

Das ist der Flyer:





Und das ist der Cornelius, der uns das ermöglicht hat:


Wir sind sehr glücklich.


Erschienen auf gar keinem Label, 2013. 

02.05.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (6)



PSYCHOTIC WALTZ - LIVE & ARCHIVES


Nachtrag für Komplettisten und Vollnerds: posthum erschienen über das obskure Offenbacher Mini-Label Institute Of Art Records zwei Resteverwertungen, die heute zu bisweilen völlig absurden Preisen gehandelt werden und dabei inhaltlich übersichtlich essentiell sind.

Labelchef Siggi Blasey, der an den beiden Darkstar-Alben von Gitarrist Dan Rock mitarbeitete, die ebenfalls auf Institute Of Art herauskamen (interessanterweise waren an den Produktionen auch der ehemalige Grave Digger-Gitarrist Uwe Lulis und der ehemalige Schlagzeuger von Tankard Oliver Werner beteiligt - kostenloses und irrelevantes Szene-Gossip, von mir, für Dich!), veröffentlichte zunächst die Waltz'sche "Live & Archives" Doppel-CD, die neben einer Bootlegaufnahme eines Konzerts in Hamburg aus dem Jahr 1991 außerdem frühe Demos (auch aus den Zeiten, als sich die Band noch Aslan nannte) und unveröffentlichte Jams zusammenstellte. Wenn ich mich recht entsinne sind im dicken Booklet zahlreiche Bilder aus alten Bandtagen, sowie eine ganze Menge Kunstwerke von Coverartist Mike Clift und Blasey zu sehen. Als Die Hard-Fan kann man sich sowas gerne mal ins Regal stellen, für den Rest ist's so interessant wie eine geschimmelte Erdbeere (Bio, aus Spanien).

Erschienen auf Institute Of Art Records, 1998



PSYCHOTIC WALTZ - DARK MILLENIUM

Exakt das gleiche gilt für die zweite CD "Dark Millenium". Hier gibt es ein paar instrumentale Spielereien von Gitarrenheld Brian McAlpin unter dem schönen Titel "Penetralia: A Sountrack For Reaching The Higher Spheres Into Narcotic Dances", eine Handvoll Coverversionen (Ozzy, Black Sabbath, Pink Floyd) und drei Nummern des 1991er Auftritts im Rahmen des Dynamo Festivals zu hören; darüber hinaus können wir einem Interview mit Mike Clift lauschen.

Brutalstehrliches Fazit: wenn selbst einer wie meinereiner, der der Kapelle im Grunde hoffnungslos verfallen ist, die beiden Platten schon vor Jahren vertickt hat, lassen sich die Veröffentlichungen ohne größere Anstrengungen entsprechend einsortieren. Und angesichts der Preise der beiden Scheiben, die gegenwärtig zwischen 25 und 110 (!) Euro liegen, ist dann praktisch jede Diskussion überflüssig.


Zum Zeitpunkt dieser beiden Veröffentlichungen lag die Band schon zwei Meter unter der Erde. Ob es an der chronischen Erfolgslosigkeit lag, oder doch die Spannungen innerhalb der Band ausschlaggebend waren - besonders zwischen Gitarrist Dan Rock und Sänger Buddy Lackey soll es angeblich ordentlich geknirscht haben - ist heute im Grunde nicht mehr der Rede wert. Nun ist aber meine Skepsis gegenüber der Wiedervereinigung wie üblich bedeutend größer als meine Begeisterung und angesichts eines scheinbar nie enden wollenden Stroms von cooler, neuer Musik muss das angekündigte Reunionalbum wenigstens für den Moment nicht so irrsinnig dringend über den Teich paddeln. Wenn es aber so weit sein sollte: count me in!

Forever Nerd.

Erschienen auf Instite Of Art Records, 1999.

01.05.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (5)



PSYCHOTIC WALTZ - BLEEDING

Zwei Jahre nach dem wenig erfolgreichen "Mosquito" erschien mit "Bleeding" ein Werk, das zwar grundsätzlich den stilistischen Faden des Vorgängers aufnahm, daraus allerdings einen im Detail deutlich veränderten Klangteppich knüpfte.

"Bleeding" zeigt eine Band, die schließlich in ihrem Sound angekommen war, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass danach zunächst mal das Licht ausging. Scott Burns, der das vierte Studioalbum ebenso wie "Mosquito" produzierte und sich zu jener Zeit eigentlich nur noch für enge Freunde hinter ein Mischpult setzte, hat zwar immer noch den für ihn nicht untypischen "Don't worry, it'll sound as heavy as fuck!" Sound zusammengepuzzelt, legte aber den Schwerpunkt auf ein offeneres, transparenteres Klangbild, das die Songs trotz aller Kompaktheit entzerrte und sie atmen ließ. Apropos Kompakt: wenn ich schon zu "Mosquito" das Quatschwort "ultrakompakt" auspacken musste, bleiben mir für "Bleeding" leider nicht mehr viele Steigerungen übrig, aber notwendig wär's dann doch schon. Die elf Songs, von denen nur zwei die Marke von vier Minuten überschreiten, sind sowohl hochkonzentrierte, als auch vielschichtige und monumentale Kompositionen, die bis in den letzten Winkel verdichtet ein perfekt abgeschlossenes System aus Groove, Melodie und Emotion formen und am Leben erhalten. Ich sprach schon zu "Into The Everflow" von der Kunst, solche Songs zu schreiben - angesichts der Raffinesse von "Bleeding" könnte man nochmal einen draufsetzen, wenn man denn wollte. Und ich will. Denn "Bleeding" besteht aus nicht weniger als elf Kunstwerken, destilliert aus dem besten, was dreißig Jahre Rockmusik hervorgebracht haben, formvollendet mit der Präzision eines Diamantbohrers in Position gebracht, mit Sternenstaub geschmückt und mit dem strahlenden Schein zarter Melancholie und brennender Intensität beschenkt.

"Bleeding" ist ein zeitloser, genuiner und untergegangener Klassiker der neunziger Jahre und bis heute das letzte Lebenszeichen einer Band, die offensichtlich genau weiß, an welchem Werk die Reunion gemessen werden wird: von dem seit über zwei Jahren angekündigten neuen Album ist weit und breit nichts zu sehen. Vielleicht schlottern auch diesen Göttern mal die Knie.(*)

Erschienen auf Bullet Proof, 1996.


(*): was natürlich Schrott im Quadrat ist, am Ende liegt's an irgendeinem Vertragsgeschnarze, oder sie können sich (mal wieder) nicht riechen, oder das Gras ist aus. Vielleicht haben sie aber auch ganz banal: einfach keine Lust mehr. 

28.04.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (4)



PSYCHOTIC WALTZ - MOSQUITO

Mit ihrem dritten Album nahmen Waltz eine musikalische Kurskorrektur vor, und die fiel nicht zu knapp aus. Ich weiß nicht, was zwischen "Into The Everflow" und "Mosquito" passiert ist, aber der Schalter, den die Band ab hier umlegte, war riesig; ich glaube bis heute nicht daran, dass man diese Veränderung noch so mir nichts, dir nichts im Rundordner "Weiterentwicklung" abheften kann. Der Fünfer hatte nunmehr mit der Komplexität seines Debuts und der Tiefe des Nachfolgers nichts mehr am Hut, stattdessen beschränkte er sich auf drei- bis vierminütige ultrakompakte Metalsongs, die weniger progressiv als viel eher psychedelisch und durch die explizit dickflüssige und brutal tiefliegende Produktion des ehemaligen Death und Thrash Metal Produzenten Scott Burns sehr, sehr heavy klangen. Im Rückblick muss "Mosquito" als Übergangsalbum bewertet werden, denn auch wenn die Band mit dem Titeltrack, "Haze One", "Shattered Sky" und "Mindsong" erneut einige Klassiker geschrieben hat, wirken Songs wie "All The Voices", "Only Time" und "Locked Down" unausgereift und orientierungslos. Man hört der Band zwar an, dass sie eine Idee davon hatte, wie ihr künftiger Sound aussehen soll, mit der Umsetzung war sie zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch überfordert.

Stilistisch platzierten sie sich im neuen Soundgewand jedenfalls zielsicher zwischen alle Stühle, was aus diesem Blickwinkel betrachtet für die nächsten Jahre durchaus als Fehlentscheidung betrachtet werden darf. Die Proggies waren angesichts vierminütiger Songs zumindest skeptisch, der Ottonormalmetaller bekam bei mehr als drei Riffs und zwei Breaks pro Song Migräne und die sich 1994 schon längst abschließend formierte Grunge- und Crossovergemeinde rümpfte die Nase und holte das große Schild mit dem damals verbotenen Wort "Metal!" heraus.

Es erscheint vor diesem Hintergrund wenig entgeisternd, dass die Band nach "Mosquito" nicht nur Bassmonster Ward Evans, sondern mit Brian McAlpin auch den so wichtigen Partner an der Seite von Gitarrist Dan Rock verlor. Die jahrelangen, zermürbenden Tourneen, die nicht nur dreistündige Shows, sondern auch keine Day-Offs ausweisen konnten (was die Band bei vollem Bewusstsein zu solch grotesken Himmelfahrtskommandos wie die Strecke Mailand - Hamburg im Klappervan innerhalb eines Tages zwang), waren für den querschnittsgelähmten Gitarristen am Ende einfach zuviel.

Erschienen auf Bullet Proof, 1994.

27.04.2013

Psychotic Waltz - Everything Is Nothing (3)




PSYCHOTIC WALTZ - INTO THE EVERFLOW

"Oh Mann, wie soll man etwas in Worte fassen, das dazu angetan ist, dein komplettes musikalisches Weltbild innerhalb von knapp 50 Minuten aus den Angeln zu heben und neu zu definieren?"
(Wolfgang Schäfer über "Into The Everflow", 1993)

Ich habe mich ehrlich gesagt vor diesem Blogeintrag etwas gedrückt. Die Erinnerung an all die überwältigenden Momente, die ich mit "Into The Everflow" verbracht und erlebt habe, wie ich sie eine Zeitlang tatsächlich mal als zum endgültig besten erkoren habe, was ich jemals hörte, wie mich praktisch jeder Ton und jedes Wort in Extase versetzt....das klingt alles so übertrieben und dick aufgetragen, und ich sehe Euch schon wieder mit einem Grinsen im Gesicht vor Eurem Monitor sitzen und "Haha, der Flo wieder...!" denken oder sogar sagen. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass selbst die überwältigendste und wahrhaftigste Begeisterung all dem am Ende doch nicht gerecht wird. Außerdem ist's geradewegs ein bisschen peinlich, wie sehr ich die Platte und die Band derart vergessen konnte. Wahnsinn. Ich bin geschockt. Ich mein's ernst, ich verstehe das nicht. Jetzt befindet sich "Into The Everflow" seit gut sechs Wochen also im "Aktuell"-Stapel vor der Anlage und ich bin bei jedem Durchlauf von Neuem hingerissen von soviel Schönheit, Intensität und Virtuosität. Was für eine Kunst es sein muss, solche Songs schreiben zu können.

Als ich die Band 1996 zum ersten Mal in der Hafenbahn in Offenbach live sah, im Vorprogramm spielten übrigens die nicht bedeutend weniger beeindruckenden Payne's Gray, wurde es zwischen zwei Songs plötzlich still. Sänger Buddy Lackey stand am Bühnenrand und sprach ohne Mikrofon zu den vielleicht 400 Menschen, deren Blicke an ihm klebten:"Thank You very much. The next song is called "Into The Everflow"". An einer besonders epischen Stelle im Song holte mein Vordermann mit einer großen, ausladenden Geste aus und schleuderte seine Arme zur Seite und nach hinten und wahrscheinlich nach überall hin, während er gleichzeitig seinen Kopf extatisch nach hinten schmiss. Meine Nase wurde von seiner linken Hand mit ordentlichem Schmackes getroffen und entschied sich anschließend dazu, einfach mal drauflos zu bluten. Und ich entschied mich dazu, es einfach mal drauflos laufen zu lassen.

Seriously, what a band! What a record! What a life!

Erschienen auf Dream Circle, 1993.