24.08.2014

Du darfst jetzt nicht einschlafen, Baby!



MONEEN - THE RED TREE


Mit Schubladen ist es ja immer so eine Sache. Jeder will sie, jeder braucht sie, aber wenn sie zu voll sind, dann schmeißt man die von Mama gebügelten XXL-Schiesser-Scheißer eben einfach auf den Fußboden.

Oder man kauft sich neue, noch nach freiem Geist duftende, schöne Schubladen beim Schwedenmann und donnert sich danach noch gepressten Fleischsondermüll ins Brötchen.

Vor ein paar Jahren dachte ich noch, dass "The Red Tree" eine solch neue Schublade definieren könnte.

War natürlich Quatsch mit Soße.

Mit Sondermüllsoße.

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Moneens Album "Are We Really Happy With Who We Are Right Now?" aus dem Jahre 2003 passte noch recht fluffig in den großen Schrank mit dem EMO-Schriftzug. Poppig, leicht punkig, leichtfüßig, aber auch austauschbar. Mit dem Nachfolger "The Red Tree" erschuf die Band ein in der Entstehung zwar sehr schwieriges, im Ergebnis jedoch außergewöhnlich frisches, anspruchsvolles und bis unters Dach mit feinen Ideen vollgepacktes Album. Als Sänger und Gitarrist Kenny Bridges das ganze Ausmaß der Songwriting- und Aufnahmeprozesse überblicken konnte, zappelte er schon am Haken: "When we got home, I was so motivated, all I cared about was this band and the songs, more than ever before." Für meinen Geschmack hat es sich gelohnt - und das, obwohl ich in diesem Genre sehr schwer zu überzeugen bin. Weil es einfach - pardon! - so viel unterirdischen Schund gibt.

"The Red Tree" ist ein im Grunde klassisches Emo-Rockalbum, bekam aber Elemente auf den Sound getackert, die alles andere als "klassisch" sind und eher in den Post-Core Bereich einer Band wie Sparta hineinreichen. Besonders das Einstiegstriple mit dem drückenden "Bleed And Blister (version3)" und den ineinander übergehenden Songs überrascht ob seiner Härte, seiner Dichte und der düsteren Grundstimmung. Und die Typen spielen wie die Teufel.

Die Kanadier zeigen sich wie gewohnt sehr melodisch, verstecken ihren Pop-Appeal aber mittlerweile unter Legionen von Gitarrenspuren und einem epischen, dunklen Gesamtkonzept ihrer Songs. Weniger anbiedernd als die Stars der Szene wie beispielsweise Boysetsfire, haben sich Moneen vom Genre und seinen Spielregeln emanzipiert und sind mit "The Red Tree" einen Schritt nach vorne gegangen. Damit verkauft man dann zwar nicht so viele Platten und man kann auch nicht so schön mitsingen; das Ergebnis dieser Entwicklung könnte in Anlehnung an die bereits erwähnten Sparta aber tatsächlich Post-Emo genannt werden: die melancholische, dunkle, komplexe und möglicherweise gar authentischere Version eines poppigen und durch eine besinnungslose Aneinanderreihung von Klischees mittlerweile zerstörten Genres.

Erschienen auf Vagrant Records, 2006.

16.08.2014

Sending Transmission - The Tea Party (9) - Live From Australia



THE TEA PARTY - LIVE FROM AUSTRALIA


"So good? So good? SO GOOD?" (Jeff Martin)

Australien ist neben der nordamerikanischen Heimat Kanada das gelobte Land für unsere drei Helden. Schon früh in ihrer Karriere waren es besonders die Freaks vom anderen Ende des Planeten, die Martins Ethno-Bluesrock ganz besonders goutierten. Und vermutlich weil's dazu auch noch so schön exotisch klingt, dass man sein Comebackalbum live in Australien während der Reuniontour im Jahr 2011 aufnimmt, macht man genau das: zehntausende Fans aus Melbourne, Brisbane, Sydney, Adelaide und Perth wurden hier genauso verewigt wie die großen und kleinen Hits des Trios. Von "The River" und "Save Me" über "Psychopomp" und "Release" zu den Erfolgsingles "The Messenger" und "Heaven Coming Down". Auffällig: von "Seven Circles" fanden "Writing's On The Wall" und "Overload" lediglich den Weg auf die Downloadausgabe des Albums - und letzterer sogar nur als Soundcheckversion; wer auf "The Interzone Mantras" steht wird mit "Lullaby" abgespeist, das zugegebenermaßen alleine durch den veränderten Sound den Vergleich mit der Studioaufnahme haushoch gewinnt. Darüber hinaus liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den vier großen Werken "Splendor Solis", "The Edges Of Twilight", "Transmission" und "Triptych".

Was in den knapp sechs Jahren passierte, in denen das Trio getrennt war, lässt sich recht digital abbilden: Bassist Stuart Chatwood komponierte erfolgreich Soundtracks für Videospiele (u.a. Prince Of Persia, NHL 2002), Drummer Jeff Burrows gründete im Jahr 2008 die kanadische All-Star Band Crash Karma (außer Burrows mit dabei: der erste (und fantastische) Sänger der Alternasensation I Mother Earth Edwin, Mike Turner von Our Lady Peace und Amir Epstein von Zygote) spielte in größeren und kleinen Bandprojekten, unter anderem mit Rushs Geddy Lee und Alex Lifeson in Big Dirty Band und produzierte außerdem das Album der libanesischen Rocker von The Kordz, mit denen der Autor dieser Zeilen sogar mal die Bühne des Frankfurter Sinkkastens teilte. Jeff Martin machte zunächst solo weiter, veröffentlichte das ziemlich schlimme "Exile And The Kingdom"-Album und eine Liveplatte und -DVD, bevor er 2008 die Band The Armada gründete. 2010 wurde ebenjene von einem weiteren Projekt abgelöst, dieses Mal unter dem Namen Jeff Martin 777. Martin ließ sich zuerst in Irland, später in Australien nieder, wo er in Byron Bay mittlerweile auch ein Studio betreibt.

Rein musikalisch lässt sich über "Live From Australia" nur wenig Schlechtes sagen. Der Sound ist gut, die Songauswahl ist angemessen, man spielt solide und selbst Martin klingt trotz deutlich tieferem Timbre und 42 Jahren überraschend frisch. Die auf Youtube hochgeladenen Handyaufnahmen aus dem Publikum beweisen auch, dass er tatsächlich sehr gut sang und die allzu groben Studiotools im Köfferchen lassen konnte. Diskussionswürdig indes: die Geschwindigkeiten der Songs wurde beispielsweise spürbar gedrosselt, was über die eigene Eingewöhnungsphase hinaus auch objektiv nicht allen Kompositionen gut bekommt und ihnen ordentlich den Drive wegnimmt. Die Ein- und Ausblendungen zwischen den einzelnen Track sind strunzalbern und kratzen unschöne Wunden in die Liveatmosphäre, und die Ansagen und in die Songs geworfenen Anfeuerkapriolen Martins lassen mich reflexartig an gänzlich unerotische Knebelspiele denken. Den Quatsch hätte man doch wenigstens für die Aufnahme ausblenden dürfen.

Wie man es mittlereile von der Band gewohnt ist, ist nicht alles vegane Magarine, was sich streichzart aufs Brot schmieren lässt. Der Eindruck, das sich die Truppe in erster Linie wieder zusammengerauft hat, weil die Kohle bei dem ein oder anderen knapp wurde, steht im Raum wie die Geruchssäule der Flatulenzen meines Hundes nach dem Genuss von drei Erdnussflips. Die Herren sind mittlerweile so gesetzt und satt, dass man es leider nahezu jedem Ton anhört. Die erste Single aus dem neuen Album ist eine furchtbare Larifarigrütze und die wilde, meterhohe Welle von drei jungen Typen, die die Welt vor sich haben, die mit Lust am Leben ihre Grenzen ausloten, die sich kreativ austoben, ist in einer stickigen und verstockten Muckermentalität mehr oder weniger feierlich träge ausgerollt. Chris Hannah von Propagandhi antwortete in einem Interview auf die Frage, welchen Tipp er jungen Bands mitgeben könne, dass der einzige Rat, den er ehrlicherweise geben kann jener ist, Spaß an dem zu haben, was man tut. Wenn man keinen Spaß daran habe oder sich verbiegt, werden das die Menschen mitbekommen. Und sie werden es nicht mögen. Damit ist zwar aus meiner Sicht 99% des gesamten Popbusiness aber mal sowas von am Arsch, aber davon abgesehen: ob Martin, Chatwood und Burrows wirklich noch Spaß haben? Ich bin mir da gar nicht so sicher. Und ich verwette eine Flasche Essigessenz, dass das im Herbst erscheinende "The Ocean At The End" für ziemlich lange Zeit das letzte Studioalbum der Tea Party sein wird. Es hat halt schon ein Geschmäckle.


Erschienen auf EMI, 2012.

08.08.2014

Sending Transmission - The Tea Party (8) - Seven Circles



THE TEA PARTY - SEVEN CIRCLES

Das letzte Studioalbum vor der zwischenzeitlichen Auflösung bringt die Ambivalenz späterer Tea Party Werke auf den Punkt. Jeff Martin hat den erstmals auf "Triptych" skizzierten Weg hin zu seichterer Rockmusik endgültig mit Farbe ausgetuscht. "Seven Circles" ist stilistisch im Grunde nur wenig mehr als ein furchtbar normales Rockalbum, das aber vor allem im Vergleich mit dem vor allem klangbedingt unzulänglichen Vorgänger mit präzis' drückender Breitwandproduktion (u.a. von Bob Rock in Szene gesetzt) punktet, die den Songs perfekt auf den Leib geschneidert ist. Was die Platte dann doch mit den großen Arbeiten der neunziger Jahre gemein hat.

Darüber hinaus ist nicht viel übrig geblieben: die elektronischen Elemente hat es zwischen straighten Gitarrenriffs und flauschigen Keyboardteppichen beinahe völlig zerbröselt, die orientalischen Einflüsse sind in kurzen Momenten nurmehr als verhuscht nachhallende Erinnerung wahrnehmbar, die große geheimnisvolle, unnahbare, vielleicht sogar gefährliche Aura der Band, aber auch ihre fast zum Markenzeichen stilisierte Intellektualität, sind komplett verschwunden und angesichts so manches Textes hätte sich Jeff Martin 1995 ganz sicher eher in seine Sitar gestürzt. Allerdings hatte sich nach "The Interzone Mantras" auch die Fallhöhe signifikant verringert. Von einem Schock war hier also wirklich nicht mehr zu sprechen.

Von ebenjenem zu sprechen wäre allerdings auch auf anderer Ebene töricht. Bei aller Kritik über die Kurskorrekturen der letzten Jahre ist "Seven Circles" ein prima Anschauungsobjekt für ein unglaubliches effektives und qualitativ, Achtung: grandioses Songwriting. "Seven Circles" wollte nie mehr sein als sauberer, aufgeräumter Mainstream, und wer sich dazu entscheidet, genau ein solches Album zu schreiben, schwierig genug, der macht es besser gut und richtig. Sehr, sehr gut. Und sehr, sehr richtig. Wer es nicht gut macht, geht in jeder Hinsicht baden. Nun gingen Tea Party nach "Seven Circles" mit der Bandauflösung tatsächlich baden (während es kommerziell weiter aufwärts ging, muss man vielleicht auch mal drauf hinweisen), was zwar eher den Egos der drei Protagonisten zugeschrieben werden muss, die zum Zeitpunkt der Produktion schon arg auf Krawall gebürstet waren. Weswegen es gleichfalls vorstellbar ist, dass Chatwood und Burrows mit des seitens Martin angesteuerten Mainstreams nicht so irrsinnig innig in den Infight gehen wollten.

Nichtsdestotrotz: es lassen sich viele böse Wörter zu "Seven Circles" finden, die zugegebenermaßen in diffuser persönlicher Enttäuschung ihren Nährboden finden. Mindestens im selben Ausmaß bin ich an guten Tagen aber auch voll des Lobes für eine Platte, deren Songs kleine, manchmal erstaunliche Diamanten sind. Ich bin auch zehn Jahre später immer noch hin und her gerissen.

Erschienen auf EMI, 2004.

06.08.2014

Sending Transmission - The Tea Party (7) - The Interzone Mantras



THE TEA PARTY - THE INTERZONE MANTRAS

"Let's Rock!" - Jeff Martin

"The Interzone Mantras" ist das einzige Werk der Tea Party, das ich nicht mehr als maximal zehn Mal gehört habe, und das ich aus relativ tiefem Herzen ablehne. Ich glaube sogar mich daran zu erinnern, wie ich nach der ersten Minute des Openers "Interzone" schon den Kaffee auf hatte. Dieser Sound. Diese...diese...sind das Trompeten?

Gekauft haben Alina und ich die Scheibe während eines Aufenthalts in Amsterdam, direkt am Erscheinungstag in einem kleinen Plattenladen für einen unfassbar frechen Preis. Wie euphorisch wir waren, auf Wolke Sieben schwebend. Der erste Hördurchgang, noch über die Anlage unseres Lofts (klingt etwas protzig, aber - Achtung, Rechtfertigungsmodus - war nicht geplant und wir bekamen es außerdem billiger), war niederschmetternd. Dabei war es sogar egal, was man in Amsterdam als Stimmungsaufheller auch auftreiben konnte: nichts half. Ich empfand den halligen Sound des Albums immer als völlig unangebracht, dazu kippte das Songwriting nun endgültig in ziemlich flaches Geplänkel ab. Eingängigkeit ist per se nichts Schlechtes, dass die Band hier den breitbeinigen Rock und die Extraportion Pathos für jeden Funken Intensität und Tiefgang eintauschte, ist gemessen am Talent der drei Herren mehr als tragisch.

Und dieser Sound!

Überraschenderweise gibt es tatsächlich Menschen, die ausgerechnet "The Interzone Mantras" als ihr Lieblingsalbum der Band bezeichnen, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, welche Drähte da durchgeschmort sind.

Nach Aussage Martins wollte er als Produzent des fünften Albums versuchen, die Energie der Liveauftritte einzufangen, weshalb die Band sich bei den Aufnahmen sputete und nach nur 20 Tagen das Studio wieder verließ. You do the math.

Außerdem ganz wichtig: "Requiem" ist der schlimmste Song der Welt.

Erschienen auf EMI, 2001.

03.08.2014

Sending Transmission - The Tea Party (6) - Triptych




THE TEA PARTY - TRIPTYCH

“I needed to write something to get myself out of that. I just pulled and pulled and pulled, and then it finally came out with Heaven Coming Down. It was a cathartic moment, to start at least, to make an attempt to go toward joy.” 
(Jeff Martin)

"Triptych" ist in vielerlei Hinsicht ein bemerkenswertes Album. Zunächst fällt der krasse visuelle Schnitt auf, den die Band in der Darstellung und Verpackung vollzog. "The Edges Of Twilight" und ganz besonders der Vorgänger "Transmission" spielten mit der dunklen Seite der Macht, und die Ecke, in die sich die Band bereitwillig stellen ließ, war das Hoheitsgebiet mystischer und gefährlicher Rockmusik, gespielt von unnahbaren Existenzen, die intellektuell in anderen Universen umherschweben. Drogen. Agonie. Absturz.

Und jetzt zu etwas völlig anderem.

Auf "Triptych" posiert das Trio streng durchdesignt vor einem Obstteller. 



Stilleben. Das Artwork ist fast komplett in weiß gehalten. Großaufnahmen eines Auges von jedem Bandmitglied. Kreuzförmig aufklappbares Booklet. Intellektuell und kühl. 

Auch hinsichtlich des Songwritings gibt es deutliche Unterschiede zu den vorangegangenen Alben, denn die Band wurde insgesamt zugänglicher und glatter. Die Songs verbanden dabei tatsächlich die Elemente aller drei Vorgängeralben zu einer zwar immer noch sehr einzigartigen, aber nicht mehr derart intensiven Mixtur. Der Blues vom Debut zeigte sich nun als endgültige, wenngleich fast nicht mehr offen wahrnehmbare Basis des Trios, der orientalische Einschlag von "The Edges Of Twilight" brach noch immer in der Verwendung entsprechender Instrumente und Melodien durch, stand aber nicht mehr im Fokus. Zum Abschluss behielt man die elektronischen Spielereien von "Transmission" ebenfalls als einerseits integralen, andererseits subtil eingebetten Bestandteil des Sounds bei. Die Tea Party nahm in Grunde alle drei Fäden der Vorgänger auf, verknotete sie ineinander und löschte das dahinter lodernde, verzerende Höllenfeuer der eigenen Existenz mit - einem Obstteller.

Überraschenderweise führte die nahezu perfekte Zusammenführung der alten Bestandteile ihrer Musik dennoch zu einem Bruch im Songwriting - was uns folgerichtig zum größten Coup von "Triptych" führt: es ist die Produktion, die erneut alleine in den Händen von Martin lag. Als ich die Platte nach längerer Abwesenheit im CD Player in den vergangenen Tagen wieder öfter hörte, fiel mir zum ersten Mal auf, wie sehr das Soundbild diese Platte prägt und wie penibel darauf geachtet wurde, "Triptych" als Gesamktkonzept zu etablieren. Mir fiel auf, dass die ganze Platte klingt, als würde kristallklares, kaltes, reines
 Gletscherwasser über und durch einen Kristall fließen. Wie reines, flüssiges Licht. Ätherisch. Airy. Wie tanzende Orgonteilchen, die funkeln und blitzen. Selbst die tief groovende Wahnsinnsnummer "The Halcyon Days", die unter normalen Soundumständen alles plattwalzen würde, wirkt wenn nicht gleich federleicht, aber völlig vom Boden losgelöst und abgehoben. Keine Erde in Sicht.

"Triptych" ist unabhängig von seinem Inhalt ein Referenzwerk in Sachen Produktion. Es ist der Sound der den Ton angibt, der dieser Platte ein Gesicht und eine Stimme gibt. Trotzdem sollte es bis zum heutigen Tag das letzte wirklich herausragende Album des Trios bleiben. Die Herzallerliebste und ich sahen die Band übrigens zum ersten Mal im Vorprogramm von Queensryche in der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg. Ich muss zugeben, dass ich Queensryches oft kritisierte "Q2K"-Scheibe ziemlich gut fand, aber wir gingen natürlich fast nur wegen den drei Kanadiern hin. Es war ein Samstag, der 29.Januar 2000. Da waren wir gerade keine acht Wochen zusammen und bezahlten 50 Mark pro Karte. Diese halbe Stunde Tea Party wäre auch das doppelte wert gewesen.

Ich habe bei der Recherche ein Video gefunden, das die Band im Sommer 2000 und zur Mittagszeit beim Deppenfestival Rock im Park zeigt. Sie spielen "The Halcycon Days" in einer umwerfenden Version. Die Sonne scheint. Das Publikum wartet auf Slipknot, die Deftones und die verdammten Toten Hosen. 



Erschienen auf EMI, 1999.

31.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (5) - Transmission



THE TEA PARTY - TRANSMISSION


"The fact that Tea Party are not on the same popularity level as Muse/Coldplay/etc. just shows that the music industry has seriously succumbed to mediocrity." 
- PJ Hakimi via Youtube

Das oben stehende Zitat ist inhaltlich natürlich Quatsch mit Ratsch. Nicht das Musikbusiness hat sich der Mittelmäßigkeit verschrieben, es sind die Menschen, die sich eben immer am offensichtlichsten und einfachsten Allgemeinplatz abholen lassen und sich in der Folge solch einen infernalischen Scheißdreck wie fucking Coldplay aufschwatzen lassen. Und es ist auch in der zeitlichen Einordnung als neue Entwicklung falsch - das gab es schon immer. Wie sonst konnte uns ein Unfall wie Modern Talking passieren?

Im Subtext liegt PJ Hakimi hingegen nicht so irrsinnig weit daneben. The Tea Party waren im Vergleich mit den beiden genannten Rolemodels für halbsteifen Schwiegermutterrock nicht nur oberflächlich betrachtet vielschichtiger und würdevoller, sie waren auch in der Auseinandersetzung mit ihrer Kunst emotional viel verbundener und engagierter. Vielleicht war der Ansatz, praktisch jeden Ton und jedes Wort mit Spiritualität, Literatur, Gemälden und Gedanken innerer Einkehr energetisch aufzuladen zu ehrgeizig, aber es half dabei, eine Verbindung mit dieser Band aufzubauen, sofern man selbst daran interessiert war, sein Leben nicht lässig abdampfend im bewegungslosen Raum zu verbringen. Wer nach Sinn suchte, möglicherweise sogar den Sinn der eigenen Existenz, der rannte bei einem wie Martin offene Türen ein. Nach seinen LSD-Experimenten gab er sich in vollem Bewusstsein härteren Drogen hin, um zu sehen, wie weit es ihn trägt, wie weit er gehen kann und an welche Orte des eigenen Bewusstseins es ihn führt. Das Ergebnis war "Transmission", ein schwarz glühendes Meisterwerk der neunziger Jahre, ein Gedankenexperiment mit eigens errichteten Klanglabyrinthen, die mich auch heute noch sowohl an das Ende des Regenbogens, als auch in den letzten Winkel totaler Agonie führen können. "Transmission" ist mein persönliches Highlight im Schaffen dieser Band, und es ist sicher kein Zufall, dass ich "Under Influence" bekehrt wurde, und es ist ebensowenig aus dem heiteren Himmel geplumpst, weil "Transmission" das bis dato modernste Werk des Trios war. Großen Anteil daran hatte die Entscheidung Martins, den elektronischen Sounds mehr Räume zu schenken; eine Entscheidung, die in erster Linie durch den "Sister Awake"-Remix des Front Line Assembly-Mitglieds Rhys Fulber inspiriert wurde. Die Band fragte sogar bei Fulber an, "Transmission" mit Martin zusammen zu co-produzieren, der lehnte aber nach dem Hören der Demos mit der Begründung ab, er wisse nicht, wie er diese Songs noch besser machen könne.

Das Klangbild der Truppe erschien auf "Transmission" bedeutend aggressiver als zuvor. Samples und Loops hinterließen eine wahrnehmbare Industrial-Geschmacksnote, während die fernöstlichen, arabischen Elemente den Sound nachwievor prägen konnten und in der Verschmelzung mit modernen Einflüssen eine einzigartige, packende Musik zum Leben erweckte. Martin leistete auch hinsichtlich der Produktion ganze Arbeit - wie auf allen Tea Party Alben wohnt auch in "Transmission" ein explizit auf Sound, Wort und Vision abgestimmter und zugeschnittener Geist - klaustrophobisch, paranoid, dekadent, versunken, nervös. Martin erklärte später, "Transmission" musste genau so klingen, weil genau das sein Leben zur damaligen Zeit war. Martin war "Larger than Life". Größer wurde zeitgleich auch die Band: "Transmission", übrigens mit einem von Basser und Kunstsammler Stuart Chatwood entworfenen Gemälde namens "The Earth We Inherit" auf dem Cover, erreichte in Kanada Doppelplatin.

Es scheint töricht, explizit Höhepunkte zu erwähnen, aber um einen Song komme ich trotzdem nicht herum: der Titeltrack gehört für mich zu den zehn besten Tracks aller Zeiten und die Studioversion, im Dunkeln und unter Kopfhörern verschlungen, veränderte mein Leben und mein Denken. Die unten verlinkte Liveversion ist in gleichem Maße beeindruckend. Dass die betäubten Teenie-Faulpelze im Publikum angesichts dieses mächtigen Songs nicht das Studio auseinandernahmen, ist trotz des verordneten Spaß- und Bewegungsverbots auf Liveshows der neunziger Jahre doch ein bisschen überraschend.

Vielleicht hörten die aber sonst alle nur Modern Talking.





Erschienen auf EMI, 1997.

27.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (4) - The Edges Of Twilight



THE TEA PARTY - THE EDGES OF TWILIGHT


"Jeff Martin lived in a spooky old house in Montreal, grew too fond of mind-altering drugs and claimed that supernatural forces were at work on his mind. He even experienced “yogic flying.”

"The Edges Of Twilight" gilt bis heute unter Fans wie Kritikern gleichermaßen als unumstrittenes Highlight der Band - und das aus durchaus nachvollziehbaren Gründen. Zum einen löste man sich, trotz eindeutiger Bluestracks wie "Drawing Down The Moon", im Allgemeinen etwas von den allzu gegenwärtigen Einflüssen des Blues, was automatisch in eine grundlegende Verjüngung des kompletten Sounds mündete. Zum anderen weitete Songschreiber Jeff Martin die orientalischen und indischen Elemente seiner Musik aus, was dem Trio eine noch mystischere, fast schon esoterische Aura verlieh. Die Hinzunahme exotischer, vornehmlich in Indien verwendeter Instrumente wie Sarod, Santoor, Sitar und Tambura sowie afrikanischer Percussions, insgesamt kamen auf "The Edges Of Twilight" 31 Instrumente zum Einsatz, ergab eine spirituelle, tiefgehende, komplexe und einzigartige Mixtur aus dunklem, riffbasiertem Rock'n'Roll mit weiterhin existenter Led Zeppelin-Klangfarbe und perfekt arrangierter und inszenierter fernöstlicher und afrikanischer Musik, die niemals aufgesetzt wirkte, und die Kritiker außerdem dazu motivierte, die neue Schublade "Moroccan Roll" aufzumachen. Auf dieser Basis zeigten die drei Musiker auch völlig unprätentiös ihre exzellenten musikalischen Fähigkeiten - weniger in der Demonstration filigraner Spieltechnik, sondern im Zusammenspiel, in den feinen Nuancen: Drummer Jeff Burrows und sein monströser Groove und sein kraftstrotzendes, dabei gleichzeitig sehr subtiles Spiel, Bassist und Elektronikfachmann Stuart Chatwood mit Bassläufen, die Mammutbäume zum Zittern bringen würden, Jeff Martin mit den virtuosesten und auf mehreren Ebenen, sorgsam aufgefächerten Soli und Riffkaskaden - "The Edges Of Twilight" darf sich mit Recht den "Klassiker"-Button an die Les Paul pappen lassen.

Martin experimentierte während der Sessions zu diesem, nach einem Kapital in Tom Cowans Roman "Fire in the Head" betitelten Album mit LSD, um zu sehen, wie weit ihn sein Verstand bringen würde und bezeichnet heute das zweite Album als seinen persönlichen Favoriten:“You think about how old we were then, we were 25 years old, and we came up with that record." Und selbst Ed Stasium, der die Platte mit Jeff Martin gemeinsam produzierte - übrigens bis zum späteren "Seven Circles" auch ein Ausnahmefall für die Band, da Martin ansonsten die Zügel immer alleine in der Hand hielt -, malte einen Heiligenschein um das Album:"Ich glaube, daß ich das Album aufgenommen habe, auf das ich gewartet habe, seitdem mir klar wurde, daß man Sounds und Visionen mittels Aufnahmetechnik auf Tonträgern umsetzen kann. Mit THE TEA PARTY zu arbeiten, hat mir neue Einblicke und Hoffnungen gegeben."

"The Edges Of Twilight" erreichte in Australien und im Heimatland Kanada Platinstatus - der Rest der Welt hörte mal wieder nicht so richtig hin.

Erschienen auf Chrysalis, 1995.


P.S.: Wie begehrt die 1995 in Mini-Auflage erschienene Vinylversion dieser Platte auch bei Sammlern ist, ließ sich vor etwa einem halben Jahr gut erkennen, als wie aus dem Nichts Vinyl-Bootlegs von "The Edges Of Twilight" auf Ebay auftauchten und, zumindest in den ersten Auktionen, zu absoluten Mondpreisen über den virtuellen Kassentisch wanderten. Genauer gesagt zu exakt den Preisen, zu denen die Originalversion käuflich zu erwerben ist: ab stolzen 180 bis 200 Euro geht's los, nach oben sind dabei nur wenige Grenzen gesetzt. Dabei ist der Bootleg rein visuell überraschend sauber gearbeitet, wenngleich das (sogar auf Hochglanzpapier gedruckte) Inlay mit Texten und Fotos nur als Einleger fungiert, was gleichzeitig das Erkennungsmerkmal der Fälschung ist. Hinsichtlich des Sounds wird die Luft hingegen sehr schnell sehr dünn, und "dünn" ist hier das Wort der Wahl. Das ist vermutlich das leiseste und fisseligste Mastering aller Zeiten. Wenn man sich an dem wunderbaren Artwork nicht sattsehen will oder kann und darüber hinaus 20 Euro zuviel in der Tasche hat, ist der Kauf durchaus eine Option, wenn man mich fragt. Aber wer fragt mich schon?!

25.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (3) - Splendor Solis



THE TEA PARTY - SPLENDOR SOLIS

“A lovely, innocent little record.” - Jeff Martin

Nachdem die kanadische Abteilung der EMI zuschnappte und der Band einen Plattenvertrag anbot, war mit der Veröffentlichung des Debuts der Grundstein für eine ausgesprochen erfolgreiche Karriere gelegt. Zugegeben, ich bin persönlich kein allzu euphorischer Fan von "Splendor Solis"; es besteht viel mehr ein zurückhaltendes und ambivalentes Verhältnis zu einer Platte, die zwar einige der ersten legendären Hits des Trios auffährt, gleichzeitig aber neben des etwas gewöhnungsbedürftigen, leicht mumpfigen Sounds eine Portion "Hippie/Artrock/Landjugend Herne-West"-Aura abbekommen hat, die mir etwas zu sättigend erscheint. Die Band steckt noch deutlich tief im Doors/Zeppelin-Sumpf, wenngleich sie kurioserweise dabei höchst eigenständig klingt. Denkt man zudem an das musikalische Klima im Jahr 1993 zurück, ist es so oder so ein kleines Wunder, dass die Band überhaupt ein Publikum erreichen konnte.

Wie bereits auf dem Indie-Debut stehen auch auf "Splendor Solis" Songs, die ob ihrer schieren Schönheit aufhorchen lassen: das Triple "Midsummer Day", "A Certain Slant Of Light" und "Winter Solstice" oder auch die traumhafte Ballade "In This Time" sind hochromantische Kompositonen, ausstaffiert mit wunderbaren Harmonien und brillianter Gitarrenarbeit. "Save Me", bis heute fester Bestandteil einer jeden Liveshow, fungiert mit einem dramaturgisch perfekt inszenierten Spannungsbogen als theatralischer Höhepunkt einer Platte, die als logischer erster Schritt der Band betrachtet werden darf. Der große Donnerschlag folgte bereits mit dem zwei Jahre später erschienenen Nachfolger "The Edges Of Twilight".

Erschienen auf EMI, 1993.

21.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (2)



THE TEA PARTY - THE TEA PARTY


"At 12, Martin was introduced to a whole new world of music when he first listened to the George Harrison track Within You Without You, off the Beatles' album, Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band. It was the first time he'd heard eastern-influenced music and he was smitten, even trying to imitate the sound of a sitar with his guitar."

Die Karriere des Trios begann 1991 mit der auf dem eigenen Eternal Discs-Label veröffentlichten und selbstbetitelten "The Tea Party"-CD. Zunächst als ein Demo für die Plattenfirmen gedacht, entschied sich die Band nach Ausbleiben positiver Rückmeldungen dazu, die Platte in Eigenregie und ohne weitere Unterstützung von Labels oder Agenturen herauszubringen. Unter den Fans ist die auf 3500 Stück limitierte Platte, darunter ist auch ein großer Batzen als Kassette erschienen, auch unter dem Titel "Indie-Album" bekannt und bis heute schwer gesucht: bei Discogs lässt sich gerade ein Tape für schlappe 68 Euro kaufen.

Inhaltlich lassen sich auf "The Tea Party" die ersten Anzeichen dessen erkennen, zu was die Band zu einem späteren Zeitpunkt noch alles in der Lage sein sollte. Das Lo-Fi (un)produzierte Werk beinhaltet einige Tracks, die das Trio für das erste Majorlabel-Debut "Splendor Solis" nochmal neu einspielte, und auch wenn natürlich keine Single ausgekoppelt wurde, so drehte man dennoch überraschenderweise ein Video zum Opener "Let Me Show You The Door". Die musikalischen Einflüsse sind hier bereits gut erkennbar; Sänger/Gitarrist Jeff Martin sieht nicht nur aus wie die 90er Jahre Ausgabe von Jim Morrisson, auch im Songwriting gab es auffällig viele Parallelen mit der schlimmsten Band der Welt: den verdammten Doors.

Außerdem klebte Martin praktisch über jedes seiner Gitarrenriffs den großen "Ich find' Led Zeppelin gar nicht so übel"-Aufkleber, verknüpfte all das zusätzlich noch mit einem enormen, modernen Groove und bluesiger Romantik. Sicherlich keine Sternstunde, mithin noch unausgereift, aber wer wissen will, wo die Band herkam und warum sie später so klang, wie sie klang, der kann bereits hier einiges entdecken.





Erschienen auf Eternal Discs, 1991.

19.07.2014

Sending Transmission - The Tea Party (1)



THE TEA PARTY - Intro

with your arms around me
you're singing softly
and i fade from memories
and move on

Wenn ein Song einer Band zum offiziellen Hochzeitstanz und also -lied auserwählt wird, dann dürfte sich die Überraschung über (m)ein unwürdiges Dasein als entlangwürmelnder Fanboy in überschaubaren Grenzen halten. Tatsächlich besteht das musikalische Fundament unserer nun seit fast zwölf Jahre dauernden Ehe streng genommen aus zwei Bands: die eine heißt Dark Angel, deren Musik die Herzallerliebste zwar nicht vollkommen vorurteilsfrei begegnet, was jetzt schon der Euphemismus des Jahrtausends ist, die aber trotzdem zu einem überwältigend großen Teil dafür verantwortlich ist, dass wir uns damals überhaupt begegneten: der Herr Dreikommaviernull, anno 1999 hauptsächlich im alten Chat des Rock Hard Magazins herumgammelnd, verirrte sich wie viele der damaligen Rock Hard-Insassen auf die Chatseite der mittlerweile eingestellten Frauenzeitschrift Allegra (die älteren werden sich erinnern), um ein wenig herum zu kaspern - und kasperte also an einem bedeutungsschwangeren Tag im Juni 1999 unter dem Pseudonym "Dark Angel" zwischen Latte Macchiato- und New Economy-Flitzpiepen umher. Währenddessen, im Computerraum der Universität Erlangen, war eine junge Dame gerade dabei, ihre sieben Sachen zu packen und nach Hause zu fahren. Nur noch einen letzten kurzen Blick in den ebenfalls unregelmäßig genutzten Allegra-Chat werfen, vielleicht ist ja jemand da, den man kennt. Jetzt kommt der Moment, an dem es selbst für uns und heute noch umheimlich wird: aus zehn verschiedenen Chaträumen schaut die junge Dame ausgerechnet in die Anwesenheitsliste jenes Raums, in dem der spätpubertäre Herr Florian vor sich hin armorphelt, und entschließt sich alleine ob der Anziehungskraft des Namens "Dark Angel" kurzfristig dazu, als Gegenpol unter dem Namen "Blue Angel" ebenjenen Raum zu entern. Die Folge: 15 wunderbare Jahre.

Was zwischendrin liegt: eine Hochzeit im Jahr 2002. Eine Hochzeit von zwei Menschen, die nur ein paar Monate zuvor immerhin noch dachten, dass Heiraten nur etwas für spießige CDU-Wähler sei, die auf spritzige Sektspiele stehen und die Bibel unter dem Kopfkissen liegen haben. Die Lebenssituation half indes bei der Entscheidung: ich lag seit Monaten im Krankenhaus und es war irgendwie klar, dass wir, wenn ich diesen Scheißdreck schon überlebe, im Grunde nur eine Wahl haben. Es erschien plötzlich als das normalste der Welt - allerdings weiterhin ohne die CDU, ohne Anpinkeln und ohne die verdammte Bibel.

Zwei Wochen nach der abschließenden Mammutoperation, bei der zwar kein Mammut, dafür aber die Tumor-Mistsau vollständig und final und ultimativ aus meinem Körper herausgekratzt wurde, standen wir mit 50 Gästen im Standesamt Wiesbaden. Ich sah aus wie ein frisch geschlüpfter Zombie mit Frack und Fliege, aber immerhin einer, der am Abend, zwar unter Schmerzmitteln, aber die machen ja manchmal auch ganz schön viel Spaß, den Hochzeitstanz tanzte. Der Song hieß "These Living Arms" und gespielt wurde er von der "Triptych"-CD von The Tea Party, einem 1990 gegründeten Power-Trio aus dem kanadischen Toronto. Wir hatten das Exklusivitätsrecht, denn niemand der Anwesenden kannte den Song. Das mag jetzt alles schwer nach "Du Guter!" klingen, aber selbst wenn wir uns das nicht alle fünf Minuten immer wieder sagen müssen, ist es bis heute ein ganz besonderes Lied einer ganz besonderen Band für uns.

Eine Band, die in guten Zeiten besser war als fast alles andere.

Mittlerweile sind wir beide zwölf Jahre älter, die Kapelle hatte sich nach dem Album "Seven Circles" im Jahr 2005 aufgelöst, und es zeigte sich, dass man sich auch mit der Auflösung einer ehemaligen Lieblingsband durchaus arrangieren kann.

2012 kamen die drei Musiker, nach dem ein oder anderen Soloalbum und weiteren Bandarrangements, wieder zusammen, veröffentlichten zum feierlichen Anlass gleich mal eine im zweiten Heimatland Australien aufgenommene Liveplatte und haben tatsächlich ein neues Album geschrieben. Als wir uns gestern die erste Single "Water's On Fire" anhörten, ergab sich eine ausufernde Diskussion darüber, ob sich wirklich die Musik, oder doch nur das eigene Leben und die eigene Wahrnehmung verändert - man kann alleine hier herauslesen, dass wir beide von dem ersten neuen Tea Party Track seit neun Jahren nicht wirklich begeistert sind und uns vor Erregung die Kleider vom Leib rissen. Allerdings hatte die Auseinandersetzung darüber auch etwas Gutes: zum einen frug ich mich, warum ich hier noch fast niemals ein Wort über die Kanadier verloren hatte (was sich hiermit nun ändert), zum anderen war es eine schöne Zeitreise in eine wilde, spannende und emotional so überwältigende Zeit.

Da sollte ich mit einer neuerlichen Albumreview-Serie nutzen. Die letzten ihrer Art liegen ja nun auch wieder eine ganze Weile zurück. Stay Tuned. 

14.07.2014

Deep Diggin'



ELMO HOPE ENSEMBLE - SOUNDS FROM RIKERS ISLAND

Wenn einer, der mit Stars wie John Coltrane, Sonny Rollins und Jackie McLean und vielen anderen mehr Platten aufgenommen und bei Labels wie Blue Note und Prestige und Riverside die Aufnahmen unter seiner Führung veröffentlicht hat, dabei aber bis heute derart unter jedem Jazzradar hindurchfliegt, dann bin ich sofort elektrisiert. Der US-Amerikaner Elmo Hope ist ein solcher Fall, den die Jazz-Fans einfach immer übersehen hatten: seine außergewöhnliche Spieltechnik, bluesbeeinflusst und subtil nuanciert, feingliedrig und unvorhersehbar, mag wohl ein Grund dafür gewesen sein.

Seine anhaltenden Probleme mit Heroin, die zu einem Entzug der Spiellizenz in New York und einem folgerichtigen Umzug nach Los Angeles führten, überschatteten immer wieder sein Talent - und seinen Erfolg. In den Liner Notes zu dieser Platte, auf der übrigens ausschließlich ehemalige Insassen des berüchtigten Gefängnisses auf Rikers Island spielen (Lawrence Jackson, Trompete; Freddie Douglas, Saxofon; John Gilmore, Tenorsax; Ronnie Boykins, Bass - übrigens hier schon mal erwähnt -  und Philly Joe Jones, Drums, dazu spendieren Earl Coleman und Marcelle Daniels ihre Stimmen bei einigen Stücken), zitiert Nat Hentoff den Pianisten zu seiner Situation und seiner Sucht:
“All that time I was off (drugs) I worked hard. Everybody can tell you I worked hard. But jobs were hard to get and harder to keep. Some of the guys I worked for even seemed disappointed that I didn’t goof. Yet I stayed straight. But there were so many disappointments and so much scuffling and personal problems besides. So I got my problem again. I’m going to try to kick again. It might be too late. I might have to pay more dues. But I know I can’t get back to where I ought to be if I don’t stop entirely. Some guys wear the stuff well. At least, they can function while they’re on. Me, the minute I take the first taste, my troubles start. And with all the other tensions going on, I know I’m going to fall apart if I don’t get off. Music is the most important thing in life to me. And yet I’ve been goofing that life away for nothing.

“These days I’m out on the street with no crib. And there’s a new breed using now. I sit in one of those basement apartments and I see guys around me who don’t even have a dream, man. They’re real bitter people. I don’t want to get like that. But where do I go? I need some analysis. I need something to help me straighten out. But with what money? And if I stay with the habit, sooner or later I’ll get busted. And then, I could get put away for a long time. Now what sense does that make? Putting a man away when, if you tried to help him, he could still create. He could still be a credit to himself and everyone else. The only crime I commit, man, is reaching for the bag. And when I want to stop that, where do I turn? And you can see, even with all this pressure, I’ve got something going. I’ve got my own thing musically.”

Elmo Hope starb im Mai 1967 im Alter von nur 43 Jahren an Herzversagen. "Hope From Rikers Island" ist auf 180g schweren Vinyl wiederveröffentlicht worden und eine Art Blaupause für spirituellen Soul-Hardbop-Jazz, was stilistisch umso bemerkenswerter ist, wenn man weiß, dass diese Aufnahmen aus dem Jahr 1963 stammen und sich der Souljazz erst Ende der 60er Jahre etablieren konnte.

Erschienen auf Audio Fidelity, 1963.
Re-Issue erschienen auf Chiaroscuro, 2014.

11.07.2014

Die Reise zum Mittelpunkt



THIEVERY CORPORATION - SAUDADE

Bei jedem neuen Album der Thievery Corporation gibt's Gemecker: es sei immer wieder der selbe alte Soundkleister und außerdem brauche niemand eine neue Thievery-Platte, wenn er die alten, richtig coolen Scheiben im Schrank stehen hat. Bei den letzten drei Werken "The Cosmic Game", "Radio Retaliation" und "Culture Of Fear" musste mancher sogar noch darauf hinweisen, dass die politische Ausrichtung in Text und Bild ja überhaupt nicht zu der "megaentspannten Kuschelmusik" (Bild der Frau) passe, und dass man sowas ja gar nicht hören will, wenn man sich gerade ein Fass Cuba Libre von innen anschaut. Muss super sein, wenn man im Oberstübchen soviel kühlenden Magerquark hat.

Im Grunde kann man sich angesichts des neunten Studioalbums von Rob Garza und Eric Hilton von all dem verabschieden: "Saudade" ist, zumindest auf den ersten Blick, frei von Politik, und etwas Neues gibt's auch. Also, was neues Altes, aber immerhin. Und weil das alte Neue (sic!) die Komfortzone verlässt, wird jetzt in den Kommentarspalten des Internets der Ruf nach dem "guten, alten Thievery-Sound" laut - was doppelt paradox ist: "Saudade" geht mit seiner hundertprozentigen Fixierung auf den Bossa Nova exakt zu den Wurzeln des Duos zurück. Das ist der "gute, alte Thievery-Sound". Gleichzeitig verzichtet man fast vollständig auf all zu elektronische Dub- und Downbeat-Elemente der Vorgänger und betritt insgesamt durchaus neues Terrain. Was "Saudade" außerdem bietet: wundervolle Stimmen! Melancholie! Euphorie! Schwermütiges Seufzen! Es ist die Lust am Leben im Ascheregen. Und damit ist es streng genommen ja durchaus schwer politisch, gesellschaftspolitisch sowieso. Ein introspektiver Blick auf die Existenz und deren Vergänglichkeit in diesen chaotischen Zeiten. Philosphisch, tiefgründig, nachdenklich.

Ich twitterte beim ersten Anhören des neunten Studioalbums im April, dass man "Saudade" am besten nachts und bei 30°C am Strand Deiner Wahl hören sollte. Damit's noch eine Spur schöner wird, lege ich nach intensiverer Auseinandersetzung in den letzten Wochen noch ein Päckchen Antidepressiva mit in den Sand.

Erschienen auf ESL Music, 2014.

08.07.2014

You like Foie Gras? Then fuck you!

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Warnung: schau' Dir das Video nicht an, wenn Du abscheuliche Gewalt gegen Tiere nicht sehen willst (und sowohl Dein Blutdruck als auch Dein Mageninhalt da bleiben sollen, wo sie gerade sind).





Selbst in einer Umgebung, die nicht gerade arm an abseitiger und perverser und widerwärtiger Scheiße ist, ist die "Herstellung" von Foie Gras wohl die abseitigste und perverseste und widerwärtigste Scheiße ever.

Und wenn Du das Zeug kaufst oder frisst, dann bist Du ein Riesenarschloch. 

Case closed.