21.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 8 ° Alfa Mist - Structuralism




ALFA MIST - STRUCTURALISM


Gute Nachrichten: Im Gegensatz zum Vorgänger "Antiphon" gibt es das Vinyl von "Structuralism" noch zu normalen Preisen, ohne dafür allzu komplizierte Moves an Tagen mit ungerader Stundenzahl aufführen zu müssen. Der Release des Debuts, beziehungsweise dessen Vinylversionen, wurde vom britischen Pianisten seltsamerweise strikt limitiert, weshalb selbst Nachpressungen mittlerweile nur noch selten unter 50 Euro zu haben sind. Ein aktuellerer Discogs Kommentar spricht im Zuge der "Öffnung" (sic!) davon, dass der Alfa Mist ja auch schließlich "ein Mann des Volkes" sei und er daher den Release von "Structuralism" auf allen Streamingplattformen erlaubt habe. Da kann man mal sehen.

Abgesehen von all dem Business- und Hype-Remmidemmi unterscheidet sich "Structuralism" in der stilistischen Ausprägung nicht fundamental von seinem Vorgänger und was ich an anderer Stelle, et medium: bei anderen Platten, oft lautstark und enervierend wortreich beklage, dass nämlich more of the same in erster Linie eine Geschäfts- und seltener eine Kreativentscheidung und außerdem wie Norwegen (lang und weilig; Hape) und also supersackfuckingöde ist, stört es mich hier nicht die Bohne: ich verbrachte mal eine ganze Stunde mit dem Opener ".44" auf Endlosschleife in der 50°C heißen Badewanne und ließ mir Hirn, Herz und Hämmorhoiden dampfmangeln, bevor ich das Album anschließend für fünf weitere Stunden in ebenfalliger™️ Endlosschleife über die Anlage in die DNA purzeln ließ. Viel Atmosphäre, viel Groove, viel Virtuosität, viele leise Töne und ein bis drölf Säcke Kudos für die großartige Rythmusabteilung (allen voran an den Drums: Jamie Houghton und Peter Adam Hill, mein liebster Youtube-Kommentar: "Drummer is sick in the head."), die mit ihren punktgenauen Akzentuierungen für Freudenschreie sorgen.

Die Jazzpresse findet's derweil offenbar eher unterwältigend, eine halbe Million Plays alleine auf Youtube für einen Undergroundjazzer aus England sprechen hingegen eine deutliche Sprache.

Vielleicht ist Alfa Mist ja doch und tatsächlich ein "man of the people."




Erschienen auf Sekito, 2019.

18.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 9 ° Yagya - Stormur



YAGYA - STORMUR


Es sind nicht nur Metal-Fans, die ungemütlich werden können, wenn sich die Lieblingsband kreativ austobt und Schema F über den Haufen wirft - auch in elektronischen Gefilden tut man sich bei aller Offenheit und Liberalität offenbar schwer mit Veränderungen. Yagya ist vor allem für seine Dub- und Ambient-Techno Produktionen bekannt und mit seinem Debut für A Strangely Isolated Place schubst er die eben noch in Watte eingekuschelte Fanbase mit Verve auf die Techno-Tanzfläche. Grelles Licht, Lasergeflacker und Strobos bis das zentrale Nervensystem schlapp macht. 

Allerdings: er macht's behutsam im Flow des Albums und auch ein bisschen mit Ansage. Erst ab "Fjögur" fackelt's heißer im Meth-Lab  Unterleib und mit Ausnahme des noch etwas Luft zum Atmen gebenden "Sex" schlagen die Flammen im weiteren Verlauf und bis zum finalen "Rettungsschuss" (Manfred Kanter) "Tiu" immer höher. Die hypnotische Kick drückt unnachgiebig aufs Tempo, die Sounds sind kühl, die Stimmung vereist-nokturn und die partiell eingestreuten, verhuschten Vocals sorgen für zusätzliche Fluchtpunkte in dem Beat-Dickicht. Für viele seiner alten Fans ist "Stormur" vermutlich eine Ecke zu hart und zu "four on the floor", für mich war es für die Sommernächte im Sossenheimer Kiez genau das richtige. 

Und man kann es sich denken: die Vinylversion von "Stormur" war natürlich bei all meinen Anlaufstellen in Europa in nullkommanix ausverkauft. ASIP-Gründer und -Boss Ryan kontaktierte mich nach meinem unwürdigen Geflenne via Instagram und war dann sogar so freundlich, mir ein Exemplar von seinem kleinen Restefundus direkt aus Kalifornien zuzuschicken. Hier kümmert sich der Scheff noch selbst um die Kundschaft. Ich darf also auch vor diesem Hintergrund festhalten: geile Platte, geiles Label, geiler Typ!




Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2019.


14.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 10 ° John Coltrane - Blue World




JOHN COLTRANE - BLUE WORLD


Nach dem letztjährigen Wirbel und dem sich anschließenden sehr beachtlichen Erfolg um "Both Directions At Once" schiebt Impulse nur ein Jahr später eine weitere bislang unentdeckte Aufnahme des klassischen Coltrane-Quartetts nach. Bei "Blue World" handelt es sich um eine 1964 aufgenommene Auftragsarbeit für den kanadischen Filmemacher Gilles Groulx und dessen Film "Le Chat Dans Le Sac". Die Legende sagt, dass die Bänder der Session für 55 Jahre im Archiv des National Film Board of Canada lagerten und erst 2018 an Impulse übergeben wurden. 

"Blue World" gibt der Welt selbst bei heruntergedimmtem Licht betrachtet keine neuen Songs, sondern lediglich neu arrangierte Takes bekannter Stücke des Quartetts, aber weder dieser Umstand noch die Tatsache, dass sich im Grunde nur fünf Titel auf "Blue World" befinden ("Naima" ist mit zwei, "Village Blues" gar mit drei alternativen Takes vertreten), tun wenigstens meiner Freude und Begeisterung keinen Abbruch. Höhepunkt des Albums ist der Titelsong, der unter dem Namen "Out Of This World" bereits auf der 1962 erschienenen LP "Coltrane" zu finden war und schon dort zum Besten zählte, was ich je von der vielleicht besten Jazzband aller Zeiten hörte. Das 1944 von Harold Arlen komponierte Stück wurde für "Blue World" gestrafft und etwas verlangsamt, was die Eindringlichkeit nur noch weiter zu steigern vermag. Die atmosphärischen Parallelen zu "A Love Supreme" sind überdeutlich zu hören - und gleichzeitig gibt der Song bereits zu Beginn die Stimmung und Ausrichtung der gesamten Session vor: balladesk, dunkel, tief in sich versunken. Es sind sehr besondere Momente, die das Quartett hier verewigt hat und ich muss es ohne jede Übertreibung oder Ironie sagen: "Blue World" hat mein Leben im abgelaufenen Jahr sehr bereichert und ich empfinde es als großes Glück, diese Musik hören zu dürfen. Höre und staune. 



Erschienen auf Impulse Records, 2019.

12.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 11 ° Toki Fuko - Spring Ray




TOKI FUKO - SPRING RAY


Geheimnisvoll. Hypnotisch. Nokturn. "Spring Ray" ist ein auraler Spaziergang durch einen tropischen Regenwald bei Nacht. Aus der Tiefe des Waldes sind Trommeln zu hören, die langsam lauter und zum Puls der Nacht werden. Das Zirpen der Insekten verwandelt sich in ein diesiges Hintergrundrauschen, die Blätter in den Baumkronen werden vom Wind geküsst. 

Je weiter wir in diesen Zauberwald eindringen, desto präsenter werden die tiefer liegenden Schichten dieser Musik: Einheit, Bewusstsein und Vertrauen. Und es zeigt sich, dass die Schatten der Dunkelheit nur in Deinem Kopf existieren. Wer sich darauf einlässt, wird zu einem besseren Menschen. 




Erschienen auf Silent Season, 2019.

11.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 12 ° Acid Reign - The Age Of Entitlement




ACID REIGN - THE AGE OF ENTITLEMENT


Ich adelte das Comeback dieser britischen Thrasher erst kürzlich und trotz einiger Konkurrenz mit großen Namen zum besten Thrash Metal Album des Jahres 2019 und viel mehr als das habe ich ein paar Wochen später auch nicht wirklich hinzuzufügen. "The Age Of Entitlement" platziert sich sehr hübsch zwischen Moderne und alter Haudegen-Herrlichkeit, legt zu gleichen Teilen Wert auf Groove und Gehacke, vermischt den gegossenen Stahlbeton mit einigen feinen und glücklicherweise nicht zu aufdringlichen Melodien und hat nicht zuletzt wegen der Stimme von Howard H Smith noch ein Quantum Punk-Vibe aus den späten 1980er Jahren retten können, der für den nötigen Elan sorgt. 

Vielleicht sind die Maßstäbe, die eigenen zumal, angesichts der eher unerfreulichen Entwicklungen im Heavy Metal ja mittlerweile auch so dermaßen auf den Hund gekommen, dass mir jeder Kompass abhanden gekommen ist, aber ich bleibe bei meiner früheren Einschätzung: im Grunde gibt es keinen einzigen faden Moment auf dieser Platte. Macht immer noch tierischen Spaß. 

Und es erscheint geradezu bizarr, dass es nicht ein paar mehr Menschen mitbekommen. Aber gut, wenn der eigene Kopf kilometerweit im Arsch des Spotify-Algorithmus steckt, ist's vielleicht auch kein Wunder. Ist wohl diese "Freedom!", von der Blaze Bailey, Joe Kaeser und  das Krümelmonster mal gesungen haben. 



Erschienen auf Dissonance Productions, 2019.

08.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 13 ° 36 - Fade To Grey




36 - FADE TO GREY


Alben von 36, die auf Vinyl via A Strangely Isolated Place erscheinen, sind meist in Windeseile ausverkauft, und wer verspätet zum Vorverkauf erscheint, darf nur wenige Tage später den Blutsaugern auf Discogs die Ehre (und ein schön leergeräumtes Konto) erweisen. So erging es mir mit "Fade To Grey", weshalb ich zur Strafe einen grotesk hohen Betrag in Richtung, na klar: Berlin überweisen sollte. Immerhin noch bevor sich die Bandscheibe unseres Hundes meldete und ganz alleine den Jahresbonus auffraß. No food, just wax and dogs. 

Dennis Huddleston ist einer der Stars der Ambientszene und in solchen Momenten zeigt es sich auch abseits des Sammel- und Exklusivitätswahns heutiger Schallplattensammler. "Fade To Grey" ist der Einsamkeit und der Isolation gewidmet, die aus unserem Social Media-Kladderadatsch entsteht, die uns von unserem Selbst entfernt, uns sowohl durchlässig und verletzlich, als auch hart wie Beton macht. Es ist ein elegisches Werk für eine Zeit ohne Empathie. Ein Werk, das den leeren, emotionslosen Blick gegen die weiße Wand vertont, gleich einer Embryonalstellung der Seele gegen den Weltschmerz. Interessanterweise klingt "Fade To Grey" dabei nicht dunkel oder abgründig, sondern leuchtet im Gegenteil hell und heiter - wie ein Abbild unserer Realität zwischen sinnbetäubender Euphorie und bodenloser Tristesse. 

Einer wird gewinnen.

"Considering the landscape of our own world right now, where a handful of companies control everything we consume, where convenience is more important than privacy, where personal choice is pre-determined by algorithms analyzing our behavior, and where the internet has become a battleground for influence and propaganda... It's not a stretch of the imagination to believe we're already witnessing our very own dystopia."




Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2019.

06.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 14 ° Segue - The Island




SEGUE - THE ISLAND


Und wieder mal passt alles zusammen. Das atmosphärische Cover-Artwork, das DIE_INSEL inmitten eines ruhig liegenden Meeres zeigt, inklusive leichter Diesigkeit und einem ja auch irgendwie kitschigen Sternenhimmel, Jordan Sauers immer noch von Sonne, Waldboden und "Aqua" (Lagerfeld) geküsste Musik und das Label Silent Season, das die musikalische Auseinandersetzung mit der Natur zur Voraussetzung für jede Veröffentlichung macht. 

Zu "The Island" heißt es: 

"Four thousand years ago, Western Canada's First Nations people migrated into the fjords and rainforests carved out by the retreating glaciation of the last Ice Age. The Island is a tribute to Canada's prehistory and the spiritual journey of a people entering a forever-altered landscape to call their home." 

Dabei hat Segue ähnlich wie die Labelkollegen von Wanderwelle die exklusive Dub Techno Schublade längst hinter sich gelassen und verwendet bisweilen nur noch vage herumflirrende Erinnerungen aus seinem Instrumentenkoffer. Was Sauer in dieser Hinsicht vielleicht so gut kann wie kaum ein anderer: seine Sounds und Songs malen Bilder in deinen Kopf. Lassen dich Wärme und Kälte spüren, manchmal sogar die Luft von der Umgebung schmecken, in die er dich gerade hineingezogen hat. 

"The Island" schickt dich in Urlaub, in die unberührte, raue Natur. Soziale Isolation in der Verbundenheit mit Mutter Erde - ich finde das selbst 6 Jahre nach dem Klassiker "Pacifica" noch immer hoffnungslos attraktiv. 




Erschienen auf Silent Season, 2019.

05.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 15 ° Die Wände - Im Flausch




DIE WÄNDE - IM FLAUSCH


Ich erinnere mich daran, dass ich der Herzallerliebsten das phänomenale Cover-Artwork zeigte und dazu verlauten ließ, die Platte heiße "Im Flausch" und mir sei es nun völlig wurscht, wie das klingt, ich müsse das jetzt blind und taub kaufen. Als Antwort erhielt ich ein "Ich bitte darum!" und im Subtext eine neuerliche Erinnerung daran, dass wir verheiratet, vulgo: "ein Kopf und ein Arsch" (H.Schenk) sind. Jetzt sind wir hier, im Sinne von am Jahresende angekommen und wie zu sehen ist, habe ich die Entscheidung nach dem Anhören nicht nur nicht bereut, sondern ganz außerordentlich begrüßt: das Trio spielt im Postpunk-, Indie- und Noise-Sandkasten, hat nicht nur im Gestus den obersten Hemdknopf geschlossen und rasselt mir mit nonchalant vorgetragenen Texten wie "Ich finde nichts mehr gut. Ich lege mich nicht mehr fest. Ich schmeiße alles hin." nebst anschließendem Noise-Ausbruch direkt in die linke Herzkammer. Die angenehm dosierte Dissonanz, sowohl in der Musik als auch in den hintergründigen Texten, piekst mich genau dort, wo ich's gerne hab: kein breitbeiniger Rockzirkus, sondern eher distinguiertes Detachement. Und wenn es doch schmutzig, krachend und laut wird, räumt hinterher jemand schön auf und macht wieder alles sauber - allerdings mit dem Kommentar, dass das ja jetzt schon ziemlich unlocker sei. 

Unser Leben ist ein einziger, stets größer werdender Widerspruch - und das hier ist sein Soundtrack. 



Erschienen auf Späti Palace, 2019.

03.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 16 ° Flying Lotus - Flamagra



FLYING LOTUS - FLAMAGRA


Die gute Nachricht zuerst: "Flamagra" ist wieder deutlich inspirierter ausgefallen als der Vorgänger "You're Dead", das bis heute einzige FlyLo-Album, das den bitteren Gang zum Second Hand-Dealer antreten musste. Dennoch war auch das sechste Studioalbum zunächst ein Wackelkandidat für die Top 20. Vermutlich ist es meine Erwartungshaltung, die mir (und ihm) immer wieder einen Strich durch die Rechnung machen will, vielleicht macht man ein Album wie "Cosmogramma" aber auch wirklich nur einmal im Leben. Denn auch wenn die Musikredaktionsstuben zwischen zwei Mariacron aus dem Rollcontainer immer noch derart vehement die seit vielen Jahren bekannten zentralen Aspekte des Sounds von Flying Lotus betonen, erkenne ich zumindest stilistisch nichts bahnbrechend Neues auf "Flamagra" - natürlich ist die Detaildichte seines Sounds immer noch hoch, natürlich sind das immer noch die bizarren, übergroß auf die Kinoleinwand projizierten Science Fiction-Drehbücher und natürlich lassen sich selbst in den etwas zurückgenommeneren Momenten noch mehr eingebaute Bells & Whistles in diesem wahnsinnig kuratierten Gedankenfluss finden, als bei jedem anderen Remmidemmi-Produzenten. Was Flying Lotus für mich indes so einzigartig macht, sind seine Interpretationen von Jazz und Hip Hop und deren Verschmelzung in postmoderne Lebensrealitäten.  

Jede der rund 6420 Sekunden von "Flamagra" scheint für einen klitzekleinen Moment ein Bewusstsein darüber zu haben, woher sie kommt und wohin sie geht  Und jede einzelne erzählt in atemberaubender Geschwindigkeit Mikro-Poesie vom Anfang und vom Ende ihrer Welt - und aus diesem virtuellen Netz von Gedanken, Ideen, Hoffnungen und Enttäuschungen speist sich der ganze gottverdammte Scheißkosmos. Blingbling. 



Erschienen auf WARP Records, 2019.

02.01.2020

Best Of 2019 ° Platz 17 ° Orgone - Reasons




ORGONE - REASONS


Der sehr geschätzte und vor allem loyale Leser dieses Blogs weiß es: ich habe einen Narren an dieser Band gefressen. Seit ihrem "Cali Fever" Album aus dem Jahr 2010 verfolge ich die Wege des Funk-Kollektivs und belästige es auf allen verfügbaren Kanälen des Internets (bislang erfolglos) mit der unterwürfigen Bettelei, doch bitte endlich eine Tour durch Deutschland zu buchen. Stattdessen nehmen sie regelmäßig neue Platten auf, die in erster Linie als Standortbestimmung zu dienen scheinen, als Skizze des derzeitigen Entwicklungsstands. Seit einiger Zeit marschiert die Combo aus den noch etwas räudigen San Francisco-Funkbecken in den etwas smootheren Bereich der Bar, in dem die Sessel mit rotem Samt bezogen sind. Vielleicht steht man mittlerweile mit einem Bein sogar in den 1980er Jahren - und das nicht nur wegen der Extraportion Weichzeichner-Aura des Coverartworks: Was die Entwicklung für den Vorgänger "Beyond The Sun" bereits andeutete, zieht bei "Reasons" nun noch etwas weiter in Richtung Disco und California Rock durch. Und während ich noch die Stirn in Falten lege, ob das möglicherweise dieses Mal nicht vielleicht doch ein bisschen zu viel des Guten ist, überfällt mich der unwiderstehliche Groove dieser Götterband schon im Opener "All Good Things" wie eine amoklaufende Adrenalinspritze auf der Tanzfläche. Alles gekrönt von der immer noch atemberaubend singenden Queen Adryon de Leon, die die kalifornische Sonne in ihren Stimmbändern eingebrannt hat. 

Süchtig machende Energie im Zeichen der Discokugel. 



Erschienen auf Killion Sound, 2019.

31.12.2019

Best Of 2019 ° Platz 18 ° Ishmael Ensemble - A State Of Flow




ISHMAEL ENSEMBLE - A STATE OF FLOW


England brodelt. Nicht nur politisch, aber auch ganz besonders kulturell. Sicher, die seit Jahren florierende Jazzszene, und hier besonders das Epizentrum in London, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr; sie wird auch außerhalb der Landesgrenzen wahrgenommen und gerechterweise gefeiert. Das Ishmael Ensemble um den aus Bristol stammenden Produzenten Pete Cunningham scheint sich jedoch noch etwas unter dem Radar der bekannteren Namen Shabaka Hutchings, Nyubya Garcia oder Alfa Mist aufzuhalten: das Debut "A State Of Flow" heimste zwar fleißig Lorbeeren von den üblichen Verdächtigen wie Gilles Peterson ein, läuft aber immer noch als Geheimtipp durch's 2019er Musik-Dickicht. Umso mehr freue ich mich darüber, diese Platte gefunden zu haben - so zahlt sich die jeden Monat wiederholende und stundenlange Suche nach neuer Musik aus. 

"A State Of Flow" ist eine Fusion aus Bonobo'scher Leichtfüßigkeit, der Tiefe des Cinematic Orchestras, Kieran Hebdens Progressivität und den Emotionen des Submotion Orchestras: Jazz, Electronica, Soul und Ambient in bester Tradition des Bristol-Sounds. Vielleicht im Detail noch ein bisschen rough around the edges, aber mir kommt die zwischenzeitliche Störung von allzuviel glattpoliertem Mainstream gerade sehr gelegen. Könnte den Status eines unentdeckten Kultalbums erreichen, wenn Social Media endlich tot ist. Und wenn es wieder möglich ist, "Kult" zu sagen, ohne hinterher vom Knorr-Papi verprügelt zu werden. 



Erschienen auf Severn Songs, 2019.

30.12.2019

Best Of 2019 ° Platz 19 ° Araceae - Resonance Of The Absolute




ARACEAE - RESONANCE OF THE ABSOLUTE


Die Sache mit Dub Techno ist und bleibt eine Schwierige. Im Trend liegt das Genre nicht (mehr) wirklich; ich habe eher das Gefühl, dass es sich nur noch um eine relativ kleine, dafür eingeschworene Community handelt, die diesen Sound sowohl produziert als auch immer noch hört. Teil des Problems ist die überschaubare Anzahl jener Produzenten, die einen Ausweg aus dem Dilemma des straffen stilistischen Korsetts suchen und sich um Weiterentwicklung bemühen. Araceae geht sicher nicht so weit wie beispielsweise das belgische Duo Wanderwelle, dafür lässt die auf "Resonance Of The Absolute" präsentierte Bandbreite mein Herz höher schlagen: Ambient, Drone, Field Recordings und Modern Classical/Minimal mischt sich mit naturnahem, rauem und urwüchsigem Dub Techno wie im Highlight "Rocky Shore". Über ein Jahr hat Ryan Malony an diesem Album gearbeitet, das Archves-Sublabel Faint hat es auf Tape, CD und Digital veröffentlicht (leider kein Vinyl). Ein mit viel Liebe zum Detail und einem exzellenten Gespür für dramaturgische Texturen zusammengestelltes Werk.  



Erschienen auf Faint, 2019.

29.12.2019

Best Of 2019 ° Platz 20 ° Melchior Sultana - Deeper Than It Sounds




MELCHIOR SULTANA - DEEPER THAN IT SOUNDS


Ein Teilnehmer der diesjährigen Folge "Es ist Frühling und ich möchte tanzen!": Melchior Sultana aus Malta mit einem Albumtitel, der das naheliegend schlechteste aus jedem Musikjournalisten herauskitzeln könnte. Meine Lust nach positiv aufgeladenen, euphorisierend-elektronischen Sounds, wenn die ersten Sonnenstrahlen das eben noch erstarrte Winterleben wachküssen, wurde mittlerweile zur lieb gewonnenen Tradition im Hause Dreikommaviernull. Anders als die Konkurrenz hielt sich "Deeper Than It Sounds" indes bis in den Dezember hinein in der Playlist, und das muss mit einem Platz in den Top 20 belohnt werden. Sultana liefert ein melancholisch-schaukelndes Deep House Album ab, auf dem sich mediterran getupfte Klangwärmekörper auf einem Bett aus dunstigen Grooves ausbreiten und entlang räkeln können. Kommt am besten zum ersten Kaffee im Bett an einem bekifft-launigen Sonntag Mitte Mai zur prachtvollen Morgenerektion.

Keine Termine und leicht einen sitzen (und stehen)(vielleicht).




Erschienen auf deepArtSounds, 2019.