D'ANGELO AND THE VANGUARD - BLACK MESSIAH
"Black Messiah" ist das "Chinese Democracy" des Rhythm & Blues. Unzählige Male angekündigt, genauso oft wieder verschoben, entwickelte es sich gleichfalls zu einem Mythos, auch wenn die Hintergründe der Produktion und der Befindlichkeiten der führenden Köpfe zumindest in Teilen andere waren. D'Angelo, nach seinen Erfolgen mit "Brown Sugar" und ganz besonders dem 2000er Klassiker "Voodoo", überwältigt von Ruhm und seinem Status als Sexsymbol, tauchte ab - und das ist wortwörtlich zu verstehen: in die Untiefen von Scotch- und Wodkaflaschen. Es folgte das übliche Programm mit Anklagen wegen betrunkener Autofahrten und Besitz von Marihuana, verbunden mit Polizeibildern, die einen kranken und gezeichneten Mann zeigten. Verlassen von allen guten Geistern, Freunden - und vom Label, das 2005 keine Lust mehr hatte zu warten.
Nach einer Entziehungskur Mitte der nuller Jahre begann D'Angelo damit, mit vereinzelten Liveauftritten Fuß zu fassen und nahm die Arbeiten an dem Album wieder auf, das nach vierzehn Jahren Wartezeit schließlich im Dezember 2014 unter dem Namen "Black Messiah" praktisch aus dem Nichts erschien. Keine wochenlange Marketingkampagne, kein Social Media-Dauerwerbefeuer, keine fancy Teaservideos, keine Ankündigung in der Presse. Es war eben auf einmal da. Nach vierzehn Jahre Wartezeit. Ursprünglich sollte "Black Messiah" erst 2015 veröffentlicht werden, die Vorfälle in den USA rund um die Ermordung von Michael Brown in Ferguson und Eric Garner in Staten Island brachten ihn jedoch kurzfristig dazu, seine Pläne zu ändern und das Album noch im Dezember 2014 in die Läden zu bringen. Taktisch kommerzielles Kalkül oder der Drang, ein wichtiges und künstlerisches Statement in diesen Zeiten zu platzieren? Der Zyniker sagt "Taktik!", ich sage:"Sowohl als auch." Call me Mutter Theresa.
Interessant war dann das Verhalten jener Musikpresse zu beobachten, die ihre Jahresbestenlisten schon Ende November in die virtuelle Welt pupst - und die dann ziemlich dämlich aus der Wäsche geguckt haben muss. Zwar drückten einige Publikationen die Scheibe noch in letzter Sekunde in ihre Jahrescharts, ob das aber auf ausreichender Auseinandersetzung geschah, oder nur um die Relevanz von "Black Messiah" zu würdigen - wer soll's wissen?
Ich natürlich, dess es geht in erster Linie um Relevanz. Und auch das konnte man an den Reaktionen im Internet ablesen: es gab praktisch kein schlechtes Wort zu lesen. Wie auch, wenn das schwarze Amerika sich gerade von Polizeigewalt und -willkür bedroht sah und mit diesem, auch noch programmatisch betitelten "Black Messiah" eine Stimme bekam? "Black Messiah" war und ist mehr als nur Musik, es ist zu gleichen Teilen Statement und Trost, Kampfansage und Heilung, Selbstbewusstsein und Identität. Wer sollte dagegen ernsthaft opponieren?
"It’s about people rising up in Ferguson and in Egypt and in Occupy Wall Street and in every place where a community has had enough and decides to make change happen." (D'Angelo)
Einbettet wurde dieser intellektuelle Überbau in den eigenständigsten und heißesten Soulfunkjazz seit den großen Zeiten von Prince - und da kann jetzt jeder für sich selbst zurückrechnen, wie lange das im Einzelfall sein kann. "Black Messiah" ist ein Wunderwerk: hochmusikalisch mit einer Legion Schichten von Instrumenten und Blickwinkeln, so eigenwillig arrangiert, dass es sich wochenlang mit diesen Songs aushalten lässt, weil es immer etwas Neues zu entdecken gibt, weil nichts auf schnellen Charterfolg und offensichtliche Hits ausgerichtet ist.
Wer nach "Black Messiah" immer noch meint, die heutige Musik wäre unerträglich hohl, oberflächlich und wertlos, darf sich so ganz allmählich wirklich eingestehen, dass die Faulheit und die Ignoranz gesiegt haben. Und für die nächsten Jahre auch bitt'schön die Klappe halten.
Erschienen auf RCA, 2014.
(Vinylversion erschienen auf RCA, 2015)
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