04.02.2024

Best of 2023 ° Platz 16: Hollie Kenniff - We All Have Places That We Miss



HOLLIE KENNIFF - WE ALL HAVE PLACES THAT WE MISS


"Die häufig beobachteten Phantasiezusammenstellungen müssen in Fortfall geraten." (Krawinkel)


Ein Album für die frühen Morgenstunden des Tages. Für die Zwischenwelten, in denen sich die Welt noch nicht entscheiden kann, ob sie das Licht anknipsen soll oder nicht. Für die Einkehr, das Zurückgeworfen-Sein auf die eigene Geschichte. Für die Kontemplation, für das Erspüren der Intuition. Für den Nachhall der Erinnerungen. Für den Versuch das Vergängliche zu umarmen, und sei es nur für den Moment des Augenblicks. Für das Unbegreifbare.

Die Musik von "We All Have Places That We Miss" legt sich wie ein sanfter, heller Schleier über das Leben. Sie glitzert, funkelt, geht bis in die feinstofflichen Ebenen der Wahrnehmung. Sie breitet sich aus, wird weit, füllt auf, ist schwärmerisch, weich, sentimental. 

Mir fiel im letzten Drittel des vergangenen Jahres auf, wie oft sich mein Leben immer wieder auf dieses Album einlassen wollte. Immer war es in greifbarer Nähe, als Antidot gegen den Lärm, aber auch als tröstendes Wärmepflaster gegen den Schmerz des Verlusts unseres Hundes Fabbi, den wir im Juni 2023 nach langer Krankheit auf die andere Seite des Regenbogens ziehen lassen mussten. Die Auseinandersetzung mit dem Loslassen fällt mir traditionell sehr schwer und die Anerkennung des Rationalen scheint in solchen Momenten unmöglich. Und egal, wie oft nach einem Ausweg gesucht wird - der Einschlag kommt, und er ist immer unbarmherzig. Es gibt nichts Radikaleres als die Wahrheit. 

"We All Have Places That We Miss" ist auch aus dieser Perspektive betrachtet zwischenweltlich, weil es nichts ausspart und nichts bagatellisiert. Das monumental Tragische, die Furcht und die Trauer stehen in direktem Einklang mit der tief empfundenen Dankbarkeit und Liebe für das Leben. Es gibt jene flüchtigen Momente, in denen mir das klar ist. 


   


Erschienen auf Western Vinyl, 2023.

27.01.2024

Best of 2023 ° Platz 17: IAMX - Fault Lines¹




IAMX - FAULT LINES¹


"Glückliche Menschen langweilen mich." (Wolf Wondratschek)


Wir haben miteinander gefeiert, sind gemeinsam zusammengebrochen, haben gelacht und geweint, getanzt, geschwitzt, uns angezogen und wieder abgestoßen. Haben die Theatralik bestaunt, das Drama bestanden, sind auf dem Boden des Atlantiks aufgeschlagen und haben die Sonne geküsst. Das Chaos umarmt, die Einsamkeit ausgehalten. Wir waren frei und entfesselt, haben dem Hedonismus ein "How ya doin'?" vor die Füße gerotzt und dem Tabu ein Grab geschaufelt. Haben in den Spiegel geschaut und die Risse in unserem Gesicht gesehen, die sich in die Breite verästelnden Zerwürfnisse nachgezeichnet, die Ketten mit Spucke poliert, die Zeit verflucht, den Tagen, Wochen, Monaten und Jahren den Mittelfinger entgegengestreckt. Erlebten Agonie und haltlose Hysterie, waren ohne Orientierung und voller Pläne. Überwältigt von der Kälte, überfordert mit der Hitze. In Embryohaltung dem Staub beim Zerfallen zugeschaut und uns so schnell gedreht, dass wir uns selbst überholten. Blitze geschleudert, das Meer geteilt, den Sturm gesät und Zerstörung geerntet. Das Licht zum Explodieren gebracht, die Dunkelheit ausgelöscht. Die Liebe, das Leben, eine einzige Orgie.

"The fanatics are winning and I wanna go home."


 



 



Erschienen auf Unfall Productions, 2023.

21.01.2024

Best of 2023 ° Platz 18: Yagya - Faded Photographs




YAGYA - FADED PHOTOGRAPHS


ChatGPT is fast-tracking the commodification of the human spirit by mechanising the imagination
(Nick Cave)


Ich werde alt. Zugegeben, das ist bedeutend schöner, als nicht alt zu werden. Aber die Veränderungen, die ich im Zuge des Zerfalls, körperlich wie geistig, 's macht eh keinen Unterschied mehr, an mir beobachte, sind nicht immer Anlass für ausgelassene Freude. Im Falle von "Faded Photographs" ist's eine zweischneidige Medaille, quatsch: sind's zwei Seiten desselben Schwerts: vor zehn Jahren hätte ich diesem wachsweichen Kitsch keine zwei Durchläufe gegeben, bevor ich die Schublade mit den unterschätzten Gemüsesorten (Pastinaken!) geöffnet hätte. Reste jenes also eher ungnädigen Florians scheinen indes auch im Jahr 2023 noch immer auf der Spaßbadrutsche im Kleinhirn entlang zu schlittern, denn ich erinnere mich daran, im März des just abgelaufenen Jahres nicht gerade in euphorischer Umnachtung nackig auf ein Nagelbrett gesprungen zu sein, als sich das Album die ersten Male auf dem Plattenteller drehte. "Faded Photographs" wirkte unnatürlich harmonisch, dabei erschütternd undynamisch und folgerichtig: oberflächlich. Schlimmstenfalls, irgendwie...egal?! 

Und man denkt sich: "Hurra! Ich habe noch Spuren von Integrität in mir, dieser Pop-Dreck kann sich ins Gehackte legen. Mit mir nicht, Freunde der Sonne! Das hier ist der letzte Wassergraben vor der ersten Reihe beim Helene Fischer-Konzert! Und ich habe nicht mal zum Sprung angesetzt! Wer sagt's denn?! Dum spiro, spero!"

(Weil es schließlich keine Zwischentöne mehr gibt - es gibt nur noch dafür oder dagegen. Entweder mit Helene ins Bett oder mit GG Allin Schore drücken, dazwischen passt kein bedrucktes Klopapier vom verfickten Springer-Verlag, klar.) 

"...eine sehr ambivalente Person!" (Gerhard Polt)

Werte Leser*innen: wie Sie sehen können, haben sich die Zeiten geändert. Sie lesen diesen ganzen Kladderadatsch im Jahr 2024, und "Faded Photographs" ist locker in den Top 20 des vorangegangenen Scheißjahres gelandet. Und bevor ich gleich damit beginne, diesem Album die Rosenblüten ins Badewasser zu streuen, eine ganz kurze Einlassung zum Beginn dieses Reviews: ich hätt's ohne die "süße Milde" (Manuel Andrack) des Bluthochdrucks, der Angstzustände und des in spätestens fünf Jahren fälligen künstlichen Kniegelenks im Leben nicht erkannt. Man muss so dankbar sein. Fürs Altern, versteht sich.  

Im Prinzip ist "Faded Photographs" der endlich gefundene Nachfolger zu "Details" von Richard Davis, vielleicht abzüglich dessen stärkere Konzentration auf die Kickdrum. Und um Missverständnisse zu vermeiden: that's a fucking good thing! Dieser übermelancholische Vibe, der sich zwischen den in blassrosa getauchten Zuckerwattewolken ausbreitet wie eine nicht letale Überdosis Ketamin im menschlichen Blutkreislauf, und der sich gleichzeitig zwischen stoischer Unterkühlung und substanzieller Überwärmung dehnende Vortrag von Sänger*innen wie Bandreas, Saint Sinner und Benoit Pioulard, haben meine Gegenwehr vollständig gebrochen. "Faded Photographs" klingt wie eine in Superzeitlupe gefilmte Kissenschlacht, von der man nicht weiß, ob die Protagonisten sich danach in brennender Leidenschaft vereinen oder sich traurig und enttäuscht voneinander entzweien werden. In diese Indifferenz platziert Yagya das entrückt klingende Saxofon von Óskar Guðjónsson und die elegischen Streicherarrangements von Pablo Hopenhayn und lässt damit einen Song wie "The Serpent" wie eine außerirdische Coverversion der frühen Dead Can Dance, den Abschlusstrack "My Own Worth" wie eine bizarre Laune der Natur aus den Cardigans und Björk klingen, während im Untergrund der unbeirrbare Dubtechno-Beat bedächtg vor sich hinblubbert. 

Dass die Erwartungen der Zielgruppe mit "Faded Photopgraphs" nicht erfüllt wurden und die Gemeinde aus Technohausen ihre liebe Not mit der Platte hat, dabei die Vorbehalte in ähnlich verzweifelt-hilfloser Weise äußert wie die alten Knatterrochen aus dem Rockmusikzirkus - Titel meiner ungeschriebenen Doktorarbeit: "Anspruchsdenken und Erwartungshaltungen an Kulturschaffende. Eine Frage der Intelligenz?", gibt mir Gelegenheit, nochmal tief durchzuatmen: so alt werde ich hoffentlich nie.


   




Erschienen auf small plastic animals, 2023.

14.01.2024

Best of 2023 ° Platz 19: interna - nach außen konziliant




INTERNA - NACH AUSSEN KONZILIANT

"I'm very fortunate to be surrounded by such stupidity." (Elaine Benes)


Im November 2023 bereiteten sich die drei Mitglieder von Blank When Zero auf den ersten Auftritt seit 2019 vor. Nach einer mehr oder minder erfolgreichen Probe saßen wir wie üblich zum Abkühlen in unserem keinen Nebenraum und sprachen über die voraussichtliche Setlist, über neue Platten und die gesellschaftlichen Verwerfungen in Zeiten des Postkapitalismus, als unser Bassist Marek plötzlich das Telefon zückte und in die Runde fragte, ob wir denn schon mal was von interna gehört hätten. "Da sind Leute von Keine Zähne Im Maul Aber La Paloma Pfeifen und Sie Kamen Australien dabei. Gerade rausgekommen. Ist geil!". 

Hatte ich nicht. Ich kenne streng genommen nicht mal die La Palomas, und es ist nicht nur als Musiker in einer Hardcorepunkband fast ein bisschen peinlich, das offen zuzugeben. Mir ist der Bandname freilich geläufig, aber den vergisst wohl auch niemand, sobald er denn mal den Weg ins Bewusstsein gefunden hat. Ihre Musik hatte ich aber noch nie gehört, und meine komplizierte Beziehung zu neuer Rockmusik im Allgemeinen und ganz besonders deutschsprachigem Punk im Speziellen, mag wohl (nicht) als halbsteife Entschuldigung durchgehen. interna hatten im Juni ihre erste Single "In der Terrassenwelt" veröffentlicht und für die B-Seite "Im Schwimmbad mit den Boys" ein Video gemacht. Und das schauten wir uns dann also an. Im Proberaum.

Die Kurzversion über das, was dann folgte: "Uff, der Schlagzeuger sieht ja aus wie ich." -"D...der hat sogar ein Blind Guardian-Shirt an!" -"Fuck, wie geil klingt bitte die Gitarre?!" "Der Bass isso tight!" 

Dann schallendes Gelächter bei der Textzeile 

"Bluesfossil vom Nachbarraum will mit uns jammen, wohl kaum"

anschließend Beinahe-Hysterie bei 

"Soloalbum mit meiner Frau, eine Platte rosa, eine blau." 

Zwei Tage später: "nach außen konziliant" ist bestellt. Ich will nicht schon wieder über Gebühr mit meiner des Öfteren so seltsam gespreizt formulierten Abneigung gegen aktuelle Rockmusik kokettieren, aber: das will schon was heißen. Und jetzt steht die Platte auch noch in meinen Top 20. 

Hurra! Irre! Boioioioiiiing!

Das Trio aus Kiel spielt...ich habe ehrlich keinen Plan, was das hier ist. Indiepunk? Postpunk? Progpunk? Postindie? Postprog? Was ich weiß: ihr Zusammenspiel ist traumhaft, die Rhythmen manchmal gar ziemlich tricky, sie finden an den genau richtigen Stellen den genau richtigen Drive, da ist viel Luft zwischen den Instrumenten - und eine Reduziertheit, die mich hier und da entfernt an Antelope erinnert (über deren leider einziges Album "Reflector" ich hier schonmal eine Art Heiligenschein anknipste) und aus der ein unwiderstehlicher Groove entsteht - und natürlich die Texte, die zu gleichen Teilen so schlau wie obskur sind, sodass ich oft nur eine diffuse Ahnung davon habe, was sie denn eigentlich bedeuten könnten. Aber eine diffuse Ahnung ist besser als der Spatz in der Hand, right?! Right!

Zigaretten rauchen
In der Sonne frösteln
Das bisschen Heroin

Es macht einfach großen Spaß, diese Platte zu hören.


   



Erschienen auf Waldinsel Records, 2023


07.01.2024

Best Of 2023 ° Platz 20: Jogging House - Because




JOGGING HOUSE - BECAUSE


“Dass wir nicht mehr können, erliegen, dass wir unrettbar sind, in der Kapitulation leben, das sagten wir nicht, wir fühlten es bloß.” (Roger Willemsen)


Eine Kassette also. Ich habe nicht mal mehr ein funktionierendes Tapedeck. Oder präziser: ich will nicht mal ausprobieren, ob es noch funktionierte, aus Angst, es würde sich über das eingeschobene Tape hermachen und im besten Falle einen Bandsalat, im ungünstigeren Fall ein schlimmes Häcksel-Massaker anrichten (*). Trotzdem habe ich mir "Because" von Jogging House (übrigens wie Herr Dreikommaviernull in Frankfurt zu Hause) auf Kassette gegönnt, und das nach einem nur knapp einminütigen Bandcamp-Testlauf. "Because" schien eines jener Alben zu sein, die schon ab der ersten Sekunde den Raum um mich herum verändern können. Die auf einer bestimmten Frequenz Verbindungen herstellen, Nervenbahnen miteinander verbinden. Deren Puls sich ohne Anstrengung und also ganz natürlich an die Geschwindigkeit der eigenen Realität anpasst. 

Mein Bauchgefühl täuscht sich mittlerweile sehr selten - und wenn es das ist, was ich aus der so innigen Auseinandersetzung mit Musik über die letzten Jahrzehnte gewonnen und also mitgenommen habe, dann war selbst mit einem mitleidigen Blick auf die viel zu vielen Schallplatten in unserem Wohnzimmer vielleicht nicht alles perdu. 

"Because" öffnet unentwegt neue Horizonte, entwickelt Fluchtpunkte aus dem Nichts und zaubert unter den mehrdimensionalen Schichten der nicht mal über Gebühr geglätteten Texturen diesen einen besonderen Moment der Besinnung und des Lichts hervor. Reibung. Erinnerung. Frieden. Ich habe das Album oft in den Abendstunden meiner Arbeitstage gehört, wenn das Getöse des Tages endlich verstummte und ich in die so trübe Tunke aus Exceltabellen und Rechenschieber eintauchen konnte musste. 

Und das Leben wurde ein bisschen leichter.


   


Erschienen auf Seil Records, 2023.


(*): Die Sorgen waren unbegründet.

26.12.2023

Blank When Zero - Stagna



BLANK WHEN ZERO - STAGNA

Bevor ich zum Köpper in die Jahresbestenliste 2023 ansetze, möchte ich auch auf diesem Kanal noch drei, oder -hundert oder -tausend Sätze zu "Stagna" verlieren - der neuen EP meiner kleinen Punkband Blank When Zero. Womöglich (und hoffentlich!) wird das niemand bis zum Schluss lesen, und ich kann darüber keine Träne vergießen. Aber...es muss eben raus. Ich glaube, es muss auch vor allem deshalb raus, weil ich es für eine ganz einzigartige Erfahrung halte, seit nunmehr 15 Jahren mit Simon und Marek Musik machen zu können. 

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Nach einer Periode, die sich nach einer gar nicht so kleinen Ewigkeit anfühlt, haben wir es also tatsächlich nochmal geschafft, uns aufzuraffen und das beinahe volle Programm zu fahren. Songs schreiben, Songs lernen, Songs aufnehmen, Songs mischen und Songs auf eine kleine Plastikscheibe pressen, beziehungsweise pressen zu lassen. Und was ich in anderen Einlassungen so nonchalant mit "wir mussten uns dafür nochmal richtig strecken" umschrieb, ist ausnahmsweise mal keine dramatische Übertreibung, sondern eher das Gegenteil. 

Ich habe für diesen Beitrag keine Mühen gescheut und mich durch das Gestrüpp meines Instagramkanals durchgeschlagen. In einem Posting aus dem April 2018 schrub ich nach einer kleinen Lustreise nach Münster, Hamm und Hanau:

"Blank When Zero were on something like a tiny, tiny tour in March/April 2018 and here are some more pics from our shows. We played the infamous Metzgerstraße in Hanau yesterday with Puking Weazel and the great Die Deislers and closed our run for the time being. We're now going to hide in the rehearsal room for the next weeks and months to write new stuff." 

Es ist verblüffend, wie naiv und unschuldig sich diese Zeilen gute fünf Jahre später lesen. Wir schreiben dann einfach mal neue Songs. Jaha. Easy. Wir hatten ja keine Ahnung.

Zunächst sei gesagt, dass wir eigentlich schon immer eher langsame Songschreiber waren. Ein Blick auf unser Repertoire mit sicherlich über 50 Songs lässt das oberflächlich betrachtet nicht unbedingt vermuten, aber in 15 Jahren Bandgeschichte (uff!) sammelt sich eben so einiges an. Aber unsere Ansprüche sind hoch und schlimmer noch: sie kollidieren öfter als es uns lieb ist mit unseren handwerklichen Fähigkeiten einerseits, sowie mit unserem Terminkalender fürs gemeinsame Musizieren und also Einüben neuer Ideen andererseits. Denn was da draußen passiert, nennt man bisweilen "Leben" und das "will" bewältigt werden. Von den innerbetrieblichen Zweifeln will ich eigentlich gar nicht anfangen, aber sei's drum: 

1. Ist das dann gut genug? 
2. Wiederholen wir uns denn nicht die ganze Zeit?
3. In welche Richtung können und wollen wir denn gehen? 
4. Können wir denn überhaupt etwas Neues spielen? 
5. Sind wir denn in der Lage, das auch so zu umzusetzen?

Man hört es unserem 280bpm-Getrümmer ja vielleicht nicht unbedingt zu jeder Sekunde an, aber selbst die knapp einminütige Raserei mit Takt- und Tempowechseln und dreistimmigem, melodisch wie rhythmisch quermarschieredem Gesang ist nicht gerade unterkomplex und benötigt einige Anstrengung, damit es nicht klingt, als fielen wir gerade die längste Wendeltreppe der Welt herunter. Wir haben immer viel Wert auf ein gutes, tightes Zusammenspiel und eine selbstverständlich wirkende zügellose Energie gelegt und nichts von alldem stellt sich ein, wenn die Probe an der Kaffeemaschine und am Aschenbecher steigt. 

Und so standen wir zwei Jahre lang in unserem Proberaum, fingen nach zehn Stunden dauernden Arbeitstagen oft erst gegen 21 Uhr überhaupt erst das Spielen an und versuchten mit allen Mitteln, einen Hauch von Kreativität aus diesem Wachkoma zu retten. Nicht schon wieder nur alte Scheiße aufwärmen, stattdessen vielleicht mal was Neues wagen, raus aus der Komfortzone. Unter diesen Umständen wurden unsere Proben jedoch unglaublich frustrierend und deprimierend. Ich weiß nicht mehr, wie viele neue Songs wir anspielten und versuchten, sie irgendwie zum Laufen zu bringen - aber es klappte einfach nicht. Viel mehr fanden wir uns immer öfter noch mehr zwischen allen Stühlen sitzend wieder, als uns das sowieso schon immer nachgesagt wurde. Alles erschien halbsteif, kompromissbeladen, konfus, und je länger dieses Trauerspiel andauerte, desto verunsischerter und niedergeschlagener wurden wir. Ich war irgendwann an dem Punkt angekommen, die Sache mit neuen Ideen komplett zu beerdigen. Wir können es einfach nicht mehr. Muss man akzeptieren. 

"Kapitulation, ohohooo" (Tocotronic)

Und dabei sind wir in der vermeintlich glücklichen Lage, jede Erwartungshaltung, jeden Einfluss von Außen konsequent draußen vor der Tür beim Verfaulen zuschauen zu dürfen, denn auch wenn es uns schon seit 15 Jahren gibt, kennt uns praktisch immer noch kein Arsch - und wir haben, das sei der Wahrheit halber zugegeben, einiges dafür getan, dass das auch so bleibt. Insofern sei das bitt'schön nicht als peinliche Jammerei zu interpretieren, wir wissen schon sehr genau, wo wir stehen. Wir sind ab Sekunde 1 eine DIY-Band, die das Glück hatte, aufopferungsvolle, kreative und äußerst großzügige Menschen im Umfeld kennenzulernen, die uns immer geholfen haben, sei es für unser Bandlogo und unsere Coverdesigns, unsere Studioaufnahmen oder unsere Liveauftritte. Und wir haben keine Meute freudig erregter Fans vor der Tür stehen, die bei der kleinsten Abweichung von der reinen Lehre uns sofort die Hosen anzünden wollen. Wir könnten auch völlig beseelt auf Eurodance umschwenken, wenn wir Bock drauf hätten. Es würde schlicht niemanden jucken. 

Vor dem Einschlag der Coronapandemie im März 2020 hatten wir gerade mal zwei Songs, mit denen wir allerdings mehr als nur gut leben konnten: "Re: Schweinehund" durchlief mehrere Iterationen und wurde ungewöhnlicherweise in einer Art Jamsession fertiggestellt und "Herbst" - eine einerseits für uns alle sehr schwer zu spielende Nummer, die andererseits aber in meinen Ohren sowohl textlich als auch musikalisch mit zum besten zählt, was Schlagzeuger Simon sich je für Blank When Zero ausdachte. Als ich also in allmählich liebgewonnener, weil einwandfrei kinderloser Isolation zu Hause die von der Herzallerliebsten in Handarbeit zusammengenähten ersten Corona-Gesichtsmasken aufbügelte, reifte der Gedanke, wenigstens diese beiden Songs wenigstens halbwegs professionell aufzunehmen und zu veröffentlichen, zu einem saftigem Lupinensteak heran. Wer weiß, was alles noch passieren wird und ob und wie der ganze Laden hier noch weiter vor sich hinrotten wird - aber bevor jemand das Licht final ausknipst: diese beiden Songs MÜSSEN aufgenommen werden. Nur: Mit wem? Wann? Und wie sollen wir das überhaupt alles schaffen, wenn da draußen eine Pandemie tobt? 

"Können wir die Dinger schon spielen?" -"Ich glaube nicht, Tim." 

Wir schrieben "Momentaufnahme" im zweiten Halbjahr 2021 und hatten damit immerhin drei mögliche Songs für eine neue EP. Die physischen Formate hatten wir im Rahmen der vorangegangenen Veröffentlichungen schon weitgehend abgeklappert: Konsumrauschen erschien 2011 auf CD, "Einerseits" (2013) auf 12" und unser letztes Album "Taped!" im Jahr 2016 auf, logisch: Kassette. Eine 7"-Single fehlte also noch - was wäre denn schon ein besserer Zeitpunkt, das zu ändern? Wir kontaktierten unseren Bandkumpel Andreas (der schon vor einigen Jahren im Kölner "Club Scheiße" am Bass aushalf, als Marek familiär verhindert war), vom dem wir wussten, dass er sowohl die Fähigkeiten als auch die Möglichkeiten hatte, unsere neue Platte zu produzieren und waren hocherfreut, seine Zusage zu erhalten. Wir schrieben den vierten Song "Paradise" in den ersten Monaten des Jahres 2022 und trafen uns alle im Juni des gleichen Jahres in unserem Proberaum, um Nägel mit Köpfen zu machen. Nach drei Tagen waren die Aufnahmen beendet, und Andreas setzte sich in den kommenden Monaten an den Mix. 

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Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Folgende bereits zu einem früheren Zeitpunkt auf diesem Blog thematisierte, aber nach 25 Jahren in verschiedenen Bands, die alle schonmal ein Studio besuchten und ihre Musik unter professioneller Regie aufzeichneten, war ich mir darüber bewusst, wie wichtig die Inszenierung von Musik für das Selbstverständnis einer Band sein kann. Als meine frühere Kapelle Sun Never Sets vor 13 Jahren das Album "The Absurd" zusammenbastelte, sollten jene Aufnahmen den Duktus und den Klang der Band für die noch kommenden Jahre definieren. Der Moment, in dem Songs aus dem Proberaumstatus in ihre endgültige Struktur überführt wurden und plötzlich als fertig ausgearbeitetes Statement in der Welt standen, war für mich schlicht überwältigend. Obwohl wir schon zu Beginn sehr reflektiert und aufgeschlossen über das Konzept unserer Band waren, sollte "The Absurd" eine ganz neue, viel differenzierte und eindeutigere Richtungsoption vorgeben. 

Die ersten Blank When Zero-Alben waren stets sehr "dick" und modern produziert, mit weit im Vorgergrund stehendem Schlagzeug, lauten, sirupartig klingenden Gitarren und einem alles aus- und auffüllenden Bass. Und so glücklich wir mit den Ergebnissen jeweils waren, so sehr waren wir von den grundlegenden Vorstellungen unseres damaligen Produzenten abhängig, der alleine im stillen Kämmerlein solange daran arbeitete, bis wir grünes Licht gaben. Und ähnlich wie "The Absurd" Sun Never Sets verändern sollte, so machte auch jede neue Produktion von Blank When Zero etwas mit uns, selbst wenn die grundsätzliche Ausrichtung des Sounds keine fundamentalen Änderungen zeigten. Es manifestierte sich eher Stück für Stück der Gedanke, exakt so zu klingen. Die Auseinandersetzung mit derlei Erlebnissen und Erfahrungen lässt sich unmöglich von der Mentalität künftiger Songwritingsessions abkoppeln. Sie verschmelzen viel mehr zu einem kollektven Bewusstsein. 

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Für "Stagna" wollten wir alle einen transparenteren, natürlicheren Klang - und als Andreas uns seine Perspektive desselben zum ersten Mal präsentierte, waren wir zunächst unsicher. War das nicht zu..."leise"? Muss das nicht kraftvoller, aggressiver sein? Das war ihm gegenüber nicht besonders fair, aber da kann man mal sehen, was das aus fast 15 Jahren und vier Aufnahmen gewonnene Selbstverständnis mit unseren Köpfen gemacht hat. Sich auf etwas Neues einzulassen, fällt Mitt- bis Endvierzigern nicht so irre leicht. Ich habe versucht, mich schon früh von den alten Aufnahmen zu lösen und die vier neuen Titel als neue Richtung zu begreifen. Ich habe mir außerdem versucht vorzustellen, wie die Platte klingen wird, wenn sie bei unseren Freundinnen und Freunden auf den Plattentellern liegt. Alina meinte bereits nach den ersten Höreindrücken, dass wir auf "Stagna" echter und authentischer als jemals zuvor klingen und die Produktion es geschafft hätte, die wichtigen Merkmale in der Musik und auch in den Texten herauszuarbeiten - und spätestens da wusste ich, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Wenn ich "Stagna" heute höre, und das mache ich zu meiner eigenen Überraschung noch immer recht regelmäßig, obwohl ich die Songs mittlerweile sicherlich Tausende Male gehört habe, komme ich nicht um die Feststellung herum, dass wir vielleicht noch nie so nah bei uns waren. 

Zu sagen, es sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, diese vier Songs zum Leben zu erwecken, ist vielleicht die Untertreibung des Jahres. Über die Probleme mit dem Presswerk, das die erste Lieferung der 200 Singles komplett in den Sand setzte und also die volle Pressung nochmal von vorne starten musste, und was der ganze SCHEISSPASS AM ENDE GEKOSTET HATGLGLGLGLGLGLGLglglglglgl, fang ich nicht mal an, detaillierter auszuholen. 

Aber ich bin überglücklich darüber, dass wir es getan haben. 

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Wir bedanken uns bei Andreas für all die Mühe und Geduld, bei Jonas für die wie immer tolle Unterstützung bei unserem wirklich atemberaubend cool gewordenen Coverartwork, bei Cornelius von Keep It A Secret Records für den Beistand über so viele Jahre, bei Dom für die wundervollen Designs der limitierten 7"-Version und unserer T-Shirts (wir haben T-Shirts! WIR! HABEN T-SHIRTS! Haha! HAHAHAHAAAaaaaa). 

Und natürlich danken wir allen, die die Platte bereits gehört und gekauft haben. Dass die Scheiße wirklich immer noch jemand hören will, lässt uns ehrlich das Herz aufgehen. Ich weiß, dass wir keine Musik für Jederfrau und Jedermann machen, ich weiß, dass wir für manche konfus und kompliziert klingen, für andere sind wir zu krass und/oder nicht krass genug, wir wirken manchmal vielleicht ein bisschen schnöselig, wie wir bei Auftritten mit einer Tasse Kaffee am Bühnenrand stehen und zusehen, uns schnell wieder zu verkrümeln und weil ranschmeißerische Verbrüderung einfach wirklich nicht unser Ding ist. Wir haben so vielen Menschen wirklich viel zu verdanken, und ich kann nur hoffen, dass die hier Angesprochenen das wissen. 

Wir bitten außerdem und immer noch um Verständnis dafür, dass wir unsere Musik den sackgesichtigen Unterstützern militärischer Kackscheiße und Vollwertkapitalisten bei Spotify nicht geben - und auch nicht geben werden. Wir sind alte Fürze und stecken genauso tief in kapitalistischen Ärschen wie alle anderen auch, aber ein paar Grundwerte haben wir uns dann doch noch behalten. 

Ihr findet unsere Musik wie immer bei Bandcamp oder direkt bei uns. Hinterlasst uns einen Kommentar und die Kontaktdaten, wenn ihr eine Platte oder ein Shirt haben wollt. Wir melden uns dann bei euch. 

Durchhalten!
Simon, Marek & Flo
Blank When Zero



 


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Blank When Zero auf Instagram: https://www.instagram.com/blankwhenzero/

Blank When Zero auf Bandcamp: https://blankwhenzero.bandcamp.com/




30.09.2023

Sonst noch was, 2022?! (4): Amanda Whiting - Lost In Abstraction




AMANDA WHITING - LOST IN ABSTRACTION


"What are they tuning, a harp?!" (Kurt Cobain)


Eine Harfe. Ich liebe Harfenmusik. Ich höre viel zu selten Harfenmusik. Ich sollte viel öfter Harfenmusik hören.

Als ich beim Stöbern im Frankfurter Plattenladen Tactile Records über "Lost In Abstraction" stolperte, fiel die Kaufentscheidung im selben Moment, als ich Amanda Whitings Instrument der Wahl erblickte. Dorothy Ashby, Alice Coltrane und, etwas aktueller, Joanna Newsom haben das engelsgleich klingende Rieseninstrument direkt in meine linke Herzkammer gerollt, jetzt ich bin bereit für einen neuen Namen, eine neue Idee, einen neuen Weg. 

Die Waliserin Amanda Whiting hat sich für ihr sechstes Soloalbum einen etwas missverständlichen Titel ausgesucht. "Abstrakt" klingt hier wenig. Das Album erschien im vergangenen Jahr auf Jazzman und da tanzt für gewöhnlich nicht gerade die Avantgarde auf den Tischen - und erwartbar bleiben die Geschwister "Dekonstruktion" und "Atonal" auch draußen vor der Tür. Im gleichen Atemzug muss ich aufpassen, es nicht gleich wieder ins Despektierliche abgleiten zu lassen, wenn ich das Bild vom "Drinnen" zeichne und von britischer Konfektionierung spreche, diesem doch sehr prosaischen Duktus des größeren Teils der der aktuellen britischen Jazzszene, der mehr Wert auf Versachlichung als auf das manische Erleben von Grenzerfahrungen legt. "Lost In Abstraction" kann bis auf ein, zwei Momente völlig problemlos als Hintergrundmusik für den sonntäglichen Brunch in der Alten Oper in meiner Heimatstadt verwendet werden. Das mag an sich schon eine Qualität sein, die es zu schätzen gilt - die Harfe ist ein leises Instrument, daher ordnet sich die Musik des Quartetts ihr ganz natürlich unter und wird grazil, elegant, zu gleichen Teilen subtil wie direkt und bietet viel Oberfläche zur räumlichen Entfaltung. Diese Vielfalt gibt es bei all der polierten Fassade tatsächlich auf "Lost In Abstraction", und es ist lohnenswert, auch besonders diese Räume zu besuchen.

Whiting verwendet ihre Harfe mal als Substitut für ein Piano zur Begleitung, als Grundierung für die melodischen Akzente, die Chip Wickham, ein alter bekannter der britischen Jazzszene, mit seinem Saxofon und seiner Flöte in den Mix einwirft. Tritt sie in Solopassagen oder in harmonisch stärker ausdifferenzierten Momenten mehr in den Vordergrund, erwächst aus ihr eine beinahe mystische Qualität, etwas Phantastisches. Zusammen mit dem Perkussionisten Baldo Verdú bereist sie in "Where Would We Be" die nächtliche Wüste, und besucht Oasen auf dem wackligen Rücken von Kamelen. Im Solostück "Discarded" perlen die Töne durch ein kaskadenförmiges Wasserspiel, frei beweglich, spielerisch - und es ist auch sechzig Jahre nach Alice Coltrane immer wieder verblüffend, wie viel Texturen dieses so liquide Instrument ausformulieren kann. In "Too Much", einem der Höhepunkte des Albums, duelliert sich Whiting gar mit dem Bassisten Aidan Thorne, der zunächst mit einem virtuosen Solo startet, bevor er mit der Band ein pulsierendes Rhythmusdickicht inszeniert, auf dem Whiting sich mit einem stilisierten Gitarrensolo austobt. 

Wie so oft liegen auch auf "Lost In Abstraction" die hocherfreulichen Entdeckungen der Musik unter der Oberfläche, sind etwas verborgen, ein bisschen Chiffre hier, ein bisschen Mystik da. In Zeiten, in denen wirklich alles am Exterieur verhandelt wird, weil Kapazitäten und Ressourcen als Folge von kompletten Verlust von Fokus so knapp sind, dass sie nur für die reine Existenz im Maschinenraum des Lebens die Notbeleuchtung aufrecht erhalten, sind Momente solchen Eintauchens Gold wert. 


Vinyl: Jazzman Pressungen sind selten fehlerfrei, und so ist es auch hier. Schlimmster Makel ist der Seitenschlag auf der B-Seite, das heißt: die Rillen sind nicht zentriert gepresst und je weiter der Tonarm in Richtung Plattenmitte wandert, desto mehr Raum bekommt der LSD-Trip des Leierkastenmanns. Darüber hinaus: non-fills und zahlreiche Klicks, vor allem auf der B-Seite. Ich höre mir die Platte trotzdem an, weil Streaming immer noch der hinterletzte Vollscheiß ist, aber gut ist ist das nicht. Das Frontcover ist toll. Das Foto der Musikerin auf dem Backcover ist hingegen diskussionswürdig. Welche*r halbwegs professionelle Fotograf*in schaut sich sowas an und denkt sich "Sieht prima aus, das nehmen wir!"?! Dafuq?! (+)


 



Erschienen auf Jazzman Records, 2022.

08.09.2023

Sonst noch was, 2022?! (3): Jonathan Jeremiah - Horsepower For The Streets

 




JONATHAN JEREMIAH - HORSEPOWER FOR THE STREETS


Als meine Wenigkeit vor fast exakt vier Jahren einen halbsteifen Beschwerdebrief in die eigenen vier Wände sandte, weil es beinahe unerklärlich sei, dass "Good Day" des britischen Songwriters nicht in der Liste der damaligen besten Platten des Jahres 2018 auftauchte - wo doch vor allem die Herzallerliebste einen regelrechten Narren an den so markanten wie zwanglosen Songs Jeremiahs gefressen hatte und wir "Good Day" also überdurchschnittlich oft (und gerne) hörten - ließ sich gleichfalls eine gewisse Ratlosigkeit in meinen Ausführungen nieder. Immer diese Stilfragen. Was ist das denn hier eigentlich? Und wo kommt es her? 

Überzogen mit einer Patina aus den sechziger und siebziger Jahren, mit Orchester-Grandezza und manchmal gar einem Galabühnen-Vibe, aber andererseits unmittelbar, glänzend, frisch und modern. Irgendwie, und ich nehme jetzt allen Mut zusammen: hip! Wer nun obenrum möglicherwiese mit einer opulenteren Ausstattung protzen darf, wird derlei stilistische Lästigkeiten aus den tödlichen Fängen des Egos nicht weiter beachten und stattdessen einfach die Musik genießen. Aus welchen Gründen schreibt der Musikexpress denn auch sonst seine Rezensionen? Frage ich Sie!

Aber wir sind glücklicherweise nicht im mentalen Springer-Hochhaus und damit im Keller jeglicher Moral, sondern in fucking Sossenheim, bitches! Hier darf sich nach Herzenslust der gelbe Schmackes mit rostigen Nägeln aus der Hinrinde gekratzt und im Warum, Wieso, Weshalb regelrecht gebadet werden. 

Im Vergleich mit "Good Day" erscheint mir "Horsepower For The Streets" tatsächlich stärker amerikanisch geprägt zu sein. Die "europäische Eleganz", die ich auf dem Vorgänger  ausmachen (im Sinne von "identifizieren") konnte und die man auch als vornehme Zurückhaltung interpretieren darf, ist in meiner Wahrnehmung etwas in den Hintergrund getreten und hat jenem kalifornischen Weichzeichner mehr Raum überlassen, den ich gleichfalls bereits vor vier Jahren auf "Good Day" zu entdecken glaubte. Ein bisschen mehr Form über Funktion, ein bisschen mehr Pathos denn Ironie, ein bisschen mehr Vogelperspektive als Detailtiefe. Das zeigt sich auch im Sound, vor allem das Schlagzeug und die Arrangements der Chöre sind mittlerweile full blown Petula Clarke im Jahr 1965, wenn auch sicher mit deutlicher Moll-Färbung und mit all der neuen Komplexität, mit der sich ein Mittvierziger in heutigen Zeiten beschäftigen muss. "Horsepower For The Streets" ist insgesamt melancholischer und introvertierter als "Good Day", steht deutlicher im Sixties/Seventies-Soul, und wäre immer noch der passende Soundtrack für eine Autofahrt im Ami-Schlitten-Cabrio am Strand von San Diego. Ein bisschen Klischee muss sein. 



Vinyl: Schönes, sehr ansprechend gestaltetes Gatefold-Cover mit tollem Foto auf der Innenseite. Die Pressung auf schwarzem Vinyl ist abgesehen von einigen No-Fills zu Beginn von "Sirens In The Silence", dem letzten Stück auf der B-Seite, fehlerfrei. (++++)






Erschienen auf Pias, 2022.

01.09.2023

Sonst noch was, 2022?! (2): Voivod - Synchro Anarchy

 




VOIVOD - SYNCHRO ANARCHY


Uff, das wird nicht leicht. Den scharf denkenden Scharfdenker*innen mag aufgefallen sein, dass im letztjährigen Bestengetümmel ausgerechnet jene Band fehlte, die ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit als die beste Metalband aller Zeiten bezeichne. Und das, obwohl das kanadische Ensemble im Jahr 2022 sogar ein neues Album herausbrachte - nicht, dass der Umstand zwingend notwendig ist, um in die Bestenliste zu rutschen - für Voivod würde ich immer einen Weg finden; notfalls erfinde ich einfach eine Platte, mir doch egal. 

Lösen wir hiermit also wenigstens dieses Rätsel (des süßen Nichts), dass uns alle (niemanden) schon so lange (noch nie) so beschäftigt (langweilt). 

Nun erschien "Synchro Anarchy" also im Februar 2022 und ich hörte und hörte und hörte und hörte und hörte - und es bewegte sich absolut gar nichts. Nada. Rien. "Nassing!"(Olaf "ohne Deutschland darf nie wieder ein Krieg ausgehen" Scholz). Das war schockierend. Noch ein kleines bisschen schockierender war es, dass sich daran auch im weiteren Verlauf des Jahres nichts änderte. Die Band klingt auf "Synchro Anarchy" zum allerersten Mal in ihrer Karriere blutleer und bräsig. Ich kann beinahe nicht glauben, dass ich das wirklich öffentlich schreibe, aber sogar das Schlusslicht ihrer Diskografie "Infini" hatte noch eine Handvoll mehr Lebensgeister in den Plattenrillen stecken. In erster Linie muss ich das wohl der Produktion von "Synchro Anarchy" ankreiden, der wirklich jeder Esprit, jede Energie, jedes Leben abgeht. Das Album klingt, als wäre es in einem sterilen 4x4 Meter großen und komplett gedämmten Raum aufgenommen worden, in dem der Band vor dem Drücken der Aufnahmetaste all das operativ entfernt wurde, was sie für gewöhnlich ausmacht: Spielfreude, Spritzigkeit, Luft, Raum, Heaviness, die Lust am Wahnsinn. Vor allem Chewys Gitarre klingt so verdammt clean und gedrungen wie ein Gitarrenvideo von Peter Bursch aus dem Jahr 1986. 

Vor dem Hintergrund meiner früher getätigten Einlassungen, die Band in den aktuelleren Mark VI/Mark VII-Besetzungen immer dann am besten zu finden, wenn sie die Haudraufundschluss-Ästhetik für psychedelischere und insgesamt leicht zurückgenommene, luftigere Momente ausfranst und nicht auf Teufel-komm-raus den Kuttenheinzies mit der x-ten Neueinspielungen ihres "Killing Technology"-Albums gefallen möchte, könnte man jetzt mit leicht schnippischem Unterton darauf hinweisen, dass "Synchro Anarchy" doch jetzt genau solche heruntergedimmten Elemente vorweisen würde - und jetzt wär's mir also auch wieder nicht recht? Ich bin kognitiv in der Lage, den imaginären Einwand nachzuvollziehen und vielleicht verstehe ich das ja alles auch nicht mehr, zu alt, zu doof, lebendig begraben unter der Last der Erwartungshaltung, aber: mit "zurückgenommen" meine ich nicht "ausgeblutet". 

"Synchro Anarchy" ist mir ein Rätsel. Es macht überhaupt keinen Spaß, diese Platte zu hören. 



Vinyl: Meine Version auf silberfarbenem Vinyl ist flach (no pun intended) und hat keine gröberen Hintergrundgeräusche. Die Schallplatte rettet den plattgequetschten Sound der Aufnahme aber leider auch nicht. Außerdem: bedrucktes Inlay mit Texten und ein beiliegendes A2-Poster. (++++)


 


Erschienen auf Century Media, 2022. 

12.08.2023

Sonst noch was, 2022?! (1): Mystic AM - Cardamom & Laudanum

 




MYSTIC AM - CARDAMOM & LAUDANUM


Astral Industries-Gründer Arlo Faharano und Rod Modell begeben sich auf "Cardamom & Laudanum" auf eine nächtliche Reise durch den Orient, nisten sich in unseren Köpfen ein, schalten die Kameras an und das Licht aus - und lassen Geschichte passieren. Außerkörperliche Erfahrungen in der Wüste, nächtliches Treiben auf den Basaren, kostbare Seide, feine Gewürze, opulente Parfums. Der Puls der Nacht, die Anspannung vor dem Unbekannten in schwüler, stickiger Luft. Ein Unbehagen auslösendes, obskures Geflüster in einem Meer aus Stimmen, aus der Tiefe der Dunkelheit dringt schamanisches Getrommel, am Horizont lodern die Feuer von den Stämmen in den Bergen, Rauch schleicht sich in den klaren Sternenhimmel. Und du bist mittendrin, saugst alles auf, beobachtest. Wo bist Du? Wer bist Du? Und warum bist Du hier? Und - was bedeutet das denn überhaupt..."hier"? 

Ein berauschender, mystischer, aufregender, spektakulärer Fiebertraum.


Vinyl: Astral Industries lässt traditionell bei Optimal pressen und dort kann normalerweise nicht so irre viel schief gehen. Es gibt Gegenbeispiele, aber das Presswerk in Brandenburg gehört sicherlich zu den qualitativ zuverlässigeren Herstellern. So ist es auch hier: ich habe keine Beanstandungen. Die klassischen AI-Coverartworks von Theo Ellsworth sind von den Hüllen des britischen Labels nicht mehr wegzudenken. Gatefold-Cover. Kein Download. (+++++)


 



Erschienen auf Astral Industries, 2022

29.05.2023

Best Of 2022 ° Platz 1: Eternell - Mira




ETERNELL - MIRA


Meine treuen Leser*innen wissen es seit langer Zeit: Ich schreibe gerne mal irgendeinen Schwachsinn ins virtuelle Tagebuch hinein, sei es, weil ich der irrlichtenden Meinung bin, etwas sei besonders "lusdisch" (Heinz Schenk), kontrovers, deep, iNtElLeKtUeLl oder weil mir schlicht die kognitiven Fähigkeiten für etwas Schlaueres fehlen; und manchmal, wenn der innere Drang nach Vermittlung und Präzision beinahe unaushaltbar intensiv und wie Tazman auf Crack rebelliert und also kurz vor der Kernschmelze steht, folgt ein zwar stilloser aber dafür immerhin leidenschaftlicher Bandwurmsatz nach dem anderen, irgendein chaotisches und zwanzig Zeilen langes, mit Ego und Hybris aufgeladenes kapriziöses Gebläse, für dessen Dechiffrierung man entweder selbst einen veritablen Hirnknick sein eigen nennen oder ein abgeschlossenes Psychologie- und Germanistikstudium im Lebenslauf stehen haben sollte (#schnittmengen) - weil's eben einerseits mit maximaler Begeisterung raus muss und weil's andererseits auch hier am besten mit Verdichtung i.S.v. Konzentrierung gelingt. Wenngleich Konzentrierung in diesem Kontext lediglich bedeutet, so viele Wörter wie möglich in eine halbwegs stimmige Hirnschlagsgrammatik zu pressen, von Inhalten spricht heute ja kein Mensch mehr, und mit Verlaub, manchmal muss man ja fast schon dankbar dafür sein. In diesen so besinnungslosen wie begeisterten Momenten fühlt sich das Komma- und Semikolon-Massaker auch immer total richtig an, aber spätestens wenn die Herzallerliebste nach dem Durchlesen des Textes lapidar kommentiert, den könne ja kein Mensch verstehen oder auch nur verstehen wollen, das sei alles viel zu verschachtelt, kompliziert, unklar und gespreizt formuliert, kommen Zweifel. Zweifel, die mein Innerstes gerne mit einer Mischung aus Arroganz und meinerseits geäußerter Verständnislosigkeit quittiert, denn wer sich nicht mal für fünf Minuten anstrengen will, durch den profunden Wortsalat zu staksen, soll's meinetwegen lassen und gleich RTL2 einschalten. Es ist ein freies Land. Et ce n'est pas mon problème!

"Jetzt...warum sag' ich ihnen das?" (Polt)

Ich schreibe das ganze Gekröse hier so nonchalant hin und rein, weil ich's erstens: kann! Das ist klar. Zweitens aber, und das ist viel wichtiger: ich muss rekalibrieren, resetten, relaunchen. Für das, was jetzt gleich kommt, muss ich Relationen herstellen, Erwartungen zurechtrücken und 16 Jahre weitgehend hilfloses Blog-Gestammel ausbalancieren. 

"Mira" ist der bisherige Höhepunkt im Schaffen des Ludvig Cimbrelius. Der Satz hat angesichts meiner früheren Einlassungen zu seinen Arbeiten Tragweite. Ich weiß das. Und doch verewige ich ihn hier nicht leichtfertig. 

I fucking mean it. 

Es gibt eine kleine Geschichte zu "Mira", und ich schwöre, es ist das letzte Mal, dass ich über den fehlenden Bestenlisten-Countdown des Jahres 2021 lamentiere. Am 23.Dezember 2020 veröffentlichte Ludvig "Cove" als digitales Album auf seiner Bandcamp-Seite. Mehr als zwei Stunden Musik verteilt über fünf unterschiedliche Inkarnationen des Titeltracks, wobei alleine "cove (underwater expanse)" mit über 67 Minuten Spielzeit die längste Version ist. Auch wenn das Album sofort eine tiefgreifende Wirkung auf mich hatte, war meine Bestenliste für das Jahr 2020 schon längst in Stein gemeißelt - aber hey, alles easy: Das Album wurde Ende Dezember 2020 veröffentlicht, "ich werde es einfach in der Aufstellung für 2021 erwähnen." Und weil ich 2021 dann schlussendlich so gar nichts erwähnen sollte, blieb "Cove" - zumindest auf 3,40qm - unverzeihlicherweise auf der Strecke. 

Was nicht auf ebenjener blieb, sondern sogar noch tiefgründiger, enger, emotionaler wurde, ist die spirituelle Verbindung zu dieser Musik. Über die letzten zweieinhalb Jahre entwickelte sich "Cove" zu einem beinahe ständigen Begleiter. Es verging keine Woche, in der ich nicht mindestens einen Titel des Albums spielte, manchmal lief das Album in Endlosschleife über ganze Wochenenden hinweg. Der Klang trifft mich direkt ins Herz. Es ist die friedlichste, hellste, erfüllendste Musik, die ich kenne. Ich schrieb vor einigen Jahren, dass Ludvig ein "fucking Wizard" sei, und wenn es eine erneute Bestätigung dafür benötigte, dann ist "Cove" das vielleicht finale Zeugnis seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten. Ein Klang wie aus Gold. Feinstofflich, kostbar, so luxuriös wie demütig, unmittelbar identifizierbar, selbst bei niedrigster Lautstärke, manchmal nicht mal mehr als ein Geschmack in der Luft, durchdringend, bewegend und von einfach überwältigender Schönheit. 

𝑖𝑛 𝑡ℎ𝑖𝑠 𝑜𝑐𝑒𝑎𝑛
𝑎𝑙𝑙 𝑐𝑜𝑚𝑒 𝑡𝑜 𝑎𝑛 𝑒𝑛𝑑
𝑜𝑢𝑡 𝑜𝑓 𝑡ℎ𝑖𝑠 𝑜𝑐𝑒𝑎𝑛
𝑎𝑙𝑙 𝑎𝑟𝑒 𝑏𝑜𝑟𝑛 𝑎𝑔𝑎𝑖𝑛

Was bislang fehlte, war ein physischer Release dieses Wunderwerks. Und dann kam der Januar 2022 und mit ihm kam "Mira", ein Doppel-CD-Set mit einer Spielzeit von mehr als zwei Stunden, dazu Artwork, Kunst und Logos von Nikita Coulombe, Liz Bratton und Alexander Lux. Sechs Tracks auf der ersten CD, darunter der über 18 Minuten lange Titelsong, die insgesamt einer ähnlichen Klangästhetik folgen wie dem Herzstück auf CD2: neben "cove (presence)", einer für die CD-Veröffentlichung remasterten Version, die Ludvig offenbar ganz besonders ans Herz gewachsen ist - "It seems to touch the core of how alive this music can be for me as it swirls around my inner world." - bekommen wir eine ebenfalls remasterte Version von "cove (underwater expanse)" in voller epischer Länge, Breite, Höhe - und Tiefe. 67 Minuten auraler Sternenstaub. 

Mit dem Release von "Mira" war in Bezug auf das Jahr 2022 klar, was auf diesem Blog passieren würde: hier ist meine Nummer 1. Eingebaut in meine DNA und aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Unentbehrlich. Unersetzlich. 

The Healing Colours Of Sound. 


Vinyl: Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier leider nichts zu sehen. "Mira" erscheint als digitaler Download und als exquisite Doppel-CD auf Ludvig's Label LILA लीला:

𝓕oundational to LILA लीला is the view that we are all in this adventure of eternal life together. As a reflection of this, a part of the income from music releases will always be going towards trusty organizations who work towards bringing better conditions of Life to all inhabitants of this beautiful Earth, our home in the Universe. As LILA लीला grows, all parts grow.





Erschienen auf LILA लीला, 2022  

22.05.2023

Best Of 2022 ° Platz 2: ASC - Original Soundtrack




ASC - ORIGINAL SOUNDTRACK


Wenn ich hin und wieder meiner Bewunderung und Faszination über das Veröffentlichungstempo von Brock van Wey aka bvdub aka Earth House Hold Ausdruck verleihe und mich gleichzeitig frage, wer denn die ganze, pardon: Scheiße kaufen, geschweige denn hören soll, dann haben wir noch nicht mal damit begonnen, über James Clements zu sprechen. Der britische Produzent veröffentlicht seit über 20 Jahren seine Musik unter zahlreichen Pseudonymen und Projektnamen mit einer beachtlichen stilistischen Bandbreite: von seinen Drum'n'Bass und Jungle-Wurzeln über Techno, abstrakte Electronica und IDM bis hin zum Ambient beackert der Mann das weite Feld elektronischer Musik durchgängig mit hochklassigen und universell geliebten Sounds auf den einschlägigen Labels - von denen er selbst Auxiliary nebst etlicher Sublabels (u.a. Spatial) leitet. 

Wo unsereins also schon beim Gedanken an einen durchschnittlichen Workload eines Tages im Leben des James Clements die Dosis Tavor dezent nach oben schraubt, um die einsetzenden Panikattacken in den Griff zu bekommen, macht ASC einfach weiter. Nach zwei Alben unter seinem IDM-Markennamen Comit auf A Strangely Isolated Place (hier ist ganz besonders das Debut "Remote Viewing" sehr empfehlenswert), kehrt ASC mit "Original Soundtrack" auf mein Lieblingslabel zurück - und überrascht erneut mit einer Erweiterung seines musikalischen Spektrums. Waren seine früheren Ambientwerke, nicht zuletzt die legendären Alben auf Silent Season, aber auch die Kollaborationen jüngeren Datums mit Inhmost, geprägt von weiten, ausufernden Klangflächen, mit einem ätherisch auftretenden, oft nur zu erahnenden Puls, ist "Original Soundtrack" nicht nur introvertiert, sondern damit auch ungewöhnlich emotional.

Die Basis von "Original Soundtrack" sind warme, weichgezeichnete und tief ins Klangbild eingebettete Pianoloops, die eine ausgegraute melodische Struktur für die atmosphärische Synthiewatte liefern, die den Vibe des Albums entzündet und die in Zeitlupe entstehenden schwarz-weiß-Bilder zum Leben erweckt. Auch wenn "Original Soundtrack" lediglich für einen fiktiven Film die Musik liefert, ist ihr cinematischer Aspekt offensichtlich. Überblendungen von Detailaufnahmen auf die Vogelperspektive, weit aufgezogene  Kamerafahrten über Landschaften, weite Felder, Flüsse, Wälder; Natur sowieso als wiederkehrendes Leitmotiv, stellvertrend für das Weite, Ferne, Offene, Freie. Es wäre ein Film mit deutlich schwermütigen, elegischen Grundtönen, der Bilder des Zerfalls und des Vergangenen zeigen würde. Mit Trauer und Verlust aufgeladene Reminiszenzen an ein gelebtes und geliebtes Leben, undeutlich und verschwommen - und gleichzeitig so unmittelbar und nachempfindbar, weil die Stimmung sich sofort mit der eigenen Realität und der eigenen Verletzbarkeit verbindet. 

Ich empfand "Original Soundtrack" bereits beim Erstkontakt als ambivalent. Aus der Verbindung der sanften, tröstenden  Pianominiaturen, die das Milieu und seine Struktur mittels Komprimierung greifbar machen können und des weit aufgerissenen Horizonts aus sich stets ausbreitenden Klangflächen entstehen Momente, deren Kolorite so niederschmetternd trostlos und leer erscheinen - und die doch so präzise die Schönheit der Hoffnungslosigkeit und der Unschuld herausarbeiten. Emotional verheddert im Trümmerhaufen aus Erinnerungen, Wundpflastern und einer übergroßen Faszination am Leben, drückt "Original Soundtrack" solange sämtliche Knöpfe bis es einem egal ist, ob's jene für die finale Auslöschung oder die finale Erlösung sind. 

Hingabe, und zwar die totale. 


Vinyl: Error, Error, Error, Send Help. "Original Soundtrack" erscheint als Digipak-CD in klassischer A Strangely Isolated Place-Ästhetik und als Download. 


   



Erschienen auf A Strangely Isolated Place, 2022.