Audiophile Supersnobs können mich sowohl zum Lachen als auch zum Weinen bringen - ab und an ist sogar ein schöner Wutanfall drin, wenn die Voodootänze um bei Vollmond geschliffene Tonabnehmersysteme und mit aus dem Erdkern handdestilliertem (sic!) Edelgas gefüllte Lautsprecherkabel all zu hysterisch ausfallen. In den Discogs-Kommentaren zu "Pylon" des britischen Wave/Industrial-Flagschiffs Killing Joke wird die Soundqualität auf der Schallplatte, diplomatisch formuliert: bemängelt, und angesichts meiner zwar mit einigen, in dem noisigen Inferno der Tracks sowieso niemals wahrnehmbaren, Knacksern ausgestatteten, davon abgesehen aber tadellos klingenden Kopie frage ich mich durchaus bisweilen, ob der ein oder andere die derzeit ubiquitäre (und im Kern ja durchaus notwendige) Diskussion um schlechte Pressungen "wie vernagelt" (Polt) am Laufen halten muss und dabei die Musik wegen des ganzen HiFi-Kladderadatsch in den Hintergrund drückt. Schließlich gibt es ja auch noch so etwas wie Klang. Im besten Fall den eigenen, eigenständigen Klang einer Band. Kennt man heute gar nicht mehr, aber er existiert wirklich immer noch. Und er existiert ganz besonders bei Killing Joke.
Denn "Pylon" hat wie alle Killing Joke-Alben der letzten 15 bis 20 Jahre einen sehr speziellen, zäh pumpenden, schmutzigen Sound, den man natürlich nicht mögen muss, der aber wenigstens für mich eine gewisse Faszination ausstrahlt, und der darüber hinaus auch für das Klangbild, ja: das Selbstverständnis und die Message der Band von großer Wichtigkeit ist. Ganz besonders der Gitarrensound ist eine Sensation, und wer den Beweis dafür benötigt, hört sich das gnadenlos dreckige Riffgebratze in "Dawn Of The Hive" an, das bereits für einige spitze Schreie im Casa Dreikommaviernull verantwortlich war. Ich darf außerdem feststellen, von der grundsätzlichen Qualität des Albums nicht unangenehm überrascht worden zu sein - und eigentlich habe ich "Pylon" nur deshalb kürzlich gekauft, weil ich die Vinylausgabe mehr oder weniger zufällig für schlappe 12 Euro im Regal stehen sah. Für eine seit 36 Jahren und außerdem aus absoluten Vollchaoten bestehende Band klingt "Pylon" nicht nur frisch, sondern auch erfreulich leidenschaftlich und aufrichtig. Selbst die Herzallerliebste ließ sich zu einem hörbar verblüfften "Ich find' die Platte eigentlich ganz gut?!" hinreißen. Und das können wir uns alle mal rot im Kalender anstreichen.
Dabei kommt es besonders mir sehr entgegen, dass Jaz Coleman weitgehend auf seine geröchelte Runkelrübenstimme verzichtet und stattdessen mit seinem im pathologischen Sinne wahnsinnig klingenden Klargesang melodisch voll durchzieht. Höhepunkte sind in diesem Kontext die in der Schnittmenge von "poppig" und "ruppig" angesiedelten "Euphoria" und "Big Buzz", während sich der kaum aushaltbare Zynismus, der Zorn und die Unberechenbarkeit dieser Band und ihrer Protagonisten, am deutlichsten bei dem unbarmherzigen "I Am The Virus" zeigen, das wie eine Nilpferdfamilie über sämtliche Nervenstränge hinwegtrampelt, wenn es einen auf dem falschen Fuß erwischt.
Nun habe ich mich seit Jahren von Veröffentlichungen dieser Band absichtlich ferngehalten, weil ich ihr, Achtung, Achtung: persönliche Wahrnehmung ungleich universelle Wahrheit, dieser Blog ist irrelevant, bitte keine Morddrohungen schicken, lieber im 3.Welt Laden ein Pfund Kaffee kaufen! - Ranschmeißen an die Kuttenmetallerfraktion ehrlich gesagt ziemlich eklig fand und ich weiß auch nicht, ob ich als Rosaplüschkönig mit glitzernden Bommelschuhen aus reiner Watte künftig wirklich oft Lust auf solche Musik haben werde, aber für den Moment und bei einer Affenhitze, die mir das Resthirn zunächst wabbelig kocht und anschließend förmlich 'rauskondensiert, habe ich viel Spaß mit "Pylon" - ganz bestimmt mehr, als ich zunächst dachte.
Ich war nie der allergrößte Death Metal Fan, auch wenn ich die Initialzündung der sehr erfolgreichen zweiten Welle zwischen 1989 und 1993 live mitbekam und mich die Alben von Death, Atheist, Morbid Angel und Obituary aus jener Zeit sehr begeistern konnten. Als 1993 die Briten Benediction mit "Transcend The Rubicon" um die Ecke kamen, konnte ich diesen exklusiven Kreis um +1 erweitern. Trotz der mittlerweile zentimeterdicken Patina, ist das immer noch eine besondere Platte für mich: zum einen besuchte ich im Herbst 1993 in Begleitung meines Bruders das erste Death Metal Konzert meines Lebens mit den gerade erfolgreich werdenden Cemetary, den genialen Techno-Death Fummlern von Atheist und eben dem, neben Bolt Thrower, zweiten Aushängeschild des britischen Death Metals Benediction im nur zwei Jahre später geschlossenen "Negativ"-Club in Frankfurt, zum anderen besaß ich damals ein sehr schickes Longsleeve mit dem Albumcover als Motiv und wurde damit im Jahrbuch meiner Schule, neben einer supercoolen und Ernte 23 (!) rauchenden Ramones-Punkerin stehend, fotografiert - mit einer eigentlich verboten aussehenden Frise, die vorne an Roland Kaiser und hinten an Rudi Völler erinnerte. Das Foto ist wie eine Zeitreise in den grauen und verregneten Alltag im Herbst/Winter 1993, und während ich mich dank der mich aktuell völlig überfordernden Lohnarbeit nicht mehr an das erinnern kann, was vor 2 Wochen war, gelingt es mir überraschend gut, mir manchmal den Geschmack der Luft aus dem Schulgebäude oder mein damaliges Lebensgefühl zwischen Heavy Metal, Grunge, Roll- und Eiskunstlauf und der glatten 5 aus der Abiturprüfung in Chemie wieder zu holen. "Transcend The Rubicon" war in dieser Zeit mein fast täglicher Begleiter und ist daher sehr eng mit mir und meinem Leben verbunden. Eigentlich auch eine Art persönlicher Meilenstein.
Meine Blank When Zero-Buddies Simon und Marek schenkten mir den gleich doppelt colorierten (gold/orange) und mit einem schicken Etching auf der D-Seite versehenem Vinyl-Reissue erst kürzlich zum Geburtstag, und das Wiedersehen war mächtig: konnten mich die Frühwerke der Band nie so recht begeistern, stimmt auf "Transcend The Rubicon" fast alles, was in erster Linie an drei Faktoren liegt: (1) die Stimme von Dave Ingram (später auf Bolt Throwers "Honor Value Pride" zu hören) ist böse, aber seltsamerweise gar nicht unangenehm oder reißerisch auf extrem getrimmt, (2) die Riffs sind eine Mischung aus der typisch schrägen Oldschool-Herrlichkeit, leichten Punk/Hardcore Vibes und einem schwer walzenden Groove, der bisweilen gar an die Anfänge des sich damals gerade entwickelnden Groove Metal erinnert - in Perfektion zu bestaunen bei "Nightfear", "I Bow To None" und "Blood From Stone" und (3) die Songs sind ultrakompakt und catchy, ohne dabei gleichzeitig ultrastumpf zu sein. Außerdem ist "Transcend The Rubicon" eine Blastbreat-freie Zone, was den sehr eindrücklichen Groove der Songs weiter verstärkt. Viele der alten Death Metal-Klassiker aus dieser Zeit wirken heute, abgesehen von den durchaus immer noch extremen Stimmen, seltsam schaumgebremst und altbacken, vor allem, wenn heutige sowohl Produktions- als auch Spieltechnikstandards zum Vergleich herangezogen werden - und auch Benedictions beste Platte kann sich gegen den Zahn der Zeit nicht wehren. Wer das heutige Death Metal-Niveau gewohnt ist und "Transcend The Rubicon" zum ersten Mal hört, wird nur schwerlich nachvollziehen können, wie bemerkenswert sowohl die Entwicklung der Band im Allgemeinen als auch dieses Album im Speziellen in der Ursuppe des Death Metal waren.
Benediction selbst konnten an diesen Klassiker nicht mehr anknüpfen, wenngleich der damit erzielte Durchbruch der Grundpfeiler für den Erfolg in den folgenden Jahren, eigentlich bis zum Ausstieg von Dave Ingram nach dem 1998er Album "Grind Bastard", sein sollte. Zwar existiert die Band heute noch, sie spielt auch relativ regelmäßig Shows und Tourneen und kündigt sogar seit längerem ein neues Album an, aber angesichts von nur zwei Alben in den letzten 20 Jahren, muss man wohl annehmen, dass die Luft einfach raus ist. Wer ein Teil britischer Death Metal Geschichte hören möchte und das bislang nicht getan hat: die neue Deluxe-Vinylausgabe zum 25.Geburtstag des Albums klingt gut, sieht gut aus und ist mit der liebevoll detaillierten Aufmachung im Glossy-Gatefold-Cover mit Texten und Fotos alles andere als nur ein schneller Cash-In, sondern viel mehr ein standesgemäßer Tribut an ein tolles und wichtiges Album.
Fans von Marillion sind bisweilen ein seltsames Völkchen. Die Diskografie der Band auf dem Plattensammler- und Plattenverkaufsportal Discogs listet aktuell nicht weniger als 142 Alben auf - und obwohl das Quartett auf eine beinahe vierzigjährige Karriere zurückblicken darf, die sicherlich nicht in erster Linie von Däumchendrehen und Tee trinken geprägt war, erscheint die stattliche Anzahl ein wenig irreführend: die loyale Handvoll Bekehrter, die der Band seit Jahrzehnten nicht nur aus der Hand frisst, sondern sie auch mittels eigenständig durchgeführter Internetpromotion ein wenig mehr in den musikgesellschaftlichen Fokus rücken und damit auch gleichzeitig das eigene Ego ein wenig streicheln möchte, hat also ganze Arbeit geleistet und wirklich jede noch so obskure Zusammenstellung und Liveaufnahme der über die geschäftlichen Hauptquartiere Racket Records, Intact Records und Front Row Club vertriebenen CDs in der Diskografie als Album geführt, hinzu kommen außerdem Bootlegs und BBC Radiomitschnitte, deren Aufnahmedatum in den Kommentarspalten auch noch rührselig korrigiert werden. Das passiert sicherlich und ausschließlich mit den allerbesten Absichten, ist einerseits lohnenswert für die Komplettisten in uns, die dieses eine Rothery-Lick von dieser raren Budapest-Liveaufnahme unbedingt auf eine Plastikscheibe gebrannt haben möchten, andererseits völlig überwältigend und unübersichtlich für fast alle anderen. Wer in dieses Rabbit Hole tatsächlich reinkrabbelt und sich die gelisteten Veröffentlichungen etwas genauer anschaut, stellt schnell fest, dass Liveaufnahmen integraler Bestandteil des Marillion'schen Selbstverständnisses sind. Die Anzahl ist Legion, und der Eindruck, die Band habe von jedem ihrer Konzerte in den letzten 40 Jahren mindestens sieben verschiedene Albenveröffentlichungen geschnitzt, wird plötzlich sonderbar real. Aber wer das alles kauft? Und wer das alles hört? Ich sagte doch: es ist ein seltsames Völkchen.
Selbst mit den offiziellen und also im regulären Handel erhältlichen Livealben wird es für das weniger gut organisierte Oberstübchen unübersichtlich und spätestens bei den zahllosen Versionen eines einzelnen Titels zerfällt wenigstens mein Dachgeschoss in Mikropartikel. In den letzten Jahren begeisterten mich aus dieser Kategorie immerhin zwei Aufnahmen so ausgeprägt, dass sie seitdem im heimischen Plattenschrank stehen und - entgegen des immer wieder vorgetragenen Einwands, man könne das ja eh niemals im Leben alles hören, aber stattdessen alles mal schön einstauben lassen - ziemlich regelmäßig auf dem Plattendreher und in der Playlist landen: "Marbles On The Road" und "A Sunday Night Above The Rain" sind exquisite, auf jeweils 3 LPs verteilte Liveaufnahmen, und ja, ich muss es zugeben: diese eine Version von "Montreal" - holy fucking shitballs, die sollte man gehört haben. Um Missverständnissen vorzubeugen: es ließe sich hier nachlesen, dass ich dem Song vor sechs Jahren nicht sonderlich zugetan war. Jetzt weiß ich: "I was wrong." (Mike Ness)
Dass nun im Jahr 2018 selbst die allergrößten Die-Hard Fans das aktuelle Werk "All One Tonight" als bestes Livealbum der Band seit dem Urknall feiern, lässt zunächst aufhorchen; bei genauerer Betrachtung ist indes kein anderes Urteil möglich. Die Band spielte nach dem überraschenden Erfolg ihres letzten Studioalbums "F.E.A.R." mit seinem Top Ten-Charteinstieg im Vereinten Königreich, in der nicht nur altehrwürdigen, sondern auch restlos ausverkauften Royal Albert Hall und das ist denkwürdig genug: dort, wo sich sonst nur die richtig Großen die Klinke in die Hand geben, die Roger Waters', die Brian Mays, die Robert Plants, kommen Marillion-Fans aus der ganzen Welt angereist, um das beeindruckende Gemäuer mit Licht, Liebe und Musik zu füllen. Ich möchte nicht respektlos klingen, aber Marillion galten allerspätestens ab Mitte der 1990er Jahre und der Trennung von der EMI nicht gerade als kommerziell attraktiv oder vielversprechend und segelten mit den in Eigenregie organisierten Crowdfunding-Kampagnen und derart finanzierten Albumveröffentlichungen nebst selbstständig gegründeten und geführten Labels unter dem Radar des Mainstreams - manchmal sogar unter dem Radar des Undergrounds. Das Ergebnis: eine außerordentlich enge, vielleicht einmalige Verbindung zu ihren Anhängern - die sich wenig überraschend in den zweieinhalb Stunden dieses auf sage und schreibe 4-LPs verteilten Mammutprogramms in voller Pracht zeigen darf. Die Publikumsreaktionen lassen das Dach der Royal Albert Hall abheben und wer via BluRay/DVD/Youtube in die Gesichter und auf die Körpersprache der Band schaut, die angesichts der Begeisterungsstürme und ob der schieren Tatsache, dass sie tatsächlich und nach vierzig Jahren zum ersten Mal in der verdammten Royal Albert Hall spielen dürfen, erkennt die Einzigartigkeit dieses Abends, dieser Band und ja: auch dieser Fans. Als konkretes Anschauungsobjekt möchte ich auf das weiter unten eingebettete Video von "Go" und auf die Szenen ab Minute 4:55 Minuten verweisen. Die Herzallerliebste und ich überbieten uns praktisch fortwährend mit den über uns schwappenden Gänsehautattacken.
Über das in Gänze aufgeführte "F.E.A.R." habe ich mittlerweile schon genug Lobeshymnen geschrieben, und ich könnte mich auch knapp 2 Jahre nach der Veröffentlichung nur wiederholen - es bleibt eines der drei herausragenden Alben ihrer Karriere und der damit erreichte Erfolg gibt Anlass zur Hoffnung, dass doch noch nicht alles verloren ist. Der zweite Teil des Abends besteht aus bekannten Bandklassikern wie "Afraid Of Sunlight", "The Space", "Easter" oder "Neverland", die mit der Unterstützung eines kleinen Orchesters aufgeführt werden und glücklicherweise nie überarrangiert in die Kitschfalle aus dem Hause Rondo Veneziano plumpsen, sondern dank der sehr behutsam in die Songs eingepassten Orchestrierung zwar voluminöser und einen Tacken melancholischer klingen, aber nie den eigentlichen Spirit aus dem Kern der Komposition verlieren. Unter normalen Umständen wird "All One Tonight" künftig in einem Atemzug mit "Live & Dangerous", "Live At The Apollo", "At Folsom Prison", "It's Alive" oder "Made In Japan" genannt. Nur: was ist heute noch normal?
Nun ist Herr Dreikommaviernull grundlegend ziemlich nah am Wasser gebaut und es ist nicht ungewöhnlich für mich, von Musik so tief berührt zu werden, dass mir selbst in der Öffentlichkeit die Tränen über die Wangen laufen. Es gibt beispielsweise die Heart-Coverversion von Led Zeppelins "Stairway To Heaven" aus dem Kennedy Center, bei der ich in den letzten dreieinhalb Minuten - völlig egal wo ich bin, wie es mir geht, was ich gerade denke und/oder mache - _IMMER_ Rotz und Wasser heulen muss und es also dem ebenfalls sehr gerührten Robert Plant gleichtue - obwohl mir Led Zeppelin weithin am Gesäß vorbeigehen und am Ende des Videos außerdem ein paar Rockstars auf der Bühne stehen, die sich meinetwegen besser einmauern sollten, aber ich kann mich selbst angesichts dieser "abominations unto the lord" (John Oliver) einfach nicht dagegen wehren, emotional fast zerrissen zu werden. Als ich in der vergangenen Woche in meiner Rolle als professioneller Businesskasper im ICE nach München saß und mir mit "Neverland" das schönste Lied der Welt ins Schallgesims gedrückt wurde, rächte sich mal wieder die Entscheidung, keine Papiertaschentücher ins Reisegepäck aufgenommen zu haben. Wie soll man sowas aushalten?
Manchmal erscheint das alles zu groß, wichtig - überlebenswichtig! - und heilend, um es darüber hinaus in Worte oder auch nur Gedanken zu kleiden.
Manchmal ist es besser, es einfach so im Raum stehen zu lassen: Das ist die beste Band der Welt.
Glaubt man erst, wenn man es hört: die Jamaikanischen Dub-Kings Sly & Robbie, den besser informierten noch aus ihrer großen Phase mit der noch viel größeren Grace Jones bekannt, haben sich mit den norwegischen Trompeter Nils Petter Molvaer und dem Finnen Vladislav Delay zusammengetan - den letztgenannten kennen die noch besser informierten möglicherweise noch aus genau diesem Blog, der Delays Album "Whistleblower" vor 11 Jahren mal auf ein ziemlich weit gespanntes Hochplateau nagelte. Der Norweger Eivind Aarset bedient zusätzlich die Gitarre.
Ich glaube es mittlerweile, und ich kann es bestätigen: das Hören dieser Musik hilft dem Verständnis tatsächlich nachhaltig auf die Sprünge. Was zunächst und mit viel Optimismus nach wenig mehr als einem Gimmick klingt, nach einer fixen Idee von cleveren Marketingmanagern halbgroßer Plattenfirmen, die aus der aufgespannten Exotik und der zu erwartenden Provokation der Pleistozän-Jazzer, die bereits bei Kamasi Washingtons "The Epic" einen deutlich wahrnehmbaren Engpass in der zerebralen Sauerstoffzufuhr erleiden mussten, einen kommerziell erfolgreichen "Szenediskurs" (Bushido, nach dem Schlaganfall) erwarten, blättert bei der aufmerksamen Auseinandersetzung mit "Nordub" zwar nicht im Handumdrehen, aber wenigstens kontinuierlich immer weiter ab. Die zunächst imaginierte Scharade löst sich am einfachsten, indem man die so liebgewonnenen Schubladen mit achtfachem Panzertape umwickelt und damit gar nicht in Versuchung kommt, die beiden Fixpunkte Dub und Jazz krampfhaft in die Hirnkamera zu halten und miteinander aufzulösen - das ist nicht immer einfach, weil beide Seiten sehr viel Aufmerksamkeit in dieser Musik einfordern, weniger drängelnd als selbstverständlich - aber durchaus getrennt vom Gegenüber und nur selten als eine echte Verbindung. Die Musiker lassen zur Unterstützung der angedachten Amalgamierung viel expandierenden Raum durch das Album fließen, ziehen die dichten Drum'n'Bass-Kaskaden aus Jamaika wie Kaugummi über Delays teils barock anmutende Avantgarde, lassen Molvaers Trompete einen tiefen Zug durch kristallklares und eiskaltes Wasser nehmen, durch Gebirgsketten und am Horizont diffundierende Wolken schrapnellen. Das ist vielleicht das beeindruckendste Merkmal dieser Platte: der Versuch, die hypnotisierende Kraft der Monotonie mit der neutralisierenden Macht der Klarheit und der Distanziertheit zu verbinden. Improvisation trifft auf eine geradewegs bodenlose Sturheit, freies Spiel auf Verdichtung im Bassgestrüpp.
Dabei hilft die Vogelperspektive: there is no dub, there is no jazz, there is no ambient. "Nordub" ist weniger Endstation als Entwicklung, mehr Mut als Zurückhaltung. Es erzählt mehr vom Forschen und Scheitern, weniger vom Interieur eines Refugiums für eine Horde Zyniker. Und ab genau jener Erkenntnis wird "Nordub" plötzlich interessanter als gedacht.
Pflastersteine aus Eis. Wischen und rutschen durch den darunter liegenden Sand, den Schlick. Vermischen sich, werden eins. Sie funkeln. Das Licht bricht sich an ihren Kanten und es scheint, als würden sich kleine Glühwürmchen aus gefrorenem Wasser in die Luft schwingen, als Überlebende für einen Tag und eine Nacht. Die Netzhaut bitzelt. Die eiskalte Luft schmerzt beim Einatmen.
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Hotel Neon ist ein Ambienttrio aus dem US-amerikanischen Philadelphia. Die drei Musiker sind kein reines Studioprojekt, sondern spielen als Band ihre Version von Ambient auch live auf der Bühne, mit Gitarren und Bässen und Synthesizern. Mal fanfarengleich, hymnisch, bebend, mal (meistens) subtil schimmernd und lebhaft reflexiv mit großer Klarheit.
Ihr Ansatz erinnert mich bisweilen an die Australier Seaworthy, ebenfalls ein Trio, die ihr Klangbild in ähnlicher Weise mit analogen Instrumenten zu einem sehr direkt erfahrbaren Erlebnis entwickeln - und die alleine dadurch zu jener Gruppe Musiker gehören, die ihren Klang durch jahrelanges Schärfen, Modellieren und Verkanten so einzigartig gestalteten. Ich kam nicht umhin, mich bereits nach wenigen Sekunden des Titelsongs anerkennend in die watteweiche Couchlandschaft zu kuscheln, weil mich die Raffinesse in diesem Sound, wie es mir auch bei den Werken Stephan Mathieus ergeht, jedes Mal aufs Neue fasziniert. Wenn Gil Scott-Heron sagt, es gäbe sehr wohl diesen einen (richtigen) Weg, das erste Erleben neu erworbener Musik sehr bewusst und völlig frei von jeder erdenklichen Störung zu genießen, dann nimmt "Means Of Knowing" wenigstens mir die aktive Entscheidung, Türen und Fenstern zuzumauern und das Smartphone ins Klo zu pfeffern, just mit der entwaffnenden Schönheit seines natürlichen, mit Field Recordings zillionenkilometerhoch aufgetürmten und doch flächigen, transparenten Sounds ab.
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Und dann kommt die Wärme. Verschlingend und verzehrend. Aufopferndes Kämpfen wird niemals belohnt. Doch während das Rinnsal vergangenen Glanzes zu moralischer Trauer zu gerinnen droht, ist im Vergangenen ein neuer Glanz von Aufbruch, von Erneuerung zu spüren. Erkenntnis, Erfahrung, Erleuchtung. Es nimmt nie ein Ende. Alles nimmt nie ein Ende. Wenn das nicht tröstet - was dann?
Das Septett des Submotion Orchestras fliegt schon eine ganze Weile auf meinem Radar umher, aber außer einem Track-Download aus ihrem Album "Color Theory" aus dem Jahr 2016 fand bislang nichts aus ihrem Oevre den Weg in die Sammlung. Dabei ist ihre Musik im Prinzip wie gemacht für mich: großartige Stimmen, die sich auf einem Bett aus organischer Elektronik, Jazz, Trip Hop und Downtempo entfalten können wie die Rose von Jericho beim Wasserkontakt, Tiefgang, Emotionalität - what's not to like? Das gilt freilich in erster Linie für lauschiges Klönen auf der Sommerterrasse oder für den einsamen Winterabend unter dem Kopfhörer, will sagen: für die Einkehr, die Introspektion, die Melancholie, die Theatralik. Clubabende bei Biermixgetränk und dem Willen zur größten Party der Welt dürften mit "Kites" nicht so supergut laufen. Andererseits: aus dem Alter bin ich ja eh raus, manch einer wird sagen, ich war nie drin. Ich bin eher der Typ, der sich um halb elf am Abend mit einem starken Kaffee auf die Terrasse setzt und die Gedanken an der langen Leine ins Gebüsch pinkeln lässt.
Ein Wort der Warnung für Anhänger von Vinyl: die LP-Version ist zwar für heutige Verhältnisse relativ günstig in der Anschaffung, aber dann wegen einer nicht optimalen Pressung (Schleifgeräusche und Pops), die auch nach einer eindringlichen und mit allerlei verbalen Schmähungen durchgeführten Plattenwäsche mit einer Okki Nokki nicht signifikant besser wird und einer Nullaufmachung (dünne Pappe, schäbiges Standardinlay, keine Credits, keine Texte, keine Fotos) leider doch sehr enttäuschend.
ANGOPHORA - SCENES
Kann sich noch jemand an das großartige Debutalbum von Tornado Wallace aus dem letzten Jahr erinnern? Ich schrieb zu "Lonely Planet" zu Jahresbeginn:"Knappe 40 Minuten pure Schönheit, Eleganz und Lushness: "Lonely Planet" ist ein mystisch-vernebelter Soundtrack für die Entdeckungsreise auf einer unbewohnten und halb versunkenen Insel im Indischen Ozean". Der Ansatz vom ebenfalls aus Australien stammenden Produzentenduo Angophora ist sehr ähnlich, aber weniger opulent als jener von Lewis Day, der für sein Debut das volle Stil- und Ästhetikregister der 1980er Jahre zieht und es sogar schaffte, Erinnerungen an die immer noch unerträglichen Dire Straits zu wecken. Angophora sind etwas weniger verspielt und stattdessen kühler unterwegs, lassen mich aber immer noch um die volle Breitseite Schulterpolster und rosa Neonröhrenlicht betteln. Und die bekomme ich auch. "Scenes" ist naturverbunden, schwül, deep. Der Soundtrack zum Ficken im Urwald.
Sehr gute Pressung, sehr guter Sound, schönes Artwork - Abzüge gibt es aufgrund der sehr dürren Ausstattung (weißes Standardinlay, sonst nichts) nur in der B-Note. On the bright side: "Scenes" ist schön günstig.
WARRIOR SOUL - BACK ON THE LASH (AMERICAN IDOL)
Ich habe auf diesem Blog ungefähr 8 Millionen Mal über eine meiner erklärten Lieblingsbands sowie einen meiner erklärten Lieblingssänger und -texter, Warrior Soul und Kory Clarke, geschrieben - und ich habe es mir angesichts der im letzten Winter veröffentlichten neuen Platte "Back On The Lash" verkneifen können, den vorangegangenen acht Millionen Artikeln einen weiteren folgen zu lassen. Mit Verrissen habe ich es nach wie vor nicht so richtig dicke, und das schreibe ich in voller Anerkennung des Verrisses zum Album "Stiff Middle Finger" aus dem Jahr 2012, aber manchmal geht es einfach nicht anders. Für "Back on The Lash" war eigentlich nichts dergleichen vorgesehen, schließlich kann bereits ein zweiminütiges Testhören eine genügende Auskunft darüber geben, ob Kory nochmal die Kurve bekommen hat. Und weil er es ganz offensichtlich nicht geschafft hat, blieb es also bei ebenjenen zwei Minuten. Das war eigentlich alles, was über diese Platte geschrieben werden muss.
Nun hat mir Livewire/Cargo allerdings eine Karotte in Form einer Vinylversion vor die Nase gehängt und die auch noch mit allerlei bells & whistles aufgehübscht: ein alternatives Coverartwork mit dem neuen US-amerikanischen Superhelden "Orange Sphincter", ein neuer Titel, goldenes Vinyl, limitierte Auflage von 500 Stück. Und so wurden aus den 2 Minuten Testhören gleich zwei Komplettumdrehungen auf dem Plattenteller. Mein Eindruck hat sich trotz der etwas eingehenderen Beschäftigung nicht signifikant geändert: Clarke's Mojo ist nach dem immer noch großartigen "Chinese Democracy/Destroy The War Machine" ziemlich von der Bahn gerutscht: Die Backing Band hat nur noch Kreisliganiveau, was für einen alten Fan vor allem live ganz besonders hart werden kann, der Sound ist uncool unfertig (es gibt auch cool unfertig, aber das passt hier nicht), die Musik lässt jeden Hauch von Tiefgang auf dem Trockendock und die Texte sind selbst für US-Amerikanische Die Hard-Fans nur durch aktive Ignoranz aushaltbar. Die Herzallerliebste bezeichnet "American Idol" als "alkoholischen Assopunk" und die einzig vorstellbare Situation, dieser Platte doch noch mit geraisten Fists'n'Pimmels zu begegnen, wäre folgerichtig ein Alkoholpegel von mindestens 2 Promille - da ich mittlerweile und mangels Übung schon nach zwei Gläsern Gin Tonic die weiße Flagge schwenken muss: not going to happen. Es bleibt in erster Linie: Ratlosigkeit.
Pressung und Ausstattung dieser Vinylausgabe sind allerdings top.
Da musste ich mich erst neulich von einem, man muss es so deutlich sagen, eher übersichtlich veranlagten Zeitgenossen darauf hinweisen lassen, dass ich ja tatsächlich einen Blog betreibe - den despiktierlichen Unterton, damit im Jahr 2018 ja ungefähr so cool zu sein wie der olle Otto-Witz mit dem pinkelnden Eskimo, habe ich wohl wahrgenommen, viel schlimmer war aber die dadurch ausgelöste Erinnerung daran, wie lange hier schon wieder nichts passiert ist. Denn: mit uncool sein kenne ich mich aus, ich hatte beinahe 41 Jahre Übung darin und gebe immer noch keinen fickenden Fick; während es mit Disziplinlosigkeit und trotz aller zur Perfektion getriebenen und seit Jahrzehnten gepflegten Prokrastination etwas schwieriger wird.
In der Zwischenzeit wird aber jede Disziplin von der Lohnarbeit aufgesaugt, was zu solch absurden Entscheidungen führt, an einem Sonntag und bei 35°C doch lieber mal sechs Stunden am Arbeitsrechner zu verbringen, anstatt unter dem auf der Terrasse aufgespannten und freilich ausschließlich für den sensiblen Ehemann erworbenen und also lästige Mücken abhaltenden Fliegennetz zu sitzen, oder die klassischerweise rund um den eigenen Geburtstag genommene Urlaubswoche, wie bestellt ausgerechnet am Ehrentage, für eine quadratbekloppte Fahrt nach Köln zu unterbrechen, weil da jemand im Anzug etwas von mir will, und sei es nur, mir den Hintern zu versohlen, verbal versteht sich. Dass der Hirnkasten angesichts dieser Monstrositäten zwischendrin lieber die Notbeleuchtung anknipst, bon - aber ich darf wenigstens feststellen, dass ich damit immer noch Schwierigkeiten habe. Habe im Dunkeln so oder so oft Angst.
Die hier seit Monaten feierlich und mit einigem Remmidemmirapimmelrapammelrapumm angekündigten Ideen müssen sich also noch etwas gedulden, und ich bin mittlerweile auch nicht mehr so bescheuert, hier noch weitere Versprechen i.S.v. "hier geht's ganz bestimmt bald wieder weiter" hinaus zu trompeten. "Es kommt, wie es kommt!" wusste schon das Stückchen Dönerfleisch im Oberlippenbart von Wolfgang Niedeken, wo wir es doch eh gerade von Köln hatten.
Bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, eine Einlassung vorab: ich schaue/höre seit einigen Wochen sehr regelmäßig den Joe Rogan Podcast auf dessen Youtube-Kanal. Rogan ist für mich aus einem ganz speziellen Punkt inspirierend: er passt in keine meiner vorgefertigten Schubladen und fordert mich dazu heraus, mal ein paar Schritte zurückzugehen und die durch meinen nunmehr zwanzigjährigen Internetkonsum etwas verkrüppelten Empathieantennen wieder zu polieren (kein Euphemismus!). Rogan vertritt in der Hauptsache liberale Standpunkte, gehört aber trotzdem nicht zum Hollywood-Establishment: Er ist Jäger und zählt sich zu der "Eat What You Kill" Bewegung und würde mir unter normalen Umständen durch jedes vorhandene Raster in den großen "Arschloch!"-Sack plumpsen. Andererseits ist er offener Nutzer von Marihuana und setzt sich für die Legalisierung ein. Er ist Martial Arts-Experte. Spirituell, aber mit Religion nix an der Frisur. Eigentich ist Rogan eine Mischung aus einem mit den eigenen Vorurteilen vollbeladenen Ami-Redneck-Klischee und einem sehr wachen, offenen, lebensbejahenden und bewussten Geist. Wie soll das alles zusammenpassen? Ich stimme ganz sicher nicht immer mit ihm überein, aber es kann eine sehr befreiende Wirkung haben, wenn man beginnt festzustellen, dass man das nicht muss.
Wie dem auch sei, ich kann es sehr empfehlen - auch seine Interviews mit Paul Stanley von Kiss und James Hetfield von Metallica waren überragend interessant und ich habe sie vollständig angeschaut. Und ich bin nicht mal Fan von Kiss. Oder von Metallica.
Warum das alles jetzt, hier und heute genannt wird: Rogan hatte im November 2017 den Wissenschaftler Paul Stamets in seinem Podcast zu Gast. Stamets ist ein in den USA nicht unbekannter Mykologe - die über 2.2 Millionen Views seines Auftritts im Rogan-Podcast alleine auf Youtube könnten dafür gesorgt haben, dass er mittlerweile sogar noch etwas bekannter wurde.
Ich kann und will hier nicht im Detail auf das Gespräch eingehen, außer, dass ich das Interview mittlerweile schon drei Mal gehört und gesehen habe. Ich möchte am Ende eigentlich nur sagen: diese zwei Stunden werden euer Mind blowen. Und zwar die ganze fucking Zeit.
Konzertreisen mit unserer kleinen Punkband Blank When Zero haben Seltenheitswert. Zuletzt durften wir vor etwa 5 Jahren zwei Konzerte hintereinander spielen, ohne dazwischen im heimischen Bett zu schlafen. Regensburg und Passau hießen damals die Stationen, und die Voraussetzungen sahen bei dem ein oder anderen von uns im Jahr 2012 anders aus, die familiären zumal. Wir haben bis heute nur die allerbesten Erinnerungen an diese Fahrt: stundenlanges Spock's Beard hören auf der Fahrt nach Passau, das vegane Thai-Curry des dortigen Jugendzentrums, die Begeisterung der Zuschauer, die sich über den Boden kugelten und ein, äh, Trockenrudern veranstalteten, der sonnige Spätsommertag in Regensburg, die vor dem Club verbrachte Nacht mit Freunden, der vom andauernden Lachen herangezüchtete Bauchmuskelkater am nächsten Morgen - es war ein rundum perfektes Wochenende.
Die Latte lag also in luftiger Höhe, als wir an einem frühlingshaften Freitag im April 2018 in Richtung Münster aufbrachen, um es mal wieder zu tun. Zwei Konzerte standen auf dem Plan. Das erste in Münster zur Geburtstagsfeier unseres Kumpels Andreas im Rare Guitar, das zweite am darauffolgenden Samstag im nur wenige Kilometer entfernten Hamm. Um es vorwegzunehmen: wir übersprangen die oben erwähnte Latte mit einiger Leichtigkeit. Es war von Anfang bis Ende prachtvoll.
Es ist schwer für eine kleine Band, die erstens fast niemand kennt und die zweitens aus alten Säcken besteht, deren Freizeit von anstrengenden Jobs und einer mehrköpfigen Familien aufgemampft wird, live zu spielen. Während die erste Tatsache dazu führt, dass kein Veranstalter dieser Welt damit rechnen kann, wegen unseres Erscheinens auch nur ein Ticket mehr zu verkaufen, bedeutet die zweite, dass uns terminlich schon hier und da mal die Luft ausgehen kann. Und ich glaube, ich liege nicht so irre daneben, wenn ich gleichzeitig konstatieren muss, dass wir in Sachen Networking nicht die Allergeilsten sind. Ich könnte es außerdem niemandem verübeln, der uns wenigstens aus der Entfernung für komische Typen hält, die sich auch gerne mal rar machen und die man manchmal über Wochen und Monate nicht hört und nicht sieht. Dazu: Keine Tätowierungen, keine Piercings, dafür aber die Anreise mit Vehikeln aus dem Hause Volkswagen, und anstatt uns im ubiquitären Bier zu marinieren lautet unsere erste Frage nach der Ankunft im Club immerfuckingimmer: "Habt Ihr auch Kaffee?". Und ich verstehe das Stirnrunzeln, das uns manchmal gezeigt wird. Gleichzeitig hoffe ich, dass sich der Krampf im Frontallappen aufzulösen vermag, wenn die ersten Worte gewechselt sind, spätestens jedoch bei der nächsten Kaffeebestellung.
Umso dankbarer sind wir dafür, dass es trotz unserer erwähnten Unzulänglichkeiten Menschen gibt, die uns immer wieder zu sich einladen und uns für eine halbe Stunde ihre Bühnen überlassen. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass es Blank When Zero heute nicht mehr geben würde, gäbe es diese Damen und Herren in unserem Bandleben nicht. Vermutlich wären wir in unserem Proberaum längst zu Blut-, Schweiß- und Rotzeklumpen geronnen.
Nachdem wir also unseren Auftritt im Rare Guitar zwar mit einigen Spielfehlern dieses komischen Typen im Nirvanashirt (inklusive eines peinlichen weil volltotalen Blackouts bei unserer quasi-Bandhymne, Halleluja!), aber grundlegend sehr erfolgreich absolvierten, stand am Samstag ein gemeinsamer Streifzug durch die Plattenläden der Studenten- und Fahrradmetropole auf dem Plan, bis wir gegen Abend in Richtung Hamm aufbrachen. Und es ergab sich zu der Zeit...
....dass wir nach einer Nacht in einem, Achtung, uffjepasst: Raucherzimmer des hiesigen B&B Hotels (es gibt nicht nur tatsächlich noch Hotels mit Raucherzimmer, es gibt offensichtlich auch immer noch Menschen, die in diesen 10 Quadratmeter kleinen und besser tapezierten Dixieklos sich wirklich 'ne Fluppe anzünden, for fuck's sake!) in die Innenstadt loszogen. Vier Läden standen auf der vorher fein säuberlich durchgeplanten Agenda und das Wetter passte sich unserer Stimmung aufs Vorzüglichste an: strahlender Sonnenschein, trocken, nicht zu warm - es war alles angerichtet.
Station Nummer 1 war die Poptanke, die zum Zeitpunkt unseres Erscheinens noch nicht geöffnet hatte und die wir daher eigentlich mit einem Blick ins Schaufenster zunächst nur flugs passieren wollten. Der Besitzer saß allerdings schon hinter seinem Computer, sah unsere plattgedrückten Nasen - und öffnete uns seine Türen eine gute Stunde vor dem eigentlichen Geschäftsbeginn. Juchuuu! Die Poptanke führt neben einer umfangreichen Auswahl von Second Hand Schallplatten auch Bücher, CDs und DVDs und wurde uns von Eingeweihten als geheimer Geheimtipp für das ein oder andere Schätzchen und Schnäppchen wärmstens empfohlen. Der Großteil des Vinylrepertoires besteht aus den üblichen Verdächtigen in den Bereichen Rock/Pop, Jazz, Indie, Punk und Metal. Irrsinnig viele Raritäten kamen mir hier allerdings nicht unter. Muss aber auch nicht: Marek deckt sich mit LPs von Peter Gabriel, Marillion und Genesis ein, ich finde eine überraschend gut erhaltene Version von REMs "Out Of Time" aus der Alternative-Ursuppe zum fairen Preis. Apropos Preise: ich kann nicht wirklich meckern, und die Momente, in denen ich mit in mich hineingebrüllten Verbalinjurien aus der Kategorie "Unter der Gürtellinie" an der Zurechnungsfähigkeit des Verkäufers zweifle, fallen hier komplett aus. Erwähnenswert sind die zwei "Neu Eingetroffen" Boxen im Eingangsbereich, in denen sich tatsächlich bisweilen interessanter Stoff tummelt, der sicherlich schnell den Besitzer wechselt und es daher nicht in die regulären Genreabteilungen schafft, u.a. mit Alben von Bonobo und Serge Gainsbourg zum Zeitpunkt unseres Besuchs, die man nicht an jeder Straßenecke findet. Insgesamt durchaus sympathisch und sicher einen Besuch wert.
Auf dem Weg zum legendären Green Hell Store versuchen wir erstens uns nicht zu verlaufen und zweitens nicht von dem geradewegs tollwütigen Mob der allgegenwärtigen Fahrradfahrer umnieten zu lassen. In beiden Disziplinen sind wir erfolgreich, aber im Clinch mit den Zweirädern hilft es manchmal nur noch, die Augen fest zu schließen und auf den Aufprall zu warten.
Der Green Hell Laden gilt als einer der bedeutendsten und am besten sortiertesten Plattenläden der Republik. Zusammen mit den Freiburgern von Flight 13 stellen sie die Speerspitze dessen, was im unabhängigen Punk- und Indieumfeld heute noch möglich ist, was sowohl den Onlinehandel, als auch die noch existierenden "Brick & Mortar"-Shops betrifft. Über 15.000 Platten warten auf unsere suchenden Finger - und die haben in den folgenden zwei Stunden auch allerhand zu tun: Der Schwerpunkt liegt logischerweise auf Punk, Hardcore, Indie und Metal, darüber hinaus gibt es kleinere Soul, Jazz und Elektro-Abteilungen und das unvermeidbare Rock/Pop Segment. Zwar gibt es für alle Genres auch Second Hand-Angebote, die mich aber aus qualitativer Sicht nicht immer aus den Latschen kloppen. Die Faszination Green Hell besteht für mich aus dem Erlebnis, eine sehr große Auswahl neuer Veröffentlichungen, seien es aktuelle Platten oder Reissues, in einem echten Plattenladen zu finden. Das, was man heute in erster Linie nur noch online kennt, wenn man sich durch hunderte von Seiten klickt und Bilder anschaut, wird hier erfahrbare Realität: ich kann die Platten in die Hand nehmen, sie anschauen, die Gatefoldcover aufklappen, die colorierten Vinyls sehen. Sowas ist selten geworden. In meiner Heimatstadt Frankfurt gibt es beispielsweise keinen Plattenladen mehr, der eine auch nur ähnliche Strategie für Neuware verfolgt. Die meisten verzichten entweder komplett darauf und scheuen die notwendige, aber signifikante Investition, einige wenige spezialisieren sich für ihren Kundenstamm auf bestimmte Genres, manchmal nur auf ein einziges. Alles sicherlich legitim - man muss schließlich froh darüber sein, dass es sie überhaupt noch gibt - aber ein Genre-Allrounder ist in Frankfurt nicht mehr zu finden.
Green Hell ist ein solcher Allrounder. Ich kann hier sowohl die letzten Releases des US-amerikanischen Soullabels Daptone aus dem Regal ziehen, als mir auch die auf Vinyl (wieder)veröffentlichten Kreator-Alben aus den neunziger Jahren ansehen und mich wie ein Schneekönig über das grüne und damit farblich zum Cover passende "Renewal"-Vinyl freuen. Natürlich ist auch hier die Zeit für Schnäppchen längst abgelaufen, und angesichts prominenter Plattformen wie Discogs und Popsike ist das nur wenig verwunderlich. Für den preisbewussten Plattensammler (gibt's sowas überhaupt?) stehen im vorderen Bereich des Ladens einige Kisten mit Angeboten herum, wenngleich man wirklich stattliche Reduzierungen nicht erwarten sollte. Immerhin lässt sich aber wirklich der ein oder andere Euro einsparen. An Sparen ist bei uns nicht zu denken: Marek läuft Amok und steht am Ende mit 30 Platten und mit Tränen in den Augen an der Kasse, Simon findet ein paar Schätzchen aus der 2-Tone-Ära der Labels 2 Tone, Link und Skank und meinereiner schlägt mit dem Albumdebut des Schottentrios Hair Of The Dog zu (nebenbei ein Geheimtipp für Fans doomigen Stonerrocks und stonigem Doomrocks - und wann bitte empfehle ich mal eine aktuelle Rockband? Na? Naaa? Eben!), findet den Klassiker von Kate Bush "Hounds Of Love" in einem gar nicht mal so guten Zustand im "Alte Scheiße"-Fach, denkt an die Herzallerliebste und packt ihr endlich "Doolittle" von den Pixies ein und schließt das Menu mit dem "Yellow House"-Debut der Psychfolkster Grizzly Bear. Nach diesem Irrsinn sind wir eigentlich reif für eine Regentonne voller Kaffee und stehen zwar glücklich aber auch halb erschossen vor dem Laden. Ganz schön schwer, der ganze Scheiß. Ob das die Tüten wohl aushalten?
Mit Handy in der Hand (ohne Google Maps wären wir völlig am Arsch - mit sind wir's aber auch - was tun?) nageln wir uns brav gegenseitig Durchhalteparolen ins Stammhirn und wackeln schon etwas angeschlagen und bepackt wie ein Außerirdischer beim ägyptischen Pyramidenbau zum dritten Ziel: Jörg's CD Forum. "Die haben aber auch LPs!" hallt uns noch der Ratschlag vom Vorabend in den Ohren. Das wollen wir hoffen. Was zunächst überrascht ist die überaus zentrale Lage des Ladens, der nur wenige Meter von der großen Fußgängerzone entfernt zu finden ist. Was hier wohl die Pacht kosten mag? Und wie viel CDs der gute Jörg wohl dafür verkaufen muss?
Das CD-Forum liegt unterirdisch und darf sich über eine riesige Verkaufsfläche freuen. In der Hauptsache sehen wir auf den ersten Blick tatsächlich, Überraschung: CD-Regale, im hinteren Teil des Ladens sehen wir außerdem Bücher und in der Nähe der Kasse lassen sich etwa 4 bis 5 Meter Schallplatten finden, allesamt Neuware. Nach wenigen Minuten wird uns klar: hier wird es schwer, neue Mitbewohner zu finden. Das Sortiment bewegt sich wenn auch nicht hauptsächlich im totalen Mainstreambereich (immer wieder die verdammten Foo Fighters. Immer fucking wieder! Ich muss dem Reflex widerstehen, einfach eine zu kaufen, nur um sie danach kaputt zu machen!), für uns reicht's jedoch, und preislich fliegt mir die Gurke jetzt auch nicht gerade automatisch in den Nicer Dicer. Immerhin: als erklärter Fan der entrückten Hobbitflüsterin Loreena McKennit bin ich ob der fast komplett verfügbaren Vinyldiskografie geradewegs begeistert. Erfreut nehmen wir außerdem ein Pappschild zur Kenntnis: "Mehr 2nd Hand LPs im hinteren Teil des Ladens!" steht da geschrieben, und nachdem unsere Jubelschreie in der allgemeinen Ödnis verhallt sind, machten wir uns auf die dreitägige Reise in eben jenen hinteren Teil des Ladens, leider immer noch ohne Kaffee. Der wäre uns angesichts des 2nd Hand-Trauerspiels aber auch standepede wieder hochgekommen: alles, was vor mindestens fünfunddreißig Jahren in rauen Mengen mal eingekauft wurde und bis heute noch nicht die Flucht ergriffen hat, gammelt - man muss es so deutlich sagen - hier noch herum. Es ist eine schreckliche Vinyl-Zombie Apokalypse mit Michael Bolton, Gianna Nannini, Tina Turner, Münchner Freiheit und Modern Talking - manchmal mit drei oder vier Exemplaren eines einzelnen Titels, fein in Reih' und Glied direkt hintereinander einsortiert. Ein Wahnsinn. Ich plane, die vor meines angetretenen Langstreckenflugs in Richtung des hinteren Teils des Ladens noch nicht durchgeblätterten Neuheiten nochmal genauer unter die Lupe zu nehmen und mein feines Näschen hat mich nicht im Stich gelassen: als Herr und Frau Dreikommaviernull im April 2016 beim Gastspiel des mittlerweile verstorbenen Chris Cornell in Hamburg weilten, hörten wir im Vorprogramm einem Solokünstler namens Fantastic Negrito und seiner Akustikgitarre zu und sahen uns anschließend anerkennend nickend in die Augen. "The Last Days Of Oakland" heißt sein 2016 erschienenes Album, das es zunächst lediglich auf CD und als Download zu Erwerben gab - und plötzlich steht es hier in Jörgs CD Forum auf Schallplatte herum. Der Preis stimmt auch - und ich stoße ein kurzes, aber umso intensiveres "Whoa!" aus. Auch für dieses Werk darf ich eine kleine Empfehlung aussprechen. Was ist das? Alternative Blues vielleicht? Egal, es ist jedenfalls toll.
Nun ist es aber soweit: bevor wir uns final zu Andrä - Musik Filme Games schleppen, müssen wir auftanken - und das tun wir im Restaurant "Prütt" in der Bremer Straße - es heißt, es sei eine der besten Adressen der Stadt, wenn es um vegetarisches und veganes Essen geht. Die Sonne scheint immer noch, wir sitzen im kleinen aber feinen Biergarten, mampfen Fenchelpizza und Falafel und werfen einen ersten Blick auf unsere neuen Schätze. Es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt. So kann es ruhig bleiben.
Bleibt es aber nicht, wir müssen ja noch weiter. Ein zehnminütiger Fußmarsch und wir stehen bei Musik Andrä vor der Tür, ein 2nd Hand Laden mit relativ umfangreicher Vinylabteilung.
Das Standardprogramm reißt uns alle nicht über Gebühr vom Hocker, und ich halte mich mit meiner Auswahl von Gary Moores "Wild Frontier" (große Platte, übrigens!), und einem alten Schinken vom Alan Parsons Project ("The Turn Of A Friendly Card") für die Herzallerliebste relativ schadlos - allerdings nur solange, bis ich die beiden etwas seltsam abseits platzierten Raritätenkisten entdecke, denn hier kommt der große Gongschlag zum Wochenende, die Platte zum Sonntag, die mother of all (evil) vinyls. Jedenfalls eine davon und immerhin eine für mich. Was ich beim Fund der Fantastic Negrito-LP mit einem kurzen "Whoa!" kommentierte, wird hier zu einem laut durch den Laden gerufenen "Ach du Scheiße!": hier steht wirklich "Strength In Numbers" von The Music herum. Wenigstens aus meiner Sicht die unterbewerteste britische Band der letzten 20 Jahre. Und ich habe gerade nicht mal damit begonnen, zu übertreiben. "Strength In Numbers" ist bis auf den immer noch unsagbar schwachen Titelsong eine der besten Platten der 00er Jahre. Und darüber hinaus eine, die ich seit nunmehr zehn Jahren auf Vinyl suche und bislang noch niemals live und in Farbe gesehen habe. Auf einschlägigen Portalen wird es in gutem Zustand gerne mal dreistellig und mir war hier und heute, in fucking Münster, sofort klar: die nehme ich mit. Geld spielt keine Rolle. Mir war es in diesem Moment wirklich völlig egal, was sie kostet - soll doch die Kreditkarte mal zeigen, was in ihr steckt. Pah! Am Ende war ich mit 70 Euro wirklich gut bedient. Das heißt nun aber auch: ich habe bislang noch für keine Schallplatte soviel bezahlt wie für "Strength In Numbers". Reue? Nicht mit mir, Geld muss schließlich weg. Und für Sachen, die wirklich bis ins Mark Spaß machen gleich drei Mal. Also: Weg, weg, weg. Außerdem habe ich keine Kinder, werde auch niemals welche haben, ergo: mit mir kann man's ja machen. Andrä ist darüber hinaus, und da waren wir uns alle einig, preislich völlig im Rahmen, manchmal sogar überraschend günstig. Des weiteren bemerkenswert: Andrä druckt auf seine Preisschilder auch das Datum des Tages, an dem die Platte ins Regal gestellt wurde, und wir waren baff erstaunt über den offensichtlichen Durchsatz des Ladens. Kaum eine Platte, die wir uns mitnahmen, stand länger als 2 Wochen zum Verkauf, manche wurden sogar erst einen Tag zuvor gelistet. Läuft für den Andrä, wie es scheint.
Für die drei Punkrocker von der Plattentankstelle lief es auch gut - die Füße sind platt, die Konten sind leer, aber wir sind glücklich. Und das ist schließlich das Wichtigste. Am Abend spielen wir in Hamm ein erneut sehr gutes Konzert, dieses Mal auch tatsächlich ohne spielerische Blackouts, dafür bekommen die 60 Besucher aber die schnellste Version von "Fall From Grace" um die Ohren gehauen, die die Welt jemals gehört hat. "Der Raum wurde dreidimensional" (Helge Schneider), "Nummer 1, WARP 9, Energie!" (Jean-Luc), "Wahnsinnige Geschwindigkeit!" (Lord Helmchen). Wir schafften es trotz unseres debilen Kicherns während des Spielens sogar, dabei nicht komplett auseinanderzufallen. Da kann mal sehen, was 9 Jahre des gemeinsamen Zusammenspiels doch bewirken können. Schuld an dieser Geschwindigkeitsexplosion hat übrigens unser ehemaliger Aushilfsbassist und immernoch Bandfreund Andreas, der sich tatsächlich am Vorabend auf den 100km weiten Weg nach Münster aufmachte, um mal wieder nach dem Rechten zu sehen - und der nach dem Konzert der Meinung war, wir seien im Vergleich zum letzten Mal "ja doch ein Spürchen langsamer" geworden. Schlagzeuger Simon, von jener Blasphemie zerebral ordentlich durchgeschüttelt, konnte das unmöglich auf sich sitzen lassen, braute sich den so legendären wie berüchtigten Zaubertrank aus Cola/Energydrink und ließ ihn offenbar, von Marek und meiner Wenigkeit unbemerkt, mit Hilfe eines intravenösen Zugangs langsam aber stetig in die Adern tröpfeln. Der gleichzeitig in Hamm kredenzte Kaffee auf dem Stärkelevel "Ins Klo schütten würd' ich ihn nicht, der könnte das Porzellan angreifen" tat sein Übriges. Interessante Erfahrung, aber nicht interessant genug, um es zu wiederholen.
Die Reaktionen der Zuschauer - zumindest von jenen, die wir nicht aus dem Raum gepustet genervt haben, aber es soll nicht verschwiegen werden: auch das gab und gibt es immer wieder - nach unserer Zeit auf der Bühne sind famos und unglaublich motivierend. Wir verkauften über beide Abende sage und schreibe 10 Platten, so viele wie noch nie, und bekamen auch so viel Lob wie noch nie: die beiden jungen Typen, die mit strahlendem Gesicht vor mir standen und darüber berichten, dass sie uns schon mal in der Baracke in Münster gesehen haben und ihnen dort schon die Kinnlade auf den Boden gekracht wäre. Und die sich (und uns!) fragen, warum wir nicht viel bekannter sind. Die Antwort dauert eine Stange Schokozigaretten, oder man liest sich nochmal den Anfang dieses Textes weiter oben durch. Wildfremde Typen, die mir "Beste Band des Abends!" ins Gesicht schreien. Oder mein Favorit aus Hamm, der außer einem Kopfschütteln und einem gestammelten "Unglaublich! Sowas habe ich...also....unfassbar....sowas habe ich noch nicht gesehen!" nichts heraus bekommt. Der Mischer, der mir nach dem Auftritt sagt, es sei ja sehr beeindruckend, was ich "soundmäßig aus diesen Fender Combos heraus hole!" - noch beeindruckender ist in diesem Zusammenhang, dass ich seit Anbeginn der Zeit auf Effektgeräte verzichte und zwischen Gitarre und Verstärker einfach nur ein 10 Euro Kabel hängt. Wir alle freuen uns praktisch den Arsch ab, dass es so vielen Menschen gefallen hat - und wir freuen uns auch darüber, dass es Blank When Zero immer noch gibt, und dass wir die Möglichkeit haben, live zu spielen. Solche Erlebnisse entschädigen für fast alles: die Saure-Gurken-Zeit im Proberaum bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, wenn über Monate niemand anklopft und wir nicht live spielen können. Wenn die Kreativität in der Sackgasse ist und man nicht weiß, ob das, was man sich gerade ausschnapst auch wirklich gut genug ist. Wenn der Alltag übermächtig wird und man sich für einen ganzen Monat nicht zu einer Probe sieht. Als wir nachts um 4 Uhr aus Hamm an unserem Proberaum ankommen und das Auto von Verstärkern, Lautsprechern und Schlagzeugteilen befreien, vor Müdigkeit torkelnd, aber immer noch euphorisiert von dem Wochenende, weiß man auch als bald Ü-40er, warum man das noch alles macht - und warum es so wichtig ist, auch damit weiter zu machen. It's food for your soul - und wo das gesagt ist: Jagged Edge - Fuel For The Soul: großartige AOR Platte aus England, sollte man kennen!
Was mir und uns zu sagen bleibt:
Danke an alle, die uns dabei unterstützt haben, in Münster und Hamm spielen zu können. Danke an die Veranstalter und danke für die Einladungen. Danke für Eure Großzügigkeit. Danke an die Soundmischer an beiden Abenden. Danke an die Menschen hinter der Bar, die uns immer einen Kaffee eingeschenkt haben. Danke für die Köchinnen und Köche, die uns zu Essen gegeben haben. Danke an alle, die die Gigs besuchten und für so eine tolle, positive Stimmung sorgten. Danke an alle Bands, mit denen wir spielten, ganz besonders an Clubber Lang und Short (die beide mit ihren Gigs in Hamm einen einzigen Triumphzug hinlegten - es hat solchen Spaß gemacht, Euch zuzuschauen!). Danke an die Plattenläden in Münster: prima, dass es euch noch gibt und noch primarererer, dass ihr uns all die wunderbaren Schallplatten verkauft habt.
Whiplash standen trotz einiger im Thrash Metal-Untergrund der 1980er Jahre anerkannten Kultalben immer im Schatten von Bands wie Overkill, Nuclear Assault, Forbidden oder Exodus - von den "Big 4" (Metallica, Anthrax, Megadeth und Slayer) mal ganz zu schweigen. Allerdings waren vor allem die ersten beiden Werke "Power And Pain" und "Ticket To Mayhem" auch bedeutend chaotischer und rauher als die Musik der erwähnten Konkurrenz und daher ganz bestimmt nichts für ungeübte Ohren. Ich würde die Kapelle aus New Jersey womöglich im hinteren Teil der dritten Reihe der Thrashbands einsortieren, nicht zuletzt auch vom leichten Stilwechsel für ihr drittes Album "Insult To Injury" beeinflusst; einer Platte, auf der sich Whiplash in erster Linie wegen des Sängerwechsels (Glenn Hansen nahm Tony Portaro das Mikro, nicht aber die Gitarre ab) etwas kontrollierter zeigten, aber auch auf die Veränderungen im Thrash Metal zur damaligen Zeit reagierten, das Tempo drosselten und die zuvor gepflegten Ecken und Kanten von einer professionelleren Produktion abschleifen ließen. Nicht alle früheren Fans folgten der Band auf ihrem Weg, und so erging es Whiplash wie so vielen anderen der damaligen Zeit: zunächst überollte die kreative Müdigkeit und später die Grunge- und Alternative-Welle die allermeisten Speed und Thrash Metal Bands, die Anfang der 90er Jahre weder wussten, wer sie eigentlich waren, noch wer sie sein sollten und wollten. Diese Entwicklung wurde nicht zuletzt von der Entscheidung des ehemaligen Szene-Zugpferds Metallica in Gang gesetzt, dem Thrash mit ihrem schwarzen Album endgültig Adieu zu sagen. Keine andere Band aus dem Underground hatte die Kapazitäten und Ressourcen, dieses kreative Vakuum zu füllen. Whiplash konnten es ebenfalls nicht - und lösten sich auf.
Es brauchte schon den Erfolg von Bands wie Pantera ("Vulgar Display Of Power", 1992) Biohazard ("Urban Discipline", 1992), Sepultura ("Chaos A.D.", 1993) und Machine Head ("Burn My Eyes", 1994), um harter Musik wieder eine Richtung zu geben. Mit klassischem Thrash Metal hatte all das freilich alles nichts mehr zu tun, stattdessen wurde der Einfluss des Hardcore stetig größer und trieb so maßgeblich die sehr populäre Crossover-Bewegung voran. Zu einem Zwischenwesen entwickelte sich ab etwa 1993 das Untergenre "Groove Metal" mit seinem im Vergleich zur Thrash-Ursuppe modernen und monotonen Gitarrenspiel, der Betonung auf eingängigen Grooves als Ersatz für Geschwindigkeit und Sängern die sich zwischen unmelodischem Shouting und tatsächlichem Gesang nie so recht entscheiden konnten - als Beispiele seien die damals durchaus erfolgreichen Grip Inc. (mit ex-Slayer-Drummer Dave Lombardo und ex-Despair Gitarrist Waldemar Sorychta), Prong oder auch die dem Death Metal entkommenen Massacra mit dem 1994er Album "Sick", Morgoth ("Odium", 1993) und Fear Factory genannt. Auch Forbiddens "Distortion" und Flotsam & Jetsams "Drift" ließen Parallelen zum Groove Metal erkennen, hier allerdings und in erster Linie wegen der grandiosen Vocals von Russ Anderson und Erik AK mit stärkerer Verwurzelung im klassischen Sound. Die Belgier von Channel Zero, ehemals als klassische Thrashband gestartet, schwenkten ab 1993/1994 ebenfalls um und motteten den auf dem Debut in beeindruckender Manier dargebotenen Speed/Thrash Metal für die kommenden Alben ab "Stigmatized For Life" (1993) und "Unsafe" (1994) ein. Nachzügler der Groove Metal-Bewegung waren beispielsweise die Briten von Dearly Beheaded ("Temptation", 1996).
An dieser Stelle erscheint es sinnvoll, näher auf "Cult Of One" einzugehen. Whiplash fanden sich Mitte der neunziger Jahre mit verändertem Line-Up wieder zusammen und veröffentlichten 1996 ihr neues Album auf dem deutschen Label Massacre Records, die damals mit den Spudmonsters, Skyclad, Atrocity und den damals wie heute durch und durch unerträglichen Crematory zumindest kommerziell ein paar ziemlich heiße Eisen im Feuer hatten und darüber hinaus das oben erwähnte "Distortion" in Amerika veröffentlichten. Die sich anschließende Europatournee im Vorprogramm von den in Deutschland gerade leicht durchstartenden Folk Metallern von Skyclad war meine erste zumindest livehaftige Begegnung mit den New Yorkern - und offensichtlich hinterließ die Truppe einen so guten Eindruck bei mir, dass ich mir "Cult Of One" zu Hause ins Regal stellte. Die CD ist im Zuge meines 2009 durchgeführten Ausverkaufs natürlich längst nicht mehr im Casa Dreikommaviernull zu finden, aber wozu sonst gibt es Youtube? Mir fiel auf, dass ich von Zeit zu Zeit, aber immerhin regelmäßig über die letzten Monate, immer wieder zu "Cult Of One" zurückkehrte, und während ich mich noch fragte, ob die vermaledeite Nostalgie mich jetzt sogar schon in die qualitativ hinteren Reihen schickt, sah ich mich schon die Blog-Recherche am Computer starten. Es ist ja nicht so, als hätte ich 1996 vor Begeisterung über "Cult Of One" meinen Verstand verloren.
"Cult Of One" ist ein heute längst vergessenes Album und das hat mehrere Gründe. Whiplash stammten wie beschrieben aus dem Thrash-Pleistozän mit entsprechendem Image und waren wegen der zwischenzeitlichen Auflösung zwischen 1990 und 1996 unsichtbar. Spätestens als "Heavy Metal" ab dem Alternative/Crossover-Boom zum Schimpfwort mutierte, hatte die ohnehin schon früher nicht gerade als cool geltende Band bei den neuen, jungen Fans keine Chance mehr. Die verbliebenen alten Fans hingegen fragten sich angesichts des neuerlich veränderten und also modernisierten Sounds auf "Cult Of One" nicht nur, was das denn nun schon wieder soll, sie vermuteten außerdem Trendreiterei und Opportunismus - in der Metalszene der neunziger Jahre praktisch der Todesstoß für jede Band, die sich durch die Veränderung nicht in den Mainstream retten konnte. Das kennt man heute gar nicht mehr, aber ist's wirklich überraschend, wenn zeitgenössische Bands jede Form der Veränderung meiden wie AFD-Wähler ihr Kleinhirn und aus Angst vor wirtschaftlichem Totalschaden gar nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr riskieren wollen und können? "Cult Of One" ist heute musica non grata in Whiplashs Diskografie - ein Malheur, das die Band erst mit dem programmatisch betitelten "Thrashback" aus dem Jahr 1998 und mit der Rückkehr zum klassischen Trio-Line-Up wieder beheben konnte. Daher kommt es vermutlich auch, dass "Cult Of One" längst aus den Presswerken verbannt und aus den Katalogen gestrichen wurde. Ein Rerelease, vielleicht sogar auf Vinyl, ist trotz eines eigentlich dafür prädestinierten Labels wie Night of The Vinyl Dead derzeit leider nicht ins Sicht. Dass der hier präsentierte Sound im Jahr 2018 natürlich so mausetot ist wie kaum ein anderes Genre aus den letzten 20 Jahren, sollte an dieser Stelle nicht vergessen werden; damit lockt man wohl wirklich allerhöchstens noch ein paar nostalgische Ü40-Metaller wie meinereiner hinter dem Ofen hervor, die trotz entsprechender Sozialisation in den neunziger Jahren weder auf Trendreiterei noch auf Image irgendeinen Fick geben.
So lassen sich auf "Cult Of One" für meinen Geschmack einige ganz großartige Songs und Riffs finden und es macht mir trotz des überaus düsteren Untertons und der zwischen Wut und Melancholie hin und her pendelden Atmosphäre großen Spaß, diese Platte zu hören. Neu-Sänger Rob Gonzo hat sowohl Phil Anselmo als auch James Hetfield im Skill-Köcher und macht es mit der Mischung aus Monotonie und Melodie selbst in meinen, was Sängerqualitäten betrifft, überkritischen Ohren ganz gut. Musikalisch wirken die Ideen der nunmehr zum Quintett angewachsenen Truppe folgerichtig wie ein Zwitter aus den groovigen Momenten von Metallica zu Zeiten des schwarzen Albums und locker eischneegebremsten Pantera aus der "Cowboys From Hell"/"Vulgar Display Of Power"-Ära ohne jemals deren Energielevel zu erreichen. Vielleicht war hier mehr Weed im Spiel. Die Kompositionen bewegen sich meist im etwas gehobenen Midtempo, weisen wie im coolen, achteinhalb Minuten dauernden Titelsong oder im abschließenden "Apostle Of Truth" gar progressive Arrangements auf, und spielen auch wegen den eingesetzten Akustikgitarren und Keyboards nebst den clever eingehäkelten doomigen Riffs wie in "1000 Times" mit unterschiedlichen Stimmungen und Gefühlslagen.
Herausragend: Der Opener "Such Is The Will", der Monstergroover "No One's Idol" und die epischen "Cult Of One" und "Heavenaut". Im Grunde gibt es mit dem Instrumental "Lost World" nur einen wirklich Totalausfall. Ob das mit einer zentimeterdicken Patina überzogene Werk heute wirklich noch einen meiner Leser zu überzeugen vermag, darf mit Recht bezweifelt werden. Andererseits bleibt die Aussicht, ein wie ich finde aus den falschen Gründen ignoriertes und daher unterbewertetes, heute vergessenes Werk zu entdecken. Man kann es mit Mittneunziger-Metal nun wirklich bedeutend schlechter treffen.
“When we bring our full attention to the act of listening, new worlds emerge that we wouldn’t even notice if we were just passing by, distracted by thoughts”
— Lav & Purl
Ich bin ab der ersten Sekunde gefangen. Hier ist etwas, was mich dazu zwingt, alle Betätigungen des normalen Lebens, die zur Erhaltung desselben mal ausgenommen, umgehend einzustellen und zuzuhören. Ich höre seit Monaten zu, jedes Mal aufs Neue - und jedes Mal, als wäre es auch das erste Mal.
Nicht zum ersten Mal schreibe ich indes über jene Momente, die auch für einen passionierten Musikhörer und umtriebigen -sammler selten sind, die dann andererseits den Grund dafür liefern, warum ich mich jeden Monat stundenlang in virtuellen Plattenläden aufhalte; klickend, hörend, suchend, sortierend, fast schon manisch. Weil es da etwas geben muss, was auch heute noch jene Freude und jene lebensverändernde Begeisterung in mir auslöst, wie es meine großen musikalischen Meilensteine in den letzten 30 Jahren taten. Ich wollte nie zu denen gehören, die Bereicherung ausschließlich im Gewesenen finden. Wo sich mein heutiges Leben in erster Linie in sicheren Bahnen zwischen Familie, Lohnarbeit, Volkswagen und Rewe City abspielt und aufgrund charakterlicher Unzulänglichkeiten doch auch bitte genau dort abspielen muss, ist mir dieses Konzept bei Musik fremd. Da gibt es auf den ersten Blick außer ein paar Euros auch nichts zu verlieren - vielleicht noch den Glauben, aber den habe ich, von offizieller Seite bestätigt, bereits vor 15 Jahren an der Gaderobe abgegeben und seitdem nicht wieder abgeholt. Auf den zweiten Blick jedoch würde ich nichts weniger als mein Leben verlieren, und damit immerhin eines, das ich mir vor ebenfalls 15 Jahren mit harter Arbeit wieder zurückerkämpfen musste. Denn das habe ich mir verdient: das Privileg, die Neugier, die Inspiration und die Spannung immer wieder mit neuer, niemals zuvor dagewesener Musik füttern zu dürfen. Im Grunde ist das jedes Mal das Feiern des Lebens.
"A State Of Becoming" ist die Belohnung für all das - auf jeder Ebene. Die Musik der beiden schwedischen Produzenten Christopher Landin (Lav) und Ludvig Cebrelius (Purl), eine betörende Mischung aus Lavs in Griechenland aufgenommenen Fieldrecordings - Vogelgezwitscher, fließendem Wasser, Bienensummen, durch Bäume rauschender Wind - und Purls Pianoimprovisationen, tiefem, dubbigen Bass und weichen Ambientflächen ist das eine tolle, großartige, lebensbereichernde. Ihre Musik strahlt sowohl die Energie eines neuen Tages mit seinem sanften, euphorischen Hauch des Glücks aus, als auch die besänftigende Ruhe der Dämmerung, der Nachhall eines warmen Sommertages in der Natur - zu gleichen Teilen Beruhigung und Einkehr wie auch Fokussierung und Antrieb.
Das andere tolle, großartige, lebensbereichernde, ist das umwerfende Artwork von Noah MacDonald. MacDonald hat den Spirit dieser Musik, eine tiefgehende, spirituelle Verbindung zur Natur nebst beinahe überschäumender Lebensfreude, eingefangen und seine Kunst nicht nur auf dem Albumcover platziert, sondern auch über die Innenseite des Gatefoldcovers ausgebreitet und sie damit dem Fluss der Musik angepasst. Zusammen mit den in altrosa gehaltenen Schallplatten, ist "A State Of Becoming" in der gesamten Komposition ein einmaliges Kunstwerk und vielleicht das beeindruckendste Stück meiner Sammlung. Jedes noch so kleines Teilchen dieser Produktion ist durchdacht, jedes bildformende Mosaik ist wichtig, jeder Ton scheint wie selbstverständlich mit der eigenen Umwelt zu verschmelzen.
In der hier demonstrierten stilistischen Kohärenz ist das mehr als nur eine Schallplatte. "A State Of Becoming" ist das schönste Innehalten, die schönste Reflektion, die schönste Inspiration, das schönste Leben.