ENCHANT - BREAK
Ich hatte einen Funken Hoffnung, Inside Out würden das 20-jährige Jubiläum von "Break" für einen Überraschungscoup nutzen - zumal sie das Enchant-Debut "A Blueprint Of The World" erst kürzlich (und außerdem erstmals) auf Vinyl, sowie ein CD-Boxset mit kompletter Werkschau der kalifornischen Kultprogger veröffentlichten und damit also wieder etwas Bewegung in eine Band brachten, die sich über die letzten 15 Jahre praktisch im Dämmerschlaf befand. Ich habe nicht zuletzt deshalb Hoffnung. Und "Break" ist trotz des Legendenstatus des Debuts ohne Zweifel ihre beste Platte, auch wegen der hörbaren Zäsur in ihrem Sound: Enchant experimentierten ab 1998 mit dezenten, aber wahrnehmbaren Alternative-Riffs und Harmonien und bauten damit um die angenehme Stimme Ted Leonards stimmungsvolle, melancholische und klischeefreie Rocksongs, die ich wirklich gerne auf Schallplatte hören würde. Los, Inside Out. Gebt Euch einen Ruck. Doppel-LP, Gatefold, blaues Vinyl, 300er Auflage - so schwer wird's schon nicht sein. Gebt Euch nur ein bisschen mehr Mühe mit dem Mastering als bei Euren Spock's Beard Reissues und wir werden Freunde.
Wahrscheinlichkeit 3/5
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DOUGHBOYS - CRUSH
Zwischen Punkrock, Pop und Alternativerock hatte es sich diese kanadische Formation bequem gemacht, und mit ihrem Major Label Debut "Crush" konnte sie zumindest im Heimatland einigen Erfolg einheimsen. Für mich war das ein klassischer Fall von familiärer Sozialisation: mein Bruder hatte sich die ersten Alben Ende der 1980er Jahre als teure Importe mit achtwöchiger Lieferzeit aus Kanada bestellt, war also bereits ab dem Debut "Whatever" glühender Fan und nahm mir ihre Musik auf Tape auf. "Crush" platzte 1993 genau in meine Alternativerock-Adoleszenz und wurde zu einer meiner absoluten Lieblingsplatten. Die Doughboys lösten sich 1996 nach einer weiteren, sehr harmlosen Platte auf. Ihrem Label A&M Records erging es nach dem zwischenzeitlichen Verkauf an, Riesenüberraschung: die Universal Music Group ähnlich. Was zur fickenden Hölle wurde eigentlich nicht von der fickenden Universal Music Group gekauft? Anyway, Bestandsaufnahme: Label tot, Band tot, Alternativerock tot, Punk tot. Vinyl lebt. Ergebnis: 4:1 - "da kommt nix mehr" (Antitainment).
Wahrscheinlichkeit 1/5
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KEITH JARRETT - RADIANCE
Ach, ECM. Seit Jahrzehnten Musik und Artworks für die Ewigkeit. Echte Hingabe und Leidenschaft für den Künstler und die Musik. Dazu das passende Selbstverständnis nebst aufgebautem Image: edel, exklusiv, existenziell. Aber nun: reality strikes back! Zunächst verpennt ihr den Vinyl-Hype gleich für mehrere Jahre, und jetzt, nachdem ihr aufgewacht seid und ihr eure Platten offensichtlich von einer Horde intellektueller Biber um südöstlichen Ural pressen lasst, wünscht man sich fast, ihr hättet ein bisschen mehr und öfter von den bunten Schlaftabletten genascht. Daher nun, von mir und für euch, mit schönem Gruß ans Produktmanagement: ihr nehmt die Mastertapes dieses 2002 in Japan aufgenommenem Konzerts und schickt sie an das Pallas-Presswerk, sagt Ihnen, sie sollen die 140 Minuten Musik auf vier 180g schweren Vinylscheiben verteilen und also unterbringen und das Wechselgeld behalten, dann hört ihr euch die Testpressungen über mindestens drei Wochen jeden verschissenen Tag auf höchster Lautstärke an und gebt auch erst dann wirklich grünes Licht, wenn kein einziger Kratzer und Schleifer mehr zu hören ist (ES KANN DOCH NICHT SO FUCKING SCHWER SEIN!), packt die Scheiben in wattierte und bedruckte Inlays, ihr bastelt euch eine schöne, leicht überformatige, dicke und stabile Papp-Box mit diesem wunderbaren Artwork zusammen, legt ein Poster dazu, lasst den durchgeknallten genialen Jarrett noch durchgeknalltere genialere Linernotes schreiben, macht eine Schleife drum und verkauft es an durchgeknatterte Jarrett- und Vinyl-Freaks für 50 Euro. Die 5000er Auflage ist in zweieinhalb Stunden ausverkauft, der Eicher Manfred kann sich zwei, drei neue Studiolautsprecher für 50 Mille das Stück besorgen, und das nerdy Nerdmagazin für Nerds "Mint" kann ihren für die Rubrik "Was fehlt?" ausgedachten Witz "Eine fehlerfreie Vinylpressung von ECM" an Mike Krüger verscherbeln, der euch den Nippel durch die Lasche zieht. Gern geschehen, immer wieder. Macht's halt einfach!
Wahrscheinlichkeit 0/5
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TRIBE AFTER TRIBE - PEARLS BEFORE SWINE
Vor sieben Jahren schrub ich an anderer Stelle in diesem virtuellen Tagebuch: "Wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt und mich nach meinem liebsten Tribe After Tribe-Album fragt - ich würde wohl letzten Endes "Pearls Before Swine" antworten." So viele Geschichten und Erinnerungen sind mit dieser Platte, dieser Zeit und diesem Abend im Frankfurter Nachtleben verbunden; einem Abend, an dem ich mich mit meinem damaligen Busenfreund C. in eine andere Galaxie schießen ließ. Während die Vorgängeralben allesamt auf Vinyl erschienen, kam "Pearls Before Swine" leider nur als CD in den Handel. Auch Tribe After Tribe sind mittlerweile Geschichte und trotz ihres exzellenten Rufs vor allem zu Beginn ihrer Karriere längst vergessen: auf dem Plattensammlerportal Discogs besitzen gerade mal 77 Menschen dieses Meisterwerk. Es wird alle höchste Eisenbahn, dass unschlagbare Hymnen wie "Boy", "Fire Dancers" und "Hopeless The Clown" mit einem Vinyl-Release zumindest den hoffnungslos Verrückten zugänglich gemacht werden. Ich möchte offen sprechen, wenn nicht gar schreiben: Es wird kaum mehr besser als auf dieser Platte.
P.S.: Meine umfangreiche Auseinandersetzung mit Tribe After Tribe ist übrigens hier zu finden: Teil 1 // Teil 2
Wahrscheinlichkeit 1/5
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THOUGHT INDUSTRY - BLACK UMBRELLA
Eine der mutigsten, interessantesten und gleichzeitig erfolglosesten Bands der neunziger Jahre kam, abgesehen von einer 7-inch Single, in ihrer Karriere komplett ohne Vinylrelease aus - und das, obwohl das Label Metal Blade hieß, die sich der Bedeutung physischer Tonträger für Metalfans ja bis heute bewusst sind. Aber Labelchef Brian Slagel wusste sowohl von der Unberechenbarkeit dieser fünf Verrückten als auch davon, dass sie im Metal-Stadel, in dem Mutlosigkeit, Herkömmlichkeit und tradiertes Festhalten an Bekanntem das Zepter schwingen, keine Chance haben werden. Umso höher muss man es dem Traditionslabel anrechnen, die Band bis zur Auflösung zu Beginn der 00er Jahre unterstützt zu haben. Alle Alben der Thought Industry sind einzigartige Erlebnisse zwischen Progressive Metal, Thrash, Hardcore, Alternative und Indierock und alle hätten eine Veröffentlichung auf Vinyl verdient, aber mein Gefühlszentrum schreit mir nun seit Tagen "Black Umbrella" ins Gesicht; ihr, vom noch sehr metallischen Debut abgesehen, stilistisch vielleicht kompaktestes, jedoch ganz sicher melancholischstes Werk, das sich von Mitt/Spätneunziger Indierock beeinflusst sieht. Eine Werkschau dieser einzigartigen Band wäre doch mal was, Metal Blade. Ein schönes Boxset vielleicht? Die 100 Pieps auf der Welt, die die Band nicht vergessen haben, freuen sich bestimmt den Arsch ab - inklusive meiner Wenigkeit.
Wahrscheinlichkeit 2/5