03.10.2014

The Life And Times - Lost Bees



THE LIFE AND TIMES - LOST BEES

Völlig überraschend hat eine meiner erklärten Lieblingsbands - und darüber jetzt noch mehr Worte zu verlieren würde wirklich bedeuten, die vielzitierten Eulen nach Athen oder Hannover zu tragen - im vergangenen August ihr viertes vollständiges Album veröffentlicht. "Völlig überraschend" ist in diesem Zusammenhang natürlich nur die halbe Wahrheit, denn das Trio aus Kansas City weilte, qua Berichterstattung via Twitter, bekanntermaßen Anfang des Jahres im Studio. Die tatsächliche Veröffentlichung  lief allerdings komplett an mir vorbei. Was der erste Skandal ist.

"Lost Bees" erscheint dabei erstmals in der Bandkarriere nicht als Schallplatte, was, tätätätäerää, der zweite Skandal ist, bietet darüber hinaus aber schon wieder den besten Indierock, im weitesten Sinne, den ich mir vorstellen kann. Die Band klingt auch neun Jahre nach ihrem Debut "Suburban Hymns" nicht nur immer noch völlig einzigartig, sie verfeinert diese Exklusivität sogar mit jeder weiteren Platte auf einem nur selten erlebten Niveau. Die Songs auf "Lost Bees" erscheinen im Vergleich zum arg blickdichten Vorgänger "No One Loves You Like I Do" in der Gesamtanlage etwas entstrüppt, gleichzeitig wirken Kompositionen wie "Bored To Death", das fantastische "Ice Cream Eyes" und die Single "Passion Pit" (höre unten) zugleich kompakter als auch vielschichtiger. Die unnachahmliche Mischung aus dem nach wie vor tollultramgealschönstklingenden Schlagzeug des Rock, einem Bass, der sich lieber über das definiert, was er weglässt, einer effektbeladenen Gitarre, die sich mit jeder gespielten Note tiefer und tiefer in den Klang und das Leben eindreht und den nochmals verbesserten Gesangsarrangements von Meisterphilosoph Allen Epley, wird ganz bestimmt zu einem ziemlich unschönen Hauen und Stechen bei der Jahresendabrechnung führen.

Es gibt kaum bessere Musik für den anstehenden Herbst. Für Waldspaziergänge. Oder auch nur den Blick aus dem Wohnzimmerfenster auf eine feuchte, neblige Hofeinfahrt an einem Sonntagmorgen um halb neun.




P.S.: Wenn der vierte Track auf der Scheibe, "Maserati", keine bewusste Verbeugung vor der gleichnamigen Post-Postrock-Psychedelic-Kapelle ist, fress' ich einen Besen (mit veganer Mayo).

30.09.2014

Slow Magic - How To Run Away



SLOW MAGIC - HOW TO RUN AWAY


"Keine Posts stimmen mit Suchanfrage Slow Magic überein."
Angesichts des 2012 erschienenen Debuts und der damit ausgelösten Begeisterung im Hause Dreikommaviernull, ist das schon ein kleines bisschen überraschend. Denn "Triangle" gehört für mich zu den erfreulicheren Alben der 10er Jahre: diese kleine, feine Platte hat dabei nicht sensationell viel Staub aufgewirbelt, eher ist es die Langzeitwirkung und die Nachhaltigkeit ihrer Stimmung und ihrer Aura, die mich jubeln lassen. 

"Triangle" war und ist wärmendes Licht, durch und durch. Sonnendurchfluteter, futuristischer, schwüler, mit positiver Kraft aufgeladener, leicht swingender und eskapistischer Elektropop. 




Das neue Album der Figur Slow Magic heißt "How To Run Away" und erscheint dieser Tage auf Downtown Records. Der Albumstream findet sich hier:






Die ersten Durchgänge zeigen die Musik der stets mit einer indianisch anmutenden Maske auftretenden Person (über die man folgerichtig auch nichts bis fast nichts weiß) im Vergleich zum Debut etwas weniger verträumt, dafür etwas schmissiger und clubtauglicher. Geblieben ist indes die großartige klangliche Nähe zu allem, was unsereins zum Sommer einfällt. "How To Run Away" ist hell, relaxed und poppig - und dennoch introvertiert genug, um nicht als Soundtrack für die Promille-Horden am Ballermann zu enden. 

Erschienen auf Downtown Records, 2014.

27.09.2014

The Dub In BVDUB



SAIMON SAIMONSE - THE DUB IN BVDUB


Mein Sommer des Jahres 2014 war einer der Mixtapes, und Saimon Saimonse hat sich für seinen Podcast aus dem Mai 2014 einen Künstler ausgesucht, der auf 3,40qm mehr als nur einmal als wandelnden Heiligenschein geadelt wurde: Brock van Wey aka BVDUB. Ich habe die letzten vier Monate mit diesem 90-minütigen Mix verbracht, habe mich damit ein- und wieder ausgegraben, bin darin versunken und wieder aus ihm aufgetaucht.

Mein Sommer 2014 war in diesem Zusammenhang auch einer der skurrilen Momente, insgesamt auch einer, der bedeutend mehr Tiefen als Höhen zu bieten hatte. "The Dub In BVDUB" konnte in jedem Augenblick als ausgleichendes Element dienen. Und selbst in Situationen, in denen es völlig undenkbar erschien, Musik zum Bestandteil des erlebten und zu erlebenden Wahnsinns um mich herum zu machen, hielt Saimonses Mix die Fackel der Orientierung und des Lichts empor.

Es scheint mir grundsätzlich immer wichtiger zu werden, den Sicherheitsabstand vor Gefahren für Körper und Geist, den medialen Fata Morganas, dem Sensationsgetöse nicht nur einzuhalten, sondern ihn immer größer werden zu lassen - und sich stattdessen introspektiv auf das Echte, Schöne und wirklich Wichtige zu besinnen.



26.09.2014

Sehnsucht & Ohnmacht



GODHEADSILO - SKYWARD IN TRIUMPH

"SubPop? 1996? Vinyl? Na logo kauf' ich die."
(Florian E., nicht nur gedacht, sondern sogar laut ausgesprochen, 6.9.2014)

Beim letzten Besuch in der Frankfurter Institution für allerlei Punk und Rock'n'Roll, Sickwreckords in Sachsenhausen, stieß ich auf dieses Schätzchen aus den neunziger Jahren - der Bandname ließ ein winziges Glöckchen im Hinterbrummschädel aufgeregt vor sich hin bimmeln; hinsichtlich möglicher Erinnerungen an die tatsächliche Musik herrschte indes die übliche Ödnis im oberen Glockenturm. Und ich tat etwas, was ich praktisch nie in Erwägung ziehe: ich hörte mir die Platte an. Im Laden. Freund Simon hat auch schon komisch geguckt. 

Es brauchte indes keine zwei Minuten, bis sich die Entscheidung glasklar als Pipifleck in der Cargo (schwarz, mit Bändchen am Bein) abzeichnete. Das Duo Mike Kunka am Bass und Schlagzeuger Dan Haugh fuzzen sich grobkörnig durch bratzigen, ausgedehnten Noise, über Stoppelfelder von künstlerisch aufgeheiztem Pre-Postrock, epischen Nerventramplern, introvertiertem Minimalismus und exaltiertem "Fuck you"-Indie-Sludge. Aus heutiger Sicht könnte glatt die Einschätzung die Oberhand gewinnen, das Duo sei mit dieser Musik ein paar Jahre zu früh dran gewesen - ein ungewöhnliches Urteil für eine Band aus den neunziger Jahren, aber eben doch ein ziemlich richtiges: "Skyward In Triumph" ist in Teilen überraschend zeitlos und bei Weitem besser gealtert als besonders die Mitt- und Endneunziger Platten musikalisch vergleichbarer Konkurrenz. Welche man, das sei am Rande erwähnt, auch eher mit der Lupe suchen darf. 

Ich legte die Platte übrigens nach dem Erwerb zum ersten Mal am ersten folgenden  Sonntag auf, als ich mich dem Sortieren meines Plattenregals widmete (die Älteren werden sich an die Strebertweets erinnern). Nun steht der linke Lautsprecher auf jenem Plattenregal und der Herr Dreikommaviernull eben davor, und als der fünfzehnminütige Epic-Avantgarde-Fuzz-Doomer "Guardians of The Threshold" also bei Minute 3:45 in ein zunächst nerven-, später dann auch ohrenzerfetzendes, und außerdem sage und schreibe sechs Minuten langes, eintöniges (im Wortsinn! IM WORTSINN!!!) Bass-Intermezzo gleitet,  das nicht nur kein Ende finden will, sondern im Gegentum für eine gefühlte Ewigkeit im Sackquadrat jeden Funken Menschlichkeit aus Dir 'raussuppen lässt, und der Herr Dreikommaviernull, weil er ja der härteste und aber auf jeden Fall bekloppteste Stecher unter Benjamin Blümchens Sonne ist, natürlich auch niemals auf die Idee kommen würde, den absurd weit aufgerissenen Lautstärkeregler in wenistens erträgliche Schranken zu weisen und stattdessen lieber im Abstand von gerade mal 30cm vor dem schneeweißen Lautsprecher herumturnt, um seine verfickten Scheißplatten zu sortieren, und die Ohnmacht so derbe am Gleichgewichtsgefühl herumsägt, dass man sich vorkommt, als hätte man ein Tässchen Dormicum zum Frühstück durch einen drei Meter fuffzich langen Ringelstrohhalm aus getrocknetem Fliegenpilz gesaugt, dann war das eine total schöne, geradewegs kathartische Erfahrung. 

Immerhin hatte ich den Stadtteil dann für mich alleine. 


Erschienen auf SubPop, 1996.



16.09.2014

One Apple a day keeps the U2 fans away

Ich muss dazu etwas schreiben und wie so oft, ist's natürlich totaler Quatsch mit Ratsch, weil man diesem Irrsinn sowieso schon viel zu viel Aufmerksamkeit schenkt, aber ich will mich auch nicht schon vorher dafür hündisch entschuldigen - das mache ich dann hinterher mittels einer Handvoll (no pun intended!) liebgemeinter Backpfeifen an und auf die eigenen Backen, also alle Viere.

Der Disclaimer vorab, damit man es einschätzen kann: Ich bin bekennender Spotify-Verächter, denn es ist der Anfang vom Untergang von allem. Spotify ist die besinnungslose Turbo-Beschleunigung des Spätkapitalismus - es vermarktet, in erster Linie sich selbst, und macht sonst nichts, gar nichts. Es ist frei von Inhalt - und wo das gesagt ist befürchte ich auch, es macht den Geist der meisten Die Hard und Mainstream-Nutzer frei, v.a. von Frischluft und antiautoritärem, selbstständigem Denken und nach Greg Graffin auch von "Sanity", die bekanntermaßen ein full-time Job ist. Spotify ist der gesellschaftliche Weichzeichner sowohl eines Kulturbetriebs als auch einer Kulturgesellschaft, die besoffen am letzten Strohhalm saugen und nicht merken, dass eine hochkonzentrierte Fliegenpilzteemischung die Kehle hinunterrinnt. Aber machen wir mal für den Moment ruhig so weiter, wir sprechen uns in zehn Jahren nochmal.

Es soll nun aber nicht explizit um Spotify gehen, und wenn, dann ist's nur für die Transferleistung wichtig, sondern um die seitens Apple und U2 ausgeschnapste Idee, das neue Album der irischen Band an 500 Millionen iPhone-Nutzer zu verschenken. Und es soll um die ausbleibende Komplexität in der Debatte gehen, da sie von so manchem Kommentar offenbar zu reinem Gift erklärt wurde.

Der Journalist Dirk von Gehlen zimmert in seinem Blog eine selbst auf den zweiten Blick wenig stimmige Verbindung zwischen dem Apple-Coup und dem immer noch wunderbaren Rant von Sven Regener aus dem Jahr 2012  zusammen, und lässt den Vergleich, beziehungsweise die vermeintliche Veränderung in diesen "902 Tagen" als Bestätigung für den "digitalen Wandel" quittieren.


Warum das so nicht geht:

1. Wenn das U2-Album 500 Millionen Mal verschenkt wurde und vier- und meinetwegen auch vierhundert und, komm', lass gut sein: vierzigtausend Handvoll Twitter- und Facebook-Vollnerds und andere Web 2.0-Insassen über begrenzten Speicherplatz auf ihrer Klingelkröte maulen (ein schön ironisierter Scherz in sich, ich weiß) und in typischer Internet-Hysterie um den geilsten Tweet und die meisten nach oben gereckten Däumchen kämpfen, weil man U2 so kacke, Apple noch viel kackiger und die beiden zusammen dann also zum Antichristenkacker per se ernennt, weil sie es gewagt haben, eine neue Platte von ollen Rock-Opas auf von minderjährigen Bangladeschis zusammengerotzte Hardware zu wuchten, und die sensationsgeilen Medienopfer das zur "News From The Front" (schon wieder Greg Graffin) zusammenkleben, dann ist das kein Anzeichen für digitalen Wandel, sondern für den dramatischen Zerfall von Hirnzellen. Und hier könnte der Text eigentlich schon sein frühes, aber immerhin sinnvolles Ende gefunden haben.

2. Regener bezog sich in seinem Monolog zur Lage der Musiknation von dem tatsächlichen und tiefgreifenden Wandel, der erstens noch lange nicht abgeschlossen ist, weil er zweitens längst strukturelle Realität und gesellschaftliche Wurzeln geschlagen hat: alles ist verfügbar, ich will alles haben. Von "Hören" wollen wir gar nicht mal sprechen, aber haben geht klar. Kostenlos. Oder gestreamt für zwei Mark fuffzich. Konsum betäubt - und gleichzeitig ist man mittendrin in der Gesellschaft, die sich längst nicht mehr um Inhalte und lästige Qualitätsfragen kümmert. Was Regener aber auch meint: Menschen, die früher seine LPs und CDs gekauft haben, weil sie explizit nach Element Of Crime (Symbolband) suchten und seine neue Musik hören wollten, greifen mittlerweile auch zur (Fast-)Gratisversion. Das sind seine Fans. Die sind und bleiben fokussiert auf Regener - und kümmern sich am Ende des Tages nicht mehr um ihn. Das kann verstören. Wenn Herr von Gehlen fordert, sich just in dieser Zeit von Inhalten zu lösen, dann ist das so, als würde ich im Schwimmbad nach einem Glas Wasser fragen.

3. Regener zweifelt daran, ob er dank ausbleibender finanzieller Unterstützung demnächst noch Musik machen kann - was natürlich als Bestsellerautor rein formal auch höchst diskussionswürdig ist, aber als prinzipielle Stimme für Zehntausende Undergroundbands und -künstler gerade noch durchgeht - U2 bekamen für ihre Marketingaktion trotzdem, oder besser: gerade deshalb Geld. Vermutlich mehr als zwei Mark fuffzich.

4. Was sich nicht erst seit Regener, sondern schon seit knapp 20 Jahren abzeichnet, ist der Trend zur Heterogenisierung und Individualisierung der kulturellen Bedürfnisse und des Konsumverhaltens bei gleichzeitig sinkender Relevanz von meinungsbildenden und -führenden Medien. Maximal ausgeschöpfte Möglichkeiten, Musik zu kreieren plus maximale, weltweite Verfügbarkeit multipliziert mit niedrigen Vermarktungs- und Nutzungskosten ist gleich Diversität, maximale Auswahl und maximale Freiheit. Was passiert, wenn der bündelnde Medienklüngel fehlt, der Wannabes zu richtigen Stars macht, sieht man seit 15 Jahren nicht nur, aber auch an den traurigen Musik-Verkaufscharts: die Menschen hören heute vermutlich so viel Musik wie nie, sie hören nur nicht mehr so oft dieselbe Musik wie ihresgleichen. Und an diese Freiheit gewöhnt man sich: irgendeinen Krempel übergestülpt bekommen, den man nicht angefordert hat - bei Mutti Merkel und der NSA funktioniert sowas noch ganz gut, aber bei Musik? Alter, wie uncool.

5. Es ist nicht der Künstler, der nichts mehr wert ist - es ist seine Kunst, die nicht mehr gebraucht wird. Das ist die Endstation der seitens von Gehlen geforderte Loslösung vom Inhalt: "Vorrausetzung (sic!) für jeden Umsatz mit Inhalten ist: Aufmerksamkeit!". Und die muss mit dem Inhaltsträger ja nichts zu tun haben, wenn der Umsatz stimmen soll. Steht da, von Gehlen dixit: U2 sind in den Charts, weil niemand (also die Vierzigtausend von 500 Millionen) die neue Platte hören will. Noch nicht mal geschenkt. Können wir uns das gerade ganz kurz auf der Hirnzunge zergehen lassen?! Ich warte auch so lange.

6. Wenig Beachtung findet die grundlegend gesunkene Relevanz von U2 als einstige Pop-Giganten in der Bewertung der Apple-Aktion, vor allem in der Gruppe der Netzgeneration. Dass die Band bei der letzten Tour mit einem 700 Millionen-Dollar Sack auf dem morschen Rücken heimkehrte, ist dabei eher ein zusätzliches Indiz für die erwähnte Inhaltsleere: das zahlkräftige Eventpublikum aus der sich blödkonsumierenden Mittel und Oberschicht, das spätestens bei der Zugabe in der Tiefgarage wieder im Porsche Cayenne sitzt und nach Hause schunkelt, hat bei "In The Name Of Love" eher in der Loge mit romantikverschmierten Augen an der Wildschweinkeule genagt. Das ist Geschäft. Keine Kunst.

7. Wenn schon ehemaligen Millionensellern im Jahr 2014 nichts mehr anderes einfällt, als diese Aufmerksamkeits- und Medien-Masche zu stricken, welche Aussicht haben dann eigentlich die Legionen von Musikern, Künstlern, Schauspielern, die weder die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Möglichkeiten, noch geraderaus die Lust dazu haben, sich so tief und unterwürfig vornüber zu beugen, damit sie jemand wahrnimmt?  Und wollte Regener nicht exakt darauf hinweisen?


Tatsache ist, dass sich Regener durch die Aktion von Apple und U2 bestätigt sehen darf - er wird sogar darüber hinaus erkennen, dass die Inhaltsleere in den letzten 902 Tagen bedeutend schlimmer geworden ist. Der Kulturbetrieb hat sich tatsächlich verändert, aber wer kann sich das selbst unter minimalen Anforderungen von Mentalhygiene tatsächlich noch in Seelenruhe anschauen? Oder abnicken?

Oder sogar daran mitschrauben?

09.09.2014

Lord Of The Olivenzweig



MOUNT OLIVET INSPIRATIONAL CHOIR - IN DUE TIME



Religion an sich ist ja bekanntermaßen die beste Erfindung seit der Schleimschimmelgrützwurst mit Arsenüberzug, religiöse Musik liefert in aller Regel den Beilagensalat aus vollgestrulltem Algenpups (o.ä.), und ich lasse da auch nur ganz ungerne mit mir reden. Zum einen rede ich grundlegend nicht so wahnsinnig gerne, zum anderen ist's ja in aller Regel sowieso für die Katz, die Maus oder den Hund, wenn man sich gegenseitig nichts zu sagen hat, was die eigene Sturheit wenigstens im Ansatz aufbröseln könnte. Viel mehr als Polemik bekommen wir da so oder so nicht zu Stande. Und über Toleranz brauchen wir erstrecht nicht sprechen, denn wir alle wissen spätestens seit Gerhard Polt, dass Toleranz kein deutsches Wort ist und wahrhaftig übersetzt "etwas aushalten" meint:"Wenn einer früher gefoltert wurde - dann war der tolerant." Könnte sich die Menschheit auch endlich mal ins Stammbuch schreiben.

Dass es auch anders geht, beweist nun ausgerechnet die Redaktion des vom Verfassungsschutz beobachteten(*) Blogs 3,40qm: ich habe mir eine religiöse Platte gekauft. Also eine Platte mit religiöser Musik darauf. Von einem Gospelchor. Aus Amerika. Wort- und Satzkombinationen, die, zumal aus meiner Feder, sprachlos machen.

Und dennoch darf man das ruhig mal einordnen: wenn ich hin und wieder auch christliche Thrash Metal-Bands goutiere, solange sie nicht homophoben und anderen gefährlichen Biohirnmüll verarbeiten, und wenn ich alte Soul- und Funk-Alben aus den sechziger und siebziger Jahren so gerne und ausgiebig höre, dass mir der Leib Christi praktisch aus den Ohren quillt, dann gehen mir zum Mount Olivet Inspirational Choir durchaus die Argumente aus. Aber ich will ehrlich sein: ich kannte den Mount Olivet Inspirational Choir natürlich vorher nicht, aber wer tat das schon? Der 1964 gegründete Gospelchor aus Chicago nahm in Eigenregie und unter der Führung von Isaac D. Chew, Walter Thomas und Pastor Rev. Ray Charles Bonney seine erste Platte auf, die 1976 auf einem Privatlabel erschien und nun über das Berliner Label Corvo Records, beziehungsweise dessen Sublabel Global Pop First Wave ausgegraben und professionell wiederveröffentlicht wurde. Das Original ist weder auf Discogs noch auf Popsike zu finden, aber im unten anhängenden Youtube-Video des Hits "In Due Time" ist das originale Coverartwork nebst Backcover zu sehen. Offenbar hat Corvo von den ursprünglich neun Songs des Albums nur fünf für diese Wiederauflage beachtet.

Dafür steht der Reissue zum Sparpreis einer EP und mit einem zum Heulen schönen Coverartwork zum Verkauf - letztgenanntes war übrigens der Türöffner zum "Shut up and take my money!"-Reflex.





(*) Ist zwar gelogen, wäre aber total schön. Vielleicht.

Erschienen als Privatpressung, 1976.
Reissue erschienen auf Global Pop First Wave, A Corvo Records Sublabel, 2014.

05.09.2014

Blank When Zero lieben Sea Shepherd. Immer noch.







Es ist leider wieder soweit: am 1.September 2014 hat das große Abschlachten von Walen und Delfinen im japanischen Taiji begonnen. Sea Shepherd ist erneut mit dem Cove Guardians Team vor Ort und dokumentiert die Ereignisse.

SEA SHEPHERD COVE GUARDIANS

Auf der Sea Shepherd-Seite hat man Zugriff auf die Kampagnenziele und -updates, den zu gleichen Teilen berüchtigten und traurigen Livestream, sowie weitere Videos und Fotos. Außerdem findet man oben rechts in der Ecke den Button zum Spenden.

Apropos Spenden: Es ist auch deshalb nochmal lohnenswert darauf hinzuweisen, dass auf der Bandcamp-Seite von Blank When Zero, unserer immer noch existenten kleinen Punkband, das letzte Album "Einerseits..." als "Name Your Price"-Download angeboten wird und alle Erlöse aus dieser Aktion direkt an Sea Shepherd weitergeleitet werden.

Ihr bestimmt also, wieviel Geld ihr bereit seid, für die digitale Version der Platte zu zahlen. Der Minimalbetrag pro Download ist 1 Euro. Es gibt keinen Zwischenwirt, es geht alles direkt an die Truppe um Kapitän Paul Watson.

Blank When Zero - Bandcamp

Spread the word.

Vielen Dank von
Simon, Marek & Flo

01.09.2014

Let's Talk About Beats


Ein neuerlicher und vermutlich gleichfalls zum Scheitern verurteilter Versuch, eine Art Serie, Rubrik, Kolumne, Aaaaaalalalalalong auf Deinem Lieblingsblog zu etablieren, aber ebenjener Gedanke schoss mir heute in den hinteren Okzipitallappen, und es muss ja alles raus, was keine Miete zahlt, jedenfalls: es begab sich zu der Zeit, in der mir drei Hip Hop-Scheiben an die linke Herzkammer rangewachsen oder auch -geflanscht sind, und wenn den Krempel hier wirklich noch jemand liest, und dann noch eine Affinität zum Themenkomplex Hip Hop im Brägen spazieren führt, zumal einem Hip Hop, der weder in deutscher Sprache noch als dickhosiger Gangstaschrott durch das Rucolabeet würmelt, dann dürfen meine Lieblingsmumus und Lieblingspumus ganz entspannt das Wägelchen in Richtung virtueller Käsetheke, quatsch: Kassenanlage schieben und in Seelenruhe zuschlagen (blaues Auge, drei gebrochene Rippen): feiert den Hip Hop, Image ist nichts. Durst ist Kirschlorbeertee. Kerne unbedingt weglassen, sonst kommt der Sensenmann. Hicksi.




YASIIN GAYE - THE RETURN


Es ist noch nicht lange her, genau genommen gerade mal zwei Monate, und Kinners wie die Zeit "fliecht" (Klaus Toppmöller), da habe ich Amerigo Gazaway zum wiederholten Male auf das gülden glitzernde Schild der Hip Hop'schen Gegenwartskultur gehievt, weil die Veröffentlichung des zweiten Teils seines "Mos-Def-trifft-Marvin-Gaye-im-Stehpuff-an-der-Ecke-in-Bochum-1974"- MashUps gerade anstand, oder beziehungsweise schon soweit fortgeschritten war, dass es also bereits die ersten verdienten Lorbeeren in den Blogwelten einfahren konnte. Ich war, nichts Neues, etwas zu spät dran, wies aber schon damals, als die Stiefmütterchen noch blühten, darauf hin, dass es alleine wegen des Covers unbedingt notwendig sei, diese Zusammenstellung auf Vinyl zu knallen:

Außerdem erwähnenswert: das Artwork von Drew Dernavich schreit nach einer Veröffentlichung auf Vinyl. Es wird traditionell noch etwas dauern, aber vielleicht erbarmt sich ja jemand.

Jetzt darf ich es kurz machen: es hat sich jemand erbarmt. HHV.DE schickt das gute Stück für einen lumpigen Zwanni in Deine nach Roibuschtee duftende Kifferhöhle. Wie immer gilt auch hier: don't fucking sleep.

Erschienen auf Amerigo Gazaway, 2014.





ADRIAN YOUNGE PRESENTS: SOULS OF MISCHIEF - THERE IS ONLY NOW

Die kalifornische Hip Hop-Legende Souls Of Mischief hat vor wenigen Tagen endlich das elendig lange angekündigte sechste Studioalbum "There Is Only Now" rausgehauen; Kumpel Olli murmelt seit Monaten "soulsofmischiefsoulsofmischiefsoulsofmischief" als Mantra gegen die Metalcore-Klagemauer, die ansonsten vor seinem Plattenspieler hochgezogen wird, und jetzt darf der Mann endlich aufatmen. Nach ersten Hörproben bietet "There Is Only Now" ziemlich exakt das, was Mastermind Adrian Younge im Vorfeld versprach:
"If somebody misses the sounds of "93 ’til Infinity" [Souls Of Mischiefs Debutalbum] meets The Low End Theory meets De La Soul Is Dead. If somebody misses that kind of sound, they’ll be happy to hear this album because it goes back to that time, you know."

Younge hat die interessante lyrische Idee zu einem Konzeptalbum ausgerollt, streift sowohl Relativitätstheorie als auch Philosophie, dazu geben sich Gaststars wie Busta Rhymes, Snoop Dogg und Scarub die Mikros in die Hand. Und wer nach all dem Wortgerumpel immer noch nicht weiß, dass "There Is Only Now" das heißeste Hip Hop-Album der Saison werden könnte, darf sich zu Birne Helene unter das Plastik-Sauerstoffzelt legen. Atemlos durch die Kuttelsuppe.

Erschienen auf Linear Labs, 2014.



JAZZ LIBERATORZ - FRUIT OF THE PAST

"Obst aus der Vergangenheit, das Album des Jahres alle Kategorien ist sicher!"

Hm, ja.

Zum Abschluss ein weiteres Schmankerl für alle Old School-Fans: das zweite Album der französischen Hip Hop-Combo Jazz Liberatorz "Fruit Of The Past" wird in diesen Tagen auf schwarzem Gold wiederveröffentlicht - was bemerkenswert ist, weil sich die 2009 erschienene Originalversion offensichtlich so gut verkauft hat, dass man den mittlerweile aufgerufenen Irrsinnspreisen des raren Vinylklumpens etwas entgegensetzen will. Ich war damals glücklicherweise so schlau sofort zuzugreifen, nachdem mein Blick über die mitwirkenden MCs schweifte (oder auch "schwiff", wie wir Germanistik-Experten sagen). Achtung, festhalten: Mos Def, Aloe Blacc, Declaime, Fatlip, Wildchild, Dela, T.Love. Ihr solltet wenigstens jetzt nicht schon wieder zögern: "Fruit Of THe Past" ist ein dunstiges, stylishes und atmosphärisches Hip Hop-Werk, auf dem Jazzy Vibes mit wunderbar abgehangenen Soultofulappen Fliegenfische streicheln und sich zusammen einen Dübel nach dem anderen in die Kreativ-Zappelbude im Dachgeschoss reinzimmern. Die drei Produzenten DJ Damage, Dusty and Madhi aus dem Städtchen Meaux im Norden Frankreichs, die hinter dieser krisseligen Mixtur stecken, haben für dieses Projekt seit jenem 2009er Album leider eine Funkstille ausgeschwiegen, nichtsdestotrotz ist auch ihr Debut "Clin d'Oeil" mit den großartigen Stacy Epps und Lizz Fields unbedingt empfehlenswert. Auch hier hat übrigens der Reissue-Clown seine Pranken im Spiel. Es sprechen nicht viele Argumente gegen einen Einkauf.

Erschienen auf Kif, 2009.
Reissue erschienen auf Kif, 2014.

24.08.2014

Du darfst jetzt nicht einschlafen, Baby!



MONEEN - THE RED TREE


Mit Schubladen ist es ja immer so eine Sache. Jeder will sie, jeder braucht sie, aber wenn sie zu voll sind, dann schmeißt man die von Mama gebügelten XXL-Schiesser-Scheißer eben einfach auf den Fußboden.

Oder man kauft sich neue, noch nach freiem Geist duftende, schöne Schubladen beim Schwedenmann und donnert sich danach noch gepressten Fleischsondermüll ins Brötchen.

Vor ein paar Jahren dachte ich noch, dass "The Red Tree" eine solch neue Schublade definieren könnte.

War natürlich Quatsch mit Soße.

Mit Sondermüllsoße.

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Moneens Album "Are We Really Happy With Who We Are Right Now?" aus dem Jahre 2003 passte noch recht fluffig in den großen Schrank mit dem EMO-Schriftzug. Poppig, leicht punkig, leichtfüßig, aber auch austauschbar. Mit dem Nachfolger "The Red Tree" erschuf die Band ein in der Entstehung zwar sehr schwieriges, im Ergebnis jedoch außergewöhnlich frisches, anspruchsvolles und bis unters Dach mit feinen Ideen vollgepacktes Album. Als Sänger und Gitarrist Kenny Bridges das ganze Ausmaß der Songwriting- und Aufnahmeprozesse überblicken konnte, zappelte er schon am Haken: "When we got home, I was so motivated, all I cared about was this band and the songs, more than ever before." Für meinen Geschmack hat es sich gelohnt - und das, obwohl ich in diesem Genre sehr schwer zu überzeugen bin. Weil es einfach - pardon! - so viel unterirdischen Schund gibt.

"The Red Tree" ist ein im Grunde klassisches Emo-Rockalbum, bekam aber Elemente auf den Sound getackert, die alles andere als "klassisch" sind und eher in den Post-Core Bereich einer Band wie Sparta hineinreichen. Besonders das Einstiegstriple mit dem drückenden "Bleed And Blister (version3)" und den ineinander übergehenden Songs überrascht ob seiner Härte, seiner Dichte und der düsteren Grundstimmung. Und die Typen spielen wie die Teufel.

Die Kanadier zeigen sich wie gewohnt sehr melodisch, verstecken ihren Pop-Appeal aber mittlerweile unter Legionen von Gitarrenspuren und einem epischen, dunklen Gesamtkonzept ihrer Songs. Weniger anbiedernd als die Stars der Szene wie beispielsweise Boysetsfire, haben sich Moneen vom Genre und seinen Spielregeln emanzipiert und sind mit "The Red Tree" einen Schritt nach vorne gegangen. Damit verkauft man dann zwar nicht so viele Platten und man kann auch nicht so schön mitsingen; das Ergebnis dieser Entwicklung könnte in Anlehnung an die bereits erwähnten Sparta aber tatsächlich Post-Emo genannt werden: die melancholische, dunkle, komplexe und möglicherweise gar authentischere Version eines poppigen und durch eine besinnungslose Aneinanderreihung von Klischees mittlerweile zerstörten Genres.

Erschienen auf Vagrant Records, 2006.

16.08.2014

Sending Transmission - The Tea Party (9) - Live From Australia



THE TEA PARTY - LIVE FROM AUSTRALIA


"So good? So good? SO GOOD?" (Jeff Martin)

Australien ist neben der nordamerikanischen Heimat Kanada das gelobte Land für unsere drei Helden. Schon früh in ihrer Karriere waren es besonders die Freaks vom anderen Ende des Planeten, die Martins Ethno-Bluesrock ganz besonders goutierten. Und vermutlich weil's dazu auch noch so schön exotisch klingt, dass man sein Comebackalbum live in Australien während der Reuniontour im Jahr 2011 aufnimmt, macht man genau das: zehntausende Fans aus Melbourne, Brisbane, Sydney, Adelaide und Perth wurden hier genauso verewigt wie die großen und kleinen Hits des Trios. Von "The River" und "Save Me" über "Psychopomp" und "Release" zu den Erfolgsingles "The Messenger" und "Heaven Coming Down". Auffällig: von "Seven Circles" fanden "Writing's On The Wall" und "Overload" lediglich den Weg auf die Downloadausgabe des Albums - und letzterer sogar nur als Soundcheckversion; wer auf "The Interzone Mantras" steht wird mit "Lullaby" abgespeist, das zugegebenermaßen alleine durch den veränderten Sound den Vergleich mit der Studioaufnahme haushoch gewinnt. Darüber hinaus liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den vier großen Werken "Splendor Solis", "The Edges Of Twilight", "Transmission" und "Triptych".

Was in den knapp sechs Jahren passierte, in denen das Trio getrennt war, lässt sich recht digital abbilden: Bassist Stuart Chatwood komponierte erfolgreich Soundtracks für Videospiele (u.a. Prince Of Persia, NHL 2002), Drummer Jeff Burrows gründete im Jahr 2008 die kanadische All-Star Band Crash Karma (außer Burrows mit dabei: der erste (und fantastische) Sänger der Alternasensation I Mother Earth Edwin, Mike Turner von Our Lady Peace und Amir Epstein von Zygote) spielte in größeren und kleinen Bandprojekten, unter anderem mit Rushs Geddy Lee und Alex Lifeson in Big Dirty Band und produzierte außerdem das Album der libanesischen Rocker von The Kordz, mit denen der Autor dieser Zeilen sogar mal die Bühne des Frankfurter Sinkkastens teilte. Jeff Martin machte zunächst solo weiter, veröffentlichte das ziemlich schlimme "Exile And The Kingdom"-Album und eine Liveplatte und -DVD, bevor er 2008 die Band The Armada gründete. 2010 wurde ebenjene von einem weiteren Projekt abgelöst, dieses Mal unter dem Namen Jeff Martin 777. Martin ließ sich zuerst in Irland, später in Australien nieder, wo er in Byron Bay mittlerweile auch ein Studio betreibt.

Rein musikalisch lässt sich über "Live From Australia" nur wenig Schlechtes sagen. Der Sound ist gut, die Songauswahl ist angemessen, man spielt solide und selbst Martin klingt trotz deutlich tieferem Timbre und 42 Jahren überraschend frisch. Die auf Youtube hochgeladenen Handyaufnahmen aus dem Publikum beweisen auch, dass er tatsächlich sehr gut sang und die allzu groben Studiotools im Köfferchen lassen konnte. Diskussionswürdig indes: die Geschwindigkeiten der Songs wurde beispielsweise spürbar gedrosselt, was über die eigene Eingewöhnungsphase hinaus auch objektiv nicht allen Kompositionen gut bekommt und ihnen ordentlich den Drive wegnimmt. Die Ein- und Ausblendungen zwischen den einzelnen Track sind strunzalbern und kratzen unschöne Wunden in die Liveatmosphäre, und die Ansagen und in die Songs geworfenen Anfeuerkapriolen Martins lassen mich reflexartig an gänzlich unerotische Knebelspiele denken. Den Quatsch hätte man doch wenigstens für die Aufnahme ausblenden dürfen.

Wie man es mittlereile von der Band gewohnt ist, ist nicht alles vegane Magarine, was sich streichzart aufs Brot schmieren lässt. Der Eindruck, das sich die Truppe in erster Linie wieder zusammengerauft hat, weil die Kohle bei dem ein oder anderen knapp wurde, steht im Raum wie die Geruchssäule der Flatulenzen meines Hundes nach dem Genuss von drei Erdnussflips. Die Herren sind mittlerweile so gesetzt und satt, dass man es leider nahezu jedem Ton anhört. Die erste Single aus dem neuen Album ist eine furchtbare Larifarigrütze und die wilde, meterhohe Welle von drei jungen Typen, die die Welt vor sich haben, die mit Lust am Leben ihre Grenzen ausloten, die sich kreativ austoben, ist in einer stickigen und verstockten Muckermentalität mehr oder weniger feierlich träge ausgerollt. Chris Hannah von Propagandhi antwortete in einem Interview auf die Frage, welchen Tipp er jungen Bands mitgeben könne, dass der einzige Rat, den er ehrlicherweise geben kann jener ist, Spaß an dem zu haben, was man tut. Wenn man keinen Spaß daran habe oder sich verbiegt, werden das die Menschen mitbekommen. Und sie werden es nicht mögen. Damit ist zwar aus meiner Sicht 99% des gesamten Popbusiness aber mal sowas von am Arsch, aber davon abgesehen: ob Martin, Chatwood und Burrows wirklich noch Spaß haben? Ich bin mir da gar nicht so sicher. Und ich verwette eine Flasche Essigessenz, dass das im Herbst erscheinende "The Ocean At The End" für ziemlich lange Zeit das letzte Studioalbum der Tea Party sein wird. Es hat halt schon ein Geschmäckle.


Erschienen auf EMI, 2012.

08.08.2014

Sending Transmission - The Tea Party (8) - Seven Circles



THE TEA PARTY - SEVEN CIRCLES

Das letzte Studioalbum vor der zwischenzeitlichen Auflösung bringt die Ambivalenz späterer Tea Party Werke auf den Punkt. Jeff Martin hat den erstmals auf "Triptych" skizzierten Weg hin zu seichterer Rockmusik endgültig mit Farbe ausgetuscht. "Seven Circles" ist stilistisch im Grunde nur wenig mehr als ein furchtbar normales Rockalbum, das aber vor allem im Vergleich mit dem vor allem klangbedingt unzulänglichen Vorgänger mit präzis' drückender Breitwandproduktion (u.a. von Bob Rock in Szene gesetzt) punktet, die den Songs perfekt auf den Leib geschneidert ist. Was die Platte dann doch mit den großen Arbeiten der neunziger Jahre gemein hat.

Darüber hinaus ist nicht viel übrig geblieben: die elektronischen Elemente hat es zwischen straighten Gitarrenriffs und flauschigen Keyboardteppichen beinahe völlig zerbröselt, die orientalischen Einflüsse sind in kurzen Momenten nurmehr als verhuscht nachhallende Erinnerung wahrnehmbar, die große geheimnisvolle, unnahbare, vielleicht sogar gefährliche Aura der Band, aber auch ihre fast zum Markenzeichen stilisierte Intellektualität, sind komplett verschwunden und angesichts so manches Textes hätte sich Jeff Martin 1995 ganz sicher eher in seine Sitar gestürzt. Allerdings hatte sich nach "The Interzone Mantras" auch die Fallhöhe signifikant verringert. Von einem Schock war hier also wirklich nicht mehr zu sprechen.

Von ebenjenem zu sprechen wäre allerdings auch auf anderer Ebene töricht. Bei aller Kritik über die Kurskorrekturen der letzten Jahre ist "Seven Circles" ein prima Anschauungsobjekt für ein unglaubliches effektives und qualitativ, Achtung: grandioses Songwriting. "Seven Circles" wollte nie mehr sein als sauberer, aufgeräumter Mainstream, und wer sich dazu entscheidet, genau ein solches Album zu schreiben, schwierig genug, der macht es besser gut und richtig. Sehr, sehr gut. Und sehr, sehr richtig. Wer es nicht gut macht, geht in jeder Hinsicht baden. Nun gingen Tea Party nach "Seven Circles" mit der Bandauflösung tatsächlich baden (während es kommerziell weiter aufwärts ging, muss man vielleicht auch mal drauf hinweisen), was zwar eher den Egos der drei Protagonisten zugeschrieben werden muss, die zum Zeitpunkt der Produktion schon arg auf Krawall gebürstet waren. Weswegen es gleichfalls vorstellbar ist, dass Chatwood und Burrows mit des seitens Martin angesteuerten Mainstreams nicht so irrsinnig innig in den Infight gehen wollten.

Nichtsdestotrotz: es lassen sich viele böse Wörter zu "Seven Circles" finden, die zugegebenermaßen in diffuser persönlicher Enttäuschung ihren Nährboden finden. Mindestens im selben Ausmaß bin ich an guten Tagen aber auch voll des Lobes für eine Platte, deren Songs kleine, manchmal erstaunliche Diamanten sind. Ich bin auch zehn Jahre später immer noch hin und her gerissen.

Erschienen auf EMI, 2004.

06.08.2014

Sending Transmission - The Tea Party (7) - The Interzone Mantras



THE TEA PARTY - THE INTERZONE MANTRAS

"Let's Rock!" - Jeff Martin

"The Interzone Mantras" ist das einzige Werk der Tea Party, das ich nicht mehr als maximal zehn Mal gehört habe, und das ich aus relativ tiefem Herzen ablehne. Ich glaube sogar mich daran zu erinnern, wie ich nach der ersten Minute des Openers "Interzone" schon den Kaffee auf hatte. Dieser Sound. Diese...diese...sind das Trompeten?

Gekauft haben Alina und ich die Scheibe während eines Aufenthalts in Amsterdam, direkt am Erscheinungstag in einem kleinen Plattenladen für einen unfassbar frechen Preis. Wie euphorisch wir waren, auf Wolke Sieben schwebend. Der erste Hördurchgang, noch über die Anlage unseres Lofts (klingt etwas protzig, aber - Achtung, Rechtfertigungsmodus - war nicht geplant und wir bekamen es außerdem billiger), war niederschmetternd. Dabei war es sogar egal, was man in Amsterdam als Stimmungsaufheller auch auftreiben konnte: nichts half. Ich empfand den halligen Sound des Albums immer als völlig unangebracht, dazu kippte das Songwriting nun endgültig in ziemlich flaches Geplänkel ab. Eingängigkeit ist per se nichts Schlechtes, dass die Band hier den breitbeinigen Rock und die Extraportion Pathos für jeden Funken Intensität und Tiefgang eintauschte, ist gemessen am Talent der drei Herren mehr als tragisch.

Und dieser Sound!

Überraschenderweise gibt es tatsächlich Menschen, die ausgerechnet "The Interzone Mantras" als ihr Lieblingsalbum der Band bezeichnen, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, welche Drähte da durchgeschmort sind.

Nach Aussage Martins wollte er als Produzent des fünften Albums versuchen, die Energie der Liveauftritte einzufangen, weshalb die Band sich bei den Aufnahmen sputete und nach nur 20 Tagen das Studio wieder verließ. You do the math.

Außerdem ganz wichtig: "Requiem" ist der schlimmste Song der Welt.

Erschienen auf EMI, 2001.