BENEDICTION - TRANSCEND THE RUBICON
Ich war nie der allergrößte Death Metal Fan, auch wenn ich die Initialzündung der sehr erfolgreichen zweiten Welle zwischen 1989 und 1993 live mitbekam und mich die Alben von Death, Atheist, Morbid Angel und Obituary aus jener Zeit sehr begeistern konnten. Als 1993 die Briten Benediction mit "Transcend The Rubicon" um die Ecke kamen, konnte ich diesen exklusiven Kreis um +1 erweitern. Trotz der mittlerweile zentimeterdicken Patina, ist das immer noch eine besondere Platte für mich: zum einen besuchte ich im Herbst 1993 in Begleitung meines Bruders das erste Death Metal Konzert meines Lebens mit den gerade erfolgreich werdenden Cemetary, den genialen Techno-Death Fummlern von Atheist und eben dem, neben Bolt Thrower, zweiten Aushängeschild des britischen Death Metals Benediction im nur zwei Jahre später geschlossenen "Negativ"-Club in Frankfurt, zum anderen besaß ich damals ein sehr schickes Longsleeve mit dem Albumcover als Motiv und wurde damit im Jahrbuch meiner Schule, neben einer supercoolen und Ernte 23 (!) rauchenden Ramones-Punkerin stehend, fotografiert - mit einer eigentlich verboten aussehenden Frise, die vorne an Roland Kaiser und hinten an Rudi Völler erinnerte. Das Foto ist wie eine Zeitreise in den grauen und verregneten Alltag im Herbst/Winter 1993, und während ich mich dank der mich aktuell völlig überfordernden Lohnarbeit nicht mehr an das erinnern kann, was vor 2 Wochen war, gelingt es mir überraschend gut, mir manchmal den Geschmack der Luft aus dem Schulgebäude oder mein damaliges Lebensgefühl zwischen Heavy Metal, Grunge, Roll- und Eiskunstlauf und der glatten 5 aus der Abiturprüfung in Chemie wieder zu holen. "Transcend The Rubicon" war in dieser Zeit mein fast täglicher Begleiter und ist daher sehr eng mit mir und meinem Leben verbunden. Eigentlich auch eine Art persönlicher Meilenstein.
Meine Blank When Zero-Buddies Simon und Marek schenkten mir den gleich doppelt colorierten (gold/orange) und mit einem schicken Etching auf der D-Seite versehenem Vinyl-Reissue erst kürzlich zum Geburtstag, und das Wiedersehen war mächtig: konnten mich die Frühwerke der Band nie so recht begeistern, stimmt auf "Transcend The Rubicon" fast alles, was in erster Linie an drei Faktoren liegt: (1) die Stimme von Dave Ingram (später auf Bolt Throwers "Honor Value Pride" zu hören) ist böse, aber seltsamerweise gar nicht unangenehm oder reißerisch auf extrem getrimmt, (2) die Riffs sind eine Mischung aus der typisch schrägen Oldschool-Herrlichkeit, leichten Punk/Hardcore Vibes und einem schwer walzenden Groove, der bisweilen gar an die Anfänge des sich damals gerade entwickelnden Groove Metal erinnert - in Perfektion zu bestaunen bei "Nightfear", "I Bow To None" und "Blood From Stone" und (3) die Songs sind ultrakompakt und catchy, ohne dabei gleichzeitig ultrastumpf zu sein. Außerdem ist "Transcend The Rubicon" eine Blastbreat-freie Zone, was den sehr eindrücklichen Groove der Songs weiter verstärkt. Viele der alten Death Metal-Klassiker aus dieser Zeit wirken heute, abgesehen von den durchaus immer noch extremen Stimmen, seltsam schaumgebremst und altbacken, vor allem, wenn heutige sowohl Produktions- als auch Spieltechnikstandards zum Vergleich herangezogen werden - und auch Benedictions beste Platte kann sich gegen den Zahn der Zeit nicht wehren. Wer das heutige Death Metal-Niveau gewohnt ist und "Transcend The Rubicon" zum ersten Mal hört, wird nur schwerlich nachvollziehen können, wie bemerkenswert sowohl die Entwicklung der Band im Allgemeinen als auch dieses Album im Speziellen in der Ursuppe des Death Metal waren.
Benediction selbst konnten an diesen Klassiker nicht mehr anknüpfen, wenngleich der damit erzielte Durchbruch der Grundpfeiler für den Erfolg in den folgenden Jahren, eigentlich bis zum Ausstieg von Dave Ingram nach dem 1998er Album "Grind Bastard", sein sollte. Zwar existiert die Band heute noch, sie spielt auch relativ regelmäßig Shows und Tourneen und kündigt sogar seit längerem ein neues Album an, aber angesichts von nur zwei Alben in den letzten 20 Jahren, muss man wohl annehmen, dass die Luft einfach raus ist. Wer ein Teil britischer Death Metal Geschichte hören möchte und das bislang nicht getan hat: die neue Deluxe-Vinylausgabe zum 25.Geburtstag des Albums klingt gut, sieht gut aus und ist mit der liebevoll detaillierten Aufmachung im Glossy-Gatefold-Cover mit Texten und Fotos alles andere als nur ein schneller Cash-In, sondern viel mehr ein standesgemäßer Tribut an ein tolles und wichtiges Album.
Erschienen auf Nuclear Blast, 1993.
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