My ass!!
Tribe After Tribe (1991)
Das selbstbetitelte Album ist auch zwanzig Jahre später noch eines der beeindruckendsten Debuts aller Zeiten. Irgendwo zwischen Led Zeppelin, U2 und Pink Flyod, den zarten Anfängen
des Alternativerocks ("Als ich zum ersten Mal Janes Addiction live sah, musste ich fast weinen." - Robb) hat das Trio ihre afrikanische Tribalmusik eingebaut. Das Ergebnis ist ein siedender, groovender, völlig klischeefreier Rock-Cocktail, geschmückt mit poetischen und spirituellen Texten, afrikanischen Chören und Schreien, extatischen Jamsessions und revolutionärer Aura. Praktisch jeder Song ist ein Volltreffer: ob wir vom ruhigen und ungewöhnlichen Einstieg "Remember" oder vom folgenden, tödlich groovenden "Build A Subway" sprechen, ob vom 10-Punkte-Hammer "The Mode" oder vom Underground-Hit "White Boys In The Jungle", vom anrührenden "Out Of Control" oder der originellen Gänsehaut-Ballade "Just For A While"
- "Tribe After Tribe" bleibt sensationell gut.
Love Under Will (1993)
Zwei Jahre nach dem Debut erscheint mit "Love Under Will" der Nachfolger - ein überlanges Opus, das auf Vinyl als Doppel-LP erscheint. Die Band klingt einerseits dunkler, zum Teil sogar härter, andererseits grundlegend etwas anschmiegsamer. Aus meiner Sicht alles eine direkte Folge des deutlich gestiegenen Psychedelic-Levels. Tribe After Tribe wurden eine Spur komplexer und verschachtelter. Der auf dem Debut noch hier und da aufblitzende straighte Riffrock ist zugunsten einer brütendenden, betörenden Atmosphäre zurückgewichen. Als ich die Scheibe kürzlich nochmal hörte, war ich überrascht wie unfassbar gut "Love Under Will" auch heute noch klingt. Die Produktion von Jim Scott ist reichhaltig und drückend, ohne dabei den Songs die Luft ab zu schnüren. Die Tribal-Jams wurden ausgebaut und nochmals verfeinert (der neue Drummer: der unglaubliche Chris Frazier), woraus sich noch zwingendere und detailreichere Grooves entwickelten, die umgehend in die Beine gehen. Wer zum Fick kann hier noch stillstehen?
In der Folge ging die Band mit Pearl Jam auf US-Tournee. Und was vielversprechend begann, endete in einem Fiasko. Ich hatte vor fünf Jahren (meine Fresse, schon wieder fünf Jahre rum!) das große Glück und die Ehre, mit Robbi Robb ein Interview zu führen, in dem er folgendes zu Protokoll gab: "Jedesmal, wenn wir in der Vergangenheit einen Vetrag unterschrieben haben, bekamen wir die allerbesten Reaktionen unserer Plattenfirma. Sie taten wirklich alles für uns. Dann schickten sie uns auf Tour und zack, sie gingen Pleite. Unser Video geht auf Nummer eins der Top 75-Charts in Amerika, es steht sogar über Bowie und Madonna. Wir sind die Nummer eins für volle drei Wochen! Aber wir haben keine Plattenfirma. Pearl Jam beknieten uns "Lasst uns zusammen auf Tour gehen, lasst uns zusammen auf Tour gehen!!!", und unsere Plattenfirma geht Pleite. In Europa spielten sie unsere Single "Ice Below". Überall. Aber wir hatten kein Label. Sowas passierte jedesmal, fünf mal bis jetzt. Das ist verrückt, oder?"
Es dauerte vier Jahre, bis das nächste Tribe After Tribe-Album erscheinen sollte - und im Grunde war da schon die Messe gelesen. In Europa hatte man die Band bis auf eine Handvoll Clubshows nicht sehen können, in den Staaten versackte zuerst die Plattenfirma und dann Robb nebst Gefolge. In den vier Jahren, in denen Tribe After Tribe auf Eis lagen, nahm Robb mit dem Pearl Jam-Bassisten Jeff Ament das Debut des Three Fish-Projekts auf. Auf dem Album sollte auch der spätere Tribe-Drummer Richard Stuverud erstmals im Robbi Robb-Kosmos zu hören sein. Der, das möchte ich unbedingt hinzufügen, seinen Vorgängern in Nichts nachsteht. Der Typ ist ein Monster, einer der allerallerbesten Schlagzeuger, die ich jemals sah. Und hörte.
Pearls Before Swine (1997)
Praktisch aus dem Nichts erschien das vierte Album "Pearls Before Swine" auf Bullet Proof/Intercord im Frühjahr 1997. Neben Robb und dem erwähnten Richard Stuverud zählten Doug Pinnick von King's X, Joey Vera von Armored Saint und Jeff Ament als Bassisten zum neuen Lineup, nachdem Robbis jahrelanger Sidekick Robby Whitelaw aufgrund seiner Arbeit auf dem Bau und der damit verbundenen angeschlagenen Motorik seiner Finger und Hände aufgeben musste. Auch "Pearls Before Swine" ist ausufernd und ähnlich ambitioniert wie sein Vorgänger, wirkt aber im Ganzen etwas aufgeräumter. Für mich sind Tribe After Tribe hier bei ihrem Sound angekommen: "Pearls Before Swine" bündelt alle Qualitäten der Band zu einem spacigen, trippigen, psychedelischen, extatischen Groovemonstrum, das zwischen berauschenden Brechern wie "Fire Dancers" und "Boy" (Was für ein Riff! Was für ein Beat!) und besinnlichen, tiefen Folk-Balladen wie "Ballad Of Winnie" umhertanzt. Wenn man mir die Pistole auf die Brust setzt und mich nach meinem liebsten Tribe After Tribe-Album fragt - ich würde wohl letzten Endes "Pearls Before Swine" antworten. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich die Band bei der folgenden (ersten offiziellen) Europatournee 1997 in Frankfurt erleben konnte und somit eine nähere Verbindung gerade zu diesem Album aufbaute. Auch so ein Abend, der mir auf immer unvergesslich sein wird. Aber das nur am Rande. Hallo Christoph!
Enchanted Entrance (2002)
1999 erschien das zweite und bis heute letzte Three Fish-Album "The Quiet Table" und dann folgte der nächste Schicksalsschlag: Robb verletzte sich bei einem Surfunfall so schwer an der Hand, dass über fast 2 Jahre nicht an Gitarrespielen zu denken war. Die nach dieser Zwangspause veröffentlichte fünfte Tribe-Scheibe "Enchanted Entrance" war dann der nach dem kommerziellen auch der künstlerische Bruch. Zum einen waren fünf Jahre Pause selbst dem loyalsten Europäer mittlerweile zuviel, zum anderen machte sich alleine am Sound des Albums bemerkbar, dass die Band mittlerweile kleine Brötchen backen musste - viel kleinere Brötchen. "Enchanted Entrance" klang, mit neuer elektronischer Schlagseite, seltsam dumpf, fremd und unfertig. Im Vergleich mit den druckvollen und glasklaren Produktionen aus den Neunzigern, zog die Platte eindeutig den Kürzeren. Was sich auch bei den Songs fortsetzte: die Kompaktheit war dahin, viele Songs wirkten wie Skizzen. Und auch, wenn es eine Handvoll guter Tracks zu hören gab, blieb man mit einer kleinen Enttäuschung hinter den Erwartungen zurück.
M.O.A.B. - Stories From Deuteronomy (2008)
Es vergingen erneut sechs Jahre, bis "M.O.A.B. - Stories From Deuteronomy" das Licht der Welt erblickte. Ein überaus ambitioniertes Konzeptalbum über "die fatale Absurdität überkommener Glaubenssysteme, die von nur allzu menschlichen Missgriffen geprägt sind, und nun, nach 2000 Jahren, unsere Welt zu vernichten drohen" (Bandinfo). Auch hier bekam man das Soundproblem nicht in den Griff: "M.O.A.B." klang noch dumpfer und mumpfiger als der Vorgänger. Und auch wenn man hörbar versuchte, sich auf die früheren Stärken zu fokussieren und zu den leicht metallisch angehauchten Riffs zurückkehrte, blieben viele Versprechen uneingelöst. Der bis heute letzte Versuch der Band, doch nochmal Fuß zu fassen, ersoff geradewegs im Klischee. Wenn man alles von der Band kannte - das war neu. Als ich beispielsweise meinen Bandkollegen vorschwärmte, wie toll die Band sei und freudestrahlend auf der Rückfahrt vom Proberaum zum ersten Mal das Album im Auto auflegte, erntete ich nur fragende Blicke. Die Magie, die tiefe Verbundenheit mit der Welt, den Menschen, dem Universum waren wie weggeblasen. Und was bis dato undenkbar schien, wurde Wirklichkeit: "M.O.A.B." fand sich nur wenige Tage (und drei Hörversuche später) auf Ebay wieder.
Live ist die Band an einem guten Tag nachwievor schwer zu schlagen, hier entfacht sie die Magie und das Feuer, hier bittet Zeremonienmeister Robbi Robb zum legalen Durchdrehen auf Rezept, hier flutet die Energie der Band das komplette Nervensystem. Aber ob ich wirklich nochmal ein Studioalbum von ihnen benötige, wage ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu bezweifeln. Andererseits: Robb und Gefolge sind Stehaufmännchen - warum sollten sie denn nicht nochmal die (letzte?) Kurve kriegen? Ich behalte sie weiterhin mit einem Auge im Blick, denn ich würde trotz einiger Enttäuschungen immer noch ziemlich viel für ein weiteres Erweckungserlebnis geben.
Die Hoffnung stirbt, wenn der Eistee ausgegangen ist.
Eistee für alle.
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