THE NEW AMSTERDAMS - OUTRODUCTION
Indierock mit Folk- und Countryeinflüssen ist für gewöhnlich ja genau mein Ding - genauso wie die CDU, der FC Bayern München und Fleischsalat. Diese anschmiegsame Soße für verklärte Romantik, für das seichte Wohlfühlen, für Oberlippenbart-Image und das Vaterland kann mir gestohlen bleiben - aber es gibt Ausnahmen. Im Jahr 2006, in meiner Funktion als Schmierfink für das mittlerweile verblichene Tinnitus-Webzine, erhielt ich die CD "Story Like A Scar" der The New Amsterdams. Just an dem Tag, an dem ich die neuen Lieferungen von Chefredakteur Haiko aus dem Briefkasten fummelte, hatte ich Besuch aus dem Schwäbischen, und meine beiden Freunde freuten sich nicht nur über die ebenfalls beiliegende neue IAMX-Scheibe, sondern auch und sogar insbesondere über Matt Pryors neues Spielzeug, auf das er sich nach dem Ende seiner ungleich bekannteren Hauptband The Get Up Kids in erster Linie konzentrierte. Womit auch meine Liebe zu dieser Band ihren Anfang nahm.
The New Amsterdams wurden im Jahr 2000 gegründet und veröffentlichten zu Lebzeiten sieben Studioalben. "Outroduction" ist dabei ihr Schwanengesang, und es lag lediglich an der Zusammenstellung dieser Platte, dass sie nicht den Weg in meine 2013er Best of-Liste fand (auf der sie ansonsten ohne jede Diskussion gelandet wäre): "Outroduction" versammelt Bonustracks und B-Seiten ihrer Singles, ist dabei aber immer noch so anziehend charmant und musikalisch so großartig, als handele es sich um blitzsaubere 1A-Ware.
Es ist bisweilen ein verdrießliches Allerweltsgefasel, wenn in Plattenrezensionen von der Floskel "gutes/schlechtes Songwriting" die Rede ist, was nicht selten als kläglicher Versuch endet, Objektivität in etwas so emotionales und im besten Fall persönliches wie Musik einzubringen, meistens ohne Bezug und ohne weitere Erläuterung; dafür regnet es aber ordentlich Punkte bei den Checkern, die sich solche Sätze am liebsten in ihre Fleshtunnels ritzen lassen würden. Zugegeben, manchmal floskelt es sich auch ganz angenehm auf der beliebten Seite www.dreikommaviernull.de herum, und heute ist sogar manchmal: die Songs der New Amsterdams, hier besonders jene von Matt Pryor, tragen etwas in sich, das mich jedes Mal aufs Neue in Herz & Seele trifft. Ihre Kompositionen sind melodisch beängstigend oft brilliant, dabei zu gleichen Teilen melancholisch wie euphorisch, sie bringen mich in Gedanken dazu, in freier und unberührter Natur (ICH! NATUR! HAHA, ICH BIN WOHL BEKLOPPT!), im strahlenden Sonnenschein und bei gleichzeitig strömendem Regen das Leben genießen zu wollen.
Sie machen mich außerdem fast 20 Jahre jünger. Meine damalige New Amsterdams-Platte von 1994 hieß "It's A Shame About Ray", die passende Band hieß The Lemonheads. Ich habe gerade zu jener Platte ein so enges Verhältnis, weil ich so viele Momente meiner Jugend mit dieser Musik verbinde, vor allem lange Sommer, mit fröhlichen, durchgequatschten Nächten unter guten Freunden, mit Lachen und Lachen und Lachen. Und vor allem mit Unbeschwertheit. Weniger Wohlgesonnte sagen jetzt wohl Naivität. The New Amsterdams lösen bei unterschiedlicher Musik - denn man möge mir jetzt schließlich nicht mit "Die klingen doch völlig anders!" kommen, darum ging's ja nun nicht - selbst mit 36 Jahren, mit Spießerschüssel, Ehering, Familienhund und gemietetem Hexenhäuschen in der Peripherie dasselbe Gefühl aus: Liebe das Leben. Und werde am besten nie erwachsen.
Erschienen auf Nightshoes Syndicate, 2013.