BEST COAST - CALIFORNIA NIGHTS
Kennt noch jemand die Rubriken "Peinlichtes Lieblingsalbum" oder "Peinlichster Lieblingssong" aus den jährlichen Leserumfragen von Musikzeitschriften? Ich fand die eigentlich schon als kleiner Wicht doof, denn warum sollte mir das, was mir gefällt unangenehm sein? Natürlich, mal haut einem der Stuttgarter Hotzenplotz bei allzu derben Verstimmungen wie "Q2K ist besser als "Operation Mindcrime"" auf den Prachtwurz (im übertragenen Sinne, meistens jedenfalls), mal fragt ein gewisser Schlagzeuger einer gewissen Punkband vom Beifahrersitz, was zur Hölle das denn nun schon wieder sei, was da als unwürdiger Großraumdiskobeat aus den Lautsprechern bumst - und das zudem in einem Ton, als ob er sich danach erkundigt, ob ich gerade einen Schlaganfall erlitten habe -, mal lupft die Herzallerliebste zuerst die Augenbraue und dann mit einem mitleidigen Lächeln den Tonarm von der Platte, aber dass ich als Sechsjähriger der Schlagerlippe Roland Kaiser im strahlend gelben Pullunder, mit extra von Mutti hinfrisierter Santa Maria-Gedächtnistolle und also vor 3000 Zuschauern in der Frankfurt Jahrhunderthalle einen Blumenstrauß an den Bühnenrand brachte, habe ich schon mal erwähnt, oder?
Wäre mir wirklich noch irgendwas peinlich, dann müsste ich nach diesem Post vermutlich diesen Blog schließen. Und das Universum runterfahren. Kann ich, ich habe Superkräfte. Und weiße Unterhosen. Aber seien wir - und ich sowieso - ehrlich: so schlimm sind "California Night" und Roland Kaiser ja nun auch nicht. Also....schon. Aber. Aber, aber, aber.
Ich könnte tatsächlich einen seitenlangen Verriss über "California Nights" des Duos Best Coast schreiben. Selbst gar nicht mal so strenggenommen stößt mich an dieser Platte alles ab: die grottigen und in voller Absicht hyperfremdschampeinlich geschriebenen Songtexte aus dem Tagebuch eines Backfischs, Songstrukturen, die in ihrer Übersichtlichkeit selbst Status Quo als verkopftes und experimentelles Künstlerkollektiv aussehen lassen, Melodien aus frittierter Zuckerwatte, die Hirn, Herz und Hose verkleben. Bei Licht betrachtet ist das eigentlich ein unerträglicher Scheißdreck.
Das Problem: ich hab's eh gerne etwas dunkler und bin "California Nights" im Sommer 2015 über etwa vier Wochen hoffnungslos verfallen. Dieser ganze Krempel, der mich romantisch und mit einem Tropfen von irgendwas "unnerum" (H.Nachtsheim) an die neunziger Jahre zurückdenken lässt, mein sommerliches Leben mit dem Lemonheads, mit L7 und Hole, mit (zu) kurzen Hosen und weinroten Chucks (sic!). Das Lebensgefühl mit der gratis dazugepackten unerträglichen Leichtigkeit des Seins. Freunde haben und draußen sein und noch ohne der heutzutage in voller Blüte stehenden Wespen-Phobie in der Sonne liegen, anschließend mit Bier und Bier bis tief in die Nacht philosophieren, sich die Welt und das eigene Leben ausdenken. Dieser ganze vermaledeite Kram.
Dazu kommt im konkreten Fall der Best Coast dieses wundervoll stimmungsvolle Albumcover. Die angenehme Stimme von Sängerin Bethany Cosentino. Der kauzige Bobb Bruno mit den Metallica-Shirts und der Gibson Firebird. Das schlägt nicht nur eine Saite in mir an - das bringt gleich eine ganze Harfenmanufaktur zum Schwingen. Hier schreit wirklich alles "NEUNZIGER, BABY!", inklusive, und das ist wirklich eine Leistung: inklusive des ganz persönlichen und vor 20 Jahren wahrgenommenen Lebensgefühls .
In diesen vier Wochen des lange vergangenen Sommers, war das einfach DIE Musik. Und DIE Platte. Und DIE Band.
Und so wird es vielleicht auch wieder im Sommer 2016 sein. Darf man echt keinem erzählen.
Erschienen auf Harvest Records, 2015.